68 Staatsreeht.

V. VERBOT DER DOPPELBES'LEUERUNGINTERDICTION DE LA DOUBLE IMPOSITION

10. Urteil vom 12. Februar 1915 i. S. Kuhn-Kelly gegen Glarus und
St. Gallen.

Zur Beschwerde wegen Doppelbesteuerung genügt es, dass die Besteuerung in
die Steuerhoheit eines anderen Kantons ' eingreift: die tatsächliche
Ausübung des Besteuerungsrechts durch den letzteren ist nicht
erforderlich. Die Besteuerung des Kommanditärs am Gesellschaftssitze hat
zur Voraussetzung, dass die Kommanditsumme Wirklich eingelegt werden
ist. Die blosse aus dem Handelsregistereintrag folgende Verpflichtung
zur Einlage reicht nicht aus.

A. Der Rekurrent Jakob Kuhn-Kelly in St. Gallen, der seit dem 26. November
1906 als Kommanditär der Firma Fritz Durst & Cie, Eisenwarenhandlung
in Glarus, mit einer Kommanditsumme von 20,000 Fr. im glarnerischen
Handelsregister fignriert, wurde durch Beschluss der Obersteuerbehörde des
Kantons Glarus vom 16. Oktober 1914 für diese Summe in das Steuerregister
von Glarus aufgetragen . Einen hiegegen gerichteten Rekurs Kuhn-Kellys,
mit dem er geltend machte, dass er bis heute keinerlei Einlage in die
Gesellschaft gemacht, sondern sich lediglich für einen dieser von der
Glarner Kantonalbank vzu gewährenden Kredit von 20,000 Fr. verhürgt habe
und nur pro forma Kommanditär sei, hat der glarnerische Regierungsrat
am 26. November 1914 unter Berufung auf den Handelsregistereintrag,
der auch für die Frage der Besteuerung massgehend sein müsse, abgeWiesen.

B. Durch Eingabe vom 31. Dezember 1914 hat darauf Kuhn-Kelly den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage,
es sei die Steuerverfügung der Glarner Behörden wegen Verletzung
des Verbots denDoppelbestenerung aufznheben. Die StellungVerbot der
Doppelbesteuerung N° 10. 69

als Kommanditär in einer Gesellschaft, so führt er aus, involviere an
sich noch keine Steuerpflicht : eine solche könne vielmehr erst dann in
Frage kommen, wenn die Kommanditeinlage faktisch geleistet sei. Solange
dies, wie hier, nicht zutreiie, stehe das Recht zur Vermögensbesteuerung
ausschliesslich dem Wohnsitzkanton des Kommanditärs zu und bedeute dessen
Heranziehung zur Steuer am Sitze der Gesellschaft daher eine unzulässige
Doppelbesteuerung -

C. Der Regierungsrat von Glarus hat auf Abweisung des Rekurses eingetragen
und geltend gemacht : gemäss Art. 590
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 590 - 1 Die Bücher und Papiere der aufgelösten Gesellschaft werden während zehn Jahren nach der Löschung der Firma im Handelsregister an einem von den Gesellschaftern oder, wenn sie sich nicht einigen, vom Handelsregisteramt zu bezeichnenden Ort aufbewahrt.
1    Die Bücher und Papiere der aufgelösten Gesellschaft werden während zehn Jahren nach der Löschung der Firma im Handelsregister an einem von den Gesellschaftern oder, wenn sie sich nicht einigen, vom Handelsregisteramt zu bezeichnenden Ort aufbewahrt.
2    Die Gesellschafter und ihre Erben behalten das Recht, in die Bücher und Papiere Einsicht zu nehmen.
und 602
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 602 - Die Gesellschaft kann unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden.
OR hatte der Kommanditär
Dritten gegenüber mit dem Betrage, mit dem er im Handelsregister
eingetragen sei. In welcher Form die Kommanditbeteiligung erfolge, sei für
die Frage der Steuerpflicht unerheblich : relevant sei in dieser Hinsicht
einzig die Tatsache der Eintragung der Kommandite im Handelsregister. Wenn
der Kommanditär es vorziehe, statt einer Bareinlage die Bürgschaft für
einen Kredit in der Höhe der Kommanditsumme bei einem Bankinstitute zu
übernehmen, so ändere dies an der Beteiligung nichts, da im einen wie im
anderen Falle seine Haftbarkeit für die Kommanditsumme bestehe und das
Kapital jederzeit für die Ansprüche der Kreditoren der Kommanditfirma
bereit liegen müsse. Von dieser Auffassung ausgehend habe denn auch
das Bundesgericht schon in dem Urteile in Sachen Künzli gegen Bern und
Aargau vom 20. Dezember 1893 erklärt, dass für den Entscheid darüber, ob
eine Kommandite vorliege, die Eintragung im Handelsregister massgebend
sei. Dieser Eintrag habe Beweiskraft gegenüber dem Rekurrenten, der
Gesellschaft und dem Kanton St. Gallen. Solange er bestehe, könne ein
Gegenbeweis gegenüber Dritten auch durch die angebliche Nichteinzahlung
des Kommanditkapitals nicht geführt werden und sei daher die Steuerhoheit
des Kantons Glarus gegeben. Im übrigen müsse der Rekurs auch schon deshalb
abgewiesen werden, weil der Rekurrent nicht dar-getan habe, dass er

w Staatsrecht.

für den nämlichen Betrag auch in St. Gallen besteuert werde und es
demnach an dem Nachweis einer Doppelbesteuerung fehle.

