56 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. "-.L Haterîeflmchfliche
Entscheidungen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt-

1 In Abweisung der Berufung des Beklagten und in teilweiser-

Gutheissung der klägerischen Berufung wird das angesoehtene Urteil dahin
abgeandert day -

" a] die Ehe der Litiganten mit dein heutigen Tage auf Grund der Art 142
ZGB und 1568 BGB gänzlieh geschieden und der Beklagte als der schuldige
Teil erklärt wird; si

b) die' der Klägerin vom Beklagten zu bezahlende Entschädigung von 20,
000 Fr nebst 5 ", Zins vom 26. Februar 1912 an, aus 30, 000 Fr. nebst
Zins wie hievor erhöht wird;

c) die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder Alice, Karl und Max Egon
derKlägerin für die ganze Dauer ihrer MinderjährigkeitzurErziehnng
und Pflege zugesprochen werben, wogegen demBeklagten das Recht
zusteht-sieeinmal per Monat, sei es in *.der Wohnung der Klägerin,
sei es an einem Drittort,zu sehen;

si d) dem Beklagten die Eingehung einer neuen Ehe auf die Dauer eines
Jahres von heute an untersagt wird

2 Im wird das Urteil des Obergerichts des Kantons

Schasfhausen bestätigt;

10. gettar der ::. Innersten-via vom 26. Juni 1912 ' in Sachen gtalk),
KE. und I. Ber. -Kl., gegen ' · Belli), Bekl. und II. Ver. -Kl.

EheSGheidung. Objektive Zerrüitung des ehelichen Ven haltm'sses genügt
nach Air-3.142 ZGB zur Scheidung, ohne dass das Verschulden eines
Ehegatten behauptet und nachgewiesen ist,

_. sobald nicht der vorwiegend schuldige Teil _die Scheidung

vee-Zangt.

Das Eheverbot des Art. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
50 ZGB erscheint als eine im Interesse
deeöfi'enth'chen Ordnung gae-offerte Massnahme mit Straf--

_ ckamkéer. Es ist nicht auf den Eau beschränkt, wo der eme

__Ehegatie die Scheidung allein verschuidet hat, und kann

" auch bei Scheidmeg wegen tiefesZerrüttung ausgesprochen werden. Es setzt
aber eine erhebliche Verletzung wichtiger eheiicher Pflichten voraus. Der
Richter hat den Tatbestand vim2. Familienrecht. N°. 10 . . . 57

Amtes wegen daraufhin zu prüfen, ob ein solches Verschulden
vorle'ege. Namensfùhrung der gesehn-denen Eràu: Art. 149
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
ZGB 'ist min-'
genden Rechts. Inv der Erlaubnis des Meli/més tm die Frau; ' seinen Namen
beisizubekalteèe, liegt nur ein Verzicht des Mannes auf gerichiäiche
Anfechmng der Namensführung.

_ Das Bundesgericht hat aus Grund folgender Prozesslager

A. Mit Urteil vom i-. 7 April 1912 hat das KantonsgesJ richt St. Gallen
in vorliegender Streitsache erkannt: . -: 1. Die Ehe der Litigaiiten
ist ganzlich geschieden.

2 Zn Bezug auf die Kinderzuteilung und die ökonomischen Felgen der
Scheidung hat es beim Vertrag vom 2 Dezember 1909 sein Bewenden.

...3 Den Litiganten ist die Eingehung einer neuen Ehe sür die Dauer
eines Jahres untersagt

B Gegen dieses den Parteien am 17. Mai 1912' zugestetlte

Urteil haben beide rechtzeitig und formrichtig die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen mit dem Begehren um Aufhebung des Eheverhotes
Die Beklagte hat ferner beantragt, es sei die Parteina- einbarung
vollinhaltlich zu genehnrigen, auch bezüglich ihrer künftigen
Namenssührung.

C. Zn der heutigen Verhandlung haben die Parteien diese Anträge wiederholt
und begründet-. Der Vertreter des Klagers hat die Erklärung abgegeben,
dass ersich dem zweiten Berufungsbegehren der Beklagten nicht widersetze
und keine Einwendung das. gegen erhebe, dass die Beklagte den Namen
Batlh weiterführez -

si in Erwagung: ss 1. Der Klager ist im Jahre 1858 die Beklagte im Jahr
1863 geboren Die freundschaftlichen Beziehungen, die seit langem zwischen
beiden Familien Bestanden, führten zur Verlobung der Parteien. Der
Kläger war damals noch Student der Medizin Jnfolge einer Lungenblutung
musste er aber seine Studien unterbrechen. Er trat in ein industrielles
Etablisfement in Piesting COsterreichJ ein-. Am 10. Mai 1886 verheiratete
ersich in Ragaz mit der Beklagten, die ihni nach Piesting folgte. Nach
kurzer Zeit siedelten die Parteien nach Basel uber, wo der Klager
seine Stu-

