220 Staatsreeht.

§ 32 der Verordnung etwas ungenau abgefasst ist und: lediglich festsetzen
will, dass von dem als Einkommen aufgefassten Liegenschaftengewinn die
Steuer erst im folgenden Jahre festgestellt und erhoben werden solle.
Es liegt also nichts weiter vor, als die Verschiebung des Verfahrens
zur Festsetzung des Steueranspruches.

2. Der Rekurs ist auch unbegründet, soweit eine verfassnngswidrige
Doppelbesteuerung geltend gemacht wird. Für die Frage, ob eine solche
vorliege, ist es ganz gleichgültig, ob einer Person von einem Kanton
eine Ein--

kommenssteuer auferlegt wird zu einer Zeit, da sie ausserhalb des
Kantons wohnt. So ist z. B. im Urteil i. S. Kaufmann vom 4. März 1897
(BGE 23 S. 8 ff.) dem Kanton Luzern eine Steuerforderung teilweise
zugesprochen worden, die erst festgestellt werden war, nachdem die
besteuerte Person den Kanton längst verlassen hatte. Von Bedeutung
ist einzig, ob sich die Einkommenssteuer auf die Zeit bezieht, als
die Person noch im Kanton wohnte. Nun ist bereits ausgeführt worden,
dass es sich im vorliegenden Falle um eine Einkommenssteuer für das
Jahr 1912 handelt, während dessen erster Hälfte der Rekurrent noch im
Kanton Solothurn seinen Wohnsitz gehabt hat. Nach den Grundsätzen über
das Verbot der Doppelbesteuerung unterliegt daher der als Einkommen
aufgefasste Liegenschaftengewinn' mindestens für einen bestimmten Teil
der Steuerhoheit des Kantons Solothurn. Fragen könnte es sich bloss,
ob dieser Kanton den Gewinn ganz oder nur teilweise besteuern dürfe.
Für die vollständige Besteuerung durch den Kanton Solothurn liesse sich
der Umstand anführen, dass der Rekurrent den ganzen Gewinn erzielt hat,
als er noch im Kanton Solothurn wohnte. Die Verteilung des Einkommens
unter die Steuerhoheit zweier Kantone beim Wohnsitzwechsel während einer
Steuerperiode braucht

nicht notwendig in der Weise zu geschehen, dass das.

gesamte Einkommen zusammengerechnet und je nach der in jedem Kanton
zugebrachten Zeit verteilt wird..Verbot der Doppelbesteuerung N° 26. 221

Es lässt sich sehr wohl die Auffassung vertreten, dass
Einkommensbestandteile, die ihre Entstehung einem bestimmten, zeitlich
besonders abgegrenzten Vorgang verdanken, ganz von dem Kanton besteuert
werden dürfen, in dem der Steuerpflichtige zur Zeit des erwähnten
Vorgangs wohnte. Indessen braucht das Bundesgericht im vorliegenden
Fall zu dieser Frage nicht endgültig Stellung zu nehmen. Da der Kanton
Aargau die Steuerhoheit des Kantons Solothurn vollständig anerkannt und
der Rekurrent nicht eine Verteilung des Betrages _ von 23,700 Fr. unter
die Steuerhoheit beider Kantone beantragt hat, so kann im vorliegenden
Falle eine solche Verteilung nicht in Frage kommen. Der Steueranspruch
des Kantons Solothurn muss daher unangefochten bleiben.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt S Der Rekurs wird abgewiesen.

26. Urteil vom 15. Juli 1914 i. S. Staudte gegen Waadt und Luzern.

Steuerdomizil eines unselbständig Erwerbenden, der das ganze Jahr am
Orte seiner Erwerbstätigkeit wohnt, während seine Familie dauernd in
einem andern Kanton niedergelassen ist. Teilung der Steuerhoheit in diesem

Ausnahmefall.

