114 Staatsrecht.

Gesetz damit den hier gegebenen Fall der Vorweisung der Muster im
nämlichen Lokale für alle Kunden nicht umgekehrt behandeln und
der Taxfreiheit entziehen wollen. Vielmehr sieht man sich einer
Fassung des Gesetzes gegenüber, die eine analoge Anwendung auf den
hier vorliegenden, nicht ausdrücklich vorgesehenen, aber rechtlich
gleichartigen Tatbestand nötig macht. Damit erweist sich die Anwendung
der zürcherischen Bestimmungen über den patentpflichtigen Hausierver-kehr
auf die Beschwerdeführerin als hundesrechtswidrig, namentlich auch was
die Festsetzung des Betrages der Patenttaxe anlangt.

4. Ist die Beschwerde schon nach dem gesagten gutzuheissen, so {braucht
auf die andern Beschwerdegründe Verletzung der Rechtsgleichheit und des
Verbotes der Doppelbesteuerung nicht eingetreten zu werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Regierungsrates
des Kantons Zürich vom 20. November 1919 aufgehoben.Politisches Stimrr-ss
und Wahlrecht. N° 18. 115

III. siPOLITISCHES STIMMUND WAHLRECHT

DROIT ÉLECTORAL ET DROIT DE VOTE

18. Urteil vom 21. Februar-1920 i. s. Köchli und serv-must-

gegen Luzern. Grossen Rat.

Beschwerde wegen Verletzung kantonaler Verfassungsbestimmungen
über die Wahl des Grossen Rates durch diesen bei Erledigung eines
Wahlrekurses. Umfang der Kognition des BundeSgerichts. Verteilung der
Restmandate bei der Verhältniswahl des Grossen Rates nach luzemischem
Recht. Wahlzahl als Quorum 'I

A. Das luzernische Vefiassungsgesetz (Novelle zu §§ 23, 43 und 95
der Staatsverfassung) vom 3_. März 1909 betreffend Einführung der
Verhältniswahl bestimmt in §.1", dass die Wahl der Verfassungsräte und
der Gross'ss räte im Verhältniswahlverfahren stattfi'nde. Jeder der in §
150 des Organisationsgesetzes' von 1899 umschriebenen Gerichtskreise
bildet einen Wahlkreis (5 2). Die Wählbarkeit ist auf Kandidaten
beschränkt, deren Namen auf einer spätestens zehn Tage vor der Wahl beim
Statthalteramt eingereichten, mit der Unterschrift von mindestens zwanzig
stimmberechtigten Bürgern versehenen und eine deutliche Parteihezeichnung
tragenden Kandidaten (Wahl )Liste steht (§ 4). Gültig sind _ nur die
Stimmzettel, deren Bezeichnung einer der eingereichten Wahllisten
entspricht und die auf mindestens einen der in der betreffenden Liste
genannten Kandidaten lauten, und nur diejenigen Stimmen, welche auf Namen
der gleichen Liste lauten ; Kumulation ist untersagt ( § 5). Ueber die
Verteilung der Mandate auf die verschiedenen Listen bestimmt § 6 : ',

Zur Ausrechnung des Walflresultates wird die Zahl

118 Staatsrecht.

der abgegebenen gültigen Stimmzettel durch die Zahl der zu wählenden
Vertreter geteilt. Das Ergebnis dieser Teilung ist die Wahlzahl :
ergibt die Teilung einen Bruch so ist die nächsthöhere ganze Zahl
Wahlzahl. sodann Wird die Zahl der auf jede eingeiangte Wahlliste
gefallenen Stlmmzettel durch die Wahlzahl geteilt. Auf eine Wahlllste
fällt so oftmal ein Vertreter, als die Wahlzahl in der Zahl der für
diese Wahlliste abgegebenen gültigen Stinnnzettel enthalten ist.

Ergibt diese Verteilung nicht so viele Kandidaten als gewählt, als
der Wahlkreis Vertreter zu wählen hat, so Wird, wenn eine Wahlliste'
die absolute Mehrheit der abgegebenen giltigen Stimmen (Stimmzettel)
auf sich vereinigt hat, das zu vergebende Mandat der Wahlliste mit dem
absoluten Mehr zugeteilt. Sind noch weitere Mandate nicht vergeben oder
ist auf keine Wahlliste die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen
Stimmen (Stlmnnsettel) gefallen, so wird der Reihe nach im ersteren
Falle mit Ausschluss der Wahlliste, welche das absolute Mehr erreicht
hat denjenigen Wahllisten bei denen die Teil'ung der Wahlzahl iii die
Zahl derfürdieListen abgegebenen Stimmen den grössten Bruch ergibt-,
je ein Mandat zugeteilt, bis alle Mandate vergeben sind.

