570 'Obngauenemecnt N° 70.

es sich jenem gegenüber um Beziehungen gehandelt habe, in welche der
Staat etwa im privatrechtlichen Rechtsverkehr (als-' Fiskus) zu den
einzelnen Bürgern treten kann, und hinsichtlich welcher er sich, gleich
dem Bürger, der allgemeinen Privatrechtsordnung nnterzieht (vergl.
n. a. F'LEINER, Instit. des deutschen Verwaltungs-rechts s. 265 f.;
v. TUHR, Der allg. Teil des deutschen BGB

s 624 k.).

Die vorliegende Klage wird nun nicht auf Massnahmen .

von Organen des Staates und der Gemeinde gegründet, die arf einem
Gebiete liegen, in welchem Staat und Gemeinde dem einzelnen
Bürger als coordinier't erscheinen, und daher der Herrschaft
des Privatrechts unterworfen sind, sondern die betreffenden
Handlungen bewegen sich ausschliesslich innerhalb der Entfaltung des
staatlichen Hoheitsrechts. Die Frage, ob und in welchem Masse die
öffentlich-rechtliche Person durch dieselben dem Betroffenen gegenüber
verantwortlich werde, bleibt somit kraft Art. 59
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
ZGB dem öffentlichen,
und zwar hier dem kantonalen Recht vorbehalten, weshalb das Bundesgericht
in der Sache nicht kompetent ist.

Demnach hat das Bundesgericht e r k a n nt :

Auf die Berufung wird nieht eingetreten.

Obligationenrecht. N°. 71. 571

71. Urteil der I. Zivilabteilung vom I. Oktober 1915 ... , i. S. Wydler,
Kläger, gegen die Sparund Leihkasse Bern, Beklagte.

Die B an k, die für einen Privaten Wert p ap ier e kauf t , handelt
in der Regel als Kommission ärin. Der Irrtum ii b er de 11 We rt der
(an der Börse gekauften) Pa-

si 'piere ist auch im Falle völliger Wertlosigkeit k e i n w e --

· s e n t li c h e r. Anfechtung eines solchen Vertrages wegen ab
sichtlich er Täu s chung, begangen durch den Direktor der Verkäuferin als
deren Organ. Erfordernisse der Verleitung zum Vertragsabschlusse und der
absichtlichen Täuschung. Entspricht die erfolgte Irrtumserregung nicht
den Voraussetzungen des Art. 28 0 R , so ist das Geschäft auch nicht in
Hinsicht auf Art. 2 0 O R und Art. 2 Z GB ungültig. Ist der Kauf von
N a m e n a k ti e n durch die Zulassung ihrer Uebertragung im Aktien
regis t e r bedingt '?

1. Am 6. Mai 1914 beauftragte der Kläger Wydler die
Schweizerische Volksbank in Bern, ihm 13 (Namen-) Aktien der Berner
Rückversichemngsgesellschaft zu kaufen. Die Volksbank entledigte sich
dieses Auftrages, indem sie am 7. Mai durch ihren Direktor Cattani
an der Berner Börse von der Beklagten, der Sparund Leihkase Bern,
die daselbst durch ihren Direktor, Albert Lang, vertreten war, die
Aktion zum Preise von 7475 Fr. (9 % über pari) erwarb. Direktor Lang war
zugleich Verwaltungsrat der Rückversi'cherungegesellschaft. Diese wollte
anfänglich die Eintragung der mit 20 % liberierten Titel auf den Namen
des Klägers von der Hinterlegung einer weitem Zahlungsquote von 20 %
abhängig machen; als dann aber der Kläger dies als unzulässig bestritt
und Aufhebung des Kaufes unter Rückerstattung des bezahlten Preises
verlangte, liess die Gesellschaft die gestellte Bedingung fallen, wovon
der Kläger am 18. Juni von der Volksbank Kenntnis erhielt. Am 16.Juni
hatte inzwischen der Verwaltungsrat der Rückversicherungsgesellschait
den Aktionären durch Zirkular mit-

572 Obligationenrecht. N° 71.

geteilt, dass die Rechnung des Jahres 1913 einen erheblichen
zahlenmässigen Verlust erzeige, hauptsächlich weil der frühere (im
November 1913 verstorbene) Direktor, Eggenberger, ohne Wissen der andern
Gesell- schaftsorgane die versicherungstechnischen Reserven niedriger
als behördlich vergesehrieben dotiert habe. In der Folge wurde bekannt,
dass die in diesem Zirkular angedeutete Misswirtschaft Eggenbergers zum
Verlust des ganzen einbezahlten Aktienkapitals geführt hatte und dass
sie bis in die ersten Geschäftsjahre der Gesellschaft zurückreicht,
weshalb die in den Jahresberichten für 1910/12 ausgewiesenen Gewinne
tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfange verdient waren.

