320 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung
II. Handelsund Gewerbefreiheit. Liberté du commerce et de l'industrie.
56. Zweit vom 23 Oktober 1913 ' Sachen Magazine zum @sobns 34.49. gegen
gt. galten.
lssserle-zung von Art. 4 und 31 Bl" dadurch, dass u'icsi um einem
Warme-qum flan Kunden gewährte V m'güustiymzy. wonach sie unter
bestimm-- iflu Voraussetzungen ihr Bild angefertigt erhalten,
als patentpflicktiger/1 usverss'crms (i . S . dns sl. Muller-14m
Nar/1èr-issssgsgz's'nlsex zum Mar/;(un/l Hausz'eryass-otz) (...li/33m;
wir/l.
Das Bundesgericht hat, da sich ergeben:
A. Das St. Galler Tagblatt vom 24. Oktober 1912 enthielt im Jnseratenteil
in einer besonderen Beilage folgende Ankündigung :
Die Magazine zum Globns, Zurich, Bisel, St. Gallen, Aarau und Chur bieten
dem Publikum durch dasG lob u s Porträt eine neue Vergiinstignng. Jeder
Kunde erhält bei Einküner von 50 Fr. innerhalb drei Monaten vollständig
tostenlos nach eigener Photographie angefertigt ein Globus-Porträt. Jeder
Einkauf von 50 Cis. an wird auf der Zähltarte markiert. Verlangen Sie
Zählkarte!
Über diese Antündigung beschwerte sich der St. Galler Detaillistenverband
bei der städtischen Polizeidirettion mit der Behaup- tung, dass darin
ein patentpflichtiger Reklamevertanf im Sinne von Art. 1 Ziff. 1 des
kantonalen Nachtragsgesetzes zum Gesetz über den Marktverkehr und das
Hausieren vom 23. November 1894 liege. Die Magazine zum Globns, Filiale
St. Gallen, ihrerseits bestritten mit Eingabe vom 25. November 1912
an das Gemeindeamt zu Händen der Hausierkommission die Patentpflicht,
indem sie ausführten: die Verabfolgung der Porträte bezwecke keinen
vorübergehenden Massenabsatz, sondern sei eine dauernde Institution zu
dem Zwecke, den Magazinen zum Globus die Gunst des kaufenden Publikums
zuzuwenden. Die Waren würden keineswegs zu
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reduzierten, sondern zu durchaus normalen Preisen abgegeben. Die nämliche
Einrichtung bestehe denn auch in Deutschland und anderwärts in vielen
Warengeschäften seit langem, ohne dass sie von den Behörden beanstandet
worden wäre.
Durch Beschluss vom 28. Januar 1918 erklärte der Stadtrat von St. Gallen,
dass zwar die Unterstellung der fraglichen Veranstaltung unter das
Nachtragsgesetz seiner Auffassung widerstrebe, dass er aber mit Rücksicht
auf die Praxis der Oberbehörden die Patentpflicht besahen müsse.
Ein gegen diesen Beschluss ergriffener Rekurs wurde vom Regierungsrat am
7. März 1913 mit folgender Begründung abgewiesen: als Reklamevertäufe
zu reduzierten Preisen im Sinne des Gesetzes seien nach konstanter
Praxis alle Warenverkäufe zu betrachten, bei denen vorübergehende
Ausnahmebegünstigungen gewährt würden. Diese Merkmale seien hier
vorhanden. Die Veranstaltung sei unzweifelhaft ins Leben gerufen worden,
um die Käuferschaft zu intensiver-en Einkäufen zn bewegen: sie diene
also Reklamezwecken. Auch handle es sich, entgegen der Behauptung
der Rekurrentin nicht um eine dauernde, sondern um eine beschränkte
Vergünstigung Der Kunde erhalte das Bild nur ausnahmsweise, nämlich
nur dann, wenn er innert drei Monaten für 50 Fr. kaufe. Endlich liege
auch eine Preisermässigung vor. Der Preis der gekauften Waren werde
um denjenigen des Porträts reduziert: den Käufern werde erspart, sich
anderswo photographieren zu lassen. " s
B. Gegen diesen Entscheid haben die Magazine zum Globus Filiale St. Gallen
die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit
dem Antrage, es sei derselbe sowie der damit bestätigte Beschluss
des Stadtrates St. Gallen vom 28· Januar 1913 als verfassungswidrig
aufzuheben. In der Begründung der Beschwerde wird zunächst (in Bestätigung
der Vorbringen im Rekurse an den Regierungsrat) darauf hingewiesen,
dass der Erfolg der Ankündigung nur gering gewesen sei im Ganzen seien
in der Zeit vom 25. Oktober 1912 bis Ende Januar 1913 nur zirka 508
Porträtanrechte erworben worden, was einem Umsatz von zirka 25,00()
Fr. entspreche, auch dieser sei indessen nur zum kleinen Teile auf die
Porträtabgabe zurückzuführen, da die meisten
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Käufer bisherige Kunden des Globus gewesen seien und _s°= dann ausgeführt:
der Umstand, dass die Veranstaltung Reklamezwecken diene, genüge nicht, um
sie dem Nachtragsgesetz zu unter- stellen. Patentpflichtig im Sinne dieses
Gesetzes seien nur diejenigen Reklameoerkäuse,welche einen vorübergehenden
