30 Staatsrecht.

dung öffentlicher Aemter Beziehungen hat, welche die Absicht dauernden
Verbleibens im Sinne von Art. 23 ZGB unbestreitbar kundtun. Der
zivilrechtliche Wohnsitz aber bestimmt aller Regel nach auch das
Steuerdomizil, insbesondere für das bewegliche Vermögen. Eine
Ausnahme ist abgesehen von den hier zum vornherein ausser Betracht
fallenden besondern steuerorten der Geschäftsniederlasssung und des
in eigenem Hause zugebrachten sog. Sommeraufenthalts in der neueren
Praxis allerdings zugelassen werden bei dauernder Trennung des am Orte
seiner Erwerbstätigkeit befindlichen Wohnsitzes des Familienhaupts vom
tatsächlichen Wohnsitze der übrigen Familienglieder. In solchen Fällen
ist für die Besteuerung des zum Unterhalt der ganzen Familie dienenden
Erwerhseinkommens des Familienhaupts neben dessen persönlichem Wohnsitz
auch der Familienwohnsitz als Steuerort anerkannt worden (vergl. AS
40 I S. 227 H., und Urteil vom 8. Dezember 1916 i. S. Steidinger
gegen Solothurn und Luzern, Erw. 2, mit den dortigen Verweisungen
aus der Zwischenzeit). Allein vorliegend handelt es sich weder um die
Einkommensbesteuerung, noch überhaupt um einen derart selbständigen
Familienwohnsitz. Denn die Haushaltung der Kinder Depuoz in Schwyz hat
nicht deren dauerndes Wohnen getrennt von ihrem Vater zum allgemeinen
Selbstzweck. Sie soll vielmehr den Kindern lediglich den Besuch der
dortigen Schulen ermöglichen und verfolgt somit bloss einen seiner Natur
nach vorübergehenden Sonderzweck, dem steuer-' rechtlich ebensowenig,
wie zivilrechtlich (Art. 26
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 26 - Le domicile des majeurs sous curatelle de portée générale est au siège de l'autorité de protection de l'adulte.
ZGB), wohnsitzbegründende Wirkung beizulegen
ist. Demnach muss der Doppelbesteuerungskonflikt zu Gunsten des Kantons
Graubünden entschieden werden. Gerichtsstand. N° 6. 31

IV. GERICHTSSTAN DFOR

6.1 Urteil vom 19. Januar 1918

ss i. S. Flückiger gegen I. Strafkammer des bem. Obergeriohts.

Gerichtsstand für Uebertretungen des Absinthverbots (Art. 3 Abs. 4 BG
vom 24. Juni 1910, in Verbindung mit den Art. 50 und 51 LMPG). Anspruch
des Angesehuldigten aus Art. 51 LMPG. ·

A. Im März 1917 leitete der Untersuchungsrichter von Biel zufolge
einer Anzeige des dortigen Lebensmittelinspektors gegen den Rekurrenten
Flückiger. Destillateur in Couvet (Kt. Neuenburg), eine Stratuntersuchung
ein wegen Widerhandlung gegen das Absinihverbot durch Lieferung des von
ihm hergestellten Likörs Anisette an die Wirtschaft zum Steinbock
in Biel. Bei seiner rogatorischen Einvernahme vom 13. April 1917 gab
Flückiger unter Bestreitung der Sirafbarkeit des ihm zur Last gelegten
Tatbestandes die Erklärung ab, schon vor einiger Zeit habe die Präfektur
von Cossonay (Kt. W'aadt) wegen eines durchaus gleichen Falles eine
Untersuchung gegen ihn angehoben ; diese Angelegenheit sei noch nicht
beurteilt; er verlange deshalb gestützt auf das Absinthverbotgesetz vom
24. Juni 1910, Art. 3

. letzt. Abs., die Vereinigung der beiden Verfahren ge-

mäss Art. 51 Abs. 2 LMPG. Ohne Rücksicht auf dieses Begehren wurde
Flückiger durch übereinstimmenden Beschluss des Untersuchungsrichters von
Biel' und des Bezirksprokurators IV vom 3. Mai 19137 dem Polizeirichter
von Biel zur Beurteilung überwiesen. Gegenüber dessen Vorladung zur
Verhandlung auf den 22. Juni 1917 antwortete Flückiger umgehend,
mit Schreiben

