190 Staatsrecht.

26. Urteil vom 27. Juni 1919 i. S. A.-G. Oolumbus gegen Aargau
event. Glarus. Art. 46 Abs. 2 BV. Der bloss formelle Sitz einer
juristischen Person begründet k ein Steuerdomizil, sofern ihm ein Ort
in einem andern Kanton gegenübersteht, wo die (normalerweise am Sitze
sich abspielende) Geschäftsführung besorgt wird ;an diesem Orte der
Geschäftsführung ist das

(primäre) Stcuerdomizil. Willkürliche Anwendung des aargauisohen
Spezialistencrgcseizes vom 15. September im"?

A. Die Rekurrentin ist als Aktiengesellschaft Columbusm) für elektrische
Unternehmungen im Jahre 1913 mit statutarisehem Sitz in Glarus gegründet
worden. Ihr Aktienkapital ist auf 40 Millionen Franken festgesetzt,
doch sind zur Zeit nur 20 Millionen, in Form von 40 000 Aktien zu
500 Fr. Nennwert, ausgegeben. Gegenstand ihres Unternehmens sind laut
den Statuten Finanzgest-hätte aller Art, soweit sie die Konzessmmel
ung, den Bau, den Betrieb, die Umwandlung, auch den Erwerb oder die
Veräusserung von Unternehmen oder Verfahren im Gebiet der angewandten
Elektrotechnik oder Elektrochemie betreffen; sie kann auch Unternehmen
auf diesen Gebieten für eigene Rechnung ins Leben rufen, betreiben,
erwerben, veräussern... Tatsächlich besitzt sie gegenwärtig als
sog. Holding Company die Mehrheit der Aktien von vier argentinischen
Elektrizitätsgesellschaften (der Conipafiia Italo-Argentina de
Electricidad in der Hauptstadt Buenos-Ayres und je einer Gesellschaft
in den Provinzstädten Dolores, Corrientes und Pergamino), und ihre
Geschäftstätigkeit besteht darin, die Verwaltung dieser Gesellschaften
zu kontrollieren .

In Glarus hat die Gesellschaft ihr Domizil durch Vertrag mit dem
dortigen Advokaten Dr. F. Schindler in dessen Bureau errichtet
. Als ihr Domiziliat soll Dr. Schindler den gesamten aus dieser
Domizilnahme erwachsenden Verkehr, wenn nötig gemäss speziellen, bei der
Geschäftsleitung der Gesellschaft einzuholendenuoppelhestcnrung. N° 26. -

Instruktionen, besorgen und insbesondere in Prozessfällen alle Ladungen
und Mitteilungen als Vollmacht-rträger entgegennehmen . Er wird für
seine Bemühungen nach Anwaltstarif entschädigt, doch soll sein Honorar
im Jahre nicht Weniger als 500 Fr. betragen.

Zur Verwaltung ihres Aktienbesitzes bedient sich die Gesellschaft
der A.-G. Motor, einer Finanzierungsund Verwaltungsgesellschaft
für elektrische · Unternehmungen mit Sitz und Verwaltung in Baden
(Kt. Aargau), in der Weise, dass der Motor in ihrem Auftrage durch
sein Bureaupersonal hauptsächlich statistische Angaben über den
Stand ihrer argentinischen Betriebsgesellschaften sammelt, dazu ihre
gesamte übrige Korrespondenz, auch soweit sie in Glarus eingeht und von
Dr. Schindler übermittelt wird, in Empfang nimmt -ihre Brieiköpfe geben
als Telegrammadresse Columbus Baden Suisse an , und überhaupt ihre
Bureauarbeitenf mit Einschluss der nicht umfangreichen Buchführung
besorgt. Als leitendes Organ hat sie einen Verwaltungsrat von 17,
teils schWeizerischen, teils italienischen Mitgliedern, die je zu
zweien kollektiv zeichnungsberechtigt sind, mit einem finanziellen
und einem technischen Ausschuss von je drei Mitgliedern. Drei der
V erwaltungsratsmitglieder wohnen in Baden ; davon gehört eines
(Dot;heimer, Direktor des Motor ) dem finanziellen, und gehören die
beiden andern (Boveri, Präsident der A.-G. Brown, Boveri & Cie, sowie
auch Präsident und Direktor des VerWaltungsrates des Motor, und Nizzola,
Delegierter des Verwaltungsrates dcs Motor ) dem technischen Ausschuss
an. Der Domiziliat Dr. Schindler ist nicht Verwaltungsratsmitglied. Die
Beschlüsse des Verwaltungsrates, dessen Sekretariat ein Direktor desMotor
vorsieht, werden in Baden verarbeitet. Für die Inanspruchnahme seines
Personals bezahlt die Gesellschaft t dem Motor eine jährliche Vergütung
von 25, ()O() Fr nebst dem Ersatz der Auslagen.

