296 Prozessrecht. N° 36.

VI. PROZESSRECHTPROCEDURE

36. Urteil der II. Zivila'bteilung vom 10. Februar 1915 i. S. Erb
gegen Bern.

Begriff der Zivilsachen im Sinne des Ingresses des Art. 87 OG: nur
Angelegenheiten der streitigen Gerichtsbarkeit.

A. Der Vater der Beschwerdeführerin, Gottfried Häherli, ist
bevormundet. Die zuständige Vormundschaftsbehörde Münchenbuchsee beschloss
im April 1913, den drei Kindern des Mündeis einen unverzinslichen
Vorempfang von je 10,000 Fr. aus dem Vermögen des Mündels zu
gewähren. Gegen diesen Beschluss der Vormundschaftsbehörde beschwerte
sich die Rekurrentin bei der erstinstanzlichen Aufsichtsbehörde, dem
Regierungsstatthalter in Fraubrunnen, mit dem Begehren, den Beschluss
insoweit aufzuheben, als er auch ihren B rüdern Alfred und Erwin Häherli
einen solchen Vorempfang gewähre, dagegen ihr selh st den Vorempfang zu
belassen. Die erstinstanzliche. Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde
gut. Gegen diesen, ihr am 28. Juni 1914 eröffneten Entscheid erklärte die
Vormundschaftsbehörde am 10. Juli 1914 den Rekurs an die zweitinstanzliche
Aufsichtsbehörde, den Regierungsrat, mit dem Begehren, den Entscheid der
erstinstanzlichen Aufsichtsbehörde aufzuheben und auf die Beschwerde nicht
einzutreten, eventuell sie ahzuweisen. Demgegenüber machte die heutige
Beschwerdeführerin geltend, die Beschwerde der Vormundschaftsbehörde an
die zweitinstanzliche Aufsichtsbehörde sei verspätet, weil nicht innert
der 10tägigen Frist des Art. 420 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 420 - Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner der betroffenen Person als Beistand oder Beiständin eingesetzt, so kann die Erwachsenenschutzbehörde sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.
ZGB eingereicht. Der

Prozessrecht. N° 36. 297

Regierungsrat wies jedoch mit Entscheid vom 24. Dezember 1914 die
Verspätungseinrede ab und sprach den Rekurs zu, d. h. wies die Beschwerde
gegen die Vormundschaftsbehörde ab. In seinen Erwägungen erklärt der
Regierungsrat die 14tägige Frist des kantonalen Verwaltungsrechts
als anwendbar und betrachtet die Frist des Art. 420
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 420 - Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner der betroffenen Person als Beistand oder Beiständin eingesetzt, so kann die Erwachsenenschutzbehörde sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.
ZGB nur als
Minimalfrist, die vom kantonalen Recht erweitert werden könne und
ausserdem nur anwendbar sei für die Beschwerde an die erstinstanzliche
Aufsichtsbehörde, nicht aber für die Weiterziehung von dieser an die
mfeitinstanzliche Aufsichtsbehörde.

B. Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates richtet sich die
vorliegende zivilrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen
Entscheid aufzuheben und denjenigen des Regierungsstatthalters als
güitig zu erklären, eventuell den Entscheid des Regierungsrates zur
Abänderung zurückzuweisen. Die Beschwerde stützt sich ausschliesslich
auf Art. 87 Ziif. 1 OG, mit der Begründung, dass für die Berechnung
der Frist zur Weiterziehung eines Entscheides der erstinstanzlichen
Vormundschaftsbehörde an die zweitinstanzliche nicht das kantonale
Recht. sondern allein Art. 420 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 420 - Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner der betroffenen Person als Beistand oder Beiständin eingesetzt, so kann die Erwachsenenschutzbehörde sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.
ZGB massgebend sei.

Das Bundesgericht zieht i H E r w ä g u n g :

Gleichwie es sich bei den Beschlüssen der Vormundschaftsbehörde, gegen die
nach Art. 420
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 420 - Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner der betroffenen Person als Beistand oder Beiständin eingesetzt, so kann die Erwachsenenschutzbehörde sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.
ZGB bei der Aufsichtsbehörde Beschwerde geführt werden kann,
nicht um Akte der streitigen Gerichtsbarkeit, sondern um Verwaltungsakte
handelt, so gehört auch die gegen diese Beschlüsse gerichtete Beschwerde
nicht in das Gebiet der streitigen Gerichtsbarkeit, sondern in dasjenige
des Administratiirveriahrens (vgl. EGGER, Anm. 1 zu Art. 420
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 420 - Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner der betroffenen Person als Beistand oder Beiständin eingesetzt, so kann die Erwachsenenschutzbehörde sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.
). Nun gibt
Art. 87 OG im Gegensatz zu Art. 86 das Rechtsmittel der zivilrechtlichen
Beschwerde ausdrücklich nur gegen Entscheide in Zivilsache n .

