98 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [V. Abschnitt. Staatsverträge..

Vierter Abschnitt. Quatriéme section.

Staatsverträge der Schweiz mit dem Ausland-. T raités de la Suisse
avec l'étranger.

W

I. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869. Convention
franco-suisse du 15 juin 1869.

si 13Eli-teil vom 7. Februar 1913 in Sachen . Marziane u. Hafermnhle
golothuru gegen Bourgogne & gie.

'Stellung des solothurnischen Obergerichts als
Nichtigkeit;-beschwerdeinstanz: Gegen die Garantie des A rt. 43V nicht.
verstossende Auslegung des kantonalen Prozessrechts. Art. 15 des
schweizerisch-französischen Staatsvertrages vom 15. Juni 1869: Vollziehbar
im Sinne dieser Bestimmung sind auch K on tumazialurteile. Einrede der
Ve rwirk'ung eines französischen Kontumazialurteils, das wegen defaut,
faute de comparai'tre erlassen worden ist, gemäss Art. 156 franz. Cpc
(Nichtvollzug innert 6 Monaten seit dem Erlass). In Fran k reich s
elbst rechtsgültig vorgenommene Vollstreelcungshandlungen Iern die
Verwirlmng _: Feststellung des Vorliegens solcher Handlungen.

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage:

A. Am 5. Mai 1911 schloss die Rekurrentin, Malzfabrik und Hafermühle
Solothurn, als Käuferin mit der rekursbeklagten Firma Bourgogne &
Eie. in Marseille als Vertäuferin einen Vertrag über die Lieferung von
1500 q rumänischer Gerste ab. Dieser Vertrag enthält folgende Klausel:
Toutes contestatious

I. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 13. 99

seront soumises à l'arbitrage d'amis communs à Marseille an an Tribunal
de Commerce de Marseille qui est déclaré seul competent. Si l'acheteur
habite hors Marseille, il fait élection de domicile à Marseille chez
son portefaix charge de la réception (M. E. Négro) ..... .

Da die Rekurrentin in der Folge die Abnahme der per Schiff in Marseille
eingetroffenen Ware verweigerte, veranlasste die Rekursbeklagte deren
amtliche Versteigerung und belangte die Rekurrentin für die Differenz
zwischen dem Steigerungserlös und dem vereinbarten Kaufpreise vor
dem Handelsgericht in Marseille. Trotz gehöriger Vorladung blieb
die Rekurrentin bei der Hauptverhandlung vor dieser Instanz aus und
wurde deshalb am 22. September 1911 in contumaciam zur Bezahlung der
eingeklagten Summe von 2834 Fr. 5 Cts., nebst gesetzlichen Zinsen und
Kosten, ver-urteilt

Die Zustellung dieses Kontumazialurteils erfolgte am 25. Oktober
1911 durch den damit betrauten Gerichtsvollzieher in doppelter
Form: direkt an E. Negro in Marseille, bei dem die Rekurrentin
laut Vertrag Domizil genommen hatte, und durch Übermittelung einer
Abschrift an die Staatsanwaltschaft beim erstinstanzlichen Gericht
in Marseille. Die Staatsanwaltschaft versuchte, das Urteil auf dem
hiefür vorgeschriebenen diplomatischeu Wege über das Ministerium des
Äussern durch Vermittelung des französischen Konsulates in Basel und
des solothurnischen Regierungsrates der Rekurrentin im Laufe des Monats
November 1911 san ihrem Wohnort zuzustellen. Die Rekurrentin liess es
jedoch mit der Bemerkung zurückgehen: Die Annahme des Schriftstückes
wird in anderer wie der ortsüblichen deutschen Sprache verweigert.

Zum Zwecke der Urteilsvollstreckung veranlasste die Rekursbeklagte am
81. Januar 1912 dann die Pfändung von leeren Säcken der Rekurrentin, die
sich in einem Lagerraum der Docks et Entrepòts in Marseille befanden. Im
Protokoll über diesen Pfändungsalt sind wesentlich folgende Angaben
des amtierenden Gerichtsvollziehers enthalten: Er habe sich zunächst an
Herrn Negro gewandt; dieser habe ihm jedoch erklärt, er sei zwar früher
der Vertreter (portefaix) der Rekurrentin gewesen, habe sich jedoch nie
mit deren streitigen Angelegenheiten befasst und sei überhaupt

100 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertrà'ge.

seit langem nicht mehr in Geschäftsverkehr mit ihr, so dass ihn die
Sache nichts angehe. Nach dieser Erklärung Negros habe er die Erlaubnis
der Société des Docks et Entrepöts zum Betreten des von der Rekurrentin
für die Lagerung leerer Säcke gemieteten Raumes erwirkt und hier als
pfändbare Gegenstände 5, mit je 43 Säcken gefüllte Taschen (poches)
vorgefunden, von denen jede eine Etikette mit der Aufschrift Malzfabrik
und Hafermühle Solothurn" in Neusolothurn und den Jnitialen e M o. H S
getragen habe. Diese Pfändungsobjekte seien angesichts der Abwesenheit
der Schuldnerin von Amtes wegen einem der Pfändungszeugen zur Verwahrung
anvertraut worden. Im weitern ist auf dem Akte bemerkt, anschliessend
an die Pfändung sei den Zeugen erklärt worden, dass die öffentliche
Versteigernng der Säcke ant-15. März 1912, um 3 Uhr nachmittags, im Lokal
der Commissaires priseurs in Marseille stattfinden werde, wobei es der
gepfändeten Gesellschaft frei gestellt sei, zu erscheinen. Endlich enthält
das Protokoll die Bescheiuigung, dass eine Abschrift des Vorstehenden dem
Herrn Negro für die Rekurrentin habe übergeben werden wollen, von diesem
jedoch zurückgewiesen und deshalb mangels von Verwandten oder Angestellten
der Firma in Marseille bei der dortigen Gemeindebehörde (Mairie)
hinterlegt und eine weitere Abschrift an die Staatsanwaltschaft beim
Zwilgericht Marseille zu Handen der Rekurrentin übermittelt worden fei.