C. Der Regierungsrat von St. Gallen hat sich dem Antrage des Rekurrenten,
es sei dieser von der Vermögenssteuer im Kanton Glarus zu befreien,
und dem zur Begründung dieses Antrags vom Rekurrenten eingenommenen
Rechtsstandpunkte angeschlossen.

Das Bundesgericht zieht i n E r w ä g u n g :

l. Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt
eine Verletzung des in Art. 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
, Abs. 2 BV enthaltenen Verbotes der
Doppelbesteuerung schon dann vor, wenn ein Kanton unberechtigter Weise
in die Steuerhoheit eines anderen _Kantons eingreift. Dass der zur
Besteuerung berechtigte Kanton tatsächlich von seinem Rechte Gebrauch
macht, ist nicht erforderlich. Der vom Regierungsrat von Glarus erhobene
Einwand, der Rekurrent habe den Nachweis nicht erbracht, dass er für
die streitige Summe auch in St. Gal'en besteuert werde, erweist sich
demnach als unerheblich.

2. Das in der bundesrechtlichen Doppelbesteuerungspraxis anerkannte
Recht des Kantons des Sitzes einer Kollektivoder Kommanditgesellschaft,
das ganze in seinem Gebiet gelegene Gesellschaftsvermögen, also nicht nur
die Anteile der im Kanton, sondern auch diejenigen der auswärts wohnhaften
Gesellschafter zu besteuern, findet seine Rechtfertigung in der Erwägung,
dass das in einem gewerblichen oder Handelsbetriebe investierte Ka--

pital am Sitze dieses Unternehmens wirksam wird, arbeitet und den
staatlichen Schutz geniesst und dass gegenüber der daraus sich ergebenden
natürlichen Zugehörigkeit desselben zu diesem Orte die mehr zufällige
Tatsache, dass die Geschäftsinhaber auswärts Wohnen, bei Abgrenzung der
Steuerhoheiten nicht ausschlaggebend in Betracht fallen kann (vgl. AS
I S. 32 if. E. 2 und 3,Verbot der Doppelbesteuerung. N° 10. 71

III S. 8 i'r'. E. 3 und 4, XIV S. 401 E. 2, XIX s.672· E. 3 letzter
Absatz). Es hat demnach zur selbstverstandhchen

(Voraussetzung, dass der im Handelsregister als Gesell-

schafter Eingetragene auch tatsächlich am Gesellschaftsvermögen
anteilsberechtigt ist, im Falle des Komman ditars also, dass er die
eingetragene Kommanditsumrne auch wirklich (ganz oder teilweise)
eingelegt hat. Die blosse aus dem Gesellschaftsvertrag bezw. dem
Handelsregistereintrag resultierende Ve r p fl i c ht u n g zu deren
Einlage reicht dazu nicht aus, da damit irgendwelche raumliche Beziehung
des Kommanditärs oder seines Yermogens zum Kanton des Gesellschaftssitzes,
welche die Steuerhoheit des letzteren ihm gegenüber begründen konnte,
noch nicht gegeben ist. Wenn der Regierungsrat. von Glarus für seine
abweichende Auffassung auf _das fruhere Urteil des Bundesgerichts
in Sachen Künzh (AS XIX S. 668 ff.) verweist, so geht diese Berufung
fehl. Denn damals handelte es sich nicht darum, ob der Kommanditär, obwohl
er tatsächlich noch keine Einlage gemacht, lediglich gestützt auf den ihn
dazu yerpflichtenden Handelsregistereintrag am Gesellschaftssrtze zur
Steuer herangezogen werden könne, sondern um die andere Frage, ob eine
von ihm gemachte Kapitaleinlage als Kommandite oder Darlehen anzusehen
sei, und nur für den Entscheid hierüber wurde der Handelsregistereintrag
als massgebend erklärt. Dass dem letzteren nicht etwa schon an srchdie
Bedeutung einer die Steuerpflicht am Gesellschafts-sitze erzeugenden
Tatsache beigemessen werden wollte, ergibt sich unzweideutig aus der
Schlusserwägung des Urteils, wo im Anschlusse an die Feststellung, dass
eine Kommandite und nicht ein blosses Darlehen vorhege, bemerkt wird,
dass infolgedessen das Besteuerungsrecht nach bekanntem Grundsatze
demjenigen Staate zustehe, in dem das Geschäft sein Domizil habe,
das besteuerte Kapital arbeite und den Schutz des Staates gemesse
r. Nachdem feststeht, dass der Rekurrent bis heute heinerlei Vermögen
in die Kommanditgesellschaft Durst