Der Gesellschafts-sitz ist zugestandeneimassen aus

1 92 staatsrecht-

Steuerrücksichten in Glarus genommen worden, da die glarnerische
Gesetzgebung anonyme Erwerbsgesellschaften, die nur ihren Sitz im Kanton
Glarus haben , steuerrechtlich sehr günstig behandelt. Nach dem zur
Zeit geltenden Gesetz vom 6. Mai 1917 betr. die Besteuerung Von anonymen
Erwerbsgesellsehaften sind jene Gesellschaften nämlich im Gegensatz zu
denen mit Geschäftsbetrieb im Kanton, die von den sog. eigenen Geldern
oder vom höhern Wert ihrer Immobilien die ordentlichen Vermögenssteuern
zu entrichten haben (§§ 1 und 3) _-bloss zur Leistung einer jährlichen
Staatsgebühr Von 40 Rappen vom Tausend des nominellen Aktienkapitals
verpflichtet (g 2). ·

B. Mit Einschätzungsschein Vom 5. Dezember 1917 wurde die A..-G.
Columbus , welche bisher im Kanton Aargau keine Steuern bezahlt hatte, von
der aargauischen Finanzdirektion aufgefordert, für das Jahr 1917 gemäss
dem kantonalen Gesetz vom 15. September 1910 betr. die Besteuerung der
Aktiengesellschaften und Erwerbsgenossenschaften folgende Spezialsteuer
zu entrichten:

a) von je 90% des einbezahlten Aktienkapitals, der

Reserven und Saldovorträge . . . Fr. 22.296,05 !) ) von 90 % der
verzinslichen Gelder 2,250. ' Total . . Fr. 24546115

Hierauf erwiderte die Gesellschaft am 15. Dezember 1917, sie habe im
Kanten Aargau weder den Hauptnoch einen Filialsitz und erfülle auch sonst
keine der in den §§ 1 und 3 des Aktiensteuergesetzes vom 15. September
1910 aufgestellten Voraussetzungen für die Steuerpflicht ,im Kanton;
sie ersuchte deshalb um Widererwägung der erlassenen Steuerverfiigung
gemäss § 5 der VollziehungsVerordnung vom 31. Dezember 1910 zu jenem
Steuer,gesetz. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1917 erklärte sich die
Finanzdirektion bereit, ihre SpezialsteuerVerfügung in Wiedererwägung
zu ziehen, und verlangte zu diesem Zwecke je ein Exemplar der
bisher publizierten (('reschät'tsberichte und der Statuten der
Gesellschaft.Doppelbesteuerung N° 26.

Ani-16. September 1918 sodann teilte sie der Gesellschaft, welche die
gewünschten Akten anfangs Januar cingesandt hatte, mit, dass sie an
der verfügten Besteuerung aus folgenden Gründen festhalte: Nach der
konstanten bundes gerichtlichen Praxis ist für die Frage des Sitzes einer
Gesellschaftnicht der Eintrag im Handelsregister mass gehend, sondern
der wirkliche Sitz. Dass der Sitz in Ihrem Falle nicht Glarus sein kann,
wo nur pro forma ein Domizil verzeigt wird, ist ohne weiteres klar. Dazu
kommt, dass Ihre ganze geschäftliche und Verwaltungs tätigkeit in Baden
ausgeübt wird. Dass dies nicht durch eigene Angestellte, sondern durch
den Motor ge schiebt, ändert daran nichts.

Diesen Entscheid zog die A.-G. Columbus gemäss § 4 des steuer-gesetzes
vom 15. September 1910 durch Beschwerde an das aargauische Obergericht
als kantonalen Admmistrativrichter weiter. Sie hielt grundsätzlich daran
fest, dass sie im Kanton Aargau überhaupt kein Steuerdomizil habe, und
bestritt eventuell auch die Höhe der aargauischen Besteuerungsquote von
90% ; ferner beanstandete sie die Steuerauflage für das Jahr 1917 auch
noch als durch Verspätung verwirkt.

Mit Urteil vom 24. Januar 191 9 wies das Obergericht (I. Abteilung)
die Beschwerde aus wesentlich folgenden Erwägungen ab : -

Nach dem Ergebnis des durchgeführten Beweisverfahrens (dem der vorstehende
Tatbestand entspricht) s spiele sich der gesamte Betrieb der A.-G.
Columbus , soweit Zweck und Organisation dieser Gesellschaft einen
solchen überhaupt bedingten, nicht in Glarus ab, sondern

' in Baden, wo sowohl die Verwaltungsarbeit des Motor ,

als auch die tatsächliche Leitung der Gesellschaft durch die dort
ansässigen Verwaltungsräte vor sich gehe. Der tatsächliche Mittelpunkt
ihrer geschäftlichen Tätigkeit sei unzweifelhaft Baden; in Glarus besitze
sie bloss ein Briefkastendomizil . Der Einwand der Gesellschaft, dass
der Motor ihr gegenüber dieselbe Stellung ein--

1 94 s taatsreeht

nehme, wie eine Bank gegenüber ihren Kunden, deren Vermögen sie
verwalte, treffe nicht zu. Es handle sich hier nicht um reine
Vermögensverwaltung, sondern um die Uebernahme und Besorgung einer
Tätigkeit, die überhaupt einen wesentlichen Teil des Lebens, des
Betriebes der A.-G. Columbus darstelle, nämlich um die Verarbeitung
der statistischen Kontrollnachrichten zuhanden ihres Verwaltungsrates
und um die Verarbeitung und Vollziehung der vom Verwaltungrat gefassten
Beschlüsse; in diesem Zusammenwirken des Verwaltungsrates mit dem
durch den Motor besorgten Sekretariat liege der ganze Betrieb der
Gesellschaft. Deren e i n z ig e r Mittelpunkt geschäitlicher Tätigkeit
in der Schweiz überhaupt befinde sich also in Baden ; dort sei deshalb
auch rechtlich ihr Domizil. Daran ändere die bloss formelle Domizilnahme
in Glarus nichts, weil diesem Domizil die tatsächlichen Merkmale fehlten
und es einzig und allein zur Umgebung des aargauischen Steuergesetzes
ausserhalb des Kantons verlegt werden sei. so habe auch das Bundesgericht
mit Urteil vom 2. Dezember 1918 1. S. der Einfuhrgenossenschaft der
schweiz. Metallindustrie (AS 44 I S. 131 f.) den Steueranspruch des
Kantons des tatsächlichen Geschäitssitzes gegenüber demjenigen des Kantons
des bloss iormellen Sitzes geschützt. Bei der geringen Bedeutung, die
dem in Glarus verzeigten Domizil der A. G. Columbus tatsächlich zukommc,
könne ferner keine Rede davon sein, dass die Herbeiziehung von 90%
ihres Aktienkapitals im Aargau den Verhältnissen nicht entspreche.

