76 Staatsrecht.

die erkrankte und mittellose Person in einem Momente .abgeschoben
oder ausgewiesen hätte, wo deren Unterstützungsbedürftigkeit in
erkennbarer Weise bereits drohte (siehe das bundesgerichtiiche Urteil
sivom 27. Sep-tember 1917 i. S. Zürich gegen Schaffhausen, Motiv 2 und
R*). Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht. Hanyatszek
wurde, ohne Zutun der Behörde, in Kilchberg versorgt vier Jahre .vor
Eintritt der Bedürftig* keit, und in einem Momente, wo letztere weder
vorauszusehen noch zu befürchten war.

Aus diesen Ausführungen folgt, dass die Pflicht, für die Hanyatszek bis
zu ihrer Heimsehai'iung zu sorgen, dem Kanton Zürich obliegt: wobei er
eine e i gene Aufgabe erfüllt und daher auch keinen Kostenersatz aus
dem Gesichtspunkte einer öffentlichen-rechtlichen Geschäftsführung ohne
Auftrag vom Kanton Tessin verlangen kann.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Die Klage wird abgewiesen.

VI. STAATSVERTRÀGETRAITÉS INTERNATIONAUX

14. Urteil vom 20. Juni 1918 i. S. Delvaux gegen Epstein.

Art. I 7 Abs. 1 der Haager Übereinkunft betr. Zivilp r o z e s s r e
cht von 1905/1909 gilt nicht für die beklagte Partei als solche und
steht deshalb der in § 60 zürch. ZPO vorgesehenen Kautionsauflage nicht
entgegen.

A. In Anwendung der Vorschrift in 560 zürch. ZPO vom 13. April 1913,
wonach der Beklagte zurKautions--* AS 43 I S. 308.Staatsverträge. N°
14. 7.7 ,

'leistung für Prozesskosten und Prozessentschädiguug

anzuhalten ist, wenn er während des Prozesses aus der Schweiz wegzieht
, hat das Bezirksgericht Zürich dem vor ihm seitens des Rekursbeklagten
Epstein mit einer Forderungsklage belangten Rekurrenten Delvaux, einem
Belgier, Frist zur Leistung einer Kaution von 600 Fr. gesetzt und
für den Fall des Ungehors-ams Beurteilung des Prozesses auf Grund der
Vorbringen des Klägers und der Akten angedroht, weil er nach Eintritt
der Streithängigkeit von Zürich nach Paris übergesiedelt ist. Und den
Rekurs Delvaux' gegen diese Verfügung hat die 1. Kammer des Obergerichts
des Kantons Zürich mit Beschluss vom 27. März 1918 abgewiesen, indem
sie (soweit heute noch von Belang) der Auffassung des Bezirksgerichts
beigestimmt hat, dass der von Delvaux angerufene Art. 17 der Haager
Uebereinkunft betr. Zivilprozessreeht nur den Kläger und Intervenienten
vor Kautionsauflageu schütze.

B. Hierauf hat Delvaux den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht
ergriffen und beantragt, der Beschluss des zürcherischen Obergeriehts sei
samt der ihm zugrunde liegenden Verfügung des Bezirksgerichts aufzuheben-

Er macht zur Begründung unter Hinweis auf das Urteil des
Bundesgerichts vom 16. März 1917 i.' S. Aigner geltend, die fragliche
Vorschrift in § 60 zürch. ZPO verstosse gegen Art. 17 der Haager
Zivilprozessrechtsübereinkunft, da nach deren, Sinn und Geist dem
ausländischen Beklagten ebensowenig, wie dem ausländischen Kläger,
eine Prozesskaution auferlegt werden dürfe.

C. Der Rekursbeklagte Epstein und das 'Ohergericht des Kantons Zürich
haben auf die Erstattung von Gegenbemerkungen verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

Die revidierte Haager Uebereinkunft betr. Zivilprozessrecht vom 17. Juli
1905 27. April 1909 bestimmt in Art. 17

