378 Staatsrecht.

V. KULTUSSTEUERNIMPOTS DE CULTE

43. Urteil vom 3. Juli 1914 i. S. Huber-Burkhardt gegen Basel-Stadt.

Bedeutung des Art. 49 Ab 5 . 6 B V: Zulässigkeit der Be--

langung des Vaters als Inhabers der elterlichen Gewalt,

für die von reinem unmündigen Kinde geschuldeten Kultursteuern.

A. Die am 17. Juli 1894 geborene Tochter des Rekur-l

renten Dr. Huber-Burkhardt in Basel gehört der evangelisch reformierten
Kirche des Kantons Baselsstadt an, während der Rekurrent selbst, wie
auch seine Ehefrau, als Freidenker aus dieser Kirche ausgetreten sind.

Die regierungsrätlieh genehmigte (provisorische) Steuerordnung der
evangelisch-remeiierten Kirche des Kantons Basel-Stadt, vom 30. Mai
1911, bestimmt in §7 Abs. 2 : Gehört in einer Familie mit nnmändigen
Kin dem, die im Kanton Basel-Stadt wohnen und daselbst nicht
selbstständig Kirchensteuem bezahlen, ein Teil der Familiengiieder der
evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel Stadt, ein anderer
Teil einer andern oder gar keiner Religionsgen'ossenschaft an, so ist
die Kirchensteuer in demselben Verhältnis zu entrichten, in welchem die
Angehörigen der evangelisch-reformier ten Kirche des Kantons Basel-Stadt
zur Gesamtzahl jener Familienglieder stehen.

Sie-stützt auf diese Bestimmung verlangte. die Verwaltung der
evangelisch-refamiierten Kirche von Dr. Huber-Burkhardt als Kirchensteuer
seiner Tochter für das zweite Halbjahr 1913, berechnet vom Drittel des
elterlichen Vermögens, den Betrag von 4 Fr. 25 Cis. Dr. Huber Burkhardt
bestritt, dass er für seine über 16 Jahre alte Tochter die Kirchensteuer
zu bezahlenKultussteuern. N° 43. 379

habe, wurde jedoch mit diesem Einwande im Beschwerdevexsifahren,
letztinstanzlich durch Beschluss des Regierungsrates des Kantons
Basel-Stadt vom 14. März 1914, mit folgender Begründung abgewiesen;
Der § 7 der previsorischea Steuererdnang der evangeiisch reformierten
Kirche stehe auf dem Standpunkt, dass das Familienhaupt pro rata der
Familienangehörige-G die einer bestimmten Konfession zngéörten,
Kirchensteuem an deren Kirche zu zahlen habe. Diese, in den
kantonalen Gesetz-gehangen sehr verbreitete Regelung der Steuerfrage
sei vom Bundesgericht durch Urteil 1. S. Gerster gegen Kirchgemeinde
Seewen vom 6. Oktober 1909 (AS 35 IS. 678 11. spez. 683) als mit dem
Kultussteuerartikel der BY vereinbar erklärt werden. Die Zahlungspflicht
des Familienhauptes bestehe aber nicht etwa nur für die Kinder bis zum
zurückgelegten 16. Altersjahr, sondern für alle Familienglieder, auch die
Ehefrau und die über 16 Jahre alten minderjährigen Kinder, was sich daraus
erkläre, dass der Gatte und Vater ihnenrgegenüber unterhaltspflichtig sei,
also auch für die Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse sorgen müsse,
obschon ihre Konfessionszugehörigkeit seinem Einflüsse entzogen sei. Im
streiligen Falle finde § 7 Abs. 2 der Steuer-ordnung Anwendung, da die
minderjährige Tochter des Rekurrenten, die der evangelischreformierten
Kirche angehöre, kein selbständiges Einkommen (z. B. aus Vermögen)
habe, daher keine Gemeindesteuer und kolgeweise auch nicht selbständig
Kirchensteuern bezahle.