Auf das Zirkular vom 16. Juni hin, mit Brief vom 19. d. M., erklärte
der'Kläger der Beklagten, dass er den Kauf nicht halten werde; der
Direktor der Beklagten habe genau wissen müssen, dass die Bilanz der
Rückversicherungsgesellschft pro 1912 den Verhältnissen absolut nicht
entspreche. Im vorliegenden Prozesse hat er demgeruäss das Begehren
gestellt. es sei die Beklagte zur Rückerstattung des bezahlten Preises
von 7475 Fr. sowie zur Ersetzung eines Courtageund Auslagenbetrages von 28
Fr. 50 Cts. zu verhalten, beides nebst Zins zu 4% seit dem 7. Mai 1914 und
_zu 5 % seit der Vorladung zum Aussöhnungsversuche. Er behauptet zunächst
unter Berufung auf jenes Verlangen der Rückversicherungsgesellschaft zur
Hinterlegung einer weitem Liberationsquote, ein Vertrag sei überhaupt
nicht zustande gekommen. Eventuell ficht er den Vertrag auf Grund des
Art. 24
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1    Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1  wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
2  wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
3  wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
4  wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2    Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3    Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
OR wegen wesentlichen Irrtums, des Art. 28
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
OR wegen absichtlicher
Täuschung, des Art. 21
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 21 - 1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
1    Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2    Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.
OR wegen Uebervorteilung und des Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR,
weil gegen die guten Sitten verstossend, an. Schliesslich will er die
Klageforderung auf Grund des Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB zugesprochen wissen.

Die Vorinstanz hat die Klage als unbegründet
abgewiesen. ssObligationeurecht. N° 71 573

2. Die Beklagte bestreitet in erster Linie die Aktivlegitimation des
Klägers mit der Behauptung, nicht der Kläger, sondern die Schweizerische
Volksbank sei ihr Gegenkontrahent beim Kauf vom 7. Mai 1914 gewesen. In
dieser Beziehung ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die
Schweizerische Volkskank das Geschäft nicht als Stellvertreterin
sondern als Kommissionärin für Rechnung des Klägers abgeschlossen
hat. Der berufsmässige Ankauf und Verkauf von Wertpapieren durch die
Banken als Beauftragte Dritter voll-_ zieht sich. ordentlicher Weise
nach den Regeln des Kommissionsvertrages und es schliesst alsdann die
Bank das Geschäft in eigenem Namen ab. Um statt dessen ein gewöhnliches
Stellvertretungsverhältnis als von den Parteien gewollt anzunehmen,
bedürfte es besonderer Anhaltspunkte, woran es im gegebenen Falle fehlt
(vgl. Osnn, Kommentar zum OR S. 764; STAUB, Kommentar zum deutschen HGB
9. Aufl. II S. 1055). 'Wenn nun aber auch die Volksbank gegenüber der
Beklagten als Käuferin aufgetreten ist, so schliesst das die Legitimation
des Klägers nicht aus, den Kauf im Sinne der Klagebegründung zu bemängeln,
den Preis zurückzufordern und damit zusammenhängende Ersatzansprüche
geltend zu machen. Denn mit der Abtretung des Geschäftes an den Kläger
als Kommittenten sind von selbst auch alle Rechte, die der Volksbank
aus dem Geschäfte gegenüber der Beklagten erwuchsen, besonders auch das
Recht zur Anfechtung wegen Willensmängeln, auf den Kläger übergegangen
(Art. 425
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 425 - 1 Einkaufs- oder Verkaufskommissionär ist, wer gegen eine Kommissionsgebühr (Provision) in eigenem Namen für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) den Einkauf oder Verkauf von beweglichen Sachen oder Wertpapieren zu besorgen übernimmt.
1    Einkaufs- oder Verkaufskommissionär ist, wer gegen eine Kommissionsgebühr (Provision) in eigenem Namen für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) den Einkauf oder Verkauf von beweglichen Sachen oder Wertpapieren zu besorgen übernimmt.
2    Für das Kommissionsverhältnis kommen die Vorschriften über den Auftrag zur Anwendung, soweit nicht die Bestimmungen dieses Titels etwas anderes enthalten.
in Verbindung mit Art. 401
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 401 - 1 Hat der Beauftragte für Rechnung des Auftraggebers in eigenem Namen Forderungsrechte gegen Dritte erworben, so gehen sie auf den Auftraggeber über, sobald dieser seinerseits allen Verbindlichkeiten aus dem Auftragsverhältnisse nachgekommen ist.
1    Hat der Beauftragte für Rechnung des Auftraggebers in eigenem Namen Forderungsrechte gegen Dritte erworben, so gehen sie auf den Auftraggeber über, sobald dieser seinerseits allen Verbindlichkeiten aus dem Auftragsverhältnisse nachgekommen ist.
2    Dieses gilt auch gegenüber der Masse, wenn der Beauftragte in Konkurs gefallen ist.
3    Ebenso kann der Auftraggeber im Konkurse des Beauftragten, unter Vorbehalt der Retentionsrechte desselben, die beweglichen Sachen herausverlangen, die dieser in eigenem Namen, aber für Rechnung des Auftraggebers zu Eigentum erworben hat.
OR; FICK, Kommentar Art. 425 N°
141; DÜRINGER-HACHENBURG, Kommentar zum HGB Bd. III S. 612).