78 staatsrecht-

Abs. ] (der dem Art. 11 der ursprünglichen Uebereinkunft' vom 14. November
1896/25. Mai 1899 wörtlich entspricht), dass Angehörigen eines der
Vertragsstaaten, die in einem andern dieser Staaten als Kläger oder
Intervenienten vor Gericht auftreten ( qui seront demandeurs ou
intervenants devant les tribunaux...), sofern sie in irgend einem
der Vertragsstaaten ihren Wohnsitz haben, wegen ihrer Eigenschaft als
Ausländer oder deswegen, weil sie keinen Wohnsitz oder Aufenthalt im
Inlande haben, eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher
Benennung es auch sei, nicht auferlegt werden darf. Diese Bestimmung
bezieht sich ihrem Wortlaute gemäss nur auf die aktiv, im Sinne der
Klägerrolle, auftretende Prozesspartei, wobei hiezu nach dem Urteil des
Bundesgerichts i. S. Aigner (AS 43 I S. 101 ff.) auch der Beklagte zu
rechnen ist, soweit er sich durch Ergreifung eines Rechtsmittels ebenfalls
prozessualisch aktiv betätigt. Dagegen hat sie den Beklagten als solchen,
in seiner begrifflichen Passivstellung, direkt unzweifelhaft nicht im
Auge. Eine extensive, über den an sich klaren W'ortlaut hinausgehende
Interpretation der Bestimmung, wie der Rekurrent sie mit seiner Berufung
auf den Sinn und Geist der Uebereinkunft postuliert, könnte aber mit
Rücksicht darauf, dass die vorausgesetzte gleichmässige

Handhabung internationaler Vereinbarungen in allen'

beteiligten Staaten nur bei möglichst strenger Beachtung des
vereinbarten Textes zu erreichen ist, jedenfalls nur dann in Frage
kommen, wenn aus dem Zusammenhang oder aus der Entstehungsgeschichte
der Bestimmung mit Sicherheit auf eine von ihrer Fassung abweichende,
darin versehentlich ungenau zum Ausdruck gebrachte Willensmeinung
der Vertragsstaaten zu schliessen wäre. Das ist jedoch nicht der
Fall. Die Zivilprozessrechtsübereinkunft erwähnt im Abschnitt über
die Sicherheitsleistung für die Prozesskosten nirgends die beklagte
Partei. Und auch die Entstehungsgeschichte dieses Abschnitts lässt keinem
Zweifel darüber Raum, dass erStaatsvertràge. N° 14. 79

Wirklich-nur auf die Klagepartei im angegebenen Sinne bezogen sein
will. Der ursprüngliche Entwurf des niederländischen Staatsrates
ASSI-ZR vom Juni 1894 sprach von den sujets de chacun des états
contractants, pluidant devant les tribunaux d'un autre état eontractant
und bezeichnetediesen letzteren Staat weiterhin als état ou l'action
est introduite . Die anlässlich der Haager Konferenz vom Sommer 1894 zur
Vorberatung dieses Entwurfs bestellte Delegiertenkommission präzisierte
dann noch mit der Wendung nationaux d'un des Etats contractants
plaidant comme demandeurs ou internenants devant si les tribunauX d'un
autre de ces Etats . Und daraus ist in der Plenarberatung der Konferenz
schliesslich die definitive Fassung nationaux... qui seront demandeurs
ou intervenants... hervorgegangen. Dementsprechend sagt denn auch
Prof . E. MEILI, einer der beiden Vertreter der Schweiz an den Haager
Konferenzen, in dem von ihm zusammen mit Dr. A. MAMELOK herausgegebenen
Werkeüber Internationales Privatund. Zivilprozessrecht auf Grund der
Haager Konventionen, auf S. 348 (5681331 fine), es sei selbstverständlich
, dass die Bestimmungen von Prozessgesetzen, wodurch dem B e k l a
g t e n Kaution auferlegt werde, durch die Konvention nicht berührt
würden, und erwähnt als Beispiel einer solchen Bestim v mung § 266 des
zürch. Rechtspflegegesetzes, den heutigen § 60 ZPO. Ferner hat der andere
schweizerische Delegierte, Prof. E. Rock-um in Lausanne,. welcher der
das, Zivilprozessrecht vorberatenden Delegiertenkommission angehört und
deren Bericht verfasst hat, zu Handen des Bundesgerichts die bestimmte
Erklärung abgegeben, dass in den Konferenzverhandlungen kein Fall
einer Prozess- kaution des Beklagten erörtert, sondern stets nur die
sog. Ausländerkaution der Klagepartei'ins Auge gefasst worden sei. Unter
diesen Umständen ist die (über den damaligen Streitpunkt hinausgehende)
Erwägung des. Urteils i. S. Aigner, dass die Logik der in Rede stehenden
Uebereinkunftsbestimmung zur Kautionsbefreiung auch

SO Staatsrecllit.

des Beklagten schlechthin führe, nur de lege ferenda von Bedeutung,
während die massgebende wirkliche Willensmeinung der Uebereinkunit dem §
60 züreh. ,ZPO nicht

entgegensteht. Demnach erkennt das Bundeégerichi :

Der Rekurs wird abgewiesen.