A. Paul Staudte, Hotelsekretär in Montreux, ist vom Kanton Waadt für
das Jahr 1913 mit einer Personaltaxe von 3 Fr. und von der Gemeinde Les
Planches mit einer solchen von 30 Fr. besteuert worden. Für das nämliche
Jahr hat er im Kanton und in der Stadt Luzern eine Einkommenssteuer von
zusammen 50 Fr. 40 Cts. bezahlt. Als er dann für das Jahr 1914 von der
waadtländischen Steuerkommission am 28. Mai dieses

222 staatsrecht-

Jahres neuerdings mit einem Arbeitseinkommen von 200 Fr. besteuert wurde,
erhob er folgenden Tages, am

29. Mai, eine staatsrechtliche Beschwerde, mit der

er die Lösung des eingetretenen Doppelbesteuerungskonfliktes verlangte. Er
führt aus, dass er seit 2% Jahren im Hotel de Paris in Montreux als
Hotelsekretär angestellt sei, während seine Familie, bestehend aus seiner
Frau und 2 Kindern und einer 60 Jahre alten gebrechlichen Mutter in Luzern
wohne. In Luzern habe er regelmässig seine Steuern bezahlt. Mit seinen
Rekursen an die waadtländischen Steuerbehörden sei er letztes Jahr _
abgewiesen worden.

Auf Veranlassung des Instruktiensrichters hin hat er über seine
persönlichen Verhältnisse am 2. Juli folgende weitere Angaben gemacht :

Frage 1 helrekks meine Stellung, wünsche ich dahin zu beantworten,
dass ich hier eine Vertrauensstelle als Sekretär hekleide, wo mir
neben Führung der Buchhaltung, Kassa, Empfang der Gäste, bei Abwesen
heit der ganzen Familie Moinat was allerdings nur während der stillen
Saison eintritt wo 2 bis 20 Gäste im Hotel sind, die sehr beschränkte
Vertretung des Besitzers übertragen wird.

Frage 2 wo ich esse und schlafe und ob ich ein Zimmer ausser-halb
des Hotels gemietet habe. Da bei den Hotelangestellten Wohnung und
Verpflegung im Hotel einen Teil des Lohnes für die geleistete Arbeit ist,
so wohne und esse auch ich nur im Hotel de Paris; ein Zimmer mieten würde
mehr einen Luxus bilden, welchen ich mir keines falls leisten könnte.

Auf Frage 3 wie es kommt, dass meine Frau und Kinder in Luzern und
nicht in Montreux wohnen, teile ich Ihnen folgendes mit :

Erstens besteht zwischen mir und Herrn Moinat Besitzer des Hotel de Paris
kein schriftlicher oder bin dender Vertrag, so dass ich mir schon beim
Antritt dieser stelle hätte sagen können, jetzt bin ich für einever-ot
oer uoppemesreuerung. N 26. 223 '

gewisse Dauer mit Arbeit versehen. 2. Wäre es für mich ein Ding der
Unmöglichkeit gewesen, die alte seit 5 Jahren kranke und gebrechliehe
Mutter meiner Frau, welche ich bei meiner Verheiratung mit in
unsere Familie aufnahm nach hier ohne Gefährdung ihres schon jetzt
dahinsiechenden Lebens, zu transportieren und meine Frau, welche
mit jeder Faser ihres Herzens an ihrer Mutter hängt, würde diese
alleinetehende, ar beitsunfähige und mittellose alte Mutter unmöglich
verlassen. Schon aus diesen Gründen lag es nie in mei ner Absicht,
so lange fern von meiner lieben Familie zu sein. Aber infolge einer 1
Jahr lang andauernden sehr schweren Erkrankung meiner Frau und später
Krankheit der Kinder haben mir furchtbare Ausgaben eingebracht und so war
ich durch Verhältnisse gezwun gen von einem Wechsel der Stelle abzusehen,
denn so etwas bringt einen auch nicht immer vorwärts im Leben.