Die Versteigerung der gepfändeten Säcke fand tatsächlich am 15. März 1912
statt und ergab einen Reinerlös von 17 Fr. 85 Cts. In einem Procès-Verbal
de Perquisitions et Carence vom 29. März 1912 bescheinigte der psändende
Gerichtsvollzieher dies, unter Verweisung der rekursbeklagten Gläubigerin
auf anderweitige Vollstreckung ihres urteilsmässigen Restguthabens von
2816 Fr. 20 Cts., und verband damit eine neue Zahlungsaufforderung an die
Rekurrentin für diesen Restbetrag nebst Zinsen und Kosten. Auch diesen
Akt übermittelte er der Staatsanwaltschaft beim Zivilgericht Marseille
zu Handen der Rekurrentin.

Von der Staatsanwaltschaft wurde die Pfändungsurkunde und

die Bescheinigung des Steigerungsvollzuges nebst erneuter Zah-

tl. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 13. 101

lungsaufforderung gleich der Urteilsnotisikation vorschriftsgemäss
weitergeleitet; die Rekurrentin verweigerte jedoch, laut Mitteilungen der
solothurnischen Staatskanzlei an das französische Generalkonsulat in Basel
vom 23. Februar und 6. April 1912, bie Annahme auch dieser Aktenstücke.

Am 28. August 1912 hob die Rekursbeklagte in Solothurn gegen die
Rekurrentin Betreibung an für 2834 Fr. -5 Cts. nebst Zins seit
20. Juni 1911 und für 1343 Fr. 25 Ets. Ovelchen Betrag sie im Laufe
des Rechtsöffnungsverfahrens dann auf 1253 Fr. 15 Cts. reduzierte)
nebst 5 °/o Zins seit 22. September 1911, unter Berufung auf das
Urteil des Handelsgerichts von Marseille vom 22. September 1911 als
Forderungsurkunde. Gegenüber dem Rechtsvorschlage der Rekurrentin
verlangte sie für die beiden Forderungsbeträge definitive Rechtsöffnung Am
10. September 1912 wies das Amtsgerichtspräsidium von SolothurnLebern als
Rechtsöffnungsrichter dieses Begehren ab, weil das Kontumazialurteil des
Handelsgerichts von Marseille gemäss Art. 156 franz. Cpc dadurch erloschen
sei, dass innert der dort vorgesehenen Frist von 6 Monaten in der
Schweiz,-wo die Vollstreckung des Urteils hätte verlangt werden müssen,
keine hierauf abzielenden Handlungen vorgenommen-worden seien· Gegen
diesen erstinstanzlichen Entscheid führte die Rekursbeklagte mit Erfolg
Nichtigkeitsbeschwerde beim Obergericht des Kantons Solothurn; denn dieses
gewährte durch Urteil vom 11. Oktober 1912 die streitige Rechtsöffnung. Es
ging dabei, im Gegensatz zur ersten Instanz, unter Hinweis auf das Urteil
des Bundesgerichts i. S. Baumann & Cie. gegen Galula (AS 30 I Nr. 59)
von der Auffassung aus, dass das Erlöschen eines Kontumazurteils im
Sinne des Art. 156 franz. Cpc auch durch einen innerhalb 6 Monaten
seit Erlass des Urteils in Frankreich selbst vorgenommenen und zur
Kenntnis der kontumazierten Partei gelangten Exekutionsakt verhindert
werde, und stellte fest, dass die in Marseille durchgeführte Pfändung
und Verwertung des, wenn auch unbedeutenden, Vermögens der Rekurrentin
diese Wirkung gehabt habe. Die betreffenden Exekutionshandlungen seien,
wie sich aus den Akten ergebe, der Rekurrentin durch Zustellung der
llrkundsausfertigungen an ihren Domizilträger Negro in

102 A. staats-rechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

Marseille und auf dem diplomatischen Wege rechtsgültig notifiziert
worden. Auch diese letzteren Notifikationen seien nämlich nach den
vorliegenden Mitteilungen der solothurnischen Staatskanzlei an das
französische Generalkonsulat in Basel als geschehen zu erachten; denn es
sei klar, dass eine Partei nicht die Rechtswirkungl der Notifikation durch
Verweigerung der Annahme des zuzustellenden Aktenstückes ausschliessen
könne.

B. Gegen das ihr sofort im Dispositiv eröffnete Urteil des Obergerichts
hat die Malzsabrik und Hafermühle Solothurn mit Eingabe ihres
Vertreters vom 19. Oktober 1912 den staatsrechtlichen Rekurs an das
Bundesgericht ergriffen, mit dem Antrage, es sei der obergerichtliche
Entscheid aufzuheben und damit der Entscheid des Amtsgerichtspräsidiums
Solothurn-Lebern betr. Nichtbewilligung der Rechtsöffnung als zu Recht
bestehend zu erklären.