3. Abzuweisen ist die Klageforderung zum vornherein, soweit sie als
Anspruch aus 11 n g e r e c h tfertigter Bereicherun g begründet wird. Der
Kläger macht hier geltend, es sei wegen der anfänglichen Weigerung der
Rückversicherungsgesellschaft, die Aktien ohne vorherige Hinterlegung
einer weitem Liberations-

574 Obligationenrecht. N° ? 1.

quote auf seinen Namen zu übertragen, entweder überhaupt kein Vertrag
zustande gekommen, oder dann doch, wie besonders heute ausgeführt wurde,
nur ein bedingter Vertrag, dessen Bedingung, die Uebertragung der Aktien,
durch jene Weigerung der Rückversicherungsgesellschaft ausgefallen sei. In
Wirklichkeit ist aber der streitige Kauf mit der Einigung über Preis
und Ware perfekt geworden, An die Bedingung, dass die Aktiengesellschaft
die Uebertragung der Aktien auf den Käufer vorbehaltlos gestatte, haben
die Vertragsparteien sein Zustandekommen nicht geknüpft. Wenn hienaeh
die Aktiengesellschaft eine Uebertragung in diesem Sinne ablehnte, so
konnte das im Verhältnis zwischen den Kaufparteien nur allenfalls die
Bedeutung einer (teilweisen) Unmöglichkeit der Erfüllung des Kaufvertrages
(Art. 119
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 119 - 1 Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
1    Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
2    Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hienach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung.
3    Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht.
OR) oder eines Mangels der Kaufsache haben. Diese allfälligen
Einwendungen gegen das Kaufgeschäft sind aber durch die nachträgliche
Zustimmung der Aktiengesellschaft zur vorbehaltlosen Uebertragung
gegenstandslos geworden.

4. Was die Anfechtung des Kaufes wegen Wi lI e n s m ä n g e l n anlang't,
so kommt es, wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, darauf an, ob und in
welchem Umfange solche Mängel bei der Schweizerischen Volksbank, als der
den Vertrag abschliessenden Komm i s s i o n a rin, vorhanden gewesen
seien, während ihr Vorhandensein in der Person des Klägers als des am
Vertragsabschlusse unbeteiligteii Kommittenten für die Anfechtbarkeit
nicht hinreichen würde. Auch die Klage.begründung stellt denn nicht
lediglich darauf ab, dass sich der Kläger selbst, sondern auch darauf,
dass sich die Volksbank über den Wert der gekauften Aktien geirrt
habe. Die letztere Behauptung hat sich in tatsächlicher Hinsicht als
richtig herausgestellt : Nach der für das Bundesgericht massgebenden
Beweiswürdignng der Vorinstanz hat nämlich Direktor Cattani, der als Organ
der Volksbank das Geschäft abschloss, vor dem Zirkular vom 16. Juni 1914
die schlechte Lage der Riickver-Obligationenrecht. N° 71. 575

