472 Obligationenrecht. N' 81.

Denn nach der positiven Vorschrift des Art. 564 OR haften die
Gesellschafter eben doch solidarisch und mit ihrem ganzen Vermögen
für die Gesellschaftsverbindlichkeiten, und zwar vom Zeitpunkt
ihrer Entstehung an. Mag auch diese Haftung dahin eingeschränkt
sein, dass der Gesellschafter erst dann belangt werden kann, wenn die
Gesellschaft aufgelöst oder erfolglos betrieben worden ist, so beschlägt'
dies doch einzig die Art seiner Haftung und vermag nichts daran zu
ändern, dass sofern die Kollektivgesellschaft nicht als juristische
Person anerkannt wird keine andere vom Rechte anerkannte Person als
Träger der Gesellschaftsverbindlichkeiten vorstellbar ist als die
Gesellschafter selbst. Ob die Verbürgung der Gesellschaftsschuld durch
einen Kollektivgesellschafter als ein Verzicht des letzteren auf die ihm
nach Art. 564 Abs. 3 zustehende Einrede der Vorausklage aufzufassen und in
diesem beschränkten Sinne rechtsgültig ist, braucht für den vorliegenden
Entscheid nicht erörtert zu werden. Der hier vertretenen Lösung ist
übrigens auch deswegen vor derjenigen der Vorinstanz der Vorzug zu gehen,
weil sie im Gegensatz zu dieser mit dem Zweckgedanken in Einklang steht,
welcher dem Art. 218
SR 281.1 Loi fédérale du 11 avril 1889 sur la poursuite pour dettes et la faillite (LP)
LP Art. 218 - 1 Lorsqu'une société en nom collectif et un associé se trouvent simultanément en faillite, les créanciers de la société ne peuvent faire valoir dans la faillite de l'associé que la somme pour laquelle ils sont renvoyés perdants dans celle de la société. Les art. 216 et 217 sont applicables au paiement de ce solde par les différents associés.
1    Lorsqu'une société en nom collectif et un associé se trouvent simultanément en faillite, les créanciers de la société ne peuvent faire valoir dans la faillite de l'associé que la somme pour laquelle ils sont renvoyés perdants dans celle de la société. Les art. 216 et 217 sont applicables au paiement de ce solde par les différents associés.
2    Si l'un des associés tombe en faillite sans qu'il y ait faillite de la société, les créanciers de celle-ci sont admis au passif pour le montant intégral de leurs créances et la masse de l'associé est subrogée comme il est dit à l'art. 215.
3    Les al. 1 et 2 s'appliquent par analogie aux associés indéfiniment responsables d'une société en commandite.392
SchKG zu Grunde liegt. Wenn dort bestimmt wird,
dass bei gleichzeitigem Konkursverfahren über die Kollektivgesellschaft
und einen Teilhaber derselben die Gesellschaftsgläubiger im Konkurse
des letzteren nur den im Gesellschaftskonkurse unhezahlt gebliebenen
Rest ihrer Forderungen geltend machen können, so will dadurch verhindert
werden, dass die Gesellschaftsgläuhiger, die zu ihrer Befriedigung doch
in erster Linie das Gesellschaftsvermögen in Anspruch nehmen können,
die auf diese Weise erzielte Deckung zum Schaden der Privatgläubiger
noch dadurch weiter sollen vermehren können, dass sie ohne Rücksicht auf
die aus dem Gesellschaftsvermögen bereits erlangte teilweise Deckung im
vollen Umfange ihrer Forderungen mit den Privatgläubigern in Konkurrenz
treten, die ihrerseits von der BefriedigungOhngationenrecht. N' 82. 473