Der formelle Einwand der Gesellschaft, sie schulde die Spezialsteuer
für 1917 nicht mehr, weil diese nicht im Rechnungsjahr, sondern erst im
folgenden Jahr geltend gemacht Werden sei, treffe ebenfalls nicht zu. Das
Obergericht habe zwar wiederholt erklärt, dass die ordentlichen Steuern im
Steuerjahr zu beziehen seien und nicht nachträglich eingeiordert werden
könnten. Hier aber habe die Finanzdirektion schon am 5. Dezember 1917
RechnungDoppelbesteuerung. NO JO, 195

gestellt, die Steuereinziehung also rechtzeitig versucht. Wenn dann
Wiedererwägungsverhandlungen stattgefunden hätten und die definitive
Eintreibung der Steuer bis im September 1918 verzögert worden sei,
so könne daraus nicht auf einen Verzicht geschlossen werden.

C. Nach Empfang dieses Urteils hat die A. G. Columbus rechtzeitig den
staatsreehtliehen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen und die Anträge
gesteht :

Das Urteil des aargauischen Obergerichts sei wegen Verletzung der Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

und 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV aufzuheben und es sei festzustellen, dass der Kanton Aargau
keinerlei Steueransprüche gegen die Rekurrentin besitze, eventuell keine
für das Jahr 1917.

Eventuell seien die Steueransprüche der Kantone

' Glarus und Aargau nicht in dem Sinne festzusetzen, dass

Aargau zu 90% und Glarus zu 10% als berechtigt erklärt werde, sondern
so, dass die Quote des Kantons Aargau auf 10 %, jedenfalls auf einen
niedrigem Betrag als im angefochtenen Urteil, fixiert werde.

Falls Begehren 1 nicht geschützt wiirde, sei der Kanton Glarus zu
Verhalten, der Rekurrentin die pro 1917 bezahlten Steuern in dem Masse
zurückzuerstatten, wie es sich aus dem Verteiler des Bundesgerichts
ergebe.

Zur Begründung wird Wesentlich ausgeführt : Die Bekurrentin sei
eine Gesellschaft, bei der schweizerisches Kapital und schweizerische
Interessen in hervorragendem Masse beteiligt seien. Deshalb habe sie sich
als schweiz e r i s c h e Aktiengesellschaft konstituiert. Bei der Vv'ahl
ihres Sitzes sei sie durch keine Notwendigkeit irgendwelcher Art gebunden
oder gehemmt, insbesondere nicht von einem Betrieb abhängig geWesen,
da sie einen solchen nicht besitze. Sie habe nach ihrer Struktur und
ihrem Zweck lediglich einen Ort in der Schweiz zu wählen gehabt, um sich
als schweizerische Aktiengesellschaft in das Handelsregister eintragen
lassen zu können, und dabei ohne Verstoss gegen privates oder öffentliches
Recht auf die Steuerverhältnisse Rücksicht nehmen dürfen. Glarus

196 · Staatsrecht.

sei somit kein Scheindomizil. Anderseits seien die Gründe, welche das
Obergericht für Baden als Steuerdomizil anführe, nicht schlüssig. Der
Motor übe seine Tätig-

keit im Dienste der Rekurrentin ieststehendermassen/

nicht als deren Organ, sondern als von ihr unabhängige Firma, im
eigenen Tätigkeitsbereich als Finanzierungsund Verwaltungsgesellschaft
für elektrische Unternehmungen, aus. Es handle sich dabei um blosse
Verwaltungstätigkeit, die dem verwalteten Vermögen adäquat sei und sich im
Grundsatz nicht von der Vermögensverwaltung z. B. durch eine Handelsbank
unterscheide, indem der Auftrag einer solchen auch dahin gehen könne,
den Stand und Gang der Unternehmungen, von denen Aktien oder Obligationen
oder Beteiligungen anderer Art sich im Verwalteten Vermögen befanden,
zu beobachten, wie es der Motor mit der Führung seiner Statistiken über
die vier argentinischen Elektrizitätsgesellschaften für die Rekurrentin
tue. Gewiss würde es niemandem einfallen, die Rekurrentin im Aargau
besteuern zu wollen, wenn sie, bei gleichen geschäftlichen Beziehungen

zum Motor , ausserhalb es Kantons Betriebsein--

richtungen unterhal n Würde. Der Umstand, dass sie dies nicht notwendi·
1abe, verändere aber die Situation um kein Jota. Uelsv gens sei die
Verwaltungstätigkeit des Motor von hältnismässig geringer Bedeutung,
wie schon aus dessen flonorarvon nur 25,000 Fr. bei einem Aktienkapital
der Rekurrentin von 40 Millionen hervorgehe. Daraus das rechtliche
Zentrum einer solchen Kapital .agglomeration abzuleiten, heisse doeh
wahrlich die Verhältnisse verkennen. Auch da Umstand, dass 3 von den 17
Verwaltungsräten der Reharrentin in Baden domiziliert seien, habe für
den Gesellschaftssitz keine Bedeutung, und ebenso sei irrelevant die
Frage, welchen Einfluss diese Verwaltungsratsmitglieder auf den Gang
der Geschaite ausübt-en oder welche Kompetenzen ihnen intern übertragen
seien; denn nur die Aktiengesellschaft, nicht der Verwaltungsrat oder
ein Ausschuss desselben habeDoppelbesteuemng. N° zu. its