sicherungsgesellschaft nicht gekannt, wie denn auch in der ersten Hälfte
des Mai 1914 der Stand der Gesellschaft noch als ausgezeichnet galt und
demgemäss der Kurs ihrer Aktien sich auf der bisherigen Höhe hielt.

5. Die Anfechtbarkeit aus Art. 24
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1    Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1  wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
2  wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
3  wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
4  wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2    Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3    Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
OR ist deshalb zu verneinen, weil
der Irrtum Direktor Cattanis über den Wert der Aktien keinen w e s e n
tl i c h e n I r r tu m im gesetzlichen Sinne bildet. Es braucht hier
nicht näher erörtert zu werden, ob und in welchen besondern Fällen
das revOR den Irrtum über den Wert der verabredeten Leistung als
wesentlich angesehen wissen will, nachdem die Bestimmung in Art. 21
aOR, die ihn schlechthin als Irrtum im Beweggrund erklärte, gestrichen
werden ist. Hier handelt es sich im besondern um den Ankauf kursfähiger
Wertpapiere auf der Börse. Bei solchen Geschäften aber muss der Erwerber
mit der Möglichkeit rechnen, dass dem Papier der Wert, der ihm vorher im
allgemeinen auf Grund bekannter Unterlagen (veröffentlichter Bilanzen und
Geschäftsbe-richte usw.) beigelegt wurde, in Wirklichkeit aus gewissen,
nicht in die Oeffentlichkeit gedrungenen Gründen abgeht oder dass es sogar
ganz wertlos ist. Daher hat man hier ohne gegenteilige Abrede als Wille
der Parteien anzunehmen, dass der Käufer das Papier insoweit auf seine
Gefahr hin erwirbt. Bei dieser Sachlage kann aber sein Irrtum nicht als
ein wesentlicher gelten. Und namentlich betrifft hier die irrtümliche
Annahme eines bestimmten Wertes des Papiers keine notwendige Grundlage
des Vertrages im Sinne der Ziffer 4 des Art. 24.

6. für die Anfechtung nach Art. 28 O R genügt laut diesem Artikel der
blosse Irrtum im Beweggrund und in einem solchen hat sich nach dem
Gesagten der Direktor der Volksbank, Cattani, beim Vertragsabschluss
befunden. Es fragt sich indessen noch, ob die Beklagte durch ihren
Direktor Lang diesen Irrtum in Cattani erregt, ob sie also Cattani durch

AS il _ 1915 38

576 Obligatlunenrecht. N° ?!.

absichtliche. Täuschung zum Vertragsabschlusse verleitet habe.

Damit dem so sei, muss vor allem Lang sich selbst in keinem Irrtum über
den Wert der von ihm verkauften Papiere befunden haben, also über den
wirklichen Sachverhalt so aufgeklärt gewesen sein, um durch Täu-schung
hei der Gegenpartei einen sie zum Vertragsabschluss bewegenden Irrtum
hervorrufen zu können; Wie es sich nun mit dem Wissen Langs um die
Wertlosigkeit der Aktien verhalten habe, ist zunächst eine Tatfrage.
Die Vorinstanz hat diese auf Grund eines grössern Beweismaterials
gelöst, namentlich zweier Reiseberichte des Direktors Zeerleder,
der als Nachfolger Eggenbergers dessen schlechte Geschäftsführung und
die dadurch verursachte schlimme Lage der Gesellschaft nach und nach
auz'deckte , der Zeugenaussagen des Direktors und zweier Verwaltungsräte,
der Verwaltungsratsprotokolle usw. Gestützt auf eine eingehende Würdigung
dieses Materials kommt die Vorinstanz zu fol-gendem für das Bundesgericht
massgebenden Ergebnisse : Die Mitglieder des Verwaltungsrates also auch
Lang hätten infolge der Enthüllungen und Aufklärungen, wie sie ihnen
bis zum Zeitpunkte des slreitigen Kaufsabschlusses zu Teil wurden,
nicht im Zweifel darüber sein können, dass die Verhältnisse der
Gesellschaft sich verschlechtert hätten und dass für das Jahr 1913 mit
einem Verluste gerechnet werden müsse. Dagegen fehle es an genügenden
Anhaltspunkten dafür, dass sie damals schon die prekäre Lage in ihrer
ganzen Wirklichkeit erkannt hätten. Dass der Verlust derart gross sei, wie
sich nach dem (spätern) Abschluss der Bilanzarbeiten herausgestellt habe,
sei ihnen laut den Zeugenaussagen ganz uneru artet gekommen. Angesichts
der vermeintlichen günstigen Entwicklung des Unternehmens, die gerade
damals durch die vorgelegte Statistik pro 1913 wiederum bestätigt worden
sei, habe Lang in seinem Vertrauen in das Gedeihen und die Zukunft des
Geschäfts nicht er--Gäiigationeurenht. N° TL 577