B. Gegenüber diesem Beschlusse hat Dr. HuberBurkhardt rechtzeitig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen und Aufhebung
des regierungsrätlichen Entscheides beantragt. Er hält daran fest,
dass er laut Art. 49 Abs. 6
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
. BV nicht verpflichtet werden könne,
persönlich die Steuern für seine über 16 Jahre alte Tochter an eine
Religionsgenossensehalt zu bezahlen, der er selbst nicht angehöre,
dass auch das

AS 40 l 1914 25

380 Staatsrecht.

Urteil des Bundesgerichts i. S. Gerster für diese-Auffassung spreche
und dass der gegenteilige Entscheid der Basler Behörden übrigens auch
kantonales Recht verletze, indem das baselstädtische Gesetz vom 9. Februar
1911 betr. die Staatsoberaufsicht über die òfi'entlichrechtlichen
Kirchen in § 4 klar und deutlich vorschreihe, dass Kirchensteuern nur
Kirchenmitgliedem auferlegt werden dürften und deren wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen hätten, so dass · also die
Kirchensteuer eines Kindes weder vom Vater gefordert, noch nach dessen
Vermögen bemessen werden dürfe.

C. 'Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat AbweiSung des
Rekurses beantragt. Er beruft sich auf die Begründung des angefochtenen
Beschlusses und fügt bei, die Gesetzesbestimmung, dass Kirchensteuern
nur Kirchenmitgliedern auferlegt werden dürften, besage weiter nichts,
als eine Ablehnung der Besteuerung juristischer Personen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Es steht fest, dass der streitige Kirchensteuerhetrag nicht als
persönliche Steuerleistung des ausserhalb der evangelisch-refcrmierten
Kirche des Kantons Basel-Stadt stehenden Rekurrenten, sondern als
Steuerquote seiner, dieser Kirche unbestrittenermassen angehörenden
Tochter vom Rekurrenten als Familienhaupt gefordert wird. Der
Art. 49 Abs. 6
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV, dessen Schutz der Rekurrent anruft, verbietet aber
nur die persönliche Heranziehung jemandes zu Kultussteue'rn einer
Religionsge-nossenschaft, der er nicht angehört; denn nur wer um seiner
eigen en Person willen besteuert wird, kann dadurch einen Zwang erleiden,
der seine persönliche Glaubensund Gewissenschaftsfreiheit verletzt. Wenn
dagegen jemand nicht selbst als Steuersnbjekt behandelt, sondern für
die Bezahlung der einer andern Person

,rKultussteuem. N° 43. 381

auferlegten Kultussteuern in Anspruch genommen wird, kann von zwangsweiser
Beteiligung des Betreffenden an einer ihm fremden Religionsgenossenschaft,
wie Art. 49 Abs. 6
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV sie ausschliessen Will, nicht die Rede sein. Der
Rekurrent wird mit der an ihn gerichteten Steuerforderung nicht wegen
seiner eigenen, verfassungswidrig angenommenen Zugehörigkeit zur
evangelischreformierten Kirche des Kantons Basel-Stadt, sondern auf
Grund der wirklichen, rechtmässig bestehenden Angehörigkeit seiner
Tochter zu dieser Kirchgenossenschaft belangt. Die Frage, ob dies
zulässig sei, ist ausschliesslich eine solche des einschlägigen Steu
errech ts. Diese Auffassung hat das Bundesgericht bereits in dem vom
Regierungsrate angezogenen Urteil i. S. Gerster (AS 35 I N° Il!) Erw. 2
S. 683) vertreten. Allerdings handelte es sich damals um Kinder unter 16
Jahren, mit Bezug auf welche die Pflicht des Vaters zur Bezahlung der
ihnen _zu/fglge ihrer Kirchenangehörigkeit auffallenden Kultussteuern
schon aus der besondern elterlichen Verfügungsgewalt über ihre religiöse
Erziehung abgeleitet werden kcnnte (a. a. O., S. 682). Allein die
anschliessende Ausführung des Urteils über die ökonomischen Folgen der
kirchlichen Stellung der Ehefrau für den Ehemann (welche der Rekurrent
nicht beachtet zu haben scheint) trifft unter dem hier massgebenden Rechte
auch auf das Verhältnis des Vaters zu den nnmündigen Kindern überhaupt
zu. Denn da nach Art. 272
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 272 - Eltern und Kinder sind einander allen Beistand, alle Rücksicht und Achtung schuldig, die das Wohl der Gemeinschaft erfordert.
und 275
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
ZGB die Eltern für die Kosten des
Unterhaites und einer ihren Verhältnissen entsprechenden Erziehung ihrer
unmündigen Kinder aufzukommen haben und zu diesen Kosten sehr wohl auch
die Auslagen für die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse gerechnet
werden können, erscheint es grundsätzlich ohne weiteres als zulässig,
zur Bestreitung solcher Auslagen der Kinder das vom Vater als Haupt der
Familie vertretene. elterliche Vermögen heranzuziehen, auch nachdem die
Kinder in Bezug auf die Wahl ihres