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Unter Zivilsachen sind aber hier nur zivilrechtliche Streitigkeiten,
d. h. Angelegenheiten der streiti g e n Gerichtsbarkeit verstanden. Es
konnte nicht die Absicht des Gesetzgebers sein, die vielen im ZGB
vorgesehenen Administrativentscheide, gegen die z. T. besondere
Rechtsmittel an besondere Behörden gegeben sind (so z. B. in
Grundbuchsachen), auch der Zivilbeschwerde zu unterstehen, sobald
behauptet wird, dass kantonales statt eidgenössischen Rechts angewendet
worden sei.Das in Art. 87 Zif'f. l revid. OG gegebene Rechtsmittel ist
(vergl. Gutachtl. Bericht des Bundesgerichts an den Bundesrat über den
Burckhardt'schen Entwurf einer Novelle zum OG, vom 20. Dezember 1910,
S. 17) nichts anderes als die Kassationsbeschwerde des frühem Art. 89
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 420 - Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner der betroffenen Person als Beistand oder Beiständin eingesetzt, so kann die Erwachsenenschutzbehörde sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.
,
mit der einzigen wesentlichen Modifikation, dass die zivilrechtliche
Beschwerde des revidierten OG nicht mehr nur gegen. Urteile ,
sondern auch gegen andere Entscheide in Zivilsachen zulässig ist,
also insbesondere nicht das Vorliegen eines Haupturteils vor-aussetzt In
Bezug auf das Erfordernis der Zivilstreitigkeit (vergl. darüber, was die
frühere Kassationsbeschwerde betrifft, BGE 211 II S. 934 f.) ist keine
Aenderung eingetreten. '

Die zivilrechtliche Beschwerde ist somit im vorliegenden Falle, weil nicht
gegen einen Entscheid in einer Zivilstreitigkeit gerichtet, unzulässig.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

Prozessreeht. N° 37. 299

37. Urteil der staatsrechtlichen Abteilung vom 5. März 1915 .
i. S. Aktiengesellschaft Kraftwerk Laufenburg, Klägerin, gegen Staat
Aargau, Beklagten.

Klage eines Wasserwerkinhabers gegen den Staat auf Bestellung des
durch die Konzession für Konflikte über die dem Unternehmer in
wirtschaftlicher Beziehung obliegenden Verpflichtungen vorgesehenen
Schiedsgerichts. Zivilrechtliche Natur der Klage im Sinne von Art. 48
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 420 - Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin oder der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin oder der faktische Lebenspartner der betroffenen Person als Beistand oder Beiständin eingesetzt, so kann die Erwachsenenschutzbehörde sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.

OG. Auslegung der Schiedsklausel hinsichtlich der Frage, ob darunter auch
Streitigkeiten über den vom Unternehmer an den Staat zu entrichtenden
Wasser-ins fallen. Rechtliche Natur des letzteren. Unzulässigkeit,
vertraglicher Vereinbarungen über öffentliche Abgaben, soweit sie nicht
vom Gesetze beson--

ders vorgesehen sind.

A. _ Die Klägerin, Aktiengesellschaft Kraftwerk Laufenburg, ist
Rechtsnachfolgerin derjenigen Gesellschaften, denen am 30. Juli 1906
vom Grossherzogtum Baden und vom Kanton Aargau die grundsätzliche
Konzession zur Errichtung und zum Betriebe einer Wasserwerkanlage im
Rhein bei Laufenburg erteilt worden ist. Die Erteilung der Konzession
durch den Kanton Aargau geschah unter einer Reihe von Bedingungen, die
in der Konzessionsurkunde in drei Abschnitten unter den Uebers-ehrliten :
Gegenstand der Unternehmung und polizeiliche Bedingungen , Administrative
und wirtschaftliche Bedingungen und Schlussbestimmungen aufgeführt
sind. Der von den administrativen und wirtschaftlichen Bedingungen
handelnde Abschnitt II, umfassend die §§ 21 bis 25, bestimmt in §21
zunächst den Teil der nutzbar gemachten ständigen und nicht ständigen
Wasserkräfte, der für Anlagen auf schweizerischem Staatsgebiete verwendet
werden muss, und sieht im Anschluss daran vor, dass die Unternehmung über
die Art der Verwendung der Wasserkräfte, die hienach auf schweizerischem
und badischem Staats-