72 Staatsrecht.

& C.3 eingeworfen hat, kann demnach von einem Steuerrechte des Kantons
Glarus ihm gegenüber nicht die Redeseln. Die Tatsache, dass er für einen
der Gesellschaft von, der Glarner Kantonalbank zu eröflnenden Kredit in
gleicher Höhe wie die eingetragene Kommanditsumme Bürgschaft geleistet
hat, vermag ein solches nicht zu begründen, da durch diese Abmachung
lediglich Forderungsre ch t e der kreditgewährenden Bank gegenüber der
Gesellschaft und dem Rekurrenten, aber keine Anteilsrechte des letzteren
am Gesellschaftsvermögen ei tstanden, Der Rekurs ist daher in dem Sinne
gutzuheissen, dass das Recht zur Besteuerung des Rekurrenten nach dem
für die Besteuerung des nicht in einem geschäftlichen Unternehmen des
Pflichtigen investierten Mobiliarvennögens geltenden Regel ausschliesslich
dem Wohnsitzkanten St. Gallen zusteht.

Demnach hat das-Bundesgericht ' erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und demgemäss festgestellt, dass der Kanton
Glarus nicht berechtigt ist, den Rekurrenten für die streitige Kommandite
zu besteuern.

11. Urteil vom 29. März 1915 i. S. Wullimann gegen Solothurn.

Art. 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV. Ausdehnung des Doppelbesteuerungsverbotes auf internationale
Verhältnisse? Der Geschäftsertrag ist steuerrechtlich einem Gehalte
gleichzustellen, soweit er das Entgelt für geleistete persönliche Arbeit
darstellt.

A. Der Rekurrent leitet dieAusheutung eines Steinhruches der Gesellschaft
Ferroni, Dettelbach & C.ie in Iseile di Trasquera am Südausgang des
Simplontunnels. Seine Frau und seine Kinder befinden sich in Grenchen,
dem Heimatorte des Rekurrenten, in einem diesem gehörenden Hause. In
lselle bezahlt der Reknrrent die Verbot der Doppelbesteuerung N° 11. 73

Steuer für das Einkommen aus dem Steinbruchbetrieb (imposta sui redditi
della Ricchezza Mobile), und zwar, wie es scheint, von dem dort in der
Selbsttaxation angegebenen Betrage von 2000 Fr. Im Kanton Solothurn wird
der Rekurrent ebenfalls besteuert. Für das Jahr 1914 erklärte ihn die
Kreissteuerkommission als steuerpflichtig für ein Vermögen von 32,333
Fr. und für ein Einkommen von 7080 Fr. Das erwähnte Vermögen besteht
aus der Liegenschaft und Werttiteln. Zum steuerpflichtigen Einkommen
rechnete die Kommission ein Berufseinkommen von 6000 Fr. Der Rekurrent
beschwerie sich über diese Besteuerung.

Der Regierungsrat des Kantons Solothurn wies jedoch die Beschwerde
durch Entscheid vom 21. Dezember 1914 mit folgender Begründung ab:
Aus den Akten geht hervor, dass Wullimann nicht Besitzer, sondern
nur Leiter des in lselle gelegenen Steinbruches ist. Sein daheriges
Einkommen ist daher nicht Geschäftsertrag, sondern Lohneinkommen und als
solches da steuerpflichtig, wo er mit seiner Familie wohnt, d. h. in
Grenchen. Dass sein eigentlicher faktischer Wohnsitz in Grenchen ist,
geht daraus hervor, dass er häufig ziemlich regelmässig zu seiner
Familie. nach Grenchen zurückkehrt. . . Eine allfällige Besteuerung
des Berufseinkommens in Italien kann die hierortige Steuerpflicht nicht
hinfällig machen... Bezüglich der Differenzen in der Einschätzung von
Vermögen und Einkommen hat Herr VVullimann seine von der Taxation der
Steuerkommission abweichenden Behauptungen durch keine Ausweise belegt.

B. Gegen diesen Entscheid hat der Rekurrent den staatsrechtlichen
Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage, der Entscheid
sei aufzuheben-

Er macht verfassungswidrige Doppelbesteuerung und Verletzung der
Rechtsgleichheit geltend. Zur Begründung führt er aus: Sein Wohnsitz
sei in lselle di Trasquera. Nach Grenchen komme er lediglich alle 6 bis
9 Wochen, um seine Familie zu besuchen. Er sei Teil-