Jn dieser ersten Ein gode (deren unverzügliche Einreichung durch das damit
verbundene Gesuch um vorforgliche Siftierung des Betreibungsversahrens
veranlasst wurde) liess sich die Rekurrentin vorläufig, unter Vorbehalt
der Begründungsergänzung nach Empfang der motivierten Urteilsausfertigung,
beschweren wegen Verletzung der Art. 15 und 20 des Staatsvertrages
zwischen der Schweiz und Frankreich über den Gerichtsstand und die
Urteilsvollziehung in Zivilsachen, vom 15. Juni 1869: Das streitige
Kontumazialurteil sei, so wird ausgeführt, nicht rechtskräftig, sondern
gemäss Art. 156 franz.. Cpc erloschen und daher nicht vollziehbar im
Sinnevon Art. 15 des Staatsvertrages, weil die Vollziehungshandlungen,
die allerdings innert 6 Monaten seit Erlass des Urteils stattgefunden
hätten, nicht in den Formen des franz. Opc erfolgt und nicht zur Kenntnis
der Rekurrentin gelangt seien. Die mit der Urteilszustellung verbundene
Zahlungsaufforderung, die als Grundlage des Vollstreckungsverfahrens
gemäss Art. 583 franz. Cpc dem Schuldner persönlich oder an _ dessen
Wohnsitz notisiziert werden müsse, habe gegenüber dem Domizilträger Negro
in Marseille nicht rechtswirksam erfolgen können, da die Vertrags-gemässe
Domizilerwählung der Rekurrentin bei diesem sich nur auf die Erfüllung
des Kaufvertrages und nicht auch auf die Vollstreckung eines allsälligen
Urteils bezogen

[. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 134 103

habe und demnach jedenfalls mit der Entgegennahme des Urteils erledigt
gewesen sei. Der Gerichtsvollzieher felbft habe diese Notifikation
offenbar nicht für rechtswirksam gehalten, sonst hätte er sich wohl
nicht veranlasst gesehen, daneben auch noch die Zustellung auf dem
diplomatischen Wege vorzunehmen. Die der Staatsanwaltschaft übergebene
Zahlungsausforderung sei jedoch nicht an die Rekurrentin weiter geleitet
oder ihr irgendwie notifiziert worden. Auch die Verurkundungen der
weiteren Vollstreckungshandlungen das Psändungsprotokoll und der
Procès Verbal de Perquisitions et; de Carence seien der Reknrrentin
nicht zugestellt worden. Die Zustellungen seien nach den bei den
Rechtsösfnungsakten liegenden Bescheinigungen an die Staatsanwaltschaft
erfolgt, von ihr aber nicht weiter geleitet worden. Jedenfalls
habe eine Übermittelung an die Rekurrentin nach Vorschrift von
Art. 20 des Staatsvertrages nicht stattgefunden, und es sei damit
zugleich auch Art. 159 franz. Cpc, wonach die zur Aufrechterhaltung
eines Kontumazialurteils vorzunehmenden Vollziehttngshandlnngen dem
Kontumazierten bekannt gegeben werden müssten, nicht beachtet worden
(hierüber werde verwiesen auf die Urteile des Bundesgerichts: AS 28
I S. 43 ff. und 30 I S. 342 ff.). _ In dem nach Empfang der Motive
des Obergerichts eingereichten Rekursnachtrage vom 15. November
1912 beruft sich der Vertreter der Rekurrentin zunächst als weiteren
Beschwerdegrund auf Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, die darin bestehen soll,
dass sich das Qbergericht in prozessualer Hinsicht nach zwei Richtungen
einer offenbaren Gesetzesverletzung schuldig gemacht habe. Erst durch
die obergerichtliche Urteilsbegründung sei die Rekurrentin nämlich
daraus aufmerksam geworden, dass die Gegenpartei dem Obergericht mit
Eingabe vom 20. September zur Ergänzung ihrer Nichttgkeitsbeschwerde
vom 14. September 1912 Akten überfandt habe, durch welche die im Urteil
erwähnten Versuche der diplomatischen Zustellung der Urteilsnotisikation
und der Vollstreckungsurkunden an die Rekurrentin bescheinigt
würden. Auf diese dem Rechtsöffnungsrichter noch nicht unterbreiteten
Akten habe das Obergericht nicht abstellen dürfen, da seine Funktion
als Nichtigkeitsbeschwerdeinstanz gemäss § 277 soloth. ZPO aus die
Prüfung beschränkt sei, ob der Unterrichter sich bei Würdigung der ihm
vorgelegten Akten

104 A. Staatsrechthche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertrà'ge.

einer offenbaren Gesetzesverletzung schuldig gemacht habe, und ihm daher
eine Ergänzung dieser Akten und des daraus ersichtlichen Tatbestandes
nicht zustehen könne. Jedenfalls aber hätte es der Rekurrentin Gelegenheit
geben müssen, zu jener nachträglichen Eingabe derGegenpartei Stellung
zu nehmen. Sein abweichendes Verfahren bedeute in erster Linie
eine Verletzung des aus Art. 84
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 84 - 1 Der Richter des Betreibungsortes entscheidet über Gesuche um Rechtsöffnung.
1    Der Richter des Betreibungsortes entscheidet über Gesuche um Rechtsöffnung.
2    Er gibt dem Betriebenen sofort nach Eingang des Gesuches Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen Stellungnahme und eröffnet danach innert fünf Tagen seinen Entscheid.
SchKG abzuleitenden Grundsatzes,
dass der Rechtsöffnungsrichter seinen Entscheid gestützt auf das ihm
vorgelegte Tatsachenmaterial und nach Einvernahme der Parteien, also
in kontradiktorischer Verhandlung, zu fällen habe. Zudem liege darin
eine offenbare Gesetzesverletzung auch insofern, als das Gericht die
aktenergänzen"den Nova erst nach Ablauf der für die Nichtigkeitsbeschwerde
gesetzlich vorgeschriebenen Präklusivfrist von 5 Tagen, die schon am
15. September zu Ende gegangen sei, noch entgegengenommen habe.