Frage 4. Ob meine Frau und Kinder ununterbrochen in Luzern wohnen
beantworte ich mit ja und zwar wohnt meine Familie seit 15. März 1910
beständig Brünigstrasse N° 7 Luzern. Ich war längere Zeit im Hotel
St. Gotthard in Luzern tätig. Meine 2 Kinder im Alter von 3 und 5 Jahren
sind noch nicht schulpfliehtig.

5. Frage. Betreffs meines Stimmrechte so mache ich Ihnen die Mitteilung,
dass ich als Deutscher geboren in Dresden in Sachsen in der Schweiz
nicht stimm berechtigt bin.

6. Frage wie oft ich meine Familie besuche, so war ich im Jahre 1913
infolge eines schweren Ohrenleidens, was noch eine Operation nötig
machte, verhindert, meine Lieben in Luzern aufznsuchen. War zirka
4 Wochen arbeitsunfähig, davon 14 Tage nach Operation in der Klinik
hier. Da ich hier schwer abkommen kann so wählte ich schon die Zeit wo
ich hätte sollen in Ferien gehen um mich von dieser Krankheit heilen

AS 40 l 1914 15224 Staatsreeht.

zu lassen, hier, weil Dr. Frey meine Krankheit noch vor der Operation
behandelt hatte und so wollte ich mich einem Arzte in Luzern nicht mehr
anvertrauen, sonst hätte ich mich in Luzern operieren Rassen.

Somit war ich also im Jahre 1913 gar nicht in Lu zern und dieses Jahr
nur für 14 Tage.

Ich würde von Herzen gerne meine Familie öfters aufsuchen, wenn ich hier
besser abkommen könnte, wenn die Distanz nicht so gross Wäre zwischen
Luzern und Montreux, aber in meiner freien Zeit am Sonntag von 2 bis
6 und ab 9 Uhr Abends lässt sich das nie er reichen. '

Ich wünsche nochmals zu bemerken, dass mich das Steueramt Luzern darauf
aufmerksam gemacht hat, wie auch aus den bereits eingeschickten Schreiben
zu ersehen ist. Im Grunde genommen ist es mir egal, ob ich in Montreux
oder Luzern Steuern zahle, nur da Luzern und Montreux gleichzeitig auf
die Zahlung bestehen und ich nur einmal und nicht doppelt also an 2
Orten steuerpflichtig sein kann, so habe ich sei nerzeit meine Beschwerde
eingereicht, um dass das Bundesgericht mir sagt, wo ich Steuern zu zahlen
habe ob in Luzern oder Montreux. .

B. Der Staatsrat des Kantons Waadt berichtete am 23. Juni 1914 was folgt :

Nous voyons par la piéceaccompagnant votre avis du 5 oourant, que le
nommé Paul Staudte, secrétaire a l'Hotel de Paris, à Montreux, demande
entre autres le remboursement d'impöts qu'il a payés à la Recette de
Vevey en 1913 s'élevant à 33 fr. 05 c. Ce chifire comprend l'a taxe
personnelle cantonale unique de trois francs, le surplus concernant
des impositions de la Commune des Planches.

E}: raison de la minimité des intéréts de l'Etat de Vaud dans cette
affaire, nous donnons l'ordre au rece veur de Vevey de rembourser au
recourant, sur la demande de celui-ci, cette modique contribution
can-Verbot of. Doppelbesteuerung N° 26. 2257

tonale. En outre, le prénommé Staudte figurant au tableau de 1914
des contribuables de la commune dans laquelle il exerce sa profession
pour 200 fr. de produit du travail, donnant un impòt de 1 fr. 92 c.
nous ferons radier cette inseription ainsi que célle relative à la taxe
cantonale de trois francs pour la méme année.