32 Staatsrecht.

vom 15. Juni, unter Bezugnahme auf die erwähnte Erklärung, nachdem
er inzwischen in Cossonay verurteilt werden sei das dortige Urteil
war tatsächlich am 3. Mai 1917 ergangen :, könne er in Biel nicht
mehr verfo 't worden; er glaube deshalb, der Vorladung nicht Folge
leisten zu müssen, und ersuche um Mitteilung, ob nicht der Richter
diese Auffassung anerkenne. Ohne eine solche Mitteilung erhalten zu
haben, stellte er sich zur Verhandlung nicht. Der Polizeirichter von
Biel aber trat ohne weiteres auf die Sache ein, erklärte Flückiger
der Widerhandlung gegen Art. 1 des BG vom 24. Juni 1910 schuldig
und verurteilte ihn polizeilich zu 200 Fr. Geldbusse, eventuell
zur entsprechenden Gefängnisstrafe. Flückiger appellierte an die
I. Strafkammer des bernischen Obergerichts und regte dabei die Kassation
des Verfahrens von Amtes wegenan.MitEntscheidvom29.September 1917 lehnte
das Gericht diese Anregung ab und gelangte grundsätzlich zur. Bestätigung
der Verurteilung, setzte jedoch das Strafmass auf 150 Fr. Geldbusse,
eventuell entsprechende Gefängnisstrafe, herab. Durch Art. 51 Abs. 2 LMPG
werde zwar, wird im erstern Punkte ausgeführt, für den in der Eröffnung
des Verfahrens die Priorität besitzenden Kanton nicht. nur das Recht,
sondern auch die Pflicht begründet, die Verfolgung der auf dem Gebiete
anderer Kantone verübten konnexen deliktischen Handlungen ebenfalls
zu übernehnien. "Diese Pflicht bestehe jedoch nur so lange, als das
Verfahren im andern Kanton nicht abgeschlossen sei. Sobald dagegen ein
rechtskräftiges Urteil vorliege, könne über Tatbestände, die nicht darein
einbezogen worden seien, nur in einem neuen Verfahren geurteilt werden,
für welches sich die Kompetenz wiederum nach der Priorität der Eröffnung
am Begehungsort oder am Wohnsitz des Angeschuldigten bestimme. Vorliegend
sei aber im" waadtländischen Strafverfahren tatsächlich ein in Rechtskraft
erwachsenes Urteil er-

Gerichtsstand. N° e. 33

'gàhgsiesiîi} das sich nicht, auf die den Gegenstand der

hernisszhen Strafuntersuchung bildende "Ware beziehe. Es könne daher
keinem Zweifel unterliegen, dass für das Verfahren in Biel der dortige
Richter kompetent gewesen sei. _

B. Hierauf hat Flückiger den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht
ergriffen und beantragt, das gegen ihn durch den Polizeirichter von
Biel und die I. Strafkammer des bernischen Obergerichts durchgeführte
Strafverfahren sei samt den ergangenen Urteilen aufzuhehen.

Zur Begründung wird wesentlich vorgebracht' : Der Untersuchungsrichter
von Biel habe sich mit der Bieler Strafanzeige zu Unrecht weiter befasst,
nachdem ihm durch das Rogatorial vom 13. April 1917 bekannt ge-worden sei,
dass in Cossonay bereits eine gleiche Untersuchung hängi'g sei. Vielmehr
hätte er daraufhin seinen Fall sofort zur Behandlung nach Cossonay
weiter leiten sollen, was damals noch möglich gewesen wäre. Wenn ein
Richter einfach bis nach der Ausfällung des Urteils im andern Kanton
zuwarten dürfte, wie es hier geschehen sei, so waren die Bestimmungen der
Art. 50 und 51 LMPG vollständig illuscrisch. Indem die obergerichtliche
Strafkammer das Vorgehen der Bieler'Gerichtsbehörden sanktioniert habe,
verstosse ihr Entscheid gegen den im Gesetze enthaltenen Grundsatz,
dass für zusammenhängende Vergehen eine mehrfache Bestrafung nicht
stattfinden solle. Danach seien vorliegend die hei-nischen Gerichte von
dem Momente an, in welchem der Untersuchungsrichter von der bereits in
Cossonay angehobenen UntersuchungKenntnis erhalten habe, zur Beurteilung
des Falles überhaupt nicht mehr zuständig gewesen und es sei deshalb
das ganze vor ihnen durchgeführte Verfahren aufzuheben. '

C. Die I. Strafkammer des Obergerichts hathbÅ weisung des Rekurses
beantragt. Sie fügt der erwähnten, Begründung ihres Entscheides wesentlich
noch bei *:

AS 44 I 1918 3

34 Staatsrecht.

Wenn das Verfahren in Biel nicht mit demjenigen in Cossonay vereinigt
worden sei, so trage hieran der Richter von Biel (der allerdings bei
Stellung seines Antrags vom 3. Mai den Hinweis des Angeschuldigten auf
die Untersuchung in Cossonay übersehen zu haben scheine) nicht einzig die
Schuld. Es wäre in erster Linie Sache des Rekurrenten selbst gewesen,
an der Verhandlung in Cossonay vom 3. Mai die Vereinigung der beiden
Unter-suchungen zu beantragen, um so mehr, als Art. 51 LMPG lediglich von
einem Recht des prävenierend e n K a n t o n s spreche, die Stellung und
Auslieferung allfälliger Mitangeschuldigter anderer Kantone und analog
die Vereinigung konnexer, in verschiedenen Kantonen verübter Delikte zu
verlangen. Mit der durch sein Verschweigen der Bieler Untersuchung in
Cossonay ermöglichten separaten Beurteilung des dortigen Falles sei für
den in Biel hängigen Fall nicht res indicate geschaffen worden, sondern
es habe bei dessen nachträglicher Beurteilung nur dem Umstande Rechnung
getragen werden müssen, dass in Cossonay bereits eine Bestrafung erfolgt
sei, wie es die Strafkammer durch Herabsetzung der Geldhusse getan habe.

Das Bundsgerichl ziehi'in Erwägung:

1. Die Art. 50 und 51 LMPG vom 8. Dezember 1905, deren Vorschriften
Art. 3 Abs. 4 des BG vom 24. Juni 1910 für die Uebertretung-en
des Ahsinthverbotes anwendbar erklärt, enthalten folgende
Gerichtsstands-ordnung, die das Bundesgericht als Staatsgerichtshof
gemäss Art. 189 Abs. 3
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 26 - Le domicile des majeurs sous curatelle de portée générale est au siège de l'autorité de protection de l'adulte.
OG und Art. 52 LMPG zu wahren hat : In Art. 50
sind die 'Gerichtsstände des Begehungsarts und des Wohnorts des
Angeschuldigten in dem Sinn elektiv konkurrierend vorgesehen, dass das
Verfahren an demjenigen der beiden Orte, unter Ausschluss. des andern,
durchzuführen ist, an welchem es zuerst eröffnet wurde. Und Art. 51
regelt die Konfliktsfälle,

die daraus entstehen können, dass sich der Begehungsort,
--Gerichtsstand. N° 6. 33

sei es eines einheitlichen Vergehens (Abs. 1), sei es mehrerer
zusammenhängender Vergehen (Abs. 2), in mehr als einem Kanton befindet. Er
bestimmt, dass auch in diesen Fällen jeweilen nur ei 11 Verfahren
durchgeführt und der ganze Straftatbestand einheitlich beurteilt werden
soll, und zwar, entsprechend der Vorschrift des Art. 50 für die Konkurrenz
der zwei verschiedenen Gerichtsstände, in demjenigen Kanton, in welchem
das Verfahren zuerst eröffnet wurde. Dadurch wollen, im Interesse des
Angeschnldigten und der Strafjustiz überhaupt, verschiedene Verfahren
mit möglicherweise widerspruchsvollen Urteilen auch bei Tatbeständen
verhindert werden, die an sich einer getrennten Beurteilung unterliegen
könnten, nach ihrem äussern und innern Zusammenhang jedoch zu gemeinsamer
Beurteilung geeignet sind. Zu diesem Zwecke statuiert der ,Art. 51
für interkantonale Verhältnisse (mit denen allein er sich ausdrücklich
befasst, während seine Bestimmungen sinngemäss wohl allgemeine Geltung
beanspruchen) die gegenseitige Rechtshülfepflicht der Kantone, indem
er dem Kanton, in welchem das Strafverfahren zue rs t zuständigerweise
eröffnet worden ist und deshalb im erwähnten Umfange a u s s c h li e s
s li c h durchgeführt werden muss, das Recht einrävmt, von den. andern
Kantonen nötigenfalls die Stellung und Auslieferung Beteiligter oder die
Zusicherung des Urteilsvollzuges zu verlangen. Diese Rechtshüliepflicht
ermöglicht eine Verschiebung der durch die gesetzlichen Gerichtsstände an
sich gegebenen Kompetenzabgrenzung in dem Sinne, dass mit der Ausdehnung
des Verfahrens seitens des hiezu berechtigten und verpflichtet-en Kantons
die Kompetenz der andern Kantone entsprechend eingeschränkt wird.. Sie
hat aber diese Wirkung nicht von vornherein, sondern die in Art. 50
des Gesetzes begründete Kompetenz bleibt hestehen,falls die Ausdehnung
des Verfahrens tatsächlich nicht beansprucht und durchgeführt wird
(vergl. hierüber schon AS 39 I Nr. 62 Erw. 2 S. 370 ff.).