schüttert zu sein gebraucht und er habe die Verschlechterung der Situation
nach erfolgter Einsetzung einer züverlässigen Geschäftsleitung für eine
durchaus vorübergehende ansehen können.

Wenn nun auch demzufolge Lang die verkauften Aktien nicht als wertlos
halten, sondern lediglich annehmen musste, ihr innerer Wert stehe,
wenigstens zur Zeit, erheblich unter dem auf Grund der ordentlichen
Börsenkurse geforderten Preise, so ist doch die Verschweigung dessen
an sich geeignet gewesen, um Direktor Cattani zum Vertragsabschlusse
zu v e rl ei te n . Denn als Kommissionär hatte Cattani die Interessen
des Klägers gewissenhaft zu wahren (Art. 398
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 398 - 1 Der Beauftragte haftet im Allgemeinen für die gleiche Sorgfalt wie der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis.253
1    Der Beauftragte haftet im Allgemeinen für die gleiche Sorgfalt wie der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis.253
2    Er haftet dem Auftraggeber für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäftes.
3    Er hat das Geschäft persönlich zu besorgen, ausgenommen, wenn er zur Übertragung an einen Dritten ermächtigt oder durch die Umstände genötigt ist, oder wenn eine Vertretung übungsgemäss als zulässig betrachtet wird.
und 425
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 425 - 1 Einkaufs- oder Verkaufskommissionär ist, wer gegen eine Kommissionsgebühr (Provision) in eigenem Namen für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) den Einkauf oder Verkauf von beweglichen Sachen oder Wertpapieren zu besorgen übernimmt.
1    Einkaufs- oder Verkaufskommissionär ist, wer gegen eine Kommissionsgebühr (Provision) in eigenem Namen für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) den Einkauf oder Verkauf von beweglichen Sachen oder Wertpapieren zu besorgen übernimmt.
2    Für das Kommissionsverhältnis kommen die Vorschriften über den Auftrag zur Anwendung, soweit nicht die Bestimmungen dieses Titels etwas anderes enthalten.
OR) und er hätte
es nicht als in seinem Auftrage liegend ansehen dürfen, die Titel auch
dann zu kaufen, wenn er, in gleichem Masse wie Lang über die Sachlage
aufgeklärt, gewusst hätte, dass der angebotene Preis auf solche für ihre
Wertung ungünstige Momente keine Rücksicht nehme. Ebenso muss mangels
gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass sich auch der
Kläger unter solchen Umständen nicht zu ihrem Erwerbe entschlossen hätte.

Ob sodann eine absichtliche Täuschung im

gesetzlichen Sinne darin liege, dass Lang sich über die

derzeitige ungünstige Lage der Ruekversieherungsgesellschaft, soweit sie
ihm bekannt war, ausschwieg, hängt davon ab, ob unter den obwaltenden
Umständen nach Treu und Glauben im Verkehr für ihn eine Rechtspflicht zur
Aufklärung des Vertragsgegners bestand. In dieser Beziehung verweist die
Vorinstanz zulreffend zunächst darauf, dass Lang sich in Hinsicht auf die
Bildung der vertraglichen Willensentschliessung des Käufers rein passiv
verhalten, den Käufer nicht gesucht, sondern einfach sein Kaufsangehot
entgegengenommen hat. Zu Unrecht ist heute diese Würdigung als aktenwidrig
hemängelt werden, mit der Behauptung, nach den Zeugenaussagen Cattanis
und Langs habe dieser die Titel zum