Le reeours ne portant ainsi que sur les impositions communales,
nous le transmettons à la Commune des Planches pour la suite qu'elle
jugera à propos d'y don ner. Die Gemeinde Les Planches ihrerseits hält
an dem Recht der Besteuerung fest. Sie macht geltend, dass Staudte in
ihrer Gemeinde ein Steuerdomizil besitze, da er hier die Dienste eines
Hoteisekretärs ununterbrochen, also nicht nur für eine bestimmte Saison
ausübe. Er veriasse Montreux nur zufällig, wenn er frei oder Ferien
habe. In Luzern habe er kein Steuerdomizil. Nach der bundesgerichtlichen
Praxis (vergl. AS 23 II S. 1356; 31 I s. 243 Erw. 3) könne ein dauernder
Aufenthalt ein vom bürgerlichen verschiedenes Steuerdomizii begründen. Der
Aufenthalt Staudte's in Montreux sei kein zufälliger oder vorübergehender;
sondern hier habe er den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit. Er
befinde sich also nicht in der Lage derjenigen Hotelangesteliten, die
sich bloss für eine Saison an einem Orte aufhalten. Das Hotel de Paris
werde das ganze Jahr betrieben.

C. Der Regierungsrat des Kantons Luzern verweist in seiner Rekursantwort
auf die Vernehmlassung des Stadtrates von Luzern und er teilt die
Auffassung des letztem, dass der Rekurrent für sein Erwerbseinkommen
ausschliesslich in Luzern steuerpflichtig sei. Der Stadtrat Luzern schrieb
der Regierung, dass Staudte seit 1910 mit Familie in Luzern wohne und
dass er gemäss der bundesgerichtlichen Praxis betreffend die Besteuerung
des Hotelpersonals in Luzern steuerpflichtig se}.226 Staatsrecht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägu ng :

1. Gegenstand der Beschwerde bildet die kantonale und die kommunale
Einkommensbesteuerung des Rekurrenten für das Jahr 1914 in den Kantonen
Waadt und Luzern. Trotzdem der Kanton Waadt auf die kantonale Besteuerung
des Erwerbes verzichtet und nur die Gemeinde Les Planches an dem von ihr
geltend gemachten Besteuerungsrecht festgehalten hat, so steht doch nicht
nur die Gemeindebesteuerung, sondern auch die luzernische Staatssteuer
in Frage,

2. _ Der heutige Fall unterscheidet sich von ähnlichen
Doppelbesteuerungsfällen der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis
dadurch, dass hier ein unselbständig erwerbender Hotelangestellter nicht
nur Während einer bestimmten Jahreszeit, für eine Saison, sondern das
ganze Jahr ununterbrochen sich in dem Hotel aufhält, dem er seine Dienste
leistet, während seine Frau und seine 2 Kinder in einer von ihm in der
Stadt Luzern gemieteten Wohnung leben. In der bisherigen Praxis handelte
es sich stets um Steuerpflichtige, die sich entweder nur während eines
Teils des Jahres von ihrem bürgerlichen Wohnsitz entfernt aufhalten,
um in unselbständiger Stellung auswärts zu arbeiten, oder die von ihrem
Arbeitsorte aus jeden Tag oder doch jeden Sonntag sich zu ihrer Familie in
ihre eigene Wohnung begeben. Im vorliegenden Falle erklärt der Rekurrent,
er habe sich während des ganzen Jahres 1913 überhaupt nicht von seinem
Arbeitsplatze entfernt, und im laufenden Jahre nur seine 14 Tage dauernden
Ferien bei seiner Familie in Luzern zugebracht. Das getrennte Leben von
der Familie erklärt er hauptsächlich damit, dass seine Frau an ihrer
alleinstehenden, arbeitsunfähigen und mittellosen alten Mutter hange,
die transportunfähig sei und dass er seinerseits wegen andauernder
Krankheit seiner Frau sehr grosse Ausgaben gehabt habe, so dass er von
einem WechselVerbot der Doppelbesteuerung N° 26. 22?

seiner Stellung in Montreux habe absehen müssen. Er ist also durch die
Verhältnisse gezwungen,in Montreux zurückzubleiben, statt eine Stelle in
Luzern oder doch in der Nähe seiner Familie zu suchen. Endlich getraut er
sich auch deshalb nicht, seine Familie zu sich kommen zu lassen, weil er
mit seinem Arbeitgeber keinen Vertrag auf bestimmte Dauer abgeschlossen
und daher jederzeitige Kündigung zu gewärtigen hat.