einen rechtlichen Sitz. Der Entscheid des Obergerichts verletze den
Verfassungsmässigen Grundsatz des Verbots der Doppelbesteuerung
Die Rekurrentin habe ihren Sitz in Glarus und sei deshalb dort
steuerpflichtig, wo sie ihre Steuern auch stets bezahlt habe. Sie
besitze im Kanton, Aargau keine Niederlassung irgendwelcher Art und keinen
Geschäftsbetrieb, wie die Steuerpflicht nach § 1 des Spezialsteuergesetzes
vom 15. September 1910 voraus-v setze. Die gegenteilige Annahme sei
objektiv willkürlich und, verstosse daher auch gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. Eventuell
entspreche jedenfalls die aargauischerseits beanspruchte Steuerquote. von
90% den Verhältnissen nicht. Für die Rekurrentin bedeute der Sitz das
Wesentliche Moment ; ihr verleihe er wie einer Aktiengesellsehaft, die
eine Fabrik betreibe, der Ort, wo die Fabrikation vor sich gehe -die
eigentliche Heimat, weil durch ihn zum Ausdruck gebracht Werde, dass
es sich um eine schweizerische Gründung handle. Demgegenüber spiele die
Verwaltungstätigkeit des Motor , welche verhältnismässig so bescheidene
Mittel absorbiere, eine so kleine Rolle, und es sei von so sekundärer
Bedeutung, wo sie ausgeübt werde dass ihr durch Zuweisung von 10% der
Steuern reichlich Rechnung getragen ware. Willkürlich sei ferner auch
die Abweisung des Begehrens der Rekurrentin betr. die . steuer des
Jahres 1917. Die ständige Praxis des Ober-

'gerichts gehe, wie es selbst zugebe, dahin, dass die Steuern ;

im Steuerjahre bezogen werden müssten. Seine Annahme, dass
vorliegend nach der erstmals am 5. Dezember 19175" gestellten
Steuerforderung Wiedererwägungsverhandlungen stattgefunden hätten,
sei unrichtig. Tatsächlich habe die Rekurrentin seit der Erklärung der
Finanzdirektion Vom 21. Dezember 1917, dass sie zur Wiedererwägung des
Falles bereit sei, und nach der Ueberrnittlung der von ihr gewünschten
Akten am 8. Januar 1918 nichts mehr gehört bis zur Zustellung es
ablehnenden Entscheides vom 16. September 1918.Sie habe deshalb annehmen
dürfen, dass die Finanzdirektion auf die

1 98 staatsrecht.

Geltendmachung ihrer Ansprüche verzichtet habe, besonders da sie, wie
der Finanzdirektion aus ihren statuten bekannt gewesen sei, ihre Rechnung
auf den 30. Juni .abschliesse und nach sinngemässer Anwendung der er-

wähnten Praxis des Obergerichts die fraglichen Steuerss

.anspriiche jedenfalls vor diesem Zeitpunkt definitiv hätten geltend
gemacht Werden sollen. Eventuell hätte Glarus den dem aargauischen
Steueranteil entsprechenden Betrag seiner, ihm für das Jahr 1917 schon
am 4. Oktober 1917, also vor Erhebung eines Steueranspruchs durch den
Kanton Aargau voll bezahlten Steuer der Rekurrentin zurückzuerstatten.

D. Der KantonAargau hat wesentlich aus den vom Obergericht entwickelten
Gründen auf Abweisung des Rekurses, soweit ihn betreffend, antragen
lassen.

Auch das Obergericht des Kantons Aargau hat unter Berufung auf die Motive
seines Urteils Abweisung des Rekurses beantragt.

E. Für den Kanton Glarus hat der bevollmächtigte Anwalt des
Regierungsrates sich dem Rekurse im Sinne seiner Begehren gegenüber
dem Kanton Aargau angeschlossen und eventuell erklärt, dass er sich
der Rückzahlung der pro 1917 von der Rekurrentin bezogenen Steuer,
soweit sie als die Steuerbefugnis des Kantons übersteigend erklärt
werde, nicht widersetze. Er macht geltend, dass auf die tatsächlichen
Beziehungen der Rekurrentin zu Baden ein schutzwürdiger Steueranspruch
des Kar-tons Aargau, der den an sich begründeten und ihren Verhältnissen
angepassten steuer-ansprach des sitzkantons Giarus,-wo die Rekurrentin
beheimatet sei und wo ihr die gesamten Rechtspflegeeinrichtungen zur
Verfügung gestellt werden müssten, aus dem Felde schlagen oder mindern
Würde, nicht fundiert werden könne, indem die Treuhandtätigkeit des
Motor als Geschäftstätigkeit eines Dritten hiefür nach Analogie des
Rekursentscheides i._S.. der Bank in Baden (AS 43 I S. 201) ausser
Betracht falle, die Verwaltungstätigkeit der eigenen

DoppelbesteuerungN° 26. 19?)