Der Rekurrentin hätten freilich, wie sie ihrem Vertreter auf mehrfaches
Befragen erklärt habe, bei verschiedenen Anlässen" Zustellungen durch
Vermittlung der solothurnischen Staatskanzlei gemacht werden wollen,
die sie jedoch jeweilen uneröffnet und ungelesen refüsiert habe,
so dass sie nicht wisse, wann diese Zustellungen erfolgt und welcher
Art sie gewesen seien. Davon, dass eine regelrechte e saisie mit c
procès-verbal de carence gegen sie durchgeführt worden sei, habe sie
tatsächlich keine Kenntnis gehabt und sei stets im Glauben gewesen,
dass eine solche Erekution gegen sie in Frankreich, da ihr Domizil in
der Schweiz bekannt sei, nicht zulässig und nicht möglich sei. Übrigens
erscheine es ihr auch deswegen als absolut unmöglich, dass ihr zu Eigentum
gehörende Säcke in Marseille gepfändet und versteigert worden seien,
weil sie schon seit längerer Zeit, jedenfalls mindestens seit September
1911, dort keine eigenen Säcke mehr besitze.

Falls jedoch das Bundesgericht zur Ansicht gelangen sollte, dass die
von der Rekursbeklagten erst dem Obergericht eingereichten Aktenstücke
berücksichtigt und gewürdigt werden dürften, erklärt die Rekurrentin,
ihre auf Art. 20 des Staatsvertrages gestützte Beschwerde fallen zu
lassen; dagegen hält sie den Beschwerdegrund der Verletzung von Art. 15
des Staatsvertrages aufrecht und bringt hiezu wesentlich noch vor:
Die Feststellung des Ober-

I. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 13. 105

gemäss, dass auch das Pfändungsprotokoll und der acte (le perquisitions
et de carence dem Herrn Negro in Marseille als Domizilträger der
Rekurrentin zugestellt worden seien, beruhe auf Irrtum, da aus den beiden
Urkunden selbst hervorgehe,-dass bloss ein Versuch der Zustellung des
Pfändungsprotokolls gemacht worden sei, worauf Herr Negro dessen Annahme
mit der Begründung verweigert habe, dass er hiezu nicht bevollmächtigt
sei. Dieses Verhalten Negros habe denn auch seinem Vertragsverhältnis
zur Rekurrentin entsprochen; denn danach sei er als portefaix chargé de
réception nur für die Erfüllung des Kaufvertrages bezeichnet gewesen,
dessen Aufgabe mit der Entgegennahme des handelsgerichtlichen Urteils
über den Vertrag erledigt gewesen sei, da dieses Urteil nunmehr an die
Stelle des Vertrages getreten sei und ein neues Rechtsverhältnis mit neuen
Rechtswirkungen und Kompetenzen geschaffen habe. Dem erwähnten Versuche
der Zustellung des Pfändungsaktes komme somit keine Rechtswirkung zu. Die
mit der Urteilszustellung verbundene Zahlungsaufforderung aber gehöre
nach der französischen Rechtssprechung (DALLoz, Recueil périodique
1894, II S. 244) noch nicht zum Vollftreckungsversahren. Folglich
sei der Rekurrentin gar keine Exekutionshandlung durch Herrn Negro in
Marseille rechtskräftig notifiziert worden. Zudem seien die in Marseille
vorgenommenen Erekutionshandlungen überhaupt ungültig gewesen, da auch
nach französischem Recht (Art. 583 ff, Cpc) die Exekution in bewegliche
Sachen am Wohnsitze des Schuldners zu geschehen habe und ein anderweitiges
Erekutionsverfahren nur bei Nichtbekanntsein dieses Wohnsitzes zulässig
sei. Denn die Pfändung sei ohne vorherige Zustellung eines rechtsgültigen
Zahlungsbefehls und die Versteigerung ohne vorherige Anzeige der Psändung
durch' geführt worden. Dass unter diesen Umständen die Zustellungen an die
Staatsanwaltschast die im Gesetze vorgesehene und in jedem ordentlichen
und gesetzmässigen Exekutionsverfahren vorgeschriebene Kenntnisgabe an
die Rekurrentin, deren Wohnsitz in Solothurn bekannt gewesen sei, nicht
habe ersetzen können, dürfte auf der Hand liegen. Überdies hätten die
versuchten Zustellungen auf dem diplomatischen Wege durchwegs zu spät
stattgefunden, um vonder Rekurrentin als Schuldnerin noch irgendwie
berücksichtigt werden

108 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

zu können. Jnsbesondere enthalte der mit dem Urteil zugestellte
Zahlungsbefehl die Weisung, den Urteilsbetrag innert 24 Stunden vom
Datum des Zahlungsbefehls (25. Oktober 1911) an zu bezahlen, während
das Urteil mit dem Befehl der Rekurrentin erst am 22. November von der
solothurnischen Staatskanzlei habe zugestellt werden wollen. Wenn auch
die Frage der Vollstreckbarkeit eines französischen Kontumazialurteils
sich grundsätzlich nach dem französischen Rechte beurteile, so folge
hieraus noch keineswegs, dass die Vollstreckung, soweit nicht Immobilien
in Frage ständen, da zu geschehen habe, nao-das Urteil erlassen worden
sei und wo zufällig bewegliche Sachen des Schuldners gefunden wurden.
Jedenfalls aber wäre ein solches Verfahren internationalrechtlich und
speziell vom Standpunkte des schweizerischen Rechtes aus unzulässig. Der
schweizerisch-französische Staatsvertrag schreibe allerdings nicht vor,
dass die Urteile am Wohnsitz des Verurteilten vollstreckt werden müssten,
allein er enthalte umgekehrt auch keine Bestimmung, dass die Urteile
in dem Vertragsstaate, von dessen Gerichten sie erlassen worden seien,
gegen einen im andern Vertragsstaate niedergelassenen Bürger vollftreckt
werden dürften. Bei diesem Stillschweigen des Vertrages müsse für die in
der Schweiz wohnhaften Schuldner in Bezug aus die Zwangsvollstreckung das
schweizerische Gesetz massgebend sein, und danach verstosse die Annahme
delebergerichts, dass in Frankreich rechtsgültige Vollstreckungshandlungen
gegenüber der Rekurrentin vorgenommen worden seien, gegen Art. 46
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 46 - 1 Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
1    Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
2    Die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen und Gesellschaften sind an ihrem Sitze, nicht eingetragene juristische Personen am Hauptsitze ihrer Verwaltung zu betreiben.
3    Für die Schulden aus einer Gemeinderschaft kann in Ermangelung einer Vertretung jeder der Gemeinder am Orte der gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit betrieben werden.83
4    Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ist am Ort der gelegenen Sache zu betreiben.84
SchKG,
laut welchem die Betreibung am Wohnsitze des Schuldners zu erfolgen habe.