aus dem Gesellschaftsvermögen ausgeschlossen sind (Art. 569
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat
CO Art. 569 - 1 Celui qui entre dans une société en nom collectif est tenu des dettes existantes solidairement avec les autres associés et sur tous ses biens.
1    Celui qui entre dans une société en nom collectif est tenu des dettes existantes solidairement avec les autres associés et sur tous ses biens.
2    Toute convention contraire entre associés est sans effet à l'égard des tiers.
OR). Die
Anerkennung der Bürgschaft der Gesellschafter für Gesellschaftsschnlden
aber Würde zur Folge haben, dass die Gesellschaftsgläubiger ihre F
orderungen sowohl im Gesellschaftskonkurse als im Privatkonkurse der
Gesellschafter im vollen Betrage geltend machen könnten. In der Tat zieht
auch die französische Rechtsprechung, die die Kollektivgesellschaft
als juristische Person anerkennt, diese Konsequenz (THALLER, Sociétés
commerciales I Nr. 196), die aber für das schweizerische Recht durch
Art. 218
SR 281.1 Loi fédérale du 11 avril 1889 sur la poursuite pour dettes et la faillite (LP)
LP Art. 218 - 1 Lorsqu'une société en nom collectif et un associé se trouvent simultanément en faillite, les créanciers de la société ne peuvent faire valoir dans la faillite de l'associé que la somme pour laquelle ils sont renvoyés perdants dans celle de la société. Les art. 216 et 217 sont applicables au paiement de ce solde par les différents associés.
1    Lorsqu'une société en nom collectif et un associé se trouvent simultanément en faillite, les créanciers de la société ne peuvent faire valoir dans la faillite de l'associé que la somme pour laquelle ils sont renvoyés perdants dans celle de la société. Les art. 216 et 217 sont applicables au paiement de ce solde par les différents associés.
2    Si l'un des associés tombe en faillite sans qu'il y ait faillite de la société, les créanciers de celle-ci sont admis au passif pour le montant intégral de leurs créances et la masse de l'associé est subrogée comme il est dit à l'art. 215.
3    Les al. 1 et 2 s'appliquent par analogie aux associés indéfiniment responsables d'une société en commandite.392
SchKG ausdrücklich abgelehnt wird. Die Auffassung der Vorinstanz
würde zu einer Umgehung der zwingenden Bestimmung führen, die das SchKG
über die Konkurrenz der Gesellschaftsgläubiger mit den Privatgläubigern
im Privatkonkurse der Kollektivgesellschafter aufstellt.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Berufung wird gutgeheissen,
das Urteil des Handels-

gerichts des Kantons Zürich vom 1. Juli 1920 aufgehoben und die Klage
abgewiesen.

82. Urteil de:-Il. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1920 i. S. Schmid
gegen Schmid. Nutzniess ung an Aktien: BezugsberechtigtbeiAusgabe von
G r a t i s a k t i e n ist der Aktieneigentümer, der

Nutzniesser erwirbt nur Nutzniessnngsreehte an den neuen Aktien.

A. Am 27. Dezember 1914 starb in Luzern J . H. Schmid-Bull. Aus seinem
Nachlass erhielten die Kläger, als Intestaterben des elterlichen Stammes,
u. a. 6 Aktien der Aluminium-Industrie A. G. in Neuhausen zu Eigen-

AS 46 n 1920 32

474 Obligationenrecht. N° 82.'

tum, belastet jedoch, gemäss Art. 462 Abs. 2
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 462 - Le conjoint ou le partenaire enregistré survivant a droit:475
1  en concours avec les descendants, à la moitié de la succession;
2  en concours avec le père, la mère ou leur postérité, aux trois quarts;
3  à défaut du père, de la mère ou de leur postérité, à la succession tout entière.
ZGB, mit dem
Nutzniessungsrecht der Beklagten, der Ehefrau des Erblassers.

Im Jahre 1918 wurde das Aktienkapital der Aluminium-Industrie A.. G. von
35 auf 42 Millionen erhöht und zwar in der Weise, dass die Erhöhung aus
den Geschäftserträgnissen des Jahres 1917 bestritten und den bisherigen
Aktionären auf je 5 alte Aktien einerBonusaktie von nominell 1000
Fr. gratis zugeteilt wurde. Auf die 6 Aktien der Kläger kamen eine
Gratisaktie und ein Quotalrecht, für das 637 Fr. 50 Cts. erlöst wurden.

B; Beide Parteien, die Kläger als Eigentümer der 6 Aktien, die Beklagte
als Nutzniesserin, beanspruchten an dieser Bonusaktie und an dem
Quotalrecht das Eigentum. Eventuell verlangte die Beklagte an Bonusaktie
und Erlös aus dem' Quotalrecht die Nutzniessung.