58 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Materiellrechtlîche Entscheidungen.

bien wieder aufnahm. Nach deren Vollendung im Jahre 1892 liessen
sich die Parteien in Ragaz nieder. Der Kläger wirkte daselbst als
Kurarzt. Die Beklagte kam nach dem Tod ihrer Eltern in den Besitz eines
bedeutenden Vermögens Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen:
Friedrich Bernhard, geb. den 17. März 1887 und Alexandra Karolina,
geb. den 8. September 1898. Die Ehe war indessen keine glückliche Die
scharfen Charaktergegensätze der Parteien kamen bald zur Geltung und
die Beziehungen wurden trotz der Ansirengungen der Parteien und der
Jntervention ihrer Familien immer unhaltbaren Im Herbst 1908 verliess die
Beklagte den Kläger mit dessen Wissen und WillenSeither leben die Parteien
getrennt. Am 2. Dezember 1909 schlossen sie folgende Vereinbarung: ,

1. Die beiden Ehegatten, geleitet von dem Bestreben, ihren Kindern, wenn
immer möglich die mit einer Scheidung der Eltern verbundenen schädlichen
Folgen zu ersparen, nehmen von einer formellen gerichtlichen Scheidung
auf gemeinsames Begehren oder aus einseitiges Verlangen z. Z. Umgang,
verzichten bis zum 31. Dezember 1911 auf jede Einreichung einer
Scheidungsklage und vereinbaren, ihre seit Herbst 1908 schon eingetretene
tatsächliche Trennung fortzusetzen. ,

2. (Kinderzuteilung).

Si. 6; (Ordnung der Vermögensverhältnisse).

7. Nach Ablauf der vereinbarten Trennungszeit erhalten beide Vertragsteile
ihre Aktionsfreiheit wieder zurück. Sollten dann-zumal weder eine
Versöhnung noch eine Vereinbarung über Fortsetzung der tatsächlichen
Trennung eingetreten sein, so soll die gerichtliche Scheidung auf
Begehren beider Ehegatten und mit direkter Leitung an das Kantonsgericht
prosequiert werden. Stimmt einer der Ehegatten aus irgendwelchem Grunde
einem gemeinsamen Scheidungsbegehren nicht zu, so ist der andere zu
einseitiger-Klage bei dem gleichen Gerichte berechtigt. .

Die für die saktische Trennung getroffenen Vereinbarungen betreffend
Kinderzuscheidung und ökonomische-Folgen gelten auch fürdie gerichtlich
ausgesprochene Trennung oder-Scheidung Dr· Baffi; gibt im Interesse der
Kinder im Falle einer Scheidung die Erslaubnis, dass-seine geschiedene
Frau den Namen Bally beibehalten darf.2. Familie-mochtN° 10. 59

Am )./24. Februar 1912 erhob der Ehemann unter Berufung aus Art. 142 ZGB
Scheidungsklage. Die Beklagte gab im Vermittlungsvorftand die Erklärung
ab, dass sie mit dem Scheidung-Ei begehren des Klägers einverstanden sei
bezw. ihrerseits lgänzliche Scheidung verlange, und wiederholte diese
Erklärung m ihrer schriftlichen Klagebeantwortung. Das Kantonsgericht
als einzige kantonale Instanz fällte das sub A hievor wieder-gegebene
Urteil. Es ging von der Erwägung aus, dass die Ehe der Litiganteu so
tief zerrüttet sei, dass ihnen die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft
nicht zugemutet werden dürfe und dass an dieser Zerriittung beide Teile
ein ungefähr gleich grosses Verschulden trügen, indem sie es am richtigen
Willen zur gegenseitigen Anpassung ihrer Charaktere hätten fehlen lassen.