Organe der Rekurrentin, insbesondere des Verwaltungsrates, aber gegen
aussen kaum in die Erscheinung trete und vor allem lokal vom Sitze des
beauftragten Treuhänders absolut unabhängig sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Die angefochtene aargauische Steuer wird vom einbezahlten
Aktienkapital, Von den Reserven und Saldovorträgen und Von den
Verzinslichen Geldern erhoben und ist daher eine Vermögensoder richtiger
Kapitalsteuer. Dasselbe gilt auch von der ihr gegenüberstehenden
glaruerischen Abgabe, die auf das nominelle Aktienkapital gelegt
ist. Zwar wird diese letztere gesetzlich als Staatsgebühr bezeichnet,
doch hat sie nicht den Charakter einer Gebühr in dem technischen
Sinne des Entgelts für eine besondere Leistung des Staates, sondern
übrigens unbestrittenermassen den einer begriffsgemässen Steuer , da
sie nicht'von einer bestimmten Inanspruchnahme des Staates abhängt,
sondern, gleich den. auch so benannten Steuern der Gesellschaften mit
Geschäftsbetrieb im ;Kanton. einfach nach

si der Hòhe des belasteten Kapitals bemessen M'rd. Dem-

nach liegt, im quotenmässigen Umfangedes aargauischen Steueranspruchs,
tatsächlich ein interkantonaler Doppel-

hesteuerungskonflikt vor, den das Bundesgericht auf

Grund des Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV zu entscheiden hat.

2. Die Rekurrentin ist, soweit sie ihre statutarischen Zwecke bisher
verwirklicht hat, eine sog. Holding Company oder Kontrollgesellschaft
amerikanischen Vorbilds, welche Aktien anderer Gesellschaften (zur Zeit
von vier argentinischen Elektrizitätsunternehmungen) im Besitze hat, um
diese Gesellschaften kontrollieren d. h. deren Betrieb beeinflussen
zu können, wobei ihre'feigenen Aktien den Gegenwert dieses fremden
Aktienbesitzes darstellen, den fremden Aktien nach aussen substituiert
sind. Während eine primäre Aktiengesellschaft mit S a c h k a p i _t al
arbeitet, d. h. ihr Aktienkapital in '

15 45 I _ me · . 14

200 Staatsrecht.

Sachgütern angelegt hat, die in kaufmännischer oder technischer Verwendung
neues Kapital (Ertrag) erzeugen, verfügt die Holding Company direkt nur
über E i f e k ' t e n k a p it a 1, nämlich die ihrerseits Sachkapital
vertretenden Effekten (Aktien oder auch Obligationen) der kontrollierten
Gesellschaften. Sie vermehrt also nicht das Sachkapital, sondern
bewerkstelligt bloss eine sog. Efi'ektensubstitution (vergl. hierüber
Ron. LlEFMANN. Beteiligungsund Finanzierungsgesellschaften, spez. S. 72"
if.) und zieht ihren Ertrag ausschliesslich aus den Erträgnissen der
kontrollierten Gesellschaften. Es liegt in der Natur der Sache, dass
die Geschäftsführung einer solchen Gesellschaft Wenig umfangreich
ist und insbesondere nicht in gleicher Weise, wie der Betrieb einer
unmittelbar produktiv tätigen Gesellschaft, in die Erscheinung tritt. Sie
umfasst lediglich die Aufbewahrung ,des fremden Aktienbesitzes, die
Entgegennahme seiner Erträgnisse und deren Verwendung im Rahmen der
eigenen Organisation, sowie die sog. Kontrolltätigkeit. die jedoch
wohl in der Hauptsache in der Weise ausgeübt wird, dass Mitglieder des
Verwaltungsrates der Holding Company zugleich auch in den Verwaltungsräten
der kontrollierten Gesellschaften sitzen · und dass sich die Holding
Company ferner auch an den Generalversammlungen dieser Gesellschaften
den ihren Beteiligungen entsprechenden Einfluss sichert. Immerhin
aber ist eine gewisse selbständige Geschäftsführung auch der Holding;
Company wesentlich. Deren erörterte Struktur und Funktion lässt es wohl
als steiler-politisch geboten erscheinen, sie im Steuerrecht nicht
den primären Aktiengesellschaften gleichzustellen, sondern ihr eine
privilegierte Stellung einzuräumen, die dem Umstande Rechnung trägt,
dass materiell ihr Kapital und ihr Ertrag schon durch die Besteuerung
der unter ihrer Kontrolle stehenden primären Gesellschaften erfasst
werden. Neuere Steuergesetze haben, denn auch diesem Postulate Genüge
getan, so in der Schweiz das st. galijsche Nachtragsgesetz

MM, ......

Doppelbesteuerung. N° 26. 201

vom 30. November 1916 zum _Staatssteuergesetz (Art. 6) und das
zürcherische Steuergesetz vom 25. November 1917 (§ 35), und zwar
ausdrücklich für die Holding Company. Dasselbe scheint das glarnen'sche
Gesetz betr. die Besteuerung der anonymen ErWerhsgesellschaften vom
6. Mai 1917 mit seiner Unterscheidung zwischen Gesellschaften mit
Geschäftsbetrieb und solchen nur mit Sitz im Kanton zu bezWecken, da
unter dem Geschäftsbetrieb doch wohl eine direkte Erwerbstätigkeit zu
verstehen ist, die bei der Holding Company begrifflich fehlt. Dagegen
enthält die aargauische siedet-gesetzgebung eine derartige
Spezialbestirnmung zur Zeit noch nicht. '

3. Die erforderliche Selbständige Geschäftsführung wird bei der
Rekurrentin feststehendermassen durch ihren Verwaltungsrat und dessen
Ausschüsse, in Verbindung mit dem Bureaupersonal der A. G. Motor in
Baden, besorgt. Ihrem Sitze in Glarus kommt ausschliesslich formelle
Bedeutung zu. Ihr dortiger Domiziliat , Advokat Dr. Schindler,
hat aktengemäss keinerlei materielle i)ispositionsbefugnis, sondern
ist einfacher Adressat d. h. lediglich mit der Wahrung der aus dem
Sitzeintrag der Gesellschaft im Handelsregister nicht ergebenden formellen
Verpflichtungen betraut, sodass der Sitz in der Tat

' als blosses Briefkastendomizil bezeichnet Werden kann.

