610 Obligationenrecht. N° 95.

vorgenommen. Rechte des Absenders oder des Empfängers-' des Gutes aber
werden durch diese interne Verwal tungsanweisun'g nicht begründet,
namentlich nicht, was den Inhalt des abgeschlossenen Frachtvertrages
anbetrifft.

Wenn angesichts dieser ietztern Tatumstände und trotz der vorher
erörterten, die für das Gegenteil sprechen, die Vorinstanz den Beweis
nicht als erbracht erachtet hat, dass den streitigen Sendungen der Tarif
N° 55 zu Grunde gelegt wurde, und wenn sie demnach auch den Vermerk
Tariffa speciale in den Frachtbriefen nicht im letztem Sinne auslegt
und darin kein ausdrückliches Verlangen um dessen Anwendung nach
Vorschrift der erwähnten Tarifbestimmung erbliokt, so lässt sich gegen
diese Würdigung vom bundesrechtlichen Standpunkte aus umsoweniger etwas
einwenden, als sie zudem durch die Mehrzahl der über die Frage um ihre
Ansicht ersuchten Sachverständigen gestützt wird. Damit erweist sich der
Hauptgrund als hinfällig, aus dem sich die Beklagte der Zusprechung der
Klage widersetzt und Gutheissung ihrer Widerklage verlangt. .

3. Eventuell begründet die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der
Klage und Zusprechung der Widerklage damit, dass ihr eine mit der
Klageforderung zu verrechnende und für den Mehrbetrag selbständig erhobene
Entschädigungsforderung zustehe, deshalb nämlich, weil der Angestellte
Torgler der Klägerin durch Anrechnung der niedrigem Transportgebühren
bei Auslieferung der Sendungen die Beklagte davon abgehalten habe, beim
Verkäufer darauf zu dringen, dass für künftige Sendungen deutlicher die
Anwendung'des Tarifes N° 55 verlangt werde. In dieser Beziehung hält
die Vorinstanz dafür, es sei der aktenmässige Beweis nicht erbracht,
dass eine der erwähnten Voraussetzungen für die Anwendung des Tarifes N°
55, nämlich die italienische Provenienz der Ware, gegeben gewesen sei
und dass damit die Anwendung dieses Tarifes hätte verlangt

Obiigetionenrecht. N° 96. 611

werden können. Diese prozessuale Feststellung untersteht der Überprüfung
des Bundesgerichts nicht. Dass dabei die Beweislast für die Herkunft
der Ware, weil Voraussetzung der Anwendbarkeit des Spezialtarifes,
der Beklagten obliegt, ist bereits oben bemerkt werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 18. J uni 1916 bestätigt.

96. Urteil der staatsreohtlichenAbtoilungvom 23. November 1916
i. S. Weibel, Kläger, gegen Staat Aargau, Beklagten.

Das Erfordernis der zivilrechtlichen Streitigkeit im Sinne des Art. 48
Ziffer 4 OG ist erfüllt bei Belangung eines Kantons auf Schadenersatz
wegen pflichtwidrigen Verhaltens eines kantonalen Beamten. Die H a s t
b a r R e i t d e s K a n t o n s für den durch seine Beamten (ausser
bei gewerblichen Verrichtungen) verursachten Schaden beurteilt sich nach
dem k a n t o n al e n Recht. Auslegung der einschlägigen a a r g an i
s c h e n Bestimmungen.

A. Der Kläger Weibel hatte bis gegen Ende der 1890er Jahre in Gesellschaft
mit einem gewissen Wey ein Baugeschäft betrieben. Dessen Auflösung
führte zu einem Zivilprozesse der beiden Gesellschafter, der durch
Endnrteil des aargauischen Obergerichts vom 29. Mai 1903 zu Gunsten
Weibels ausging. In der Folge konnte sich jedoch Weibel für die ihm
zugesprochene Forderung nicht bezahlt machen, Dies veranlasste ihn,
gegen Wey und dessen Familie eine ganze Reihe von Strafklagen anzuheben.
Im Laufe dieser Prozesswirren sind eine Anzahl von Weibel vorgelegter
Akten insbesondere Geschäftsbücher der früheren Gesellschaft Wey &
Weibel auf nicht abgeklärte Weise verschwunden, nach Annahme Weibels
auf der Kanzlei des aargauischen Obergerichts und durch