2. Zunächst fragt es sich, ob die Verschuldensfrage sur das Bundesgericht
nicht deshalb als definitiv im Sinne der Begründung des Kantonsgerichts
gelöst zu betrachten isf, weil die Parteien gegen Dis-positiv 1 des
kantonsgerichtlichen Urteils die Berufung nicht erklärt haben. Wäre
dem fo, so müssten die Berufungen gegen das Eheverbot ohne weiteres
abgewiesen werden da nach Art. 150
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
ZGB dem schuldigen Ehegatten ein
Eheverbot aufzuerlegen ist. Zuzugeben ist nun, dass die Rechtskraft sich
auf das Scheidungserkenntnis erstreckt, wie dieses sich aus dem Dispositiv
in Verbindung mit den Gründen als Inhalt des ersteren ergibt. Dass aber
wie die Vorinstanz ausfuhrt _: die Zerrüttung der Ehe auf ein Verschulden
der Parteien zuweiqu führen sei, bildet keine notwendige Erwägung des
·Urteils, das die Scheidung gestützt auf Art. 142 ZGB ausspricht. Es
besteht kein derart unnennbarer Zusammenhang zwischen dem Entscheid
über den Bestand der Ehe und demjenigen über die Schuldsrage, dass die
Trennung der Ehe ohne Bejahung der Schuldfrage nicht möglich und zulässig
ware. Voraussetzung der Scheidung nach Art. 142 ist, dass das eheliche
Verhältnis so tief zerruttet set, dass den Ehegatten die Fortsetzung der
ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden dürfe. Liegt eine solche
Zerriittung objektiv vorfo kann die Scheidung ausgesprochen werden, auch
ohne dass ein Verschulden des Beklagten oder überhaupt eines Ehegatten
behauptet und nachgewiesen ist, sobald nicht der vorwiegend schuldtge

60 A. Oberste Zivfigerichtsinsmnz. ]. Maierieilrechtliche Entscheidungen.

Teil die Scheidung verlangt (Erl.1S. 133,S tenogr". Bull. d. BV, 1905,
S. 539, 1024, 1064/5; Egger-, Art. 142 Blum 2.b und 6d;G1nü-r, Nr. 13, 21
und 22; Rossel und Ment-ha, S. 206 und 208; Curti, Anm. 6 S. 120). Hieraus
folgt-, dass die Verschuldensfrage für das Bundesgericht durch das Urteil
des Kantonsgerichts nicht präjudiziert ist, auch wenn Dis-v positiv 1
dieses Urteils bereits rechtskräftig geworden ist, und dass der Entscheid
über das Eheverbot rechtlich als vom Scheidung-Zer-

kenntnis unabhängig erscheint. Ob anderszu entscheiden ware, _

wenn das Kantonsgericht in einem besondern Dispositiv beide Parteien als
schuldig erklärt haben würde und diese gegen jenes Dispositiv die Berufung
nicht ergriffen hätten, braucht nicht untersucht zu werden. .; 3. In der
Sache selber ist zu sagen, dass Art; 48 des früheren BES-ein Eheverbot
nur bei Scheidung wegen eines bestimmten Grundes vorsah Dabei durfte der
schuldige Ehegatte von Gesetzes wegen vor Ablauf eines Jahres nach-der
Scheidung keine neue Ehe eingehen und es konnte diese Frist vom Richter
bis auf drei Jahre erstreckt werden. Der Vorentwurf zum ZGB(Art.173-)
wollte das Eheverbot auf die Scheidung wegen Ehebruches einschränken. In
der Beratung durch die Expertenkommission wurde dann aber eine wesentliche
Ausdehnung des Eheverbotes beantragt, in dein Sinn, dass es sowohl beider
Scheidung aus eineinbe-. stimmten Grunde als bei der Scheidng aus dem
allgemeinen Grunde dertiefen ehelichen Zerrüttung dem schuldigen Teile
gegenüber Platz zugreifen habe (Prot. S.-146 f.). Diese Ausdehnung wurde
angenommen und blieb bei der Beratung durch die eidg. Räte unangefochten
Und sie erscheint denn auch logisch, . nachdem einmal das Verschulden an
der Zerrüttung der Ehe die Auferlegung des Eheverbotes rechtfertigen soll;
denn es kann bei der auf Grund von Art. 142 ausgesprochenen Scheidung
die Schuld schwerer sein als bei einer solchen wegen eines : bestimmten
Scheidungsgrundes. Nach ;Llrt. 150 ZGB ist also auch bei den Scheidungen
aus Art. 142 dem schuldig-en Ehegatten vom Richter im Scheidungsnrteil die
Eingebung einer neuen Ehe auf ein bis zwei Jahre zu untersagen. ss . . si