C. Das Obergericht des Kantons Solothurn bemerkt in seiner Vernehmlassung
gegenüber dem prozessualen Beschwerdegrunde der Rekurrentin wesentlich:
Es bestehe weder eine gesetzliche Vorschrift, noch eine Übung des
Obergerichts, wonach die Beschwerdeschrift in Rechtsöfsnungssachen
der Gegenpartei zur Vernehtnlassung zugestellt würde. Das Obergericht
habe als Nichtigkeitsbeschwerdeinstanz allerdings keine tatsächlichen
Feststellungen zu machen. Allein wenn es svorliegend auch neue
Beweismittel nicht eigentliche Nova berücksichtigt habe, so wäre dies für
den Entscheid gar nicht notwendig gewesen und sei nur deshalb erfolgt,
um das Urteil übersichtlicher zu gestalten. Übrigens sei die Frage,
ob im Richtigkeitsverfahren Nova berück-

I. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 13. 107

sichtigt werden dürften und ob es sich hier um die Berücksichtigung
solcher Nova handle, eine Frage des kantonalen Prozessrechts, die Tom
Bundesgericht als Staatsgerichtshof nicht überprüft werden orme.

D. Die rekursbeklagte Firma Bourgogne & Cie. hat, mit einlässlicher
Begründung, die, soweit von Belang, den nachstehenden Erwägungen
entspricht, ans Abweisung des Rekurses antragen lassen; -

in Erwägung:

1. Erfüllung der formellen Rekursvoraussetzungen.)

2. Materiell erweist sich die Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV als unbegründet. Die Frage, ob das Obergericht als
Nichtigkeitsbeschwerdeinstanz neue Beweismittel nur um solche, nicht
umneue Tatsachen handelt es sich bei den von der Rekursbeklagten erst
dem Obergericht vorgelegten Urkunden habe zulassen dürfen, gehört dem
kantonalen Prozessrecht an. Nun hat aber die Rekurrentin eine positive
Gesetzesvorschrift, die ein einschlägiges Verbot der Berücksichtigung
neuer Beweismittel enthielte, nicht anzuführen vermocht· Die Beantwortung
der Frage ist somit nicht direkt gegeben, sondern erfordert eine
Auslegung der Prozessordnung, die jedenfalls ohne Willkür im einen oder im
andern Sinn erfolgen konnte. In der Zulassung des neuen Beweis-mittels
liegt ferner auch keine willkürliche Anwendung des Art. 84
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 84 - 1 Der Richter des Betreibungsortes entscheidet über Gesuche um Rechtsöffnung.
1    Der Richter des Betreibungsortes entscheidet über Gesuche um Rechtsöffnung.
2    Er gibt dem Betriebenen sofort nach Eingang des Gesuches Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen Stellungnahme und eröffnet danach innert fünf Tagen seinen Entscheid.
SchKG;
denn dessen Vorschrift, dass der Richter im Rechtsössnungsverfahren
nach Einvernahme der Parteien binnen bestimmter Frist zu entscheiden
habe, hat das erftinstanzliche Verfahren im Auge und gibt darüber,
nach welchen Grundsätzen ein allfälliges zweitinstanzliches Verfahren
einzurichten sei, zum mindesten keine direkte Auskunft. Ebensowenig
verstösst die Nichteinholung einer Vernehmlassung der Rekurrentin auf die
nachträgliche Beweiseingabe der Rekursbeklagten gegen den durch Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV
gewährleisteten Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Denn danach haben die
Parteien bekanntlich keinen Anspruch darauf, in jeder Jnstanz angehört
zu werden, und wenn das solothumische Prozessrecht nach Feststellung des
Obergerichts, der eine abweichende Rekursbehauptung nicht gegenübersteht
nicht einmal die Mitteilung der Nichtigkeitsbeschwerdeschrift an den
Beschwerdegegner vorschreibt, so kann in der gleichen Behandlung

108 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. lV. Abschnitt. Staatsverträge.

der fraglichen Beweiseingabe jedenfalls keine offenbare Gesetzesverletzung
und Willkür erblickt werden, obschon es gewiss korrekter gewesen wäre,
wenn das Obergericht die Eingabe, auf die es tatsächlich abgestellt hat,
der Rekurrentin zur Kenntnis gebracht hätte. Endlich erscheint es auch
nicht als willkürlich, dass dasObergericht die neuen Beweismittel nach
Ablauf der gesetzlichen Nichtigkeitsbeschwerdefrift noch entgegengenommen
hat. Aus der Vorschrift des § 277 soloth. BVE), die Beschwerde müsse
gegen Rechtsöffnungsurteile innert 5 Tagen von der Urteilsfällung an
erhoben werden, folgt unmittelbar nur, dass nach Ablauf dieser Frist
keine neuen Beschwerdegründe mehr geltend gemacht werden dürfen, nicht
aber, dass im Falle rechtzeitiger Beschwerdesührung die nachträgliche
Einreichung neuer Beweismittel zur Stützung eines bereits geltend
gemachten Beschwerdegrundes schlechthin ausgeschlossen sei. Vielmehr
handelt es sich auch dabei um eine Prozessrechtsfrage, die in guten
Treuen verschieden beantwortet werden kann. -