Die erste Instanz ging davon aus, die 1000 Fr., die zur Liberierung der
neuen Aktie aus dem Geschäftserträgnis genommen worden seien, seien als
Frucht der 5 Aktien zu betrachten. Sie verpflichtete daher die Kläger,
der Beklagten diesen Betrag auszuzahlen. Die Aktien selbst dagegen wies
sie den Klägern zu, weil das Bezugsrecht selbst sich nicht als_Nutzung,
sondern als Erweiterung des Stammrechtes darstelle. Als Bezugsrecht müsse
aber auch das Quotalrecht qualifiziert werden, auch es falle daher in
das Eigentum der Kläger.

C. Die Vorinstanz hat mit Urteil vom 7. Juli 1920 diesen Entscheid
dahin abgeändert, dass sie den Klägern an Bonusaktie und Erlös aus dem
Quotalrecht das Eigentum, der Beklagten an beiden aber die Nutznies-sung
zusprach. Das Obergericht hat angenommen, das neu begründete Aktienrecht
könne nicht als Frucht des alten Aktienrechtes betrachtet werden,
sondern nur als Erweiterung des letzteren, also als Erweiterung der
Substanz. Es falle somit ins Eigentum desjenigen, der an der Substanz
eigentumsberechtigt sei, dagegen profitiere der Nutzniesser in soweit
davon, als sichObligationen-wirtN° 82. 475

sein Nutzungsrecht auch auf diese Vergrösserung des Stammrechtes
erstrecke. Gleich zu behandeln sei der Natur der Sache nach das
Quotalrecht.

D. Gegen den Entscheid des Obergeriehts haben die Kläger die Berufung an
das Bundesgericht ergriffen, mit dem Antrag, es sei der Beklagten nicht
nur das Eigentumsrecht an Bonusaktie und Quotalrec'ht, sondern auch das
Nutzungsrecht abzusprechen.

Die Beklagte hat sich der Berufung angeschlossen. Sie verlangt Zusprechung
nicht nur der Nutzniessung, sondern auch des Eigentums an der Bonusaktie
und am Erlös aus dem Quotalrecht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Ob das dem Aktionär reservierte Recht auf Bezug neuer Aktien dem
Aktieneigentümer oder dem Nutzniessungsberechtigten zukommt, ist in
der Doktrin bestritten. Zu Gunsten des Eigentümers sprechen sich aus:
DALLOZ, Code civil zu Art.586 Anm. 38; FUZIER HERMAN, Code civil zu
Art. 582 Anm. 7 ; STAUB, EUR282 N. 11; GIERKE, Privatrecht II S. 694;
LEHMANN, Recht der A.-G. II S. 66; Derselbe Zschr. f. H.-R. 51 S. 403;
FISCHER bei Ehrenberglll1 S. 327; WIELAND zu Art. 774 N. 11; LEEMANN
zu Art. 774 S. 577 N. 51. Entgegengesetzter Ansicht sind: Srnnnmoun §
1082, N. 6; Miami in Holdheims Monatschrift 1900 S. 4. Dabei wird die
Entscheidung davon abhängig gemacht, ob das Bezugsrecht als zivile Frucht
des Aktienrechtes zu betrachten sei, oder ob es, was die herrschende
Meinung annimmt, eine Erweiterung des Stammrechtes bedeute.

Auch für das schweizerische Recht stellt sich die

Frage dem Wesen nach gleich. Allerdings kennt es den

Begriff der zivilen Frucht als allgemeinen Rechtsbegriff nicht (W
II?-LAND, S. 18 N. 2; LEEMANN, Art. 643 Anm. I). Dagegen gibt es, wo
derartige durch Rechtsverhältnisse begründete Erträgnisse von Sachen
oder Kapitalien eine Rolle spielen, jeweiien eine besondere

476 Obligationenrecht. N°, 82...

Begriffshestimmung. Für die Nutzniessung ist diese Begriffsbestimmung in
Art. 757 enthalten. Danach fallen dem Nutzniesser ausser den natürlichen
Früchten zu: Zinsen von Nutzniessungskapitalien und andere periodische
Leistungen . Dabei kann als andere periodische Leistung nach der Natur
des Niessbrauchsrechtes nur in Frage kommen, was nach der wirtschaftlichen
Zweckbestimmung als periodisches Erträgnis des Kapitals, d. h. als
ein Erträgnis sich darstellt, das zum Verbrauch und Genuss durch den
Berechtigten bestimmt ist.