36 Staatsrecht.

2. Vorliegend handelt es sich bei den Strafverfolgungen in Cossonay
und in Biel unbestrittenermassen um zusammenhängende Vergehen im Sinne
des Art. 51 Abs. 2 LMPG. Demnach wären die Strafbehörden von Cossonay,
wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde, berechtigt und verpflichtet
gewesen, auch den Bieler Tatbestand in ihr Verfahren einzubeziehen. Und
entsprechend hätte der Untersuchungsrichter von Biel zufolge der Erklärung
des Angeschuldigten vom 13. April 1917 unverzüglich mit jenen Behörden
in Verbindung treten und die nach der Sachlage gesetzlich gebotenedamals
noch mögliche Ausdehnung des Verfahrens von Cossonay auf seinen-Fall
veranlassen sollen. Allein der Umstand, dass er das pflichtwidrig
unterlassen hat, kann nicht zu der vom Rekurrenten verlangten Aufhebung
des bernischen Strafverfahrens wegen Unzuständigkeit der dortigen Behörden
führen. Denn der Anspruch des Rekurrenten ging nur auf Vereinigung
der beiden Strafverfahren, und seitdem das Strafverfahren in Cossonay
ohne Einbeziehung des Bieler Tatbestandes durch Urteil vom 3. Mai 1917
abgeschlossen worden ist, könnte dieser Anspruch jedenfalls nur noch
in der Weise verfolgt werden, dass die Aufhebung auch des Urteils von
Cossonay verlangt würde. Das hat aber der Rekurrent nicht getan. Es ist
übrigens fraglich, ob er es hätte tun können, angesichts des Umstandes,
dass die Strafbehörden in Cossonay von der Bieler Untersuehung überhaupt
keine Kenntnis hatten, und dass ihn e n deshalb wegen der Nichtvereinigung
der beiden Verfahren ein pflichtwidriges Verhalten nicht zur Last
fällt. Den ihm aus der getrennten Beurteilung der beiden Strafklagen
entstandenen Nachteil hat sich der Rekurrent in erster Linie selbst
zuzuschreiben, da er in der Lage gewesen wäre, hiegegen vor den Behörden
in Cossonay rechtswirksam aufzutreten. Nachträglich konnte der hernische
Richter diesen Nachteil nur noch als Strafherabsetzungomoment berücksich-

Gerichtsstand. N° ?. . 37

tigen, wie es die obergerichtliche Strafkammer, nach ihrer Angabe in
der Rekursantwort, getan hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht: ss Der Rekurs wird abgewiesen.

7. Urteil vom 19. Januar 1918 i. S. Schweizerische Bundesbahnen gegen
Stadler-. Kompetenz der Expropriationsbehörden zur Beurteilung eines
Streites über den Bestand einer im Expropriationsverfahren begründeten
Grunddienstbarkeit ?

. A. Für den Bau der Gotthardbahn wurde seinerzeit von dem in Fliielen
zwischen der Axenstrasse und dem See liegenden Grundstück des Michael
Echser ein Land. streifen enteignet, der die Liegenschaft in der Mitte
durchschneidet. Echser verlangte deswegen eine Entschädigung, worüber
erstinstanzlieh die eidgenössische Schätzungsl kommission urteilte. Gegen
derenEntscheid rekurrierte

Echser an das Bundesgericht. In der Verhandlung vor der

bundesgerichtlichen Instruktionskommission gab der Vertreter der
Bahngesellschaft die Erklärung ab, dass zur Kommunikation der Abschnitte
(von Echsers Liegenschaft) bei Ki]. 17,810 an Stelle des bisherigen
Fusswegez ein Wegübergang verzeigt Werden , solle. Echser erklärte sich
hiemit einverstanden. Im Urteilsantrag der Instruktionskommission wurde
die Bahngesellschaft bei ihrer Erklärung behaftet und dieser Antrag
wurde in Folge der Annahme seitens der Parteien durch Beschluss des
Bundesgerichtes vom 28. Mai 1880 als in Rechtskraft erwachsen erklärt
. Der zwischen der Bahnlinie und dem See liegende Grundstücksabschnitt
wurde später in zwei Teile getrennt und der 'Rekursbeklagte ist in der
Folge Eigentümer des nördlichen Teiles geworden. Bei der Durchführung
der Grundbuchbereinigung in der Gemeinde Flüelen nahm er für das erwähnte
abgetrennte Grund-