82 , Staatsrecht.

muss dem Provokaten gewahrt bleiben, da darin ledig lich eine Form der V
e r t e i d i g u n g auf jene Gegenansprüche liegt, für die Art. 59 ihm
den Gerichtsstand seines Wohnsitzes als ein gegen seinen Willen nicht
entziehbares Recht gewährleistet. In diesem Sinne hat denn auch das
Bundesgericht bereits einmal entschieden. (Urteil in Sachen Jucker gegen
Höhener vom 9. Dezember 1918.) Die Praxis des Bundesrates als früherer
Reknrsbehörde hatte von ähnlichen Ueberlegungen aus-v gehend Zwar nicht
eine solche Beschränkung der Folgen der Provokation vorgesehen, dafür
aber die Widerklage gegenüber einer; provozierten Klage entgegen den
sonst geltenden Regeln ausgeschlossen, eine Lösung, die indessen deshalb
nicht zweckmässig ist, weil dann über das nämliche Rechtsverhältnis unter
Umständen zwei Prozesse vor verschiedenen Gerichten geführt werden müssen.

Der Rekurrent wird es demnach in der Hand haben, entweder der
Aufforderung zur Klage in Luzern nachzukommen und sich damit auch einer
Kompensationseinrede oder konnexen Widerklage der Rekursbeklagten dort
auszusctzen, oder aber die Klagefrist unbenutzt verstreichen zu lassen,in
welchem Falle er seine Forderung zwar nicht mehr durch selbständige Klage
wird verfolgen, wohl aber sich derselben zur Verrechnung oder Stellung
einer Widerklage gegenüber einer von der Rekursbeklagten in Neuenburg
eingeleiteten Klage wird bedienen können. Unter diesem. Vorbehalte und
mit dieser Begrenzung ihrer Wirkungen ist die erlassene Provokation
bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen. ,

u-MGerichtsstand. N° 13. 83

13. Urteil vom 24. März 1921 i. S. Regierungsrat Zug gegen Obergericht
Luzern und Strafgerîcht Zug. Strafbare Uebertretung von Art. 4 des BG über
polizeiliche Massregeln gegen Viehseuchen von 1872 durch Veräusserung von
Vieh ausserhalb dem Inspektionskreis ohne Gesundheitsschein. Wo befindet
sich dafür der Betretungsort im Sinne von Art. 3 des Ergänzungsgesetzes
vom 19. Juni 1873, wenn

der Uebertreter nicht auf der Tat entdeckt oder festgenommen worden ist ?

A. Im Juli 1920 verkaufte und überbrachte der Landwirt Josef Lötscher
in Risch einem Metzger in Weggis zwei Kälber. Er hatte in Risch' keine
Gesundheitsscheine gelöst und konnte daher auch seinem Ahnehmer keine
solchen übergehen. In der Folge wurde Lötscher vom Viehinspektor in
Risch der Sanitätsdirek--

tion des Kantons Zug verzeigt wegen Uebertretung vieh-

seuehenpolizeilicher Vorschriften. Gemäss Art. 4 des BG über polizeiliche
Massnahmen gegen Viehseuchen vom 8. Februar 1872 sind nämlich u. a. für
den Verkehr mit Rindvieh Gesundheitsscheine in der Weise eingeführt
worden, dass bei jeder Veräusserung eines über sechs Monate alten
Tieres, sofern es ausserhalb des Inspektionskreises geführt wird, dem
Abnehmer ein Gesundheitsschein übergeben werden muss. Diese Bestimmung
ist durch den BRB vom 18. April 1905 u. a. auf den Verkehr mit Kälbern
ausgedehnt worden. Uebertretungen jener Vorschrift sind nach Art. 36 f.
des BG strafbar. Das gegen Lötscher im Kanton Zug eingeleitete Verfahren
führte zu einem Urteil des strafgerichts Zug vom 25. September 1920,
wodurch sich das Gericht inkornpetent erklärte mit der Begründung:
Nach Art. 3 des BG vom 19. Juni 1873 betreffend Zusatzbestimmungen'zum
Viehseuchengesetz gelte für Widerhandlnngen der vorliegenden Art der
Gerichtsstand der Betretung. Lötscher könne im Kanton Zug nicht bestraft
werden, weil der Betretungsort Weggis sei.