Diese Situation, die schon mehrere Jahre enge-dauert hat, scheint sich
auch in absehbarer Zeit nicht ändern zu wollen.

3. Bei der Lösung der Frage, welcher Steuerhcheit das Einkommen
des Rekurrenten unterworfen sei, wird nach der ständigen Praxis in
Doppelbesteuerungssachen auch hier in erster Linie zu untersuchen sein,
wo sich der bürgerliche Wohnsitz des Rekurrenten befindet. Der bürgerliche
Wohnsitz ist der Mittelpunkt der rechtlichen und persönlichen Verhältnisse
einer Person; er befindet sich da, wo die Person sich mit der Absicht
dauernden Verbleibens aufhält. Vgl. BGE 32 I S. 80. Dieser Ort ist
im vorliegenden Falle zweifellos die Gemeinde Les Planches und nicht
Luzern. Denn wenn auch der Rekurrent in Luzern eine Wohnung gemietet
hat, so ist doch Tatsache, dass er selber diese Wohnung nicht oder
doch ganz ausnahmsweise benutzt und dass sie sozusagen ausschliesslich
dem Aufenthalte seiner Frau, seiner Kinder und seiner Schwiegermutter
dient. Der persönliche Wohnsitz einer Personibestimmt sich aber in erster
Linie nach ihrer eigenen? Absicht und nach ihrem eigenen Verhalten und
nicht nach demjenigen ihrer Familienglieder. Wohl kann der Wohnort der
Frau und Kinder ein wichtiges Indizium für die Wohnsitzfrage bilden,
wenn ein Familienvater seinen Aufenthalt zwischen dem Wohnort seiner
Familie und seinem Arbeitsorte wechselt. Wenn aber der Aufenthalt des
Familienhauptes sich d a u e r n d an einem andern Orte, als demjenigen
seiner Familie befindet, so wird

228 Staatsrecht.

man für seine Person nicht am dessetwillen einen andern als den
Aufenthaltsort für den Wohnsitz ansehen können, weil er für seine
Familienglieder anderswo eine Wohnung gemietet hat. Vielmehr erachtet das
Gesetz gerade denWohnsitz des F a m ilie nh aup tes für massgehend, indem
er den Begriff des abgeleiteten Wohnsitzes der Ehefrau und der Kinder
aufstellt (Art. 25
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 25 - 1 L'enfant sous autorité parentale partage le domicile de ses père et mère ou, en l'absence de domicile commun des père et mère, le domicile de celui de ses parents qui détient la garde; subsidiairement, son domicile est déterminé par le lieu de sa résidence.20
1    L'enfant sous autorité parentale partage le domicile de ses père et mère ou, en l'absence de domicile commun des père et mère, le domicile de celui de ses parents qui détient la garde; subsidiairement, son domicile est déterminé par le lieu de sa résidence.20
2    Le domicile de l'enfant sous tutelle est au siège de l'autorité de protection de l'enfant.21
ZGB) und diesen an den Wohnsitz des Familienhauptes
verlegt. Frau und Kinder haben also keinen eigenen Wohnsitz, sondern
teilen denjenigen ihres Ehemannes bezw. Vaters; daher ist jedenfalls
zivilrechtlich der Aufenthalt von Frau und Kinder für die Bestimmung
des Wohnsitzes des Familienhauptes unerheblich, sobald der Wohnsitz des
letztem unzweifelhaft feststeht. Indessen ist der zivilrechtliche Begriff
des Wohnsitzes für das Steuerrecht nicht ohne weiteres massgebend ;
denn nach der richtigen Auffassung beruht die steuerpflicht darauf,
dass alle Staatsangehörigen nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Deckung
der staatlichen und kommunalen Ausgaben Beiträge zu leisten haben
(vgl. BGE 26 S. 412). Diese Auffassung muss notwendig dazu führen,
die Steuerpflicht an demjenigen Ort zu lokalisieren, wo sich die
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des steuerpflichtig-en äussert. Dieser
Ort wird zwar in der Regel der Wo h no rt des steuerpflichtigen
sein, weil der Wohnort gewöhnlich den Mittelpunkt der persönlichen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Existenz des Steuerpflichtigen
bildet. Der Ort der Erwerbstätigkeit braucht dabei mit demjenigen der
wirtschaftlichen Tätigkeit nicht notwendig zusammenzufallen; so ist
der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des unselbständigen Arbeiters,
der an einem andern Orte als an seinem Wohnsitze seinen Lohn verdient,
nicht am Orte seiner Erwerbstätigkeit, denn hier wirkt er in einer
fremden Wirtschaft, derjenigen seines Arbeitgebers, Während er seine
eig e n e Wirtschaft da führt, wo er wohnt, wo er seinen Verdienst