VII. ORGANISATION DER BUNDESRECHTSPFLEGE

___ _....-

ORGANISATION J UDIC IAIRE _FEDERALE

15. Urteil vom Its-W 1917 i. S. Margot gegen AppenzellA.-311.

Fristbeginn für den Rekurs nach Art. 52 L MPG.

A. Im September 1915 wurde im Kanton Appenzell ,ä.-Rh. gegen den
Rekurrenten Margot, einen ehemaligen Kunstweintabrikanten in Gent",
eine Strafuniersuehung wegen Zuwiderhandlung gegen-Art 5 des BG vom
'? . März 1912 betr. das Verbot von Kunstwein und Kunstmest angehoben,
weil er durch Inserat in der in Teufen herausgegebenen Zeitung Säntis
die Zusendung dessen, was zur Bereitung eines vortrefflichen Kunstweines
nötig sei, angeboten. und Bestellungen hierauf ausgeführt hatte., Bei
seiner rogatorischen Einvernehme vom 4. Oktober 1915 gah Margot diesen
Tatbestand zu, bestritt jedoch mit Zuschrift an den die Untersuchung
führenden kantonalen Verhörrichter in Trogen vom 10. Oktober 1915, sich
dadurch gegen das erwähnte Bundesgesetz vergangen zu haben, und bemerkte
weiterhin, die Präfektur in

Organisation der Bundesrechtspfiege. N° 15. 81

Lausanne habe wegen gleicher, im Kanton Waadt erschienener Inserate eine
Untersuchung gegen ihn eröffnet, er sei vor ihr schon am 31. August 1915
vor-geladen ges Wesen und verlange deshalb gemäss Art. 50 LMPG, dass
die appenzellische Untersuchung derjenigen in Lausanne angeschlossen
werde. Dabei legte er ein Schreiben des Lausanner Präfekten vom
23. September 1915 vor, das ihn unter Bezugnahme auf sein Erscheinen vom
31. August zur Beibringung eines damals angerufenen bundesgerichtlichen
Urteils aufi'orderte.

Nachdem Margot dieses Begehren der Verfahrens--

Vereiniguug Ende März 1916, auf die ,Mitteilung des appenzellischen
Verhöramtes vom bevorstehenden Ab-

schluss der Untersuchung im Kanton Appenzell, erneuert hatte, übersandte
der dortige Verhörrichter am 8. Mai 1916 die Akten der Präfektur in
Lausanne mit. der Anfrage, ob sie bereit sei, das Strafverfahren auch
mit Bezug auf den appenzellischen Tatbestand durchzuführen. Er bekam
jedoch die Sendung umgehend von der Mitteilung begleitet zurück :
Aucune affaire contre Margot Albert, à Genève, n'est aetuellement
pendante à la preiecture de Lausanne. Demgegenüber hielt Margot mit
Schreiben an den Verhörriehter vom 17. Mai 1916 an seinen Angaben über
die Untersuchungseröfinung in Lausanne fest und berief sich noch auf
ein weiteres Schreiben vom 1. November 1915, worin der Präfekt ihm den
Empfang des früher erwähnten bundesgeriehtliehen Urteils bestätigt und
noch eine. tatsächliche Auskunft verlangt hatte. Wenn, so bemerkte
er dazu, der Präfekt dann zwar die Untersuchung wegen Fehlens einer
strakbaren Handlung eingestellt zu haben scheine, so bestehe doch die
Kompetenz des Lansanner Richters zur Behandlung des Appenzeller Falles
fort und müsse dieser letztere daher, falls er weiter verfolgt werden
wolle, den Lausanner Behörden überwiesen werden. Hierauf entgegnete der
Verhörrichter am 22. Mai 1916 : Nachdem die Préfecture de Lausanne die
Ueber-nahmess AS 44 i _ ists ' 6