116 Obligationenreeht. N' 22.

die PfivatrechtSsphäre der Klägerin eingedrungen sei, handelt es sich
um Enteignungsmassnahmen des Bundes. Zur Entscheidung von Streitigkeiten
über solche ist das

' Bundesgericht als Zivilgerichtshof gemäss Art. 48 Schluss ,

satz OG nicht zustandig, weil es sich dabei um öffentlich-rechtliche
Streitigkeiten handelt.

1.0 Mangels Erfüllung der Bedingung, an welche

die von der Beklagten eventuell gestellte Widerklage geknüpft ist,
erledigt sich diese von selbst; die Frage, ob bedingte Widerklagen
überhaupt zulässig seien, kann deshalb dahingestellt bleiben.

Demnach erkennt das Bundesgerichf : . 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Auf die Widerklage wird nicht eingetreten.

22. um der :. Eier-Wink von 16. um 1920 · i. S. Wiener Werkstätte
A.aG. gegen Maz-bach. Haftung des Gastwirts für die vom Gast einge-

brachten Sachen. Umfang -des Entlastungsbeweises nach Art. 487
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 487 - 1 Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
1    Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
2    Diese Haftung besteht jedoch, wenn dem Gastwirte oder seinen Dienstleuten kein Verschulden zur Last fällt, für die Sachen eines jeden einzelnen Gastes nur bis zum Betrage von 1000 Franken.
rev.OR.
Keine gänz-liebe Befreiung von der

' Haftung bei blosser Mitwirkung des Gastes an dem zum

Verlust führenden Verlauf des Kausalzusammenhanges, die nur ein
leichtes Verschulden in sich schliesst. Abwägung des beidseitigen
Verschuldens. Auslegung des Begriffs Kostbarkeiten im Sinn von Art. 488
{Erw. 3).

A. Der Reisende der Klägerin, Jean Klein, stieg am 7. April 1919 Abends im
Hotel Bären siinBem, welches der Beklagte Marbach führt, ab. Am folgenden
Morgen gab er im Hotel den Auftrag, 2 Gepäckstücke vom Bahn-

hof holen zu lassen, die er über Nacht dort gelassen hatte,

und machte einen Ausgang. Der Portier
MüdespacherObligatlonenreeht. N'? 22. 117

brachte während seiner Abwesenheit die beiden Stücke : einen
Musterkoffer mit Blusen, und eine grössere kunstlederne Handtasche,
die Glasperltaschen, sowie Zigarrenetuis, Brieftaschen und andere
kunstgewerbliche ,Gegenstände enthielt. Er stellte die beiden Gepäckstücke
etwa um 9 Uhr in der Gepäckloge, welche eine seitliche Erweiterung
des Erdgeschosskorridors bildet, ab. Als nun Klein um 10 Uhr 45 herum
von seinem Ausgang zurückkam, war dieTasche verschwunden. Ein anderer
Hotelgast, Carl Tschudin, hatte sich in der Zwischenzeit im nebenan
befindlichen Raume von einem Angestellten die Schuhe putzen lassen,
sich hierauf die Tasche angeeignet und das Weite gesucht.

B.Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin, Wiener Werkstätte
A. -G., von dem Beklagten Ersatz des Verlustes, der ihr durch den
Diebstahl entstanden sei, im Betrag von 12,456 Fr. 25 Cts. nebst 6%
Zins seit 15. April 1919. sie behauptet, die Gegenstände, welche die
abhanden gekommene Tasche enthalten habe, hätten einen Wert von 12,356
Fr. 25 (Yes., berechnet nach den Verkaufspreisen, und die Tasche selbst
einen solchen von 100 Fr. gehabt. Es handle sich um kunstgewerbliche
Originalarbeiten, die im Geschäft nicht vorrätig seien.

Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage.

* C. Durch Urteil vom 6. November 1919 hat das Handelsgericht des Kantons
Bern den Beklagten zur Bezahlung von 1000 Fr. nebst 6% Zins seit 15. April
1919 verurteilt.

D. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht
erklärt, mit den Anträgen :

1. die Sache sei zur Beweisergänzung hinsichtlich der Höhe des Schadens
an die Vorinstanz zurückzuweisen ;

2. die Klage sei in vollem Umfange gutzuheissen.