Innert der gleichen Liste gelten die Kandidaten als gewählt, welche
die meisten gültigen Stimmen erhalten haben: bei Stimmengleichlieit
entscheidet die Reihenfolge, in welcher die Kandidaten auf der Liste
stehen ·( § 7): Das Nähere , so heisst es in § 10, bestimmt die Jeweilen
vom Regierungsrat zur erlassende Wahlanordnung.

Das am 27. Februar 1919 in Kraft getretene neue Gesetz über Wahlen
und Abstimmungen vom 31. Dezember 1918 gibt in Abschnitt V Besondere
Vorschriften über Wahlen: a) Kantonale Wahlen: 1. Verfassungsratsund
Grossratswahlen diese Bestimmungen ohne Aenderungen oder Ergänzungen
wörtlich Wieder.Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 18. 117

B. Bei der Neubestellung des Grossen Rates für die Periode 1919 bis
1923 am 11.Mai 1919 wurden imWahlkreis IV Kriens-Malters 3251 gültige
Stimmzettel abgegeben und zwar für die Liste der konservativen und
christlich-sozialen Partei 1270, für die liberale Liste 1236, für
die sozialdemokratische Liste 635 und für die Liste der Grütlivereine
(sozialdemokratische Volkspartei) 110. Das absolute Mehr betrug demnach
1626 und wurde von keiner Liste erreicht. Da der Wahlkreis 16 Vertreter
zu wählen hat, ergab sich als Wahlzahl 3251 : 16 = 204, sodass bei der
ersten Verteilung Mandate erhielten:

Konservative und christlich-soziale Partei 1270 : 204 = 6 (Stimmenrest
1270 1224 = 46);

Liberale Partei 1236 : 204 = 6 (Stimmenrest 1236 1224 = 12) ;

sozialdemokratische Partei 635 : 204 = 3 (Stimmenrat 635 612 = 23);

sozialdemokratische Volkspartei (Grütlivereine) 110: 204 = 0 (Stimmenrest
110).

Das noch verbleibende 16. Mandat wurde vom Wahlbureau der konservativen
Partei als. Partei mit dem grössten in Betracht fallenden Bruch
zugeteilt und dafür der Kandidat mit der siebgrössten Stimmenzahl auf der
konservativen Liste, Albert Arnet in Kriens, als gewählt erklärt. ss4
Gegen diese Verteilung ergriffen Adolf Köchii, Monteur in Kriens, und
vier weitere stimmberechtigte Einwohner des Wahlkreises Kriens-Malters
den Rekurs an den Grossen Rat des Kantons Luzern mit dem Antrage : es sei
festzustellen, dass das bei Ausrechnung des Wahlergebnisses hinsichtlich
der Mandatsverteilung sich ergebende Restmandat nicht der konservativen
Partei zufalle, sondern der Liste des Grütlivereins (sozialdemokratische
Volkspartei) und es sei demzufolge die Gewählterklärung des Albert
Amet in Kriens zu widerrufen und an dessen Stelle der mit der höchsten
Stimmenzahl bedachte Kandidat der Grütlianerliste, Versicherungs-

1 1 8 Staatsrecht.

gerichtspräsident Albisser in Luzern als gewählt zu erklären. Sie machten
geltend, dass die Liste bei welcher die Teilung der Wahlzahl in die Zahl
der Listenstimmen den grössten Bruch ergehe , nicht diejenige der konser-

vativen (% ), sondern der sozialdemokratischen Volks--

partei (ga 2) sei. Wenn das Wahlbureau gleichwohl das

Restmandat der konservativen Partei zugeteilt habe, so lasse sich dies
nur aus der Auffassung erklären, dass eine

Liste, welche die Wahlzahl nicht erreicht habe, auch bei der Verteilung
der Restmandate ausgeschlossen bleiben müsse. Diese Auffassung sei aber
irrtümlich. Nicht nur kenne das Gesetz selbst eine solche Beschränkung
nicht, sondern es ergebe sich auch aus dessen Entstehungsgeschichte,
dass man jene, d. h. die Einführung der Wahlzahl als Quorum bewusst
abgelehnt habe.