3. Mit der vorstehenden Erledigung der Beschwerde aus '

Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV ist, wie die Rekurrentin selbst zugibt, der Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 20 des schweizerisch-französischen Staatsvertrages
vom 15. Juni 1869 die tatsächliche Grundlage entzogen, und es bleibt nur
noch die Beschwerde wegen Verletzung des Art. 15 dieses Staatsvertrages,
d. h. die Einrede zu prùfen, dass kein vollziehbares Urteil im Sinne
dieser Vertragsbestimmung vorliege. Als im andern Vertragsstaate
vollziehbar bezeichnet Art. 15 die definitiven und in Rechtskraft
erwachsenen Urteile ( les jugements ou arréts définitifs lorsqu'ils auront
acquis force de chose jugée ). Dass darunter auch Kontumazialurteile
zu verstehen sind, geht ohne weiteres hervor aus den Bestimmungen der
Art. 16 Ziff. 3 und Art. 17 Abf. 1 Biff. 2 des Vertrages. Denn die
erstere nennt als Erfordernis der Vollziehbarkeit die Produktion einer vom
Gerichtsschreiber des erkennenden Gerichts ausgestellten Bescheinigung,
dass weder Opposition noch Appellation, noch ein anderes Rechtsmittel
vorliege; die Opposition des französischen Prozessrechtes aber ist der
einfache Einspruch, durch den-ein Kontumazialurteil innert bestimmter
Frist unwirksam gemacht werden kann. Und in Art. 17 Abs. 1 Ziff. 2,
wo von der Verweigerung der Vollziehung für den Fall, dass der Verurteilte

[. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 13. 109

nicht gehörig Vorgeladen worden war, die Rede ist, sind ausdrücklich
auch die Kontumazialurteile ( parties ..... défaillantes ) erwähnt.

Mit Bezug auf Kontumazialurteile vorliegender Art (die wegen
Nichterscheinens der Partei défaut faute de comparaitreerlassen worden
sind) enthält nun der Titel VIII im 2. Buche des I. Teils des franz. Cpc
folgende Vorschriften, die gemäss Art. 643 des Code de commerce auch für
das handelsgerichtliche Verfahren Geltung haben und demnach hier Anwendung
finden: Einerseits stellt Art. 156 eine Verwirkungsnorm auf, wonach
solche Kontumazialurteile, sofern sie nicht innert 6 Monaten nach ihrem

·-Erlasse vollzogen werden, dahinfallen ( ils seront èxécutés dans les
six mois de leur obtention, sinon seront réputés

non avenus ). Und anderseits erklärt Art. 158 die e opposition hiegegen
als zulässig bis zum Vollng des Urteils,. wobei Art. 159 ergänzend
Vollziehungshandlungen aufführt, mit deren Vornahme der Urteilsvollzug
von Gesetzes wegen als eingetreten gelten soll. Was das Verhältnis dieser
drei Gesetzesartikel zn einander betrifft, so geht die französische
Praxis darin einig, dass sich die Detailbestimmung des Art. 159 nur
auf den Fall der Opposition des Art. 158, und nicht auch auf den Fall
der péremption des Art. 156 bezieht, wie ROGUIN, Conflit des lois,
Ziff. 741 S. 826 f. und auch das Bundesgericht i. S. Baumann & Eie. gegen
Galula (AS 30 I Nr. 59 Erw. 5 S. 352 ff.) irrtümlich angenommen haben
(vergl. hierüber DALLOZ, Code de Procédure civile annoté, Biff. 206 ff.,
spez. 209, 211, 218, 220, zu Art. 156; GARSONNET, Traité de procédure
[2. Aufl.], VI Nr. 2215 S. 232). Nach der hier angeführten Praxis
genügt es zur Verhinderung der Verwirkung des Art. 156, dass innert 6
Monaten nach Erlass des Kontumazialurteils auch nur ein Anfang zu dessen
Vollzuge gemacht worden ist; GARSONNET erachtet als genügend sogar
die blosse Zustellung des Urteils, wenn wenigstens feststeht, dass es
dem Verurteilten wirklich zur Kenntnis gekommen ist (a. a. O., S. 234
Ziff. 4). Daraus folgt, dass ein französisches Kontumazialurteil bei
dét'aut faute de comparaître solange nicht als definitiv-rechtskräftiges
Urteil im Sinne von Art. 15 des Staatsvertrages

110 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertrà'ge.

anzusehen ist, als es durch Verwirkung, gemäss Art. 156, dahinfallen oder
vermittelst Opposition, nach Massgabe der Art. 158 und 159, beseitigt
werden kann.

4. Nun beruft sich die Rekurrentin vorliegend ausschliesslich auf die
Berwirkung des Art. 156 Cpc, indem sie zwar zugibt, dass Handlungen zur
Vollstreckung des streitigen Urteils innert 6 Monaten nach dessen Erlass
stattgefunden haben, diesen Handlungen jedoch die Rechtswirkfamkeit
schon deswegen abspricht, weil sie in Frankreich und nicht in der
Schweiz erfolgt sind. Die diesem Einwande zugrunde liegende Auffassung,
dass die Urteilsvollstreckung am bekannten schweizerischen Wohnsitze
der Rekurrentin hätte durchgeführt werden sollen, geht fehl. Der Art
547 franz. Cpc erklärt alle in Frankreich erlassenen Urteile als im
ganzen Gebiete der französischen Republick vollstreckbar, und zwar
schlechthin, ohne Rücksicht auf den Wohnort oder die Nationalität
des Verurteilten, also insbesondere auch gegenüber einem im Auslande
wohnhaften Ausländer. Sachlich zuftändig für den Urteilsvollzug sind die
Gerichtsvollzieher (huissiers), die als Parteibeauftragte ihres Amtes
walten kraft der allgemeinen Vollstreckungsklausel, die gemäss Dekret vom
2. September 1871 jedem Zivilurteil beigefügt wird was hier tatsächlich
geschehen ist und dahin lautet, dass der Präsident der französischen
Republik allen Gerichtsvollziehern anbefiehlt, das Urteil auf Ersuchen
zu vollziehen. Eine örtliche Kompetenzbegrenzung besteht nur insofern,
als jeder