E. Der Beklagte hat sich der Berufung angeschlossen und gänzliche
Abweisung der Klage, eventuell angemessene Herabsetzung der Entschädigung
von 1000 Fr. beantragt. ,

118 Obligationenrecht. N° 22.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung ; I. _In rechtlicher Hinsicht ist
zwar davon auszugehen,

* ' dass der Gastwirt aus Art. 487
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 487 - 1 Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
1    Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
2    Diese Haftung besteht jedoch, wenn dem Gastwirte oder seinen Dienstleuten kein Verschulden zur Last fällt, für die Sachen eines jeden einzelnen Gastes nur bis zum Betrage von 1000 Franken.
OR nur dem Gast gegenüber haftet,
ohne Rücksicht darauf, ob er Eigentümer

der eingebrachten Sachen sei, indem es sich um eine Rechtswirkung des mit
dem Gast abgeschlossenen Beherbergungsvertrags handelt (vergl. HAFNER,
Anm. lb zu Art. 486 aOR). Dennoch ist in Uebereinstimmung mit der
Vorinstanz auf die vorliegende Klage einzutreten, weil aus der ganzen
Klagebegründung hervorgeht, dass die Klägerin im Grunde den ihrem
Reisenden Klein zustehenden Ansprueh geltend macht, und nach der
Aktenlage auch der Beklagte damit einverstanden zu sein scheint, es
solle so angesehen werden, wie wenn Klein seine Ansprüche der Klägerin
abgetreten habe.

2. Nach der Gestaltung der Parteianträge in der bundesgerichtlichen
Instanz ist sodann in erster Linie zu prüfen, ob überhaupt eine
Haftung des Beklagten für die Entwendung der von Klein eingebrachten
Sachen bestehe. Nach Art. 487
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 487 - 1 Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
1    Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
2    Diese Haftung besteht jedoch, wenn dem Gastwirte oder seinen Dienstleuten kein Verschulden zur Last fällt, für die Sachen eines jeden einzelnen Gastes nur bis zum Betrage von 1000 Franken.
und 488
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 488 - 1 Werden Kostbarkeiten, grössere Geldbeträge oder Wertpapiere dem Gastwirte nicht zur Aufbewahrung übergeben, so ist er für sie nur haftbar, wenn ihm oder seinen Dienstleuten ein Verschulden zur Last fällt.
1    Werden Kostbarkeiten, grössere Geldbeträge oder Wertpapiere dem Gastwirte nicht zur Aufbewahrung übergeben, so ist er für sie nur haftbar, wenn ihm oder seinen Dienstleuten ein Verschulden zur Last fällt.
2    Hat er die Aufbewahrung übernommen oder lehnt er sie ab, so haftet er für den vollen Wert.
3    Darf dem Gast die Übergabe solcher Gegenstände nicht zugemutet werden, so haftet der Gastwirt für sie wie für die andern Sachen des Gastes.
OR ist der Gastwirt unter zwei
Voraussetzungen von der Haftung befreit: ss a) wenn er beweist, dass
der Schaden durch den Gast selbst, oder seine Besucher, Begleiter oder
Dienstleute, oder durch höhere Gewalt oder'durch die Beschaffenheit der
Sache selbst verursacht worden ist ; und

b) wenn es sich um Kostbarkeiten, grössere Geldbeträge oder Wertpapiere
handelt, diese ihm aber nicht zur Aufbewahrung übergeben werden sind,
und ihm oder seinen Dienstleuten ein Verschulden nicht zur Last fällt.

3. Was zunächst den letzteren Befreiungsgrund anbelangt, so frägt es
sich, ob die Gegenstände, welche der Reisende Klein in der gestohlenen
Handtasche eingebracht hat, sich als Kostbarkeiten im Sinn des Art. 488
darstellen. Das ist zu verneinen; denn der Begriff der Kostbarkeit
bemisst sich nach dem Wert des einzelnen Gegenstandes, und nicht nach
der Menge. Nicht derObligationenrecht. N° 22. 119

Betrag, der sich aus einer Summierung der Werte der einzelnen, in einer
Mehrzahl vorhandenen, aber unter sich verschiedenen Sachen ergibt, kann
massgebend sein, sondern nur die individuelle Eigenschaft jeder einzelnen
Sache für sich genommen. Nach der Beschaffenheit der hier in Rede
stehenden Gegenstände hat man es allerdings mit sog. kunstgewerblichen
Objekten zu tun; aus dem Verzeichnis mit den Wertangaben, welches die
Klägerin zum Nachweis ihrer Schadenersatzforderung eingelegt hat, ergibt
sich jedoch, dass es sich, einzeln genommen, nicht um eigentlich kostbare
Objekte gehan. delt hat, sondern dass der bedeutende Werthetrag einzig
auf der grossen Menge der Gegenstände beruht.