Trotzdem ist die Rekurrentin dadurch zivilrechtlich unzweifelhaft
in Glarus domiziliertrDenn nach Art. 56
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 56 - Der Sitz der juristischen Personen befindet sich, wenn ihre Statuten es nicht anders bestimmen, an dem Orte, wo ihre Verwaltung geführt wird.
ZGB ist für den Wohnsitz der
juristischen Personen im allgemeinen in erster Linie massgebend, was ihre
Statuten hierüber bestimmen. Und die Aktiengesellschaften im besondern
sind nach Art. 616 Ziff. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 616 - 1 Im Konkurse der Gesellschaft wird das Gesellschaftsvermögen zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger verwendet unter Ausschluss der Privatgläubiger der einzelnen Gesellschafter.
1    Im Konkurse der Gesellschaft wird das Gesellschaftsvermögen zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger verwendet unter Ausschluss der Privatgläubiger der einzelnen Gesellschafter.
2    Was der Kommanditär auf Rechnung seiner Kommanditsumme an die Gesellschaft geleistet hat, kann er nicht als Forderung anmelden.
und Art. 621
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 621 - 1 Das Aktienkapital beträgt mindestens 100 000 Franken.
1    Das Aktienkapital beträgt mindestens 100 000 Franken.
2    Zulässig ist auch ein Aktienkapital in der für die Geschäftstätigkeit wesentlichen ausländischen Währung. Zum Zeitpunkt der Errichtung muss dieses einem Gegenwert von mindestens 100 000 Franken entsprechen. Lautet das Aktienkapital auf eine ausländische Währung, so haben die Buchführung und die Rechnungslegung in derselben Währung zu erfolgen. Der Bundesrat legt die zulässigen Währungen fest.
3    Die Generalversammlung kann den Wechsel der Währung, auf die das Aktienkapital lautet, auf den Beginn eines Geschäftsjahrs beschliessen. In einem solchen Fall passt der Verwaltungsrat die Statuten an. Er stellt dabei fest, dass die Voraussetzungen von Absatz 2 erfüllt sind, und hält den angewandten Umrechnungskurs fest. Die Beschlüsse der Generalversammlung und des Verwaltungsrats müssen öffentlich beurkundet werden.
OR direkt verpflichtet, den
Gesellschaftssitz in den Statuten zu bestimmen und ins Handelsregister
eintragen zu lassen. Der Sitz einer Aktiengesellschaft befindet sich
also stets an dem durch Statuten und Handelsregistereintrag als solcher
bezeichneten Orte, selbst wenn es sich dabei um einen rein formellen
Sitz handelt (Vergl. hierüber den

202 Staatsrecht.

Entschei des Bundesrates im BB] 1909 I S 920). Diese zivilrechtliche
Ordnung gilt jedoch nicht ohne weiteres auch für das ,Steuerrecht,
speziell auf dem Boden des Verbotes der interlcantonalen Doppelbesteuerung
Allerdings hat sich die einschlägige Praxis dahin entwickelt, dass für
die physische Person der zivilrechtliche Wohnsitz als ihre wichtigste
territoriale Beziehung unter allen Umständen ein steuerdomizil begründet,
mit dem als primärem noch sekundäre Steuerdomizile in andern Kantonen
konkurrieren, sofern die Person daselbst weitere territoriale Beziehungen
von gewisser geringerer Bedeutung ' (Aufenthalt als sogenannter
Sommerbewohner, Grundbesitz oder Geschäftsbetrieb) hat. Allein diese
Identifizierung von zivilrechtlichem Wohnsitz, und Steuerdomizil im Sinne
des einzigen oder doch primären Steuerortes ist auf die juristische
Person nicht vorbehaltlos übertragbar. Sie rechtfertigt sich bei der
physischen Person zui'olge des Umstandes, dass deren zivilrechtlicher
Wohnsitz nicht völlig subjektiv bedingt. sondern als Rechtsfolge an
einen bestimmten objektiven Tatbestand geknüpft ist, sich nämlich
gemäss Art. 23
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 23 - 1 Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
1    Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
2    Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.
3    Die geschäftliche Niederlassung wird von dieser Bestimmung nicht betroffen.
ZGB da befindet, wo die Person den Mittelpunkt ihrer
Lebensführung und ihrer persönlichen Verhältnisse hat. Wohl ,kann
dieser Tatbestand durch subjektive Verfügung am einen oder anderen
Orte geschaffen und der zivilrechtliche Wohnsitz insoweit frei gewählt
werden; dagegen besteht die Freiheit, ihn ausserhalb des tatsächlichen
Mittelpunktes der persönlichen Existenz zu nehmen, nicht. Diese Regelung
des zivilrechtlichen Wohnsitzes kommt dem Postulat des Steuerrechtes
entgegen, wonach für die Bestimmung des Steuerdomizils auf die wirklichen
Lebensund Wirtschaftsverhältnisse abzustellen ist. Für die juristische
Person und speziell die Aktiengesellschaft aber kann, wie bereits bemerkt,
der zivilrechtliche Wohn* sitz völlig frei gewählt werden, da er lediglich
vom formelle'n Moment der Angabe in den-,Statuten abhängt. Bei ihr fallen
also Sitz und tatsächlicher Mittelpunkt der