.Verbot der Doppelbesteuerung N° 26. 229 ss

für sich und seine Familie verwendet, mit andern Worten da, wo sich
sein eigener Hau sh alt befindet. Wenn nun auch der Regel nach der
verheiratete unselbständige Arbeiter seinen Haushalt ausschliesslich
oder doch überwiegend am Wohnort der ganzen Familie führt, so gibt
es doch Ausnahmefälle, in denen zwischen dem Familienhaupt und den
übrigen Familiengliedern eine getrennte Wirtschaftsführung in dem Sinne
stattfindet, dass das Familienhaupt für seine eigenen Bedürfnisse
dauernd an einem andern Orte als an demjenigen seiner Familie
sorgt. Zu diesen Ausnahmen gehört der vorliegende Fall, der deshalb
auch steuerrechtlich eine andere Regelung erheischt als die Grosszahl
der in der Doppelbesteuerungspraxis behandelten Konflikte. Da sich die
eigene Wirtschaft der Gesamtfamilie des Rekurrenten dauernd auf zwei
Kantone erstreckt und sich so die ökonomische Leistungsfähigkeit unter
zwei verschiedenen Steuerhoheiten manifestiert, so ist es auch richtig,
hier ausnahmsweise eine Teilung des Steuerrechtes eintreten zu lassen,
damit sich jeder Kanton die Leistungsfähigkeit des Steuerpf'ichtigen in
demjenigen Umfange zu Nutze machen kann, welcher der auf seinem Gebiete
sich entfaltendenWirtschaftstätigkeit entspricht. Bei dieser Teilung
wird also der in der Praxis stets festgehaltene Grundsatz, dass der
unselbständig erwerbende Steuerpflichtige sein Steuerdomizil an seinem
Wohnortehat, in keiner Weise aufgegeben; denn in der Regel fällt eben
die Haushaltungsführung mit dem Wohnorte des Steuerpflichtigen zusammen
und das gilt nach wie vor auch dann, wenn der Steuerpflichtige seine
Erwerbstätigkeit Während einer ganzen Saison oder die ganze Woche hindurch
auswärts ausübt, denn trotz zeitweiliger Abwesenheit vollzieht sich in
diesen Regelfällen eben die gesamte Wirtschaftsführung vor-wiegend am
Sitze des Familienhaushaltes und eine Zersplitterung der Steuerhoheiten
würde sich in solchen Fällen nicht wohl rechtfertigen.

230 Staatsrecht.

Im vorliegenden Ausnahmefalle,in dem die dauernde Trennung des
Haushaltes zu einer Teilung der Steuerberechtigung führen muss, darf
wohl unbedenklich eine hälftige Anteilnahme der beiden in Frage stehenden
Kantone, beziehungsweise Gemeinden, statuiert werden, da anzunehmen ist,
dass vom Verdienste des Rekurrenten ungefähr ebensoviel auf die in Luzern
wohnenden Familienglieder wie auf den in Montreux wohnenden Rekurrenten
selbst verwendet wird.