Gerichtsvollzieher nur in seinem Amtskreise Vollzugshandlungen .

vorzunehmen befugt ist, so dass als zuftändige Vollzugsorgane alle
diejenigen Gerichtsvollzieher in Betracht fallen, in deren Amtskreis sich
pfändbares Vermögen des Schuldners befindetDiese Ordnung des internen
Urteilsvollzuges in Frankreich wird durch den schweizerisch-französischen
Staatsvertrag vom 15. Juni 1869 nicht berührt. Denn dieser Vertrag
gibt darüber, in welcher Weise die Urteile der beiden Vertragsstaaten
im eigenen Staatsgebiete zu vollziehen seien, keine Auskunft, sondern
regelt ausschliesslich die Vollstreckung des Urteils des einen Staates
imandern Staate. Es kann somit keine Rede davon sein, dass nur die in
der Schweiz gemäss Art. 46
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 46 - 1 Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
1    Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
2    Die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen und Gesellschaften sind an ihrem Sitze, nicht eingetragene juristische Personen am Hauptsitze ihrer Verwaltung zu betreiben.
3    Für die Schulden aus einer Gemeinderschaft kann in Ermangelung einer Vertretung jeder der Gemeinder am Orte der gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit betrieben werden.83
4    Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ist am Ort der gelegenen Sache zu betreiben.84
SchKG gegenüber der Reknrrentin angehobene
Zwangsvollstreckung die Verwirkung des

I. Gerichtsstandsverirag mit Frankreich. N° 13. 111

Kontumazialurteils im Sinne von Art. 156 Cpc hätte verhindern
können. Vielmehr müssen auch die in Frankreich selbst rechtsgültig
vorgenommenen Vollstreckungshandlungen als hier geeignet erachtet werden,
diese sogar in erster Linie, da ja Art. 156 Cpc als interne französische
Rechtsnon an sich überhaupt nur sie im Auge hat und erst durch den
Staatsvertrag noch auf die entsprechenden Vollstreckungshandlungen in
der Schweiz ausgedehnt worden ist (vergl. hierüber das bereits erwähnte
Urteil des Bundesgerichts i. S. Baumann & (Sie.: a. a. O., S. 353). Bei
den hier nachgewiesenen Vollstreckungshandlungen auf französischem
Staatsgebiet bleibt demnach zu prüfen, ob sie den einschlägigen
Vorschriften des französischen Prozessrechts gemäss erfolgt seien
oder aber, wie die Rekurrentin weiterhin einwendet, auch danach
der Rechtswirksamkeit entbehrten. In dieser Hinsicht behauptet die
Rekurrentin zunächst unrichtigerweise, dass nach Art. 583
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 46 - 1 Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
1    Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
2    Die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen und Gesellschaften sind an ihrem Sitze, nicht eingetragene juristische Personen am Hauptsitze ihrer Verwaltung zu betreiben.
3    Für die Schulden aus einer Gemeinderschaft kann in Ermangelung einer Vertretung jeder der Gemeinder am Orte der gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit betrieben werden.83
4    Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ist am Ort der gelegenen Sache zu betreiben.84
franz. Cpc
(gleich wie nach Art. 46
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 46 - 1 Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
1    Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
2    Die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen und Gesellschaften sind an ihrem Sitze, nicht eingetragene juristische Personen am Hauptsitze ihrer Verwaltung zu betreiben.
3    Für die Schulden aus einer Gemeinderschaft kann in Ermangelung einer Vertretung jeder der Gemeinder am Orte der gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit betrieben werden.83
4    Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ist am Ort der gelegenen Sache zu betreiben.84
SchKG) die Zwangsvollstreckung in bewegliche
Sachen am Wohnsitze des Schuldners zu erfolgen habe. Denn Art. 583 Cpc
sagt nur, dass jeder Pfändung ein Zahlungsbefehl vorauszugehen habe,
der dem Schuldner in Person oder an seinem Wohnort mindestens einen Tag
vor der Pfändung zugesiellt werden müsse. Die Bestimmung gibt also keine
Auskunft darüber-, wo die Pfändun g selbst vorzunehmen sei. Diese kann
eben, wie bereits erwähnt, gemäss der französischen Vollstreckungsklausel
überall da erfolgen, wo sich pfändbares Vermögen vorfindet. Sodann trifft
auch die Bestreitung der Rekurrentin, dass ihr ein Zahlungsbefehl nicht
nach Vorschrift des Art. 583 zugestellt worden sei, nicht zu. Einmal
beanstandet sie zu Unrecht die Rechtsgültigkeit der Zuftellnng des
Zahlungsbefehls, die in Verbindung mit dem Kontumazialurteil an
ihren Domizilträger Negro in Marseille stattgefunden hat; denn nach
feststehender französischer Gerichtspraxis ist sowohl die Verbindung
des Zahlungsbefehls mit dem Urteil, als auch die Zustellung an den
Domizilträger als solchen von Rechts wegen zulässig, so dass die
Rekurrentin hiegegen ihre angeblich abweichende vertragliche Vereinbarung
mit Negro nicht anrufen kann (vergl. GARSONNET, a. a. O., IV Nr. 1334
S. 237 und Nr. 1337 S. 24.4). Dazu kommt, dass die Notifikation des
Zahlungsbefehls überdies auch