382 Staatsrecht.

religiösen Bekenntnisses gemäss den Art. 49 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV und 27? Abs. 3
ZGB selbständig geworden sind. Hiegegen ist namentlich dann nichts
einzuwenden, wenn ein Kind, wie die Tochter des Rekurrenten, nach Eintritt
seiner religiösen Mündigkeit bei der Religionsgegenossenschaft verbleibt,
in welche die Eltern es haben aufnehmen lassen. Mit der Entscheidung
i. S. Gerster, an der unbedenklich festzuhalten ist, erledigt sich also
auch der vorliegende Fall im Sinne der Abweisung des Rekurses.

Soweit der Rekurrent neben der Berufung auf Art. 49 Abs. 6
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV noch
geltend macht, die streitige Steuerforderung sei auch kantonalrechtlich
nicht begründet, ist seine Argumentation schon deswegen staatsrechtlich
unerheblich, weil er die Verletzung irgend eines verfassungsmässigen
Individualreehts hieraus nicht ableitet.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt : Der Rekurs wird abgewiesen.

VI. PRESSFREIHEITLIBERTÉ DE LA PRESSE

44. Urteil vom 4. Juni 1914 i. S. Stampfli gegen Studinger.

Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV. Als unwahr und daher nicht unter den Schutz der Pressfreiheit
fallend erscheint der Inhalt eines Artikels nicht nur, wenn er völlig
erfunden ist, sondern auch dann, wenn er auf einer wissentlieh oder
leichtfertig begangenen wesentlichen Entstellung wahrer Tatsachen beruht.

A. Am 5. September 1913 erschien im aOltner Tagblatt unter dem Titel
Martyrium eines Knaben folgende Korrespondenz aus Dulliken:

fPressfreiheit. N° 44. 383 si

In Dulliken wird seit acht Tagen ein 14 jähriger Knabe, namens Adolf
Studinger vermisst. Er ging mit andern Kameraden an die Aare hinunter
zum Baden. Nach genommenem Bade getraute der Knabe sich nicht mehr nach
Hause zu gehen und seinen Kameraden ein letztes Lebewohl zurufend, ist er
seither spurlos verschwunden. Es scheint, dass dem Knaben die Liebkosungen
von Seiten seiner Eltern und des älteren Bruders nicht mehr behagten und
ihn zur Flucht getrieben haben. Vorläufig haben die Beteiligten Zeit
zum Nachdenken und weitere Einzelheiten zu veröffentlichen, behalten
wir uns ebenfalls vor. (Vielleicht nehmen sich die Behörden nunmehr der
Sache an. (Red.)

Wegen dieses Artikels, der in der Folge noch in verschiedene andere
solothurnische Zeitungen überging, erhoben der Wr des darin erwähnten
Knaben Adolf Studinger, Emil Studinger, Landwirt in Dulliken, und
der ältere Bruder, Emil Studinger Sohn, gegen den heutigen Rekurrenten
Dr. Stampfli als verantwortlichen Redaktor des Oltner Tagblattes o Klage
wegen Ehrverletzung. Die daraufhin durchgeführte Untersuchung ergab
imWesentlichen folgenden Tatbestand: Der Knabe Adolf Studinger sollte
auf Geheiss seiner Mutter am Nachmittag des 27. August 1913 dem Nachbar
Gottlieb Müller in Dulliken beim Emden behilflich sein. Er missachtete
aber diesen Befehl und ging statt dessen zum Baden an die Aare. Dort
traf er mit anderen Knaben zusammen. Als die Mutter die Abwesenheit
ihres Sohnes bemerkte, vermutete sie, er möchte nach der Aare gegangen
sein: sie folgte ihm daher dorthin nach und überhäufte ihn, als sie ihn
ausgekleidet am Flussbord sitzend traf, mit Schimpfworten wie Lausbub ,
verdammter Schlingel, Luscheib . Zugleich schlug sie mit einem Seile
(einem Helsig , der für den Hund bestimmt war) nach ihm: ob sie ihn
traf, ist nicht festgestellt. Adolf Studinger sprang darauf ins Wasser,
worauf die Mutter ihm Steine nachwarf. Als

FF--