AS 42 n _ 1916 ii

612 Obligationenreeht. N° 96. --

verbrecherische Hand . Deshalb wandte Weibel sich zunächst
zweimal mit Entschädigungsbegehren an den . Grossen Rat des
Kantons Aargau. Dieser lehnte jedoch die Begehren entgegen einem
Antrag, aus Billigkeitsrücksiehten eine Entschädigung von 1000
Fr., mit welcher der Gesuchsteller sich zufrieden geben wolite,
zu gewähren wegen Unzuständigkeit ab, wobei die berichterstattende
Geschäftsprütungskommission bei Behandlung der zweiten Eingabe, in der
Grossratssitzung vom 30. Marz 1915, überdies feststellte, dass Weibel
offenbar keinerlei Schaden erwachsen sei, indem die verlorenen Akten
lediglich über die Verhältnisse der früheren Gesellschaft Wey & Weibel
Auskunft geben könnten, die durch das Obergerichtsurteil vom 29. Mai
1903 bereits rechtskräftig abgeklärt seien.

B. Hierauf hat Veibel mit Klage vom 29. Februar / 9. März 1916 beim
Bundesgericht das Begehren gestellt:

Es sei der Staat Aargau zu verhalten, mir für die durch seine Organe
(Behörden) verschwundenen Bücher und Schriften eine Entschädigung von
30,000 Fr. nebst Kostenersatz zu bezahlen.

Er verweist in rechtlicher Beziehung lediglich darauf, dass die Vorschrift
in § 142 aarg. ZPO, laut welcher nach rechtskräftiger Erledigung einer
Streitsache der Gerichtsschreiber jeder Partei auf Verlangen die von ihr
verurkundeten Beweisschriften gegen Empiangschein zurückzusenden hat,
ihm gegenüber nicht erfüllt worden sei.

C. Namens des Beklagten hat die Justizdirektion des Kantons Aargau in
der Rechtsantwort beantragen lassen, die Klage sei wegen Unzuständigkeit
des Bundes gerichte, weil keine Zivilstreitsache im Sinne des Art. 48 OG
vorliege, von der Hand zu weisen, eventuell als unbegründet abzuweisen,
und zwar in erster Linie wegen mangelnden Passivlegitimation des Staates,
der nach den Grundsätzen des in Betracht fallenden Rechts für den
eingeklagten angeblichen Schaden überhaupt nicht haft-

bar sei.

Obligauonenreeht. N° 96. 613

p. Nach Eingang der Rechtsanwort hat das Bundesgericht mit Beschluss
vom 11. Mai 1916 das Armenrechtsgesueh des Klägers wegen offenbarer
Aussichtsiosigkeit der Klage abgewiesen. · '

E. Da der Kläger trotzdem auf der Durchführung des Prozesses beharrt hat,
sind Replik und Duplik erstattet worden, in denen die Parteien an ihren
Begehren festgehalten haben. Vor Durchführung des Beweisverfahrens hat
jedoch der Instruktionsrichter verfügt es sei zunächst über die erwähnten
Einreden des Beklagten zu entscheiden.

F. In der hierauf angesetzten heutigen Verhandlung hat der _Kläger
persönlich um rechtlichen Schutz im Sinne seiner Klage ersucht, während
der Vertreter des Beklagten die Begehren erneuert hat, auf die Klage
sei wegen Unzuständigkeit des Gerichts nicht einzutreten eventuell sei
sie wegen mangelnder Passivlegitimatiori des Beklagten abzuweisen. ·

Das Bundesgericht zieht in E r w a g u n g :

1. Der Kläger belangt den beklagten Staat (Kanton) auf Ersatz eines ihm
angeblich durch pflichtwidriges Verhalten von Staatsbeamten verursachten
Schadens. Differenzen über solche Schadenersatzansprüche sind von
jeher als zivilrechtliche Streitigkeiten im Sinne des Art. 48
OG aufgefasst worden. Hiezu hat die Auslegung dieser Kompetenznorm
namentlich aus dem Gesichtspunkte des ihr zu Grunde liegenden praktischen
Rechtsschutzbedürfnisses geführt, das gegenüber der heutigen abweichenden
Doktrin entscheidend in Betracht gezogen worden ist (vgl. aus neuerer Zeit
insbesondere das Urteil der II. Abteilung des Bundesgerichts vom 19. Mai
1905 i. S. Rieser gegen Staat Bern, Erw. 1, sowie den entsprechenden
Vorbehalt in AS 40 II N° 16 Erw. 3 S. 86). Auf die vorliegende Klage
ist somit, da

6i4 Obligatlonenrecht. N° 96die übrigen Voraussetzungen des Art. 48
Ziff. 4 OG unzweifelhaft erfüllt sind, einzutreten.