Dass das Bezugsrecht unter den Begriff des Zinses subsumiert werden
könne, erscheint ohne weiteres als ausgeschlossen.

Aber auch als andere periodische Leistung im Sinne von Art. 757 kann das
Bezugsrecht grundsätzlich nicht qualifiziert werden. Einmal ist es nicht
ein p e r i o di 5 c h e s Erzeugnis, nicht ein Erzeugnis, auf das der
Aktionär in gewissen Zeiträume-II einen Anspruch hätte. Sodann aber ist
es der wirtschaftlichen Zweckbestimmung nach nicht E r t rä g nis des
Aktienrechts. Die Aktie, die es dem Berechtigten verschafft, ist nicht
ein blosses Summenversprechen, sondern Gesellschaftsanteilsrecht. Sie
ist nicht zum Verbrauch und Genuss durch den am Kapital Berechtigten,
sondern dazu bestimmt, ihrerseits dem Aktionär selber wieder Erträgnisse
zu liefern. ' '

Das Bezugsrecht kann aber auch deswegen nicht

unter die dem Nutzniesser zukommenden Erträgnisse

gerechnet werden, weil in der Zuweisung an den Nutzniesser eine
Beeinträchtigung der Stammrechte des Aktieneigentümers liegen würde. Das
Bezugsrecht ist regelmässig, und im vorliegenden Falle in ganz besonderem
Masse, der Ausfluss einer günstigen Entwicklung des Unternehmens. Dieser
günstigen Entwicklung entsprechend, d. h. entsprechend dem vorhandenen
Vermögen, stillen und offenen Reserven, stellt sich der

Obi'igflflqnemdlt. N° 82. 477

effektive Wert der Anteiisrechte, die die alten Aktionäre vor der Ausgabe
der neuen Aktien besitzen. Mit diesen alten Anteiisrechtefi treten mit
der neuen Emission neue Anteiisrechte in Konkurrenz, und zwar regelmässig
ohne dass die bei Geltendmachung des Bezugsrechtes verlangte Einzahlung
dem vorhandenen Vermögen und den bestehenden Gewinnaussichten äquivalent
ist. (Im vorliegenden Falle wurden auf die Liberierung 1000 Fr. pro Aktie
verwendet, während die alten Aktien damals im Kurse um ein Mehrfaches
höher standen.)

Hieraus ergibt sich eine Schwächung der alten Anteilsrechte für den
Liquidationsfall. Der Liquidationsanspruch der neuen Aktien erstreckt
sich, wie der der alten, auf das gesamte vorhandene Vermögen, insbesondere
also auch auf alle Reserven. Mit der Neuemission vermehrt sich somit
die Zahl der Anteilsrechte, ohne dass sich das vorhandene Vermögen im
gleichen Verhältnis vermehren würde ; der einzelne Liquidationsanspruch
muss daher kleiner sein, als derjenige, der auf die alten Aktien vor
der Erhöhung des Kapitals gefallen wäre.

Bei Einräumung eines Bezugsrechtes ohne dem Wertanteil der bisherigen
Aktien entsprechende Einzahlung wird aber auch das einzelne Anteilsrecht
bei h e st eh'e n de r Gesellschaft beeinträchtigt, die Gewinnchance der
einzelnen Aktie vermindert. Denn während bisher das gesamte Kapital,
d. h. Gesellschaftskapital' und Reserven für eine kleinere Zahl von
Aktien arbeiteten, muss nun der Gewinn auf eine grössere Anzahl von
Anteilsrechten verteilt werden, wiederum ohne dass der Vermehrung der
Anteilsrechte die Vermehrung des in der Unternehmung arbeitenden Kapitals
entsprechen wiirde.

Endlich ist zu berücksichtigen, dass auch hinsichtlich der
Verwaltungskompetenzen die neuen Aktienrechte dauernd mit den alten
in Konkurrenz

treten Würden.

478 Obligationeurecht. N° 82.4

Bleiben die neuen Aktien dem Eigentümer der alten Aktien, so liegt in
dieser Schwächung der einzelnen Anteilsrechte eine Benachteiligung für
ihn nicht, weil, was vom Anteilsrecht der alten. Aktien auf die neuen
übergegangen ist, ihm in den neuen Aktien wieder zukommt. Werden die
neuen Aktien dagegen auf den Nutzniesser übertragen, so sind damit die
Anteilsrechte des Eigentümers der alten Aktien dauernd beeinträchtigt.