112 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertrà'ge.

noch aus dem diplomatischen Wege, den Art. 20 des Staatsvertrages
vorsieht, rechtswirksam erfolgt ist, indem die Rekurrentin den Effekt
dieser Zustellung durch ihre rechtlich nicht begründete Weigerung, das
ihr formrichtig übermittelte Aktenstück anzunehmen, natürlich nicht
abzuwenden vermochte, wie das Obergericht mit Recht erklärt hat. Der
Umstand, dass das Aktenstück der Rekurrenttn tatsächlich erst im Laufe
des Monats November nachdem die eintägige Frist der Zahlungsaufforderung
längst verstrichen war diplomatisch übermittelt wurde, ist ohne Belang,
da ja die Pfändnng, aus deren zeitliches Verhältnis zur Notifikation
des Zahlungsbefehls Art. 583 Cpc allein Bezug nimmt, tatsächlich mehr
als nur einen Tag später, nämlich erst Ende Januar 1912, vorgenommen
worden ist. Es ist daher, was die Zahlungsaufforderung betrifft, auch
schlechterdings unverständlich-, wieso die Rekurrentin behaupten kann,
die Zustellung auf dem diplomatischen Wege sei zu spät erfolgt, um von
ihr als Schuldnerin noch irgendwie berücksichtigt werden zu können.

Schon diese in zweifach wirksamer Form ge schehene Zahlungsaufsorderung
hätte nach GARSONNET also zur Verhinderung der péremption des Art. 156
Cpc genügt. Unter allen Umständen aber ist diese Wirkung durch die
weiteren Vollftreckungshandlungen der Pfändung und der Pfandverwertung in
Marseille herbeigeführt worden; denn auch diese beiden Handlung-en sind,
wie nach dem bereits Gesagten ohne weiteres feststeht, der Rekurrentin
auf dem vertragsgemässen diplomatischen Wege in rechtswirksamer Weise
notifiziert worden. Auch mit Bezug auf ihre Notifikation kann von einer
für das Verhalten der ,Rekurrentinrelevansiten Verspätung offenbar
nicht dieTRede fein, ganz abgesehen davon, dass die beiden Akte zu ihrer
Rechtswirksamkeit gemäss Art, 156 Cpc bei dessen erwähnter Unabhängigkeit
von Art. 159 gar nicht zur Kenntnis der Rekurrentin zu gelangen brauchten.

Auch die Beschwerde aus Art. 15 des Staatsvertrages erweist sich demnach
als durchaus unbegründet; --

erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen

il. Auslieferungsvertrag mit dem Deutschen Reiche. N° 14. 11.3

II. Auslieferungevertrag' mit dem Deutschen Reiche. Traité d'extradition
avec l'Empire allemand.

14. Arten vom 19. zum 1913 in Sachen aims-gnam.

Eine fü 1' Zweck e des Sch m ug ge ls begangene Urkundenfàlschung
ist Auslieferungsdelikt tin-Sinne von Art. 1 Ziff. 17
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 46 - 1 Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
1    Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
2    Die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen und Gesellschaften sind an ihrem Sitze, nicht eingetragene juristische Personen am Hauptsitze ihrer Verwaltung zu betreiben.
3    Für die Schulden aus einer Gemeinderschaft kann in Ermangelung einer Vertretung jeder der Gemeinder am Orte der gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit betrieben werden.83
4    Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ist am Ort der gelegenen Sache zu betreiben.84
des
schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages. Vorbehalt der
Nichtbestmfung des" Schmuggels, gemäss Art. 11 Abs. 2
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 46 - 1 Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
1    Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
2    Die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen und Gesellschaften sind an ihrem Sitze, nicht eingetragene juristische Personen am Hauptsitze ihrer Verwaltung zu betreiben.
3    Für die Schulden aus einer Gemeinderschaft kann in Ermangelung einer Vertretung jeder der Gemeinder am Orte der gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit betrieben werden.83
4    Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ist am Ort der gelegenen Sache zu betreiben.84
AuslG und Art. 4
Abs. 3 des erwähnten AusL-V. '

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage. *

A. Mit Note vom 1. März 1913 hat das grossherzoglich badische Ministerium
der Justiz und des Auswartigen in Karlsruhe, unter Berufung auf den
Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem deutschen Reiche vom
24. Januar 1874, beim Bundesrat die Auslieferung des mit seiner Familie
in Birsfelden (Kanton Basel-Landschaft) wohnhaften und dort zur Haft
gebrachten preussischen Staatsangehörigen Adolf Bauer-Mos nachgesucht
zum Zwecke seiner Strafverfolgung im Grossherzogtum Baden ges mäss
beigelegtem Haftbefehl des grossherzogl. Amtsgerichts III in Lörrach Vom
25. Februar 1913. Danach ist deriAuszuliefernde beschuldigt, fich, in
rechtswidriger Absicht und um sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen,
gemeinsam mit einem Andern der Fälschung einer Privaturkunde im Sinne
der §§ 267 und 268 Ziffer 1 Reichs-StGB dadurch schuldig gemacht zu
haben, dass er am 17. Februar 1913 einen statistischen Anmeldeschein
zollsreier Waren aussüllte und mit dem Namen J. Kunz unterzeichnete,
während Emil Faller aus Hausen den Stempel der Futtermehlss fabrik J. Kunz
in Basel beisetzte und den Schein am 18. Fehruar in Bauers Auftrag dem
Unterzollantt Wait-WWMM übergab, um die Zollbeamten indeu Wenzu Wes-, das

die eingeführte Ware ausschliesslich aus Futtermehl bestehe, wäh-

,rend 50 Kg. Saecharin beigepackt waren

AS391 1913 ' 8