Doppelbesteuerung. N° 26. 203

Existenz nicht notwendig zusammen, wenn dies auch aller Regel nach
zutrifit. In diesem Regelfalle muss auch für die juristische Person der
Sitz als primäres Steuerdomizil anerkannt werden. Dagegen rechtfertigt
sich die Annahme eines Steuerdomizils an ihrem Sitze nach dem erwähnten
Postulate nicht, wenn der Sitz ausnahmsweise bloss formelle Bedeutung hat
d.h.mit keinerlei Geschäftsführung oder Verwaltung verbunden ist, während
diese an einem andern Orte der Schweiz, ausserhalb des Sitzkantons,
lokalisiert ist. Anders wäre es den juristischen Personen möglich, ihre
steuer-verhältnisses in künstlicher, sachlich nicht begründeter Weise zu
regeln, was sich mit dem Wesen der Steuerpflicht schlechterdings nicht
verträgt. Dass der juristischen Person auch an ihrem bloss formellen
Sitze die staatlichen Rechtspficgeeinrichtungen zur Verfügung stehen,
kann nicht als Argument iür ihre dortige Besteuerung ins Feld geführt
werden, da ja diese Situation in einem solchen Falle nicht durch die
tatsächlichen Verhältnisse an sich gegeben ist, sondern lediglich
die Folge der künstlichen ,Wahl des Sitzes bildet. Und dasselbe gilt
von der sog. Beheimatung der Rekurrentin an ihrem Sitze; denn wenn zu
deren Konstituierung als schweizerische Gesellschaft Sitzbestimmung und
Handelsregistereintrag an einem

s Orte der schweiz erforderlich waren, so entsprach es doch

wiederum nicht den tatsächlichen Verhältnissen, hieiür gerade
Glarus zu wählen. Der in Rede stehende Vorbehalt ist, wenigstens
der Wirkung nach, vom Bundesgericht neuestens schon gemacht worden
i. S. Einiuhrgenossen-schaft der schWeiz. Metallindustrie gegen Zürich
(AS [A 'I S. 131 f.), indem dort zwar die Steuerpflicht der juristischen
Person an ihrem bloss formellen Sitze nicht grundsätzlich ausgeschlossen,
die Steuerq'uote des Sitzes jedoch mangels jeder damit verbundenen
Geschäftstätigkeit auf null bestimmt wurde. Bei nochmaliger Prüfung
dieser Frage erscheint es als zweckmässiger, einen Steueranspruch des
rein formellen Sitzes, dem ein Ort

Zu-; ' _ Staatsreeht.

in einem andern Kanton mit der normalerweise am Sitze sich abspielenden
Geschäftsführung gegenübersteht, direkt zu Verneinen. Oh die Wahl eines
solchen Sitzes in Steuerrücksichten oder in andern Verhältnissen ihren
Grund hat, ist unerheblich, es genügt die Tatsache, dass der statutarische
Sitz als der wirklichen Situation in keiner Weise angepasst, sondern
durchaus künstlich ' geschaffen erscheint.

4. Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Rekurrentin führt dazu, ihr
(primäres) Steuerdomizil nicht an ihrem Sitz in Glarus, sondern in Baden
anzunehmen, da ihre, an sich dem Sitze zukommende Geschäftsführung

oder Verwaltung als tatsächlich an diesem letztem Orte lokalisiert
zu betrachten ist. Mit der dortigen A.-G. Motor steht nämlich die
Bekurrentin nicht nur in dem mehr ausser-hohen Verhältnis, das aus der
Vertragsmàssigen Besorgung ihrer Bureauarheiten durch das Personal des
Motor resultiert, sondern auch in engster innerer

Beziehung. Denn der Motor ist an ihr seit ihrer Grün. dung durch
Aktienhesitz beteiligt (vergl. SchWeiz. Finanzjahrhuch, 1914, S. 374;
1918, S. 445), und zwar wohl in wesentlichein is.-lasse, wie daraus
geschlossen Werden darf, dass nach den Feststellungen unter Fakt. A
oben drei hervorragende Persönlichkeiten seiner Verwaltung (Boveri,
Nizzola und Detzheimer) auch'ihreni Verwaltungsrate in

leitender Stellung angehören. Der tatsächliche Mittelpunkt des Eigenlebens
der Rekurrentin befindet sich daher unbestreithar in Baden, als am Sitze
des Motor , bei dem die

äden ihres Geschäft-Verkehrs zusammenlauken und wo denn auch jene
leitenden Persönlichkeiten ihren Wohnsitz haben. Unter diesen Umständen
hätte die Rekurrentin ihren'zivilrechtlichen Sitz natürlicherweise
ebenfalls in Baden nehmen sollen : dort hat sie den materiellen, durch
die Verhältnisse gegebenen Wohnsitz und damit, gemäss der orstehenden
Erwägung, das Steuerdomizil. Dass sie sich zur fraglichen Geschäftsführung
nicht eigener stän_ diger Anlagen oder Einrichtungen bedient, kann nichts

Doppelbesteuerung N° 26.1 205

Verschlagen. Dieses Erfordernis ist durch die Praxis nur zur
Charakterisierung des sekundären steuerortes des auswärtigen
Geschäftshetriehes und unter der selbstverständlichen Voraussetzung
aufgestellt werden, dass solcheAnlagen oder Einrichtungen· 111
dem zu besteuernden l nternehmen überhaupt vorhanden seien. Es
kann deshalb ion ornherein nicht in Betracht kommen, wenn, wie
vorliegend, das zu besteuernde Unternehmen nirgends eigene ständige
Anlagen oder Einrichtungen hat, Wenn vielmehr der bloss formelle
Sitz einem Orte mit der Geschäftsführung ohne solche Anlagen oder
Einrichtungen gegenübersteht. In diesem ungewöhnlichen Falle ist
der Geschäftsiührungsort unter Ausschluss des formellen Sitzes als
Steuerdomizil anzuerkennen , denn als primärer Steuerort verdient
er vor dem hiess formellen ' Sitze den Vorzug, und den Begriff
eines der sekundären Steuerorte erfüllt der letztere unzweifelhaft
nicht. Ein Widerspruch dieses Entscheides mit dem vom Kanton Glarus
angerufenen Urteil' 1 S. dei Bank in Baden (AS 43 s. 201 ff. ) besteht
insofern nicht, als doit hauptsächlich dai auf abgestellt wmde,
dass die Schweiz. Bankgesellschaft in Zürich nicht den eigentlichen
Geschäftsbetrieb der Bank in Baden, sondern lediglich deren partielle
Liquidation besorgt habe. Auch soweit die Rekurrentin ihre Steuerpflicht
im Kanten Aargau aus dem Gesichtspunkte des Art 4