2. Ist somit das Bezugsrecht grundsätzlich nicht als Erträgnis im
Sinne von Art. 757
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 757 - Les intérêts des capitaux soumis à l'usufruit et les autres revenus périodiques sont acquis à l'usufruitier du jour où son droit commence jusqu'à celui où il prend fin, même s'ils ne sont exigibles que plus tard.
ZGB aufzufassen, so trägt es sich nun, ob hievon im
vorliegenden Falle mit Rücksicht darauf eine Ausnahme gemacht werden
soll, dass die streitige Bonusaktie aus dem Ge win n des Geschäftsjahres
191? liheriert worden ist. Die Beklagte hat dies angenommen, weil in der
Verwendung des Reingewinnes zur Liberierung von Aktien nur ein Surrogat
für eine Dividendenauszahlung zu sehen sei. Dieser Auffassung kann jedoch
nicht beigetreten werden.

Die Beklagte übersieht zunächst, dass sie ein Recht verlangt, das als
Gesellschaftsanteilsrecht weit über die Erträgnisse des Jahres 1917, die
sie beanspruchen will, hinausgreift, das zurück greift auf die in Form von
Reserven im Gesellschaftsvermögen zurückbehaltenen Erträgnisse früherer
und hinausgreift auf die Erträgnisse aller künftigen Geschäftsjahre-

sie übersieht aber vor allem, dass sie als an den Aktien N
utzniessungsberechtigte nicht schlechthin ein Recht auf alle Erträgnisse
der G e s e ll s c h a f t hat, sondern nur ein Recht auf das, was
die Aktien an Erträgnissen abwerfen. Das Bezugsrecht aber kann: nach
den obenstehenden grundsätzlichen Erwägungen seiner ganzen rechtlichen
und wirtschaftlichen Natur nach nicht als Erträgnis der alten Aktien
betrachtet werden. Hieran ändert die Tatsache, dass die neuen Aktien
aus dem Gewinne liberiert werden, nichts, insbesondere gilt trotzdem,
dass die Geltendmachung des

Obligaflonenrecht. N° 82. 479

Bezugsreehtes durch den Nutzniesser die Substanz der alten Aktienreehte
angreifen würde. '

Zweifelhafter wäre die Entscheidung allerdings dann, wenn die Verwendung
des Gewinnes zur Liberierung von Aktien mit den Statuten in Widerspruch
stehen würde, d. h. wenn die Aktionäre ein Recht auf Ausschüttung dieses
Gewinnes gehabt hätten. Allein die Beklagte hat nirgends behauptet, der
Generalversammlungsbeschluss,' der die Kapitalerhöhung veranlasste, sei
statutenwidrig. Es braucht daher hierauf nicht ein-getreten zu werden,
und es können auch die weiteren Fragen, die sich dabei ergeben würden,
dahingestellt bleiben, ob, wenn eine derartige Statutenverletzung
vorgelegen hätte, der Niessbraucher sich nicht erst dann darauf
berufen könnte, wenn eine Anfechtung des Beschlusses stattgefunden
hätte, sei es dass man ihn selbst, sei es dass man den Aktionär zu
dieser Anfechtung als legitimiert betrachten wollte. So wie die Akten
liegen, steht das Bundesgericht vor der Situation, dass zufolge eines
g n l tige n Generalversammlungsbes schlusses an Stelle eines auf das
Nutzniessungskapitaentfallenden Gewinnbetreffnisses den Berechtigten ein
Recht zugewendet wurde, das nicht Erträgnis des Nutzniessungskapitals ist
(vgl. WINKLER, Ausgabe von Gratisaktien in Leipziger Zeitschrift 1913
S. 47).