Am 1. Juli 1919 beschloss darauf der Grosse Rat:

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Das von der Wahlvorsteherschaft des Wahlkreises Kriens-Malters
festgesetzte Resultat wird als richtig erklärt und die Wahl des Albert
Arnet als Vertreter des

genannten Kreises validiert.

In den Erwägungen wird ausgeführt : Der letzte Satz von § 6 des
Verfassungs-gesetzes spreche vom grössten Bruch im Zusammenhang mit der
Wahlzahl. Ein Bruch habe zur Voraussetzung ein Ganzes, im vorliegenden
Falle die Wahlzahl : diese sei aber von der Grütlianerpartei nicht
erreicht worden. Schon die grammatikalische Auslegung der Bestimmung
spreche deshalb gegen den Standpunkt der Beschwerdeführer. Dazu
komme, dass anlässlich der Beratung der Gesetzesvorlage bei den
beiden Hauptparteien, der konservativen und der liberalen die Meinung
geherrscht habe, dass nur Wählergruppen von einer bestimmten Stärke,
d. h. solche, welche die Wahlzahl erreichen, eine Vertretung sollten
beanspruchen können. Dass ein von Dr. Stocker gestellter ausdrücklicher
dahingehender Antrag von der vorberatenden Kommission zunächst angenommen,
dann aberPolitisches Stimmund Wahlrecht. N° 18. z 19

Wieder fallen gelassen werden sei, beweise nicht das Gegenteil. Es
habe sich eben nicht um ein detailliertes Wahlgesetz, sondern um
eine Verfassungsvoriage gehandelt, in der nur die grundlegenden
Bestimmungen Platz gefunden hätten. Alles weitere habe man der
regierun'gsrätlichen Vollziehungsverordnung oder einer späteren
Interpretation durch den Grossen Rat überlassen dürfen. So lasse sich
auch das Schicksal des Antrages Dr. Stocker erklären. Dem Verfasser
des-von den Beschwerdekiihrern vorgelegten, ihnen günstigen Gutachtens,
Dr. Klöti seien diese Tatsachen aus der Entstehungsgeschichte des
Gesetzes nicht. bekannt gewesen, weshalb es verständlich sei, wenn er zu
einer unrichtigen Auslegung komme. Schliesslich sprachen auch allgemeine
wahlpolitische Erwägungen für die Abweisung der Beschwerde. Selbst bei
Zuweisung des Restmandates an die konservative Partei bringe diese für
jedes ihrer Mandate noch immer eine durchschnittliche Stimmenzahl von
181 auf, während die Liste der Grütlianer insgesamt nur 110 Stimmen
erhalten habe. Eine andere Lösung hätte zur Folge, dass selbst schon
Gruppen von 40, 30, 20, ja sogar 10 Stimmen zu einer Vertretung kommen
könnten, was nicht im allgemeinen Interesse liegen würde. _

C. Diesen Beschluss des Grossen Rates haben Adolf ,Köchli und
Mitbeteiligte unter Berufung auf Art. 180 Ziff. 5 OG an das Bundesgericht
weitergezogen unter Wiederholung des im kantonalen Verfahren gestellten
Beschwerdeantrages. Sie halten daran fest, dass die vom Wahlhureau und
vom Grossen Rat vertretene Auslegung des 56 des Verhältniswahlgesetzes
mit dessen Wortlaut und Zusammenhang nicht vereinbar sei und dass auch
die Entstehungsgeschichte keine andere Deutung als die von den Rekurrenten
behauptete zulasse. Um Listen, welche ein gewisses Quorum nicht erreichen,
überhaupt von der Mandatszuteilung auszuschliessen, wäre eine positive
Vorschrift. nötig. Die Einführung eines solchen Grundsatzes im Wege der
Rekurspraxis bezw. der Aus-

1 20 Staatsrecht.