Massenverkaus zu reduzierten Preisen beztveckten. Diese Requisite
fehlten aber hier durchaus. Dass der einzelne Kunde das Porträt nur
dann erhalte, wenn er innert Frist für eine bestimmte Summe kaufe, mache
die Vergünstignng noch nicht zu einer vorübergehenden. Massgebend sei,
dass sie der gesamten Kundschaft gegenüber als eine dauernde erscheine,
dass also die Kunden sich nicht, wie dies bei wirklich vorübergehenden
Veranstaltungen der Fall sei, beeilen müssten, um ihrer teilhaftig zu
werden, sondern jeder warten könne, bis er finde, das kommende Vierteljahr
ermögliche ihm, für 50 Fr. einzukausen. vAuch von einer Preisreduktion
könne nicht die Rede sein. Wie schon aus dem Jnserat hervorgehe, habe
jeder Kunde seine Photographie selbst mitzubringen : es werde ihm also
keineswegs erspart, sich photographieren zu lassen. Auf der Ware selbst
erhalte er keinenRappen Rabatt und das Porträt habe für ihn keinen
Verkehrswert. Zweifellos würde es denn auch keinem Kunden einfallen,
sich ein solches anderswo ersiellen zu lassen, wenn er es nicht im Globus
umsonst erhielte. Die Unterstellung unter die Patentpflicht entbehre
somit der gesetzlichen Grundlage, sie sei willkürlich und verstosse
gegen die Gewerbefreiheit.
C. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen hat auf Abweisung des Rekurses
angetragen. Er hält daran fest, dass die
Abgabe eines Gratisporträts einer Preisermässigung auf den Waren '
selbst gleichkomme, und dass die darin liegende Vergünstigung
mit Rücksicht auf die an das Bezngsrecht geknüpfte Bedingung als
vorübergehende betrachtet werden müsse. Von einer dauernden Vergünstigung
liesse sich nur dann sprechen, wenn das Geschenk dem Kunden ohne jede
Zeitbemessung ausgehändigt win-de, sobald seine Einkäufe 50 Fr. erreicht
hätten; -in Erwägung:
1. Nach Art.v1 Biff. 1 des st. gallischen Nachtragsgesetzes zum Gesetz
über den Marktverkehr und das Hausieren vom 23. November 1894 ist als
patentpflichtiger Hansierverkehr zu betrachten
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und daher der in Art. 2 vorgesehenen Patenttaxe von 25 1000 Fr.
und den übrigen im Gesetz festgesetzten Beschränkungen unterworfen: der
freiwillige Ausverkauf, inbegriffen sog. Gelegenheitsreklameund andere
vorübergehende Massenverkäufe zu reduzierten Preisen-C Die Tatsache, dass
für einen Verkauf Reklame gemacht wird, mag sie auch noch so umfangreich
und der Hinweis auf die angeblich dem Käufer gebotenen Vorteile noch so
marktschreierisch sein, reicht demnach, wie die Rekurrenten zutreffeud
hervorheben, zur Begründung der Patentpflicht nicht aus: diese besteht
vielmehr nur dann, wenn durch die Ankündigung der Eindruck erweckt wird,
dass zu reduzierten, d. h. gegenüber den gewöhnlichen herabgesetzten
Preisen verkauft werde, dass diese Vergünstigung eine vorübergehende
sei, und dass es sich um einen Massenverkauf handle. Anders kann die
Bestimmung nicht verstanden werden, wenn man nicht die Worte und andere
vorübergehende Massenverkänfe zu reduzierten Preisen geradezu ans dem
Texte eliminieren und damit diesem Gewalt antun will. Fragt sich, ob der
Regierungsrat jene Voraussetzungen mit Recht habe als gegeben ansehen
dürfen, so ist dies zu verneinen.
2. Klar ist von vorneherein, dass von einer Preisreduktion im
gewöhnlichen Sinne des Wortes hier nicht die Rede sein kann, da die
Waren unbestrittenermassen zu den üblichen Preisen abgegeben werden
und etwas Gegenteiliges auch durch das Jnserat vom 24. Oktober 1912
nicht in Aussicht gestellt worden ist. Der Regierungsrat behauptet
denn auch selbst nicht, dass eine solche vorliege. Ebensowenig macht
er geltend, dass das sog. GlobusPorträt an sich einen Verkehrswert
besitze. Dagegen nimmt er an, dass dessen unentgeltliche Abgabe deshalb
einer Preisermässigung gleichkomme, weil dem Empfänger dadurch erspart
werde, sich anderswo photographieren zu lassen. Auch diese Annahme
ist indessen nicht haltbar. Denn es steht fest und geht auch aus der
Ankündigung unmissverständlich hervor, dass jeder Kunde seine Photographie
selbst zu beschaffen hat, und dass die Leistung der Rekurrenten nur in der
Erstellung einer vergrösserten Reproduktion derselben in ovalent Formate
und auf fester Unterlage besteht. Die Frage kann also nur die sein,
ob hierin eine der Ermässigung des Warenpreises selbst gleichkommende
Vergünsiigung liege. Nun muss es aber mi;
AS 39 l 1913 2'.'