Die erste Instanz hat die Kollision der Rechte des

'Aktieneigentümers und des Niesshrauchers dadurch

vermeiden wollen, dass sie die Kläger anwies, den für die Liberierung
verwendeten Gewinnbetrag der Beklagten herauszubezahlen. Allein
diese Loslösung des Gewinnes geht nicht an. Die Aktie enthält
kein Summen-versprechen wie z. B. das Recht des Obligationärs,
sie gibt dem Inhaber, wie oben ausgeführt wurde, ein Anteilsrecht
aber keinerlei Garantie eines künftigen Erträgnisses oder einer
Kapitalrückzahlung. Dementsprechend aber kann der Aktionär auch nicht
gezwungen werden, darauf weitere Zahlungen zu entrichten} Aus

480 ss Obligationen-geht N° 82.,

dem gleichen Grunde ist endlich die in der Literatur vereinzelt vertretene
Ansicht zurückzuweisen, wonach der Eigentümer vor die Wahl gestellt werden
soll, ent. weder dem Nutzniesser das, was sich am Bezugsrecht als Frucht
darstellt , in bar herauszugeben, oder ihm das Bezugsrecht zu überlassen.

Die Verhältnisse liegen vielmehr analog, wie wenn die 7 Millionen
durch verbindlichen Generalversammlungsheschluss in Reserve gestellt
oder für Abschreibungen verwendet worden waren; Wäre dies geschehen,
so stünde der Nutzniesserin kein Anspruch, an dem auf die Aktien der
Kläger entfallenden Gewinnanteil zu, obwohl dadurch' zweifelsohne
eine Vermehrung des Vermögens des Eigentümers durch Steigerung des
Verkehrsoder doch des inneren Wertes der Aktien eingetreten wäre (DALLOZ
zu'Art. 586 Nr. 33; VAVASSEUR, Traité des Sociétés civiles I S. 464). Vom
Standpunkt des Eigentümers aus, in seinem Verhältnis zum Nutzniesser,
besteht aber wirtschaftlich kein Unterschied zwischen diesem Falle der
Reservestellung und dem Falle der Ausgabe von Bonusaktien. Im einen
wie im andern Fall werden Teile des Jahresgewinnes im Vermögen der
Aktiengesellschaft zurückbehalten und an Stelle der Ausschüttung eines
Gewinnes die bestehenden Gesellschaftsanteilsrechte verstärkt.

3. _. Gegen die Annahme, dass die Gratisaktie als Nutzniessungserträgnis
zu behandeln sei, spricht aber weiter auch die folgende Erwägung :

Angenommen, es zahle die Aktiengesellschaft zum Teil liberierte Aktien
aus dem Jahresgewinn für die ss Aktionäre voll ein was gerade bei
der AluminiumIndustrie A. G. ein Jahr vorher geschah , so kann dem _
Nutzniesser irgend ein, Recht an der voll liberierten Aktie nichtzukommen,
weil das in einer Aktie verur--

k undete Recht 'nichtteilbar ist, und-weil, wie schon oben ·

'ausgeführt wurde, eine Barzahlung an den Nutzniesser dem Aktionär mit
Rücksicht auf die Gefahr der Ent-

Obligationenrecht. N° 82. 481

Wertung der Aktie nicht zugemutet werden darf. Ist aber bei der aus
den Geschäftserträgnissen erfolgten Volliberierung einer nur zum Teil
einbez'ahiten Aktie nur die Lösung möglich, dass das gesamte Aktienrecht
als erweitertes Stammrecht dem Eigentümer verbleibt, so ist nicht
einzusehen, warum der ganz analogeFall der Erhöhung des Aktienkapitals
durch Ausgabe neuer aus dem Gewinn liberierter Aktien anders behandelt
werden sollte.

4. Nach dem Gesagten fällt die Bonusaktie an die Kläger. Ihr gleich zu
behandeln ist der Natur der Sache nach das Quotalrecht bezw. der Erlös,
der aus dessen Verkauf erzielt wurde.

5. Zu entscheiden bleibt dagegen noch die weitere von den Klägern
aufgeworfene Frage, ob die Beklagte, wenn sie kein Eigentum an Bonusaktie
und Erlös aus dem Quotalrecht habe, nicht auch auf die Nutzniessung
daran verzichten müsse.