ätälätäng eiÈerkangeblichen, in. Wirklichkeit nicht vorenen üc e i '

hörde sei -Wi11kür.m Gesetzestext durch die Rekursbe . D._+ Der Grosse Rat
des Kantons Luzern verweist m seiner Vernehmlassung, Worin er Abweisung
der Beschwerde beantragt, auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses
und das Votum des Präsidenten der vorberatenden Kommission für das
Verhältniswahlgesetz Wmlger, bei der Behandlung des heutigen Streitfalles
un Grossen Rate, woraus hervorgehe, dass er den Antrag auf. Ablehnung
des Arnendementes Stocker seiner Zeit ledigl'eh deshalb gestellt habe, um
die Regelung der Frage den regierungsrätlichen Vollziehungsvorschriften
und der Praxis vorzubehalten. Im Kanton Solothurn habe denn auch der
Grosse Rat keinen Anstand genommen in einem verwandten Falle ähnlich
zu entscheiden, indem er erklart habe, die Bestimmung des Wahlgesetzes,
wonach bei Erschöpfung aller Kandidaten einer Liste der Ersatz der Liste
mit der grösseren Anzahl von Listenstimmen zu entnehmen sei, finde auf
Wahlhsten, welche die Wahlzahl nicht erreicht haben, keine Anwendung.

,E. In einer auf ihr Verlangen ihnen gewährten Rephk bekämpfen die
Rekurrenten die Erklärungen der Antwort über die Gründe der Ausmerzung
des Antrages Dr. Stocker und behaupten gegenteils, dieselbe sei das
Ergebnis eines Kompromisses zwischen den beiden verhaltmswahlfreundlichen
Parteien, der konservativen und der sozialdemokratischen gewesen, indem
letztere anderen--

f all . . . habstie Zustimmung zum Gesetz zu verwelgern gedreht

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Nach Art. 180 Ziff. 5 OG beurteil gericht Beschwerden betreffend die
polittisîiîî ZEITberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen
und Abstimmungen auf Grund sämtlicher einschlägiger Bestimmungen des
kantonalen Verfassungsrechts Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 18. 121

und des Bundesrechts . Da der hier im Streite liegende § 6 des
luzernischen VerhältniSwahlgesetzes vom 3. März 1909 gleich den andern
Bestimmungen dieses Erlasses, als Ersatz der dadurch aufgehobenen'ä 23,
43 und 95 der Staatsverfassung von 1875, den Charakter von kantonalem
Verfassungsrecht hat, ist das Bundesgericht mithin nicht auf die
Ueberprüfung der ihm gegebenen Anwendung vom Standpunkte des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV
(Willkür oder Verletzung der Rechtsgleichheit) beschränkt, sondern
befugt, die von der kantonalen Behörde vertretene Auslegung kLi auf
ihre Richtigkeit zu untersuchen. Dabei wird es von derselben, weil
sie von der obersten kantonalen Instanz, dem Grossen Rate, ausgeht,
immerhin nicht ohne Not, sondern nur dann abweichen, wenn sich die
Unhaltbarkeit der gefällten Entscheidung, sei es schon aus dem Wortlaute
der anwendbaren Verfassungsvorschrift, sei es aus den übrigen Hilfsmitteln
der Interpretation in zwingender Weise ergibt.

2. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Bestimmung von § 6 Abs. 2
letzter Satz des Verfassungsgesetzes, wo.nach, falls keine Liste die
absolute Mehrheit aller abgegebenen gültigen Stimmzettel auf sich
vereinigt hat, allfällige Restmandate der Reihe nach denjenigen Listen
zugewiesen werden, bei welchen die Teilung der Wahlzahl in die Zahl der
für die Liste abgegebenen Stimmen 'den grössten Bruch ergibt, steht im
Zusamenhang mit der andern des Abs. 1 Satz 3 ebenda, wonach auf eine
Liste so oftmal ein Vertreter fällt, als die Wahlzahl in der Zahl der
für die Liste abgegebenen gültigen Stimmzettel enthalten ist. Es wird
damit die gleiche Rechnungsoperation, welche der ersten Hauptverteilung
der Mandate zu Grunde liegt, auch für die Zuweisung der Restmandate als
massgebend erklärt. Da das Gesetz allgemein von den nach Massgabe des § 4
eingereichten Listen spricht, ohne bestimmte unter ihnen auszuschliessen,
muss angenommen werden, dass gleich wie bei der ersten Verteilung so
auch bei dieser Ergänzungszuteilung grund--

i22 Staatsrecht.