84 _ Staatsrecht. _

Die Sanitätskanzlei Zug überwies hierauf die Angelegenheit den Luzerner
Behörden. Am 14, Oktober 1920 verfügte der Amtsstatthalter Luzern,
die verlangte Untersuchung werde nicht angehoben, weil Lötscher die
Gesundheitsscheine in Riseh hätte lösen sollen und daher der Begehungsund
Betretungsort im Kanton Zug sei. Eine Beschwerde der Sanitätskanzlei
Zug über diese Verfügung wies die Staatsanwaltsehaft Luzern am
8. November 1920 ab: Die strafbare Handlung liege in dem Nichtlösen
der Gesundheitsscheine und dem Wegtransport der Kälber ausserhalb des
Inspektionskreises ohne Schèine; die Unterlassung der Uebergabe der
Gesundheitsscheine an den Käufer sei nur die Konsequenz der Tatsache,
dass Lötscher keine solchen gelöst habe. Ort der Uebertretung-sei daher
Risch. Dieser Entscheid wurde von der Kriminalund Anklagekommission des
Kantons Luzern am 20. Dezember 1920 bestätigt.

B. Am 18. Februar 1921 hat der Regierungsrat Zug beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag: Es sei das
statthalteramt Luzem zur Durchführung der Untersuchung, eventuell das
Strafgerieht Zug zur materiellen Behandlung der Sache zu verhalten. Der
Regierungsrathetrachtet den ss Standpunkt des Strafgerichts Zug als
den richtigen. Nach dem Bundesgesetz sei nicht das Niehtlösen des
Gesundheitsseheins, sondern dessen Nichtabgabe an den Käufer unter
Strafe gestellt. Die Uebertretung sei daher im Kanton LuZern begangen
worden. Jedenfalls aber müsse der Straffall im einen oder andern Kanton
behandelt werden.

C. Die Kriminalund Anklagekommission von Luzern hat Abweisung des
Hauptbegehrens, das Strafgericht Zug Abweisnng des eventuellen Begehrens
des . Regierungsrates Zug beantragt..

Das Bundesgericht zieht in Erwägnng :. l. Die Kompetenz des Bundesgerichts
ist gegeben,kzGerichtsstand. N° 13. T 85

weil die Anwendung einer eidgenössischen Gerichtsstandsnorm in Frage steht
(OG Art. 189 Abs. 3), ganz abgesehen davon, dass zugleich ein negativer
Kompetenzkonflikt zwisehen den Strafbehördenzweier Kantone vorliegt
(BGE 36 I 345 Erw. 1). ,

2. Art. 3 des BG vom 19. Juni 1873 betreffend-Znsatzbestimmungen zum
Viehseuchengesetz bestimmt: , c Für Widerhandlungen gegen die Art. 4
bis 9 des BG vom 8. Her-nung 1872 gilt ebenfalls der Gerichtsstand des
Ortes der Betretung. Lötscher ist einer Widerbandlung gegen Art. 4 BG
angeschuldigt. Es fragt sich, wo sich für diese Widerhandlnng der Ort
der Betretung befindet, in Weggis oder im Kanton Zug. Betreten ist
nicht dasselbe wie Begehen, sondern bedeutet erwischen, ertappen. Ort
der Betretung (französischerg'l'ext : for de la constatation) im Sinne
des zit. BG ist daher, wie das Bundesgericht schon früher ausgeführt
hat (AS 14 S. 37 Erw. 2), der Ort, wo der Täter entweder auf der
Tat entdeckt oder nach begangener Tat sistiert (ergriffen) wird. Bei
blossen Polizeiübertretungen, bei denen eine Verhaftung in der Regel
nicht stattfindet,

_ kann, wenn der Täter nicht auf der Tat entdeckt wird,

als Betremngsmt der Ort betrachtet werden, WO, die Uebertretung
durch Anzeige oder sonstwie zu behördlicher Kenntnis gelangt, dies
jedenfalls dann, wenn der Täter an diesem Orte wohnt. Danach war
hier der Betretungsort im Kanton Zug. In dem angeführten Urteil des
Bundesgerichts wurde freilich ausgesprochen, dass nach der Absicht des
Gesetzgebers als Betretungsort nicht auch ein Ort gelten sollte, auf den
das strafbare Handeln sich gar nicht erstreckte, sondern wo lediglich
ein Beweismittel oder das corpus delicii aufgefunden wurde, da man sonst
zu einem ganz anormalen und in der Natur der Sache nicht begründeten
Gerichtsstand käme. (Es handelte sich um einen in einem Kanton durch
einen Viehinspektor vorschriftswidm'g ausgestellten Gesundheitsschein,
wofür der Aussteller in einem andern