Dem steht entgegen, dass die Gratisaktie und das Quotalrecht
wirtschaftlich doch als eine Erweiterung des alten Aktienrechtes
erscheinen, dessen Nutzniessung der Beklagten zusteht. Daraus
ergibt sich, dass sich diese Nutzniessung ohne weiteres auch auf die
Erweiterung erstrecken muss. Zuzugeben ist den Klà-si gern allerdings,
dass grundsätzlich der Niessbrauch der Witwe nur den Nachlass, so wie er
beim Tode des Ehemannes vorhanden ,war, umfasst. Allein dieser Grundsatz
darf nicht buchstäblich genommen werden, d. h. nicht in dem Sinne, dass
dabei die Substanz des Nachlasses schlechthin massgebend wäre. Schon
im gemeinen Recht 'war unbestritten, dass auch das durch Anschwemmung
vergrösserte Grundstück in seinem ganzen Umfange der Nutzniessung
ver-fangen sei(Pr-A.N101 I 279? ), und Dernburg nimmt sogar an, dass
wenn mit dem Nutzniessungsgrundstück andere Grundstücke im Grundbuche
zu einem Grundstück vereinigt werden, die Nutzniessung am ersteren sich
mit der Vereinigung auf das

482 Obligationenrecht. N° 82.

ganze erstrecke (D]:RNBURG, Bürg. Recht Nr. 3 p. 608). Im vorliegenden
Falle kommt sodann hinzu, dass eben doch der Kapitalbetrag, aus dem die
Liberierung erfolgte, einen Teilsi des Jahresergebnisses ausmachte, der,
wenn er in Form der Dividende ausgerichtet worden, was als das Normale
zu betrachten ist, ganz an die Beklagte gefallen wäre. In gleicher Weise
hätte sie, indem dadurch der Ertrag der Aktien gesteigert worden Wäre,
davon profitiert, wenn die Generalversammlung die 7 Millionen in Reserve
gestellt hätte. Endlich muss auch hier die Analogie einer teilweisen
Liberierung der Aktien durch die Aktiengesellschaft ins Auge gefasst
werden. Dass hier die Nutzung sich auf die gesamten Erträgnisse der voll
liberierten Aktie erstrecken wiirde, erscheint ohne weiteres klar. Auch
hier aber besteht kein Grund, den ganz analogen Fall der Gratisabgabe
neuer Aktien anders zu behandeln.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Hauptund Anschlussberufung werden abgewiesen unter Bestätigung des
Urteils des Obergerichts des Kantons Luzern vom 7. Juli 1920.

Prozessreeht. N° 83. . 483

III. PROZESSRECHT

PROCEDURE

83. Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Dezember 1920 i. S. Suter
gegen Haug.

Art. 59
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 757 - Les intérêts des capitaux soumis à l'usufruit et les autres revenus périodiques sont acquis à l'usufruitier du jour où son droit commence jusqu'à celui où il prend fin, même s'ils ne sont exigibles que plus tard.
OG: Weist das Bundesgericht einen Prozess an die Vorinstanz
zurück, so sind finden; neue Urteil der letzteren, wenn es wieder an das
Bundesgericht weitergezogen wird, die Berufungsvor aussetzungen neu zu
überprüfen. Reduktion

des Streitwertes nach der Rückweisung unter den gesetzlichen
Minimalbetrag.

A. Mit Urteil vom 18. Januar 1919 schätzte das Obergericht Zürich
im Betrage von 1594 Fr. eine Klage der Erben Haug, mit der diese vom
Beklagten wegen unsachgemässer Behandlung des Alfred Haug-Vieder-kehr
16,744 Fr. verlangt hatten.,

Auf die Berufung des Beklagten hin, wies das Bundesgericht die Sache
am 14. Mai 1920 zur Aktenergänzung an die Vorinstanz zurück, worauf die
Kläger vor Obergericht_ihr Begehren auf 1663 Fr. reduzierten.

B. Unterm 9. Juni 1920 hat das Obergerieht neuerdings in der
Sache geurteilt und den Beklagten Wiederum zur Zahlung von 1594
Fr. verpflichtet.

C. Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung, mit der
der Beklagte Abweisung der Klage beantragt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. In Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche ist die
Berufung nach Art. 59
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 757 - Les intérêts des capitaux soumis à l'usufruit et les autres revenus périodiques sont acquis à l'usufruitier du jour où son droit commence jusqu'à celui où il prend fin, même s'ils ne sont exigibles que plus tard.
OG nur zulässig wenn der Streitwert nach Massgabe
der Rechtsbegehren,