sätzlich alle Listen konkurrieren, soweit nicht etwa schon die
vorgeschriebene Rechnungsmethode an sich den Ausschluss einzelner davon
bedingt. Wenn die angefochtene Entscheidung diese Folgerung hier aus
derVerwendung des Ausdruckes Teilung herleiten will, weil letztere die
Möglichkeit eines Ganzen als Quotienten, d. h. das Vorhandensein einer
mindestens gleich hohen Zahl als Dividend wie als Divisor voraussetze,
so kann dem nicht beigestimmt werden. Eine Division ist, mathematisch
gesprochen, natürlich auch möglich, wenn der Divisor grösser ist als
der Dividend. Wenn dabei das Ergebnis der Rechnung nicht in einer ganzen
Einheit, sondern nur in einem Bruchteil einer solchen besteht, so ändert
dies an der Tatsache nichts, dass das Ziel der Operation in beiden Fällen
das nämliche, nämlich die Feststellung des quantitativenVerhältnisses
ist, in dem eine bestimmte Zahl, der Divisor zu einer anderen, dem
Dividenden steht. Die von den kantonalen Behörden dem § 6, Absatz 2,
letzter Satz des Verfassungsgesetzes gegebene Deutung, legt mithin
in denselben etwas anderes hinein, als er besagt, indem sie als Bruch
nur den Rest betrachtet, der sich bei der Teilung der Wahlzahl in die
Zahl der für die betreffende Liste abgegebenen Stimmen neben einer oder
mehreren ganzen Einheiten als Quotient ergibt, während im Gesetze nur vom
grössten Bruche schlechthin die Rede ist. Ein Bruch kann aber rechnerisch
selbstverständlich nicht nur als Begleitung zu einem Ganzen, sondern auch
selbständig entstehen. Bei der Anwendung gesetzlicher Vorschriften über
ein Wahlverfahren, das wie die Verhältniswahl in einem solchen Umfange
auf der Heranziehung mathematischer Erkenntnisse und Methoden beruht,
ist aber solange zu vermuten, dass auch die verwendeten Ausdrücke im
exakten mathematischen Sinne und nicht in einem populären ungenauen
gebraucht seien, als nicht unabweisliche Gründe anderer Art die wörtliche
Auslegung als unzulässig erscheinen lassen. An solchen fehlt es hier. Die
Ausführungen des angefoch-Politisches du-knund Wahlrecht. N° Les. i.;.

tenen Beschlusses und der Beschwerdeantwort über gie Entstehungsgeschichte
des Gesetzes können in dieserd eziehung selbst dann nicht als schlüssrg
angesehen wer În, wenn der Antrag auf Streichung des Amendemen es Stocker,
welches die Wahlzahl nicht erreichende Listen ausdrücklich vom Anspruche
auf eine Vertretung ausschloss, in der vorberatenden Kommissron wirklich
s; wie behauptet begründet worden sem sollte. Denn auc·l danach Wäre diese
Streichung nicht etwa erfolgt, wei man den Zusatz für überflüssig, in der
gegenwartigen Fassung des § 6 Absatz 2 letzter Satz bereits eingeschlossen
angesehen hätte, sondern weil man die Losung der Frage der Zukunft,
sei es im Wege des Erlasses (Entergänzenden Vollziehungsverordnung,
sei es einer Fîne scheidung des Grossen Rates in einein konkreten W
vorbehalten wollte. Die Ansicht, dass auf. diesem egedie gedachte
Beschränkung immer noch eingefuhrt I? erden könne, ist aber nicht
haltbar. Da sich die Aufste ung irgend eines Quorums, weiches Listen
unter einer gewissen Stimmenzahl von der Berücksichtigung grusschliesst,
immer als ein Eingriff in das Prmzrp der erhältniswahl darstellt, nach
dem jede Vahlergruppe ln}: Verhältnisse ihrer Wahlkraft einen gleichen
Anser auf Vertretung haben soll, bedarf es dazu, wie die :.kurrenten
mit Recht geltend machen, einer _ausdruc lichen Gesetzesvorschrift
(vgl: hiezu z. B. die Gesetze von Tessin vom 1. Dezember 1890 Art. 18
und vom 22. Mai 1891. Art. 13, Freiburg von 1894 Art. BQ, fernier den
Entscheid des genfeiischen Grossen Rates uber94ie Beschwerde gegen
die Wahl Vogt bei Kloti S. Sd ). Ist eine solche in das Gesetz nicht
aufgenommen _Wfiraeln und lässt dieses nach seiner Fassung grundsatzlie d
te Listen bei der Konkurrenz für die Verteilung der Man a Î zu, so kann
eine abweichende Bestimmung iuchtdduäc blosse Vollziehungserlasse oder
die spruchpraxis Afir Rekursbehörde in dasselbe hineingetragen werden.
gemeine wahlpolitische Erwägungen , wie sie im ange-

