622 Prozessrecht. N° 78.

ihres Urteils zugesprochen habe und nicht als Anspruch auf Bezahlung einer
Genugtuungssnmme. Ist aber im letztern Falle der Genugtuungsanspruch
einer vermögensrechtlichen Schätzung zugänglich, so muss er es auch im
erstern sein. Beide Leistungen, die Geldzahlung und die Bekanntmachung des
Urteils, bezwecken, dem Genugtuungsbedürfnisse des Verletzten zu genügen
und sein Recht auf Genugtuung zu erfüllen. Sie können daher bei der
Streitwertberechnung in Hinsicht auf die Frage ihrer vermögensrechtlichen
Abschätzbarkeit nicht grundsätzlich verschieden behandelt und die eine
dem Art. 59 , die andere dem Art. 61 OG unterstellt werden. Wollte man dem
entgegen den Anspruch auf Urteilsveröfient-lichung als einer Wertung in
Geld unzugänglich ansehenso müsste das, wie gerade der vorliegende Prozess
zeigt, hinsichtlich der Ordnung der hundesgerichtlichen Zuständigkeit zu
unhaltbaren Ergebnissen führen : So würde es der kantonale Richter in der
Hand haben, stets dann, wenn sich die Genugtnungssumme unter '2000 Fr. zu
halten hätte, von sich aus die Zuständigkeit des Bundesgerichtes dadurch
zu schaffen, dass er an deren Stelle einen Anspruch auf Veröffentlichung
seines Urteils zuerkennt. Auch kann es nicht die Absicht des Gesetzes
sein, der bundesgerichtlichen Kompetenz jeden, noch so geringfügigen
Anspruch auf Genugtuung zu unterbreiten. Das Bundesgericht hat denn
auch in seiner bisherigen Praxis den Anspruch auf Publikation als
vermögensrechtlich schätzbar erklärt (vergl. BGE 22 S. 746 und 37 II
S. 142 f.).

2. Beurteilt sich demgemäss die Zuständigkeitsfrage hier auf Grund von
Art. 59 OG, so fällt folgendes in Betracht : In der Klage hat der Kläger
den Vermögenswert des Entschädigungsund des Genugtuungsanspruches,
die den Gegenstand seines Rechtsbegehrens bilden, auf zusammen 400
Fr. hezifiert. Damit hat er, was die erforderliche Streitsumme
anlangt, zwar einer:seits die Zuständigkeit der Vorinstanz als
kantonalerPrezessrecht. N° '79. 623

Oberinstanz behauptet, anderseits aber zugleich die bundesgerichtliche
Zuständigkeit ausgeschlossen : Diese würde nämlich nach Art. 59 OG vor
allem voraussetzen, dass der Kläger den Geldeswert der zwei eingeklagten
Ansprüche auf zusammen mindestens 2000 Fr. angegeben hätte.

Hiernach braucht nicht mehr geprüft zu werden, wie es sich
mit der ziifermässigen Bestimmung des streitigen Anspruches auf
Urtéilsveröfientlichung, (der nach dem Gesagten grundsätzlich als
vermögensrechtlich abschätzbar gelten muss) des nähern verhalte-

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Auf. die Berufung wird nicht eingetreten.

79. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Oktober 1915 i. S. J. Bollag,
Beklagter, gegen H. von Lee & Cie, Kläger.

A r t. 5 6 0 G. Urteile des kantonalen Zivilrichters über die
Vollziehbarkeit ausländischer Urteile in Ferderungssachen betreffen
nicht Zivilrechtsstreitigkeiten.

A. Die in Paris domizilierte Klägerin hatte den in Zürich wehnhaften
Beklagten auf Grund von zwei Lieferungsverträgen vor dem Pariser
Handelsgericht auf Bezahlung belangt und zwei Urteile dieses Gerichts
vom 9. Oktober 1907 und "2. Juli 1908 erwirkt, von denen das erste den
Beklagten zur Bezahlung von 12,638 Fr. nebst 705 Fr. 83 Cts. Kostenersatz
an den Kläger verhält, das zweite zur Bezahlung von 9414 Fr. 30 Cts. und
825 Fr. 72 (Its. Kostenersatz. Da der Beklagte die Zahlung verweigerte,
leitete die Klägerin gegen ihn in Zürich Betreibung ein und stellte nach
erhobenem Rechtsverschlage das Rechtsöfinungsbegehren. Dieses wurde
durch Entscheid vom 8. Juli 1910 abge-

AS M Il 1915 4!