4. In Bezug auf den erstgenannten Befreiungsgrund, nämlich die
Schadensverursachung durch den Gast selbst, steht fest, dass die
Handtasche durch einen Dritten entwendet worden ist, der mit Klein
in keiner der in Art. 487 genannten Beziehungen stand. Es kann sich
also nur fragen, ob dem Klein eine Verursachung des Schadens in der
Weise zugeschrieben werden könne, dass man annimmt, er habe sich einen
Mangel an der erforderlichen Sorgfalt in der Obhut über die Tasche zu
schulden kommen lassen, der die Entwendungsgefahr vergrössert und so.sur
Verursachung des Schadens beigetragen habe. Es trägt sich In. a. W.,
ob nach Art. 487 der Entlastungsbeweis sich auf die objektive Tatsache
der unmittelbaren Herbeiführung des Schadens beschränke, oder ob auch
ein im Mangel an Obhut liegender, bloss mittelbarer, entfernter Anteil
an dem ursäch-

' lichen Verlauf in Betracht falle. Letzteres galt für das

alte OR, welches in Art. 486
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 486 - 1 Der Lagerhalter hat das Gut gleich einem Aufbewahrer zurückzugeben, ist aber an die vertragsmässige Dauer der Aufbewahrung auch dann gebunden, wenn infolge unvorhergesehener Umstände ein gewöhnlicher Aufbewahrer vor Ablauf der bestimmten Zeit zur Rückgabe berechtigt wäre.
1    Der Lagerhalter hat das Gut gleich einem Aufbewahrer zurückzugeben, ist aber an die vertragsmässige Dauer der Aufbewahrung auch dann gebunden, wenn infolge unvorhergesehener Umstände ein gewöhnlicher Aufbewahrer vor Ablauf der bestimmten Zeit zur Rückgabe berechtigt wäre.
2    Ist ein Warenpapier ausgestellt, so darf und muss er das Gut nur an den aus dem Warenpapier Berechtigten herausgeben.
auf den Beweis abstellte, dass der Schaden
durch ein Verschulden des Gastes . . . verursacht worden sei. Indem nun
das revidierte OR in Art. 487 einfach von Verursachung Spricht, Will es
offenbar den Entlastungsbeweis des Wirtes zu dessen Gunsten erweitern
(wie ja auch Abs. 2 auf eine Erleichterung der Haftung abzielt), und
zwar in dem Sinne, dass AS 46 n 1920 9

120 Obligation'enreclrt. N° 22.

der Nachweis der objektiven Verursachung genügt, und nicht auch noch
derjenige eines Verschuldens des Gastes oder seiner Besucher, Begleiter
oder Dienstleute bei Verursachung des Schadens erforderlich wäre (vergl.
Ost-Ja Komm. S. 848).

Sobald man aber auch schuldhakte Veranlassung oder Ermöglichung
der Schadensstiftung als Vernrsachung auffasst, wie z. B. sorgloses,
leichtsinniges Verhalten des Gastes, so müssen dann auch die Grundsätze
über die Abwägung des darin liegenden Verschuldens Platz greifen. Es wäre
offenbar unbillig, und den allgemeinen Grundsätzen des OR,_wie sie sich
aus Art. 43 ergeben, nicht entsprechend, auch bei einer Mitwirkung des
Gastes an dem zum Verlust führenden Verlauf des Kansalzusammenhanges,
die nur ein leichtes Verschulden in sich schliesst,

ihn als Verursacher schlechthin zu behandeln, Sondern ]

es ist sein Anteil an dem Verlust in Ansehung der Grösse seines
Verschuldens, im. Vergleich zu den Umständen, insbesondere
auch einem etwaigen Verschulden des Gastwirtes und seiner Dienstleute
zu bemessen.