124 Staatsrecht.

fochtenen Entscheide zum Schlusse noch angeführt wer--

den, vermöchten höchstens eine Revision des Gesetzes selbst, nicht aber
eine dessen Inhalt widersprechende Behandlung des einzelnen Falles ohne
solche Revision zu , rechtfertigen. Um eine derartige Abweichung vom Ge_
setze und nicht um die Ausfüllung einer Lücke in dessen Texte würde es
sich aber hier handeln, weil ja das in demselben angeordnete Verfahren
auch bei der hier gegebenen Auslegung nicht lückenhaft ist, sondern eine
restlose Verteilung aller Mandate gestattet. Ob der Grosse Rat des Kantons
Solothurn bei Auslegung des solothurnischen Wahlgæetzes einen ähnlichen
Standpunkt eingenommen habe, ist unerheblich, da eine Entscheidung
der Bundesbehörden, welche seinen Standpunkt gebilligt hätte, mangels
Weiterziehung nicht vorliegt. Dazu kommt, dass die Rechtslage in jenem
Falle auch nicht die nämliche war wie hier, indem nach dem solothurnischen
Gesetze die Restmandate der Liste mit den meisten Listenstimmen zugewiesen
werden, also einer Liste, welche regelmässig auch die Wahlzahl erreicht
haben wird, sodass die Interpretation, wonach andere Listen nur unter der
letzteren Voraussetzung Anspruch haben, bei Erschöpfung aller Kandidaten
einer Liste im Falle von Vakanzen den Ersatz zu stellen, sich offenbar
noch im gesetzlichen Rahmen hält. Es mag denn auch der Vollständigkeit
halber noch darauf hingewiesen werden, dass die neueste Abhandlung über
die Verteilungssysteme der Proportionalwahl von POLYA in der Zeitschrift
für schweizerische Statistik 1918 S. 363 ff. das Luzerner Gesetz ohne
weiteres unter diejenigen einreiht, welche die Restmandate den Listen
mit dem stärksten Rest bei der Hauptverteilung nicht berücksichtigter
Stimmen zuweisen, was zeigt, dass die oben vertretene Auslegung des §
6 Abs. 2 letzter Satz diejenige ist, welche sich jedem in die Technik
der Verhältniswahl eingeweihten Betrachter ohne weiteres als die gegebene
aufdrängt.

Da nicht bestritten ist, dass bei Zugrundelegung der-],

Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 18. 120

selben die Liste der Grütlipartei und nicht der konservativen Partei
es ist, bei welcher die Teilung der Wahlzahl in die Zahl der gültigen
Listenstimmen den grössten Bruch ergibt, ist mithin die Zuteilung des
16. (Rest-) Mandates an die konservative Partei nicht haltbar und

müssen der sie schützende Beschluss des Grossen Rates

sowie die dadurch bestätigte Verfügung des Wahlbureaus
Kriens-Makers aufgehoben werden. Eine unmittelbare Feststellung des
richtigen Wahlergebnisses durch das Bundesgericht, wie sie von den
Beschwerdeführern beantragt wird, ist wegen der bloss kassatorischen
Natur der staatsrechtlichen Beschwerde ausgeschlossen. Es wird Sache des
Grossen Rates bezw. des Wahlbureaus KriensMalters sein, aus dem Urteile
des Bundesgerichts die zutreffenden Folgerungen zu ziehen.

' Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Beschwerde wird gutgeheissen und es werden demgemäss der Beschluss
des Grossen Rates des Kantons Luzern vom 1. Juli 1919 sowie die Verfügung
der Wahlvorsteherschaft Kriens-Malters, wodurch das streitige Mandat
der konservativen und christlich-sozialen Partei

zugewiesen wurde, aufgehoben.