578 Obligationenrecht. N° 71.

Verkauf ausgebot'en und erst daraufhin Cattani Seine Kaufsofferte
gemacht. Die Akten tun solches nicht der. Jedenfalls aber
enthält ein blosses 'Kaufausgebot an der Börse, ohne irgend welche
Empfehlung zu kaufen, noch keine für die Bildung der vertraglichen
Willens-entschliessung des Käufers erhebliche Beeinflussung. Im weitem
spricht gegen eine Anfechtbarkeit der Umstand, dass Lang seinen Käufer
nicht über die völlige Wertlosigkeit der Aktien hätte aufklären,
sondern ihm nur erhebliche Bedenken gegen deren derzeitigen inneren
Wert, wie ihn der Käufer voraussetzte, hätte unterbreiten können, und
auch dies nur mit der Beschränkung, dass sein Zutrauen in das Gedeihen
und die Zukunft des Unternehmens nicht erschüttert sei. Eine solche
Auskunft aber darf vernünftigerweise der Käufer nicht erwarten. Eine
Rechtspflicht zur Mitteilung kann in Fällen wie dem vorliegendem umso
weniger bestehen, als man es mit Verkäufen von Wertpapieren an der Börse
zu tun hat, welche Verkäufe sich für das nämliche Papier innerhalb eines
grösser-n Personenkreises regelmässig wiederholen, und zwar gewöhnlich
kommissionsweise, zwischen Parteien, die einander persönlich nicht nahe
treten. Hier den Verkäufer zur Klarlegung der Sachlage zu verhalten, würde
den börsenmässigen Umsatz der Papiere in einer mit dem gerechtfertigten
Bedürfnisse des Verkehrs unverträglicher Weise hemmen. Endlich ist auch
zu berücksichtigen, dass Direktor Lang der Rückversicherungsgesellschaft
gegenüber als Verwaltungsrat verpflichtet war, über deren geschäftliche
Lage, namentlich unter den eingetretenen schwierigen Verhältnissen,
Verschwiegenheit zu beobachten, wobei er wohl freilich . einer Kollision
mit: seiner Auskunitspflicht als Verkäufer durch die Unterlassung,
als solcher aufzutreten, hätte entgehen können.

7. Mit dem Gesagten erledigt sich von selbst auch die Berufung des Klägers
auf den A rt. 2 Z GB. Hat Direktor Lang durch seine Verschweigung keine
ab-Obligaflonenrecht. No 71. 579

sichtliche Täuschung im Sinne des Art. 28
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
OR begangen, also das Gebot
zur Aufrichtigkeit soweit es Rechtsund nicht lediglich sittliches Gebot
ist, in Ansehung des Art. 28
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 28 - 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
1    Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
2    Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
nicht übertreten, so genügt sein Verhalten
auch den Anforderungen an das Handeln nach Treu und Glauben im Sinne
des Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB. Denn wenn die Irrtumserregung nicht hinreicht, um den
Vertrag nach Art. 28
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
OR anzufechten, so kann sie auch nicht dazu führen,
ihm die Gültigkeit auf Grund einer andern Gesetzesbestimmung zu nehmen,
die als solche dem Billigkeitsgeiühl oder dem sittlichen Empfinden
zum Durchbruch verhelfen will. Darnach beruft sich der Kläger auch mit
Unrecht auf den Art. 2 0 0 R. Der A r t. 2 1 0 R sodann trifft deshalb
nicht zu, weil Direktor Cattani als Käufer zweifellos in keiner Notlage
oder aus Unerfahrenheit oder Leichtsinn gehandelt hat und weil
im besondern unter Unerfahrenheit nicht ein Mangel an Kenntnis der
für die wirtschaftliche Würdigung des Vertrages in Betracht kommenden
konkreten Verhältnisse, vielmehr die Unfähigkeit zur Beurteilung solcher
Verhältnisse im allgemeinen zu verstehen ist..

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil des
Handelsgerichts des Kantons Bern in allen Teilen bestätigt.