2. Dagegen erscheint in der Sache selbst die Einrede des Beklagten,
dass ihm die Passivlegitimation abgehe, als begründet. Es fehlt
nämlich in der Tat an einem Rechtssatz, aus dem sich die vom Kläger
geltend gemachte unmittelbare Haftbarkeit des aargauischen staates
ergäbe. Auf das eidgenössische Recht kann hiefür von vornherein nicht
abgestellt werden. Denn Art. 59 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
ZGB behält für die Kantone als
öfientlichrechtliche Korporatiouen allgemein das kantonale Recht vor, so
dass insbesondere Art. 55 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 55 - 1 Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
1    Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
2    Sie verpflichten die juristische Person sowohl durch den Abschluss von Rechtsgeschäften als durch ihr sonstiges Verhalten.
3    Für ihr Verschulden sind die handelnden Personen ausserdem persönlich verantwortlich.
ZGB, der die rechtliche Verpflichtung
der juristischen Personen als Körperschaften des Privatrechts durch
das Verhalten ihrer Organe statuiert, für sie nicht gilt (ng. über die
entsprechende, bis zum Inkrafttreten des ZGB massgebende Bestimmung des
Art. 76 aOR: AS 35 II N° 45 s. 366 k.). Nur soweit der Staat als Inhaber
eines gewerblichen Betriebes in Betracht kommt, haftet er gemäss Art. 61
Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 61 - 1 Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
1    Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
2    Für gewerbliche Verrichtungen von öffentlichen Beamten oder Angestellten können jedoch die Bestimmungen dieses Abschnittes durch kantonale Gesetze nicht geändert werden.
OR für die Tätigkeit seiner Beamten unmittelbar im Sinne des
Art. 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
Abs.] OR; doch liegt ein solcher Fall hier nicht vor. Eine die
fragliche Haftbar-keit begründende Norm des kantonalen aargauischen Rechts
aber hat der Kläger, dem gemäss Art. 3 der Bundeszivilprozessordnung
vom 22. November 1850 die Pflicht hiezu obgelegen hätte, nicht namhaft
gemacht. Diese Haftbarkeit ist keineswegs selbstverständlich und in der
aargauischen Rechtsordnung offenbar auch nicht positiv vorgesehen. Denn
wie der Beklagte einwendet, stellt Art. 8 aarg. StsV den durch ein
noch nicht erlassenes Gesetz näher zu umschreibenden Grundsatz der
Verantwortlichkeit der Beamten für ihre Vorrichtungen nicht nur dem
Staate und den Gemeinden, sondern auch den Privaten gegenüber auf,
während Art. 19 Abs. 2 StsV bestimmt, dass ungesetzlich oder unbegründet
Verhafteten durch den Staat eine angemessene Entschädigung und
Genugtuung zu leisten sei. Hieraus darf unbedenklich geschlossen werden,

Ohngatlonenrecht. N° 97. 615

dass das aargauische Recht eine unmittelbare Haftung des Staates
für die amtliche Tätigkeit seiner Organe, abgesehen von der zuletzt
erwähnten ausdrücklichen Son dervorschrift, die hier ausser Frage steht,
nicht kennt, sondern im übrigen nur die unmittelbare Haftbarkeit der
Beamten selbst gewährt. Speziell für die Kanzlei des Obergerichts,
der nach Behauptung des Klägers der Verlust -seiner Akten zur Last
fällt, ist laut Vorschrift in 543 des Gesetzes vom 22. Christmonat
1852 über die Organisation des Obergerichts der Obergerichtsschreiber
in seiner Eigenschaft als Vorsteher der Kanzlei verantwortlich. An ihn
hätte sich daher der Kläger zu wenden, falls er seinen vermeintlichen
Schadenersatzanspruch trotz den Feststellungen der grossrätlichen
Geschäftsprüfungskommission in ihrem oben erwähnten Bericht, wonach
die näheren Umstände des Verschwindens der Akten nicht abgeklärt sind,
insbesondere die Behörde, bei der sie verschwunden sind, sich nicht hat
ermitteln lassen, und ferner namentlich dem Kläger daraus ein Schaden
offenbar nicht erwachsen ist, im bisherigen Sinne weiter verfolgen wollte.

3. ..... (Nachträgliche Bewilligung des Armenrechts.)

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Die Klage wird abgewiesen.

97. Arrét de la. Il?e section civile du 25 noverà'bre 1916 dans la cause
Duma: contre Bouienaz. En l'absence de faute personnelle, l'entrepreneur
général ne

répond pas des accidents sùrvenant aux ouvriers de son sous-traitant.

Le 13 juinî1914 Ducraux était au service de A. Premat auquel
l'entrepreneur Boulenaz, charge de la réparation