624 Prozessrecht. N° 79.

wiesen, mit der Begründung: nach Art. 17 Ziff. 3 des
französiseh-schweizerischen Gerichtsstandsvertrages von 1869 könne
die Vollstreckung verweigert werden, wenn sie Normen des öffentlichen
Rechts oder Interessen der öffentlichen Ordnung des Landes, in dem sie
anbegehrt werde, verletzen würde. Der Beklagte erhebe die Einrede, es
handle sich um die Geltendmachung klagloser Differenzgeschäfte. Diese
Einrede falle unter die genannte staatsvertragliche Bestimmung und
sie erscheine sachlich als glaubhaft, so dass die Ansprecherin ihre
Forderungen auf dem ordentlichen Prozesswege geltend zu machen habe.

Die Gläubigerin hat darauf Klage erhoben mit dem Begehren, den Beklagten
zur Bezahlung der durch die französischen Urteile zugesprochenen
Forderungsund Kostenbeträge nebst Zinsen zu 5 % von ihrer Zusprechnng
an, sowie der Gerichtsund Parteikosten im Rechtsöi'fnungsverfahren
zu verpflichten.

Beide kantonalen Instanzen haben dieses Klagehegehren vollinhaltlich
zugesprochen, das Obergericht durch Entscheid vom 15. Mai 1915. Dieser
Entscheid führt aus, dass die erhobene Spieleinrede zwar unter die
angerufene Bestimmung des Staatsvertrages falle, sich aber inhaltlich
als unbegründet erweise und dass so die Vollstreckung zu gewähren und
sämtliche Ansprüche der Klägerin zu schützen seien.

B. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen mit dem Antrage, die Klage in vollem Umfange abzuweisen unter
Kostenund Entsohädigungsfolge zu Lasten der Gegenpartei.

Das Bundesgericht zieht i n E r W ä g u n g :

Nach Art. 56 OG findet die Berufung an das Bundesgericht nur in
Zivilrechtsstreitigkeiten statt. Mit einer solchen hat man es hier aber
nicht zu tun. Die Vorinstanz hat nicht darüber entschieden, ob dem Kläger

Prozessrecht. N° 79. 825

nach den Bestimmungen des Zivilrechts die beanspruchten Forderungen
zustehen, sondern darüber, ob er für sie durch Zwangsvollstreckung
Bezahlung verlangen könne, nachdem der französische Richter sie
ihm zugesprochen hat. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass
die Vorinstanz das zivilrechtliche Verhältnis zwischen den Parteien
insofern geprüft hat und hat prüfen müssen, als es sich fragt, ob den
Forderungen die Spieleinrede entgegenstehe und ob sie daher unklagbar
seien. Dies ist nur in präjudizieller Weise geschehen, um in Form
eines Motivs festzustellen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Gewährungm'fder Vollstreckung, die einzig Gegenstand des nunmehrigen
Rechtsstreites bildet, gegeben seien, oder ob die Vollstreckung nicht
deshalb verweigert werden müsse, weil eine der Einwendungen zutrelie,
die nach dem französisch-schweizerischen Staatsvertrage über die
Urteilsvollziehung dem Vollstreckungsbegehren entgegengehalten
werden können. Bedeutungslos ist daher auch, dass nicht der
Rechtsöffnungsrichter oder eine Administrativbehörde, sondern der
ordentliche Zivilrichter das angefochtene Urteil gefällt hat: Inhaltlich
bildet dieses keinen Zivilsondern einen vollstreckungsrechtlichen
Entscheid. Ebensowenig lässt sich darauf abstellen, dass weder das
Rechtsbegehren des Klägers noch das angefochtene Urteil auf Erteilung
der Vollstreckung lautet, sondern beide auf Bezahlung der fraglichen
Forderungen. Sachlich sind beide nicht auf gerichtliche Zuerkennung der
Forderungen, sondern auf Bewilligung der Vollstreckung für sie gerichtet,
wie das zweifellos aus der Klageund der Urteilshegründung erhellt,
namentlich daraus, dass beide die französischen Urteile als für die
Frage des Bestandes der Forderungen massgebend zu Grunde legen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Auf die Berufung wird nicht eingetreten.