Es ist daher der Gemeinde Les Planehes das Rsieeht auf die Besteuerung
des halben Einkommens des Rekurrenten und der Gemeinde, sowie dem
Kanton Luzern das Recht auf die andere Hälfte zuzuerkennen. Daraus,
dass der Kanton Waadt für das Jahr 1914 auf den Bezug der Staatssteuer
verzichtet hat, folgt nicht, dass der Kanton Luzern seine Staatsstener
für das nämliche Jahr ganz beziehen dürfe, denn nach ständiger Praxis
kommt es bei der Lösung von Doppelbesteuerungskonflikten nicht darauf
'an, ob ein Staat von seinem Besteuerungsrechte Gebrauch mache, sondern
nur darauf, ob ihm das Steuerrecht in thesi zustehe. Auch der Kanton
Luzern hat also, wie die Gemeinde Luzern, nur ein Recht auf die halbe
Staatssteuer für das Jahr 1914.

Unter diesen Umständen braucht auf die Frage nicht eingetreten zu werden,
ob auf Grund des luzernischen Steuerrechtes für das Teileinkommen,
das der in Luzern lebenden Familie des Rekurrenten zufliesst, etwa ein
besonderes Steuersubjekt in der Person der Frau oder aller in Luzern
wohnenden Familienglieder gegeben wäre.

Demnach hat das Bundesgericht

erkannt:

Der Rekurs wird in dem Sinne gutgeheissen, dass das ganze Einkommen
des Rekurrenten pro 1914 steuerpflichtig ist für die Hälfte in Montreux
(Gemeindesteuer) und die andere Hälfte in Luzern.

*in--Pressfreiheit. N° 27.

IV. PRESSFREIHE IT

LIBERTÉ DE LA PRESSE

27. Urteil vom 22. Mai 1914 i. S. Allemann gegen Zschokke.

Angebliche Verletzung der Pressfreiheit und der Rechtsgleichheit durch
Zerlegung des Verfahrens für Pressinjurienstreitsachen in ein gegen den
Redaktor, Verleger oder Drucker geriehtetes V orverfahren (zur Ermittlung
des unbekannten Verfassers des eingeklagt-en Presserzeugnisses, sofern
dieses vom Richter als objektiv ehrverletzend erklärt wird) einerseits,
und ein H a n p t V e r f a h r e n (zur Beurteilung der Straibarkeit
der als verantwortlich festgestellten Personen) anderseits.

A. Mit Zuschfrit vom 7./14. April 1914 ersuchte der Rekursbeklagte
Dr Zschokke das Gerichtspräsidium Aarau um Vorladung des Rekurrenten
Allemann als Redaktors der Neuen Aargauer Zeitung zur Verhandlung wegen
Ehrverletzung begangen durch zwei, anlässlich des Grossratswahlenkampfes
in Aarau vom Frühjahr 1913 im genannten Blatta erschienene Artikel;
nämlich den Artikel: Die Kandidatur Grosjean , in N° 64 vom 7. März
1913, in Verbindung mit dem Artikel: Die Grossratskandidatur von Herrn
Ing. Grosjean , in N° 58 vom 28 Februar 1913. Dabei meldete er die
Klagebegehren an:

1. Es sei der eingeklagte Artikel in N° 64 der beklagten Zeitung,
in Verbindung mit demjenigen in N° 58, als für den Kläger injuriös
zu erklären.

2. Der beklagte Redaktor sei zu verpflichten, den oder die Verfasser
der beiden eingeklagten Artikel zu nennen und das Manuskript vorzulegen.

In der gerichtlichenVerhandlung über diese Begehren bezeichnete der
Kläger die als injuriös erachteten Stellen der beiden Artikel des
näheren, während der Beklagte deren Injuriosität bestritt und unter
Verweigerung der