. B,Wege11 willkürlicher Anwendung des kantonalen

Steuergesetzes vom 15. September 1910, grundsätzlich anficht,
geht der Rekurs fehl. Wenn § 1 dieses Gesetzes näher bezeichnete
Enverbsgesellschaften als steuerpflichtig erklärt, die entweder im
Kanten demiziliert sind oder hier, bei auswärtigem Hauptdomizil , _
eine geschäftliche Niederlassung, eine Fabrik, einen Betrieb oder ein
Geschäft irgend welcher Art besitzen oder betreiben , so wollte damit dem
Steuerbereich für interkantonale Verhältnisse offensichtlich die volle,
nach da Praxis des Bundesgerichtszu Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV zulässige?

206 staatsrecht.

Ausdehnung gegeben Werden. Folglich darf der Vorstehend entwickelte
Begriff des steuerrechtlichen Domizils der juristischen Person im hier
gegebenen Falle ohne Willkür auch in das kantonale Gesetz hineingelegt und
demnach die Rekurrentin als im Kanton Aargau domiziliert si behandelt
werden.

6. Die spezielle Anfechtung der aargauischen Steuer 'aufiage pro 1917,
wegen Willkür, ist ebenfalls unbegründet. Dieser Steuerauilage steht der
Grundsatz der kantonalen Steuerpraxis, wonach die ordentlichen Steuern
im Steuerjahr zu beziehen sind und nicht nachträglich _eingefordert
werden können , keineswegs entgegen. Wenn das Obergericht angenommen hat,
dass diesem Grundsatz Vorliegend durch die ursprüngliche Zustellung des
-. 'Steuerzettels mit Zahlungsaufforderung, Vom 5. Dezem-ber 1917, seitens
der Finanzdirektion Genüge geschehen sei, obschon die Finanzdirektion
sich dann zur Wiedererwägung dieser Steuerveriügung bereit erklärt und
ihren endgültigen Entscheid erst im September 1918 getrolisen hat, so ist
das gewiss nicht willkürlich. Dass die Rekur-rentin aus der Verzögerung
der Erledigung ihres Wieder-

erWägungsgesuchs nicht einfach schliessen durfte, die

Finanzdirektion verzichte auf den Steuerauspruch, bedarf keiner weitem
Begründung.

' 7. Die bisherigen Erwägungen würden an sich dazu führen, dem Kanton
Glarus auch für das Jahr 1917 jedes Steuerrecht gegenüber der 'Rekurrentin
abzusprechen. Nun hat sich aber der Kanton Aargau im Widerspruch freilich
mit der Begründung seines Standpunktes schon durch die Finanzdirektion
auf die Besteuerung einer Quote von 90% der in Betracht fallenden Werte
beschränkt, und die Rekurrentin hat für den Fall der Zulässigkeit dieses
Anspruchs eine weitergehende Reduktion ihrer Besteuerung durch den Kanten
Glarus nicht verlangt. Bei dieser prozessualen Situation muss sich das
Bundesgericht auf die Abweisung des Rekurses gegenüber dem Kanton Aargau
und auf die Feststellung derDoppelbestenerung. N°, 27. 20?

dessen effektiver Steuerforderung entsprechenden Rückerstattungspflicht
des Kantons Glarus, die unbestritten ist, beschränken.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

1. Das Hauptbegehren der Rekurrentin um Aufhebung des Urteils der
I. Abteilung des aargauischen Obergerichts vom 24. Januar 1919 und
Feststellung, dass der Kanton Aargau keinerlei Steueransprüche gegen
sie habe, wird abgewiesen.

2. Das Eventualbegehren der Rekurrentin wird dahin gutgeheissem dass
der Kanton Glarus pilichtig erklärt wird, ihr neun Zehntel der pro 1917
bezogenen Steuer zuriickzuerstatten.

27. Urteil vom 11. Juli 1919

i. S. Schweizerische Lebensversicherung-H und Rentenanstal't.
gegen Solothurn und Zürich.

Art. 46 Abs.; ).BV Eine auswärtige Gen er al agen 1 ur

einer Versicherungsgesellschaft begründet normaler eisek ein besonderes
Steuerdomizil

A. Die Rekurrentin, Schweiz. Lebensversicherungsund Rentenanstalt ,
die im Jahre 1857 als Schweiz.. Rentenanstalt gegründet worden ist,
betreibt, mit statutarischem Sitz in Zürich als Hauptgeschäft die
Kapitalversicherung auf den Todesund den Erlebensfall für über 2000 Fr.,
mit und ohne Anspruch der Versicherungsnehmer auf Rückvergiitnng der
Rechnungsüberschüsse (Gegenseitigkeit), sowie die Rentenversicherung,
und daneben, als besondern Geschäftszweig für das Gebiet der SchWeiz, noch
die sog. Voiksv ersicherung als Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit
für höchstens 2000 Fr., mit-und ohne ärztliche Unter -