324 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.
den Rekurrenten als durchaus unwahrscheinlich bezeichnet werden, dass
die Käufer sich eine derartige Reproduktion anfertigen liessen, wenn
sie ihnen nicht vom Globus unentgeltlich angeboten würde. Die Abgabe
einer solchen erscheint deshalb nicht als Abwendung einer Auslage,
die dem Empfänger sonst erwachsen wäre, sondern als reines Geschenk,
dem nicht die Bedeutung einer für ihn vermögensroerten und den Preis
der gekauften Waren herabmindernden Leistung beigemessen werden kann.
3. Wollte man aber auch diesen Punkt als zweifelhaft betrachten, so
könnte jedenfalls das Requisit des vorübergehenden nicht als erfüllt
gelten. Wenn der Regierungsrat aus dem Umstande, dass das Porträt nur
denjenigen Kunden verabfolgt wird, die innert 3 Monaten für 50 Fr. kaufen,
folgert, dass es sich um eine vorübergehende Begünstigung handle, so geht
dieser Schluss offensichtlich fehl. Denn das Wort vorübergehende gehört
nach dem Gesetzestext als Attribut zu Massenverkäufc zu reduzierten
Preisen. Massgeberid kann demnach nicht sein, welche Bedingungen der
einzelne Kunde erfüllen muss, um der Vergünstigung teilhaftig zu werden,
sondern einzig, ob die Vergünftigung als solche eine vorübergehende sei,
d. h. nur innert eines beschränkten Zeitraumes gewährt werde. Hiefür
bietet aber das Jnserat keine Anhaltspunkte Es muss daher davon
ausgegangen werden und wird übrigens im Grunde auch vom Regierungsrat
nicht bestritten, dass das Porträt abgegeben wird, gleichgiltig in
welchem Zeitpunkte der Kunde mit seinen Einkäufen beginnt, sofern nur
die Kaufsumme von 50 Frinnert drei Monaten von da an erreicht wird,
dass man es also nicht mit einer vorübergehenden, sondern mit einer
dauernden Verkaufsmodalität zu tun hat. Auf solche trifft aber Art. 1
Biff. 1 des Nachtragsgesetzes nach seinem klaren Wortlaute wie auch
nach seinem Zweckgedanken, der unzweifelhaft dahin geht, die unreelle
Anspornung der Kauflust des Publikums durch Ankündigung aussergewöhnlicher
Kaufgelegenheiten zu bekämpfen (vergl. AS 38 I Nr. 11 Erw. 3, Nr. 72
Erw. 2), nicht zu.
4. Der angefochtene Entscheid verstösst daher nicht nur gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV,. sondern auch gegen die in Art. 31 ebendaenthaltene Garantie
der Gewerbefreiheit. Denn wenn Art. 31 litt. e Verfügungen über die
Besteuerung des Gewerbebetriebes vorbehält,
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welcher Vorbehalt sich nach feststehender Praxis nicht nur auf die
allgemeinen Vermögensund Einkommensteuern, sondern auch auf besondere
Gewerbesteuern von der Art der streitigen Patenttaxe bezieht, so sind
damit zweifellos nur solche Steuerauflagen gemeint, die sich auf ein
Gesetz oder einen dem Gesetz gleichstehen-
' den Rechtssatz stützen können. Die Zulassung von Steuerauflagen,
denen keine gesetzliche Ermächtigung zur Seite steht, würde gegen
einen Fundamentalgrundsatz des Rechtsstaates verstossen (vergl. AS 331
S. 695 Erw. 1, O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrechtl S. 388). Dabei
ist zur Prüfung der Zulässigkeit der der Steuerauflage zu Grunde
liegenden Gesetzesauslegung von vorneherein ein strengerer Massstab
anzulegen, da durch die Erhebung solcher besonderer Gewerbesteuern die
freie Gewerbeausübnng wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich
beschränkt und eine Ausnahme von dem in Art. 31 Abs.1 ausgesprochenen
allgemeinen Grundsatz geschaffen wird. Im vorliegenden Falle kann aber
keinem Zweifel unterliegen, dass die Art, in welcher der Regierungsrat
den Art. 1 Biff. 1 des Nachtragsgesetzes angewendet hat, über eine
blosse Auslegung desselben hinausgeht und eine unzulässige Ergänzung
des Gesetzeswillens im Wege administrativer Praxis enthält; erkan nt :
Der Rekurs wird begründet erklärt und der angefochtene Entscheid des
Regierungsratesldes Kantons St. Gallen vom 7. März 1913 aufgehoben