86 Staatsrecht,

Kanton, in den das Vieh geführt worden war, zur Rechenschaft gezogen
wurde.) Allein im vorliegenden Fall besteht eine engere örtliche
Beziehung der Widerhandlung zum Kanton Zug. An seinem Wohnort Risch
hätte Lötscher die Gesundheitsscheine lösen sollen. Die Unterlassung
der Lösung und der Transport der Kälber von Risch nach Weggis behufs
Veräusserung, ohne dass sie Gesundheitsscheine begleiteten, waren
die Voraussetzung dafür, dass Lötscher dem Käufer keine solchen
Scheine übergeben konnte. Ob jene Unterlassung und der Transport
ohne Gesundheitsscheine bereits zum eigentlichen Tatbestand einer
Uebertretung des Art. 4 des Viehseuehengesetzes gehören und ob damit im
strafrechtlichen Sinne die Begehung des Deliktes bereits angefangen war,
oderob der strafbare Tatbestand sich gemäss dem Wortlaut des Gesetzes
auf die Nichtübergabe der Scheine an den Abnehmer beschränkt, braucht
nicht untersucht zu werden. Wenn das Bundesgesetz vom 19. Juni 1873 für
den Gerichtsstand auf den Ort der Betretung abstellt, so geschah es, wie
die Entstehungsgeschichte (Botschaft des Bundesrates, Bbl. 1872 II 1037
ff.) zeigt, gerade auch deshalb, um hier die oft rechtlich und oft auch
tatsächlich schwierige Frage nach dem Begehungsorte der Uebertretung
auszuschalten und an ihre Stelle ein Kriterium, das als einfacher
und deutlicher erschien, eben den Ort der Betretung, zu setzen. Die
Beschwerde ist somit dahin zu erledigen, dass das Strafgericht Zug den
Uebertretungsfall Lötscher materiell zu beurteilen hat.

' Demnach erkennt das Bundesgericht :

Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Strafgerichts
Zug vom 25. September 1920 aufgehoben und dieses angewiesen wird,
den Uebertretungsfall Lötscher materiell zu beurteilen.Intel-kantonale
Rechtshilfepflicht im Zivilprozess. N° 14. I7

VII. INTERKANTONALE RECHTSHILFEPFLICHT IM ZIVILPROZESSASSISTANCE
JUDICIAIRE INTERCANTON'ALE EN MATIÈRE DE PROCEDURE CIVILE

14. Urteil vom 12. Februar 1921 i. S. Bessere. gegen Bern Appellationshof.

Interkantonale Rechtshilfepflicht im Zivilprozess. Rechtliche
Grundlage. Die Pflicht eines Dritten, in einem vor den Gerichten eines
anderen Kantons hängigen Zivilprozesse Zeugnis abzulegen oder eine Urkunde
vorzulegen, bestimmt sich nach dem Rechte seines Wohnsitzkantons und nicht
des ersuchenden Kantons, und kann nicht weiter reichen als in einem dort
geführten Prozesse. Verweigerung der Ausübung eines Zwanges zur Edition
durch den Richter des ersuchten Kantons (Bern), weil die Urkunden sich
auf dem Inhaber als Berufsgeheimnis im Sinne von Art. 246
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 246 Prozessleitende Verfügungen - 1 Das Gericht trifft die notwendigen Verfügungen, damit die Streitsache möglichst am ersten Termin erledigt werden kann.
1    Das Gericht trifft die notwendigen Verfügungen, damit die Streitsache möglichst am ersten Termin erledigt werden kann.
2    Erfordern es die Verhältnisse, so kann das Gericht einen Schriftenwechsel anordnen und Instruktionsverhandlungen durchführen.
der bemischen
ZPO anvertraute Tatsachen beziehen. Angebliche Willkür.

A. In dem vor Amtsgericht Luzern-Stadt hängigen

Ehescheidungsprozesse zwischen Frau Marie Anne Bos--

sard geb. Detourbay als Klägerin und Hans Bossard als Beklagten
verfügte die zur Instruktion des Prozesses bestellte Gerichtskommission
nach vorangegangener kontradiktorischer Verhandlung auf Begehren der
Klägerin am 11. November 1919 die Edition einer Reihe von Urkunden durch
Dritte. Unter andern sollte vorlegen die Kantonalbank von Bern:

1. Die von Hans Bossard in Luzern mit der Berner Kantonalbank seit Anfang
1913 bis heute abgeschlossenen Verträge betreffend Tresormiete.

2. Kopien der dem Hans Bossard seit 1. Januar 1913 bis heute ausgestellten
Depotscheine betreffend die von diesem bei der Kantonalbank von Bern in
Depot übergebenen Verttitel, enthaltend die spezifi-