5. EinMitverschulden fällt nun dem Reisenden Klein jedenfalls zur
Last. Wenn es sich auch nicht um eine Kostbarkeit im Siundes Art. 488
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 488 - 1 Werden Kostbarkeiten, grössere Geldbeträge oder Wertpapiere dem Gastwirte nicht zur Aufbewahrung übergeben, so ist er für sie nur haftbar, wenn ihm oder seinen Dienstleuten ein Verschulden zur Last fällt.
1    Werden Kostbarkeiten, grössere Geldbeträge oder Wertpapiere dem Gastwirte nicht zur Aufbewahrung übergeben, so ist er für sie nur haftbar, wenn ihm oder seinen Dienstleuten ein Verschulden zur Last fällt.
2    Hat er die Aufbewahrung übernommen oder lehnt er sie ab, so haftet er für den vollen Wert.
3    Darf dem Gast die Übergabe solcher Gegenstände nicht zugemutet werden, so haftet der Gastwirt für sie wie für die andern Sachen des Gastes.

OR handelte, die er dem Beklagten zur Aufbewahrung zu übergeben hatte,
so wies doch der Inhalt der abhanden gekommenen Handtasche einen
ausser-gewöhnlich hohen Wert auf, der eine besondere Obhut in erster
Linie von seiten ihres Besitzers erforderte. Klein hatte deshalb dafür
Sorge zu tragen, dass die Tasche nicht wie ein gewöhnlicher Musterkoifer
behandelt werde. Dazu war nötig, dass er das Hotelpersonal ausdrücklich
hierauf aufmerksam machte ; denn ohne eine solche Anweisung musste dieses
annehmen, es handle sich einfach um einen Musterkoffer, da ja Klein seine
persönliche Handtasche schon bei seiner Ankunft im Hotel am Abend vorher
mitgebracht hatte, und also vorauszusetzen war, er führe die beiden
Gepäckstücke, die er über Nacht auf. Obligsiationenrecht. Nn 22; 1'21'
dem Bahnhof gelassen hatte, für seine Zwecke als HandelsreiSender mit
sich. Klein kümmerte sich auch nicht darum, wo die Musterkoffer im Hotel
aufbewahrt zu werden pflegen, und namentlich nicht um die Ausführung
des am Morgen erteilten Auftrages, die beiden Gepäckstiicke sofort in
das Hotel zu bringen; er blieb Vielmehr über 1% Stunde aus, während
er doch voraussetzen' musste, dass ,die wertvolle Handtasche in kar-_
zester Frist vom Portier zur Stelle geschafft werde, da ja der Weg zum
Bahnhof nur wenige Minuten beträgt.

8. Andrerseits entsprach auch die Obhut seitens des Beklagten nicht den
Anforderungen der in dieser Be,ziehung zu erwartenden Sorgfalt. Zuzugeben
ist zwar, dass nicht jedes Hotel in seinen baulichen Einrichtungen
allen Erfordernissen genügen kann, und mit den gegebenen Verhältnissen
zu rechnen ist. Allein wo jene Einrichtungen die Unterbringung solcher
Gepäckstücke in einem besonderen, abgeschlossenen Raum nicht gestatten,
und man, wie hier, gezwungen ist, sie an einem Ort zu verwahren, der
sich gerade am Zugang zum Hotel befindet und daher von Unberechtigten
leicht und unbemerkt erreicht werden kann, muss eine vermehrte Aufsicht
durch das Personal nachhelfen. Im vorliegenden ' Fall war der Umstand,
dass die Koii'ern ganz in der Nähe der Haustüre abgestellt und überdies
Bauarbeiten im Gange waren, besonders geeignet, die Verübung des
Diebstahls zu ermöglichen.

Wenn die Vorinstanz ausführt, dass eine bessere Ueberwachnng den Diebstahl
nicht verhindert haben würde,

weil der Portier unmöglich hätte wissen können, wem

die einzelnen Gepäckstücke gehören, so hält diese Argumentation nicht
stich. Sehr wahrscheinlich würde der Dieb, wenn jemand vom Hotelpersonal
um den Weg gewesen Wäre, von seinem Vorhaben abgestanden sein. 7. -So
wenig nun aber das Verhalten des Reisenden Klein den Beklagten .von seiner
Haftung gänzlich zu befreien vermag, so wenig erscheint es anderseits
als ge-

122 . Obligationenrecht. N ' 23.

rechtfertigt, den Beklagten wegen der ihm zur Last gelegten Verabsäumung
der den Umständen entsprechenden Obhut für den 1000 Fr. übersteigenden
Schaden

verantwortlich zu erklären, wobei gegenüber seinem

Eventualbegehren um Ermässigung der Entschädigung innert dem Rahmen
von 1000 Fr. zu bemerken ist, dass diese Schranke wegfällt, sobald
ein Verschulden des , Gastwirtes oder seiner Dienstleute vorliegt. Die
Ab-wägung des beidseitigen Verschuldens führt im Ergebnis zur Bestätigung
des angefochteten Urteils.

Demnach erice-nni das Bundesgericht ;

Die Hauptberufung und die Anschlussberufung werden abgewiesen und das
Urteil des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 6. November 1919 wird
bestätigt.

23. Urteil der I. Zivila'bteilung vom 29. März 1920 i. S. Rothpletz
gegen Pezzini.

Haftung für einen Unfall, der sich bei Verwendung eines
Privatautomobils im Militärdienst ereignet hat. Voraussetzungen der
Haftung des Geschäftsherrn nach Art. 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
OR. Anforderungen an den
Entlastungsbeweis. Bemessung der Entsehädigung.

A. Der Beklagte Rothpletz wurde bei der Mobilisation der schweizerischen
Armee im August 1914 mit dem Kommando über die befestigten Anlagen
desMonte

Ceneri und die artilleristische Verteidigung der Ebene

und der Talhänge des Tessin bis zum Monte di Motti

betraut. Da er nur ein Pferd zur Verfügung hatte und sein Dienst
beschwerlich war, erhielt er von seinem Vorgesetzten, Oberstbrigadier
Biberstein, die Bewilligung, ein der Société france-suisse de
construction, deren Teilhaber er ist, gehörendes', damals im Kanton
Bern ste-l

Obligationenrecht. N° 23. 123

hendes Automobil zu benutzen. Er beauftragte dann seinen Adjutanten,
auf dem Dienstwege anzufragen, ob bei der Truppe ein Chauffeur sei,
,der das Automobil lenken könne. Nachdem sich niemand gemeldet hatte,
erfuhr man durch Mitteilung von Angehörigen einer andern Kompagnie, dass
der zwanzig-jährige Hans Weissenhorn ein Automobil zu führen verstehe. Er
wurde aufgerufen, gab auf Befragen zu, dass er fahren könne, und wurde,
obschon er lieber bei der Truppe geblieben wäre, am 11. August 1914 in
den Dienst des Beklagten gestellt.

Schon am 14. August 1914 zeigte sich, dass die Bremsen des Automobils
nicht richtig liefen. Der Beklagte gab Weissenhorn den Auftrag,
das Automobil in die Garage zu führen, die Bremsen nachzusehen und zu
probieren. Die Reparatur der BremSen wurde von 'vVeissenhorn mit Leder,
statt mit Kamelhaar ausgeführt, wie es hätte geschehen sollen, weil
solches in der Garage nicht vorhanden war. ss

Am Tage darauf begab sich Weissenhorn, der am Vorabend nicht Zeit gehabt
hatte, die Reparaturen zu beendigen, morgens 7 Uhr in die Garage, um am
Automobil noch etwas in Ordnung zu bringen, und machte dann damit einige
Fahrten, namentlich zur Post, wohin die Wirtin Gobbi ihn gebeten hatte,
sie zu führen. Auf dem Rückwege fuhr er gegen 101/2 Uhr vormittags durch
die Via Nosetto, eine an einzelnen Stellen nur 4,60 m breite Strasse. Da
Feiertag war (Mariä Himmelfahrt), war die Strasse sehr belebt ; unter
anderem befand sich dort der zwölf jährige Enrico Pezzini, welcher sich
mit seinen Kameraden Carlo Wullsehleger und Livio Tosoni zur Kirche
begab. In unmittelbarer Nähe führten 3 Personen zwei Rinder, von denen
das eine schon in eine Seitenstrasse, die Via Magon'a, eingelenkt hatte,
während das andere sich noch in der Via Nosetto, gegenüber der Birreria
centrale, befand, als das Automobil heranfuhr. Weissen· horn suchte dem
Vieh auszuweichen; er wandte sich bald nach rechts, bald nach links,
stiess das zweite Rind