Ferner lässt sich.Art. 150
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
,.ZGB, entgegen der zvon Ros s el und Mentha
(Manuel S. 218 f.) vertretenen Auffassung, nicht aus2. Familienrecht. N°
10. ' 61

den Fall einschränken, wo der schuldige Ehegatte dem schuldlosen

gegenübersteht-, während eine gewisse Kulpakompensation einzutreten

hätte, wenn beide Teile, wenn auch in ungleichem Mage, die Scheidung
verschuldet haben. Der Gesichtspunkt der Kulpakompensation ist im
Ehescheidungsrecht nicht verwendbar (vergl. S anerDas deutsche
Eheschliessungsund Ehescheidungsrecht, S. 528 f.; Ginür, Anm. 4
zu Art. 150). Und es würde die Kulpakornpensation die Verhängung
des Eheverbotes gerade da verunnibgln chen, wo es de lege lata
'-am richtigsten angewendet wurde: wenn beide Ehegatten , z. B. durch
Trunksucht, die durch die Ehe begründeten Pflichten nicht nur gegenseitig,
sondern auch gegenuber ihren Kindern in schwerer Weise vernachlässigt
haben. Die von Ros s el u. Mentha befürwortete Einschränkung wurdesich
nur dann rechtfertigen, wenn das Eheverbot als eine Art Genugtuung
für den unschuldigen Ehegatten zu betrachten wäre. Dann könnte gesagt
werden, dass, wenn beide Ehegatten in gleichem oder annahernd gleichem
Masse schuldig sind, keiner daraus Anspruch habe, dass dem andern
wegen seines Verschuldens die Eingebung einer neuen Ehe zeitweise
untersagt merde. Allein diesen Charakter hat die Wartefrist des ein. 150
ZGB nicht, wie denn auch die dein schuldlosen Ehegatten gebührende
Genugtuung im Gesetzfan anderer Stelle (Art. 151 Abs. 2) geregelt
ist. Die Wartesrist erscheint vielmehr als eine im Interesse der öff
entlichen Ordnung getroffene Massnahme Jedes Verfügungsrecht darüber
ist den Parteien entzogen. Der Richter ist nicht an die Parteiantrage
gebunden. Er hat von Amtes wegen die Schuldfrage zu untersuchen und über
den als schuldig befundenen das Eheverbot zu verhangen. Freilich hat
er nicht von sich aus über die für die Verschuldensfrage massgebenden
Verhältnisse Nachforschungen anzustellen, wohl aber die von den Parteien
vorgebrachten Tatsachen von Amtes wegen daraufhin zu prüfen, ob ein
Verschulden vorliege, auchiwenn kein Teil die Schuld des andern geltend
macht. Gegenüber demjenigen Ehegatten, den er als schuldig erklärt, muss
der Richter das Eheverbot sogar dann aussprechen, wenn der schuldlose
Ehegatte beantragt, es sei dem schuldigen ein solches-nicht aufzuerlegen
(Vergl. Art. 150 in Verbindung mit Art. 158 Ziff. 3 3GB.)

4. Es bleibt zu untersuchen, was als Schuld un Sinn des Art. 150 zu
verstehen ist. Zu diesem Zweck ist die rechtliche

62 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Materiellrechfliche Entscheidungen.

Natur des Eheverbotes näher ins Auge zu fassen. Dass das Eheverbot eine
im öffentlichen Interesse getroffene Massnahme ist, steht fest. Ein
weiterer Schluss ergibt sich aus dem Gesetzestert nicht und ebensowenig
aus den Gesetzesmaterialien. Die in den Erl. z. BE (S. 140) vertretene
Auffassung, dass das Eheverbot sich nur zur Vermeidung öffentlichen
Skandals und allenfalls noch aus Pietätsrücksichten rechtfertigen lasse,
mag für das Eheverbot des VE, das sich auf die Scheidung wegen Ehebruches
beschränkte richtig sein, trifft aber für das erweiterte Eheverbot des
am. 150 nicht zu. Dem Eheverbot haftet der Charakter einer Strafe an
(Egger, Anm. 1; Gmür, Anm. 2; (Curti, Anm. 4 zu am. 150). Und es wird
denn auch das Eheverbot im täglichen Leben tatsächlich als eine Strafe
und als eine recht entehrende aufgefasst Die Strafe besteht in einer
starken Beschränkung der individuellen Freiheit und des durch die VV
(Art. 54 Abs. 2) gewährleisteten Rechtes aus die Ehe; sie stellt sich
gleichzeitig als Sühne für ein begangenes Unrecht und als Mittel zur
Besserung und Läuterung des schuldigen Ehegatten dar. Aus der Strafnatur
des Eheverbotes ergibt sichs dass nicht jedes den Ehegatten zurechenbare
Zuwiderhandeln gegen die durch die Ehe begründeten Pflichten, auch wenn
es für die Zerrüttung der Ehe kausal gewesen ist als Verschulden im
Sinn von Art. 150 betrachtet werden kann. Erforderlich isf, dass eine
erhebliche Verletzung wichtiger ehelicher Pflichten vorliege, damit ein
Eheverbot ausgesprochen werden kann. Dass der Richter den Art. 150 mit
einer gewissen Zurückhaltung anzuwenden hat, ergibt sich ferner aus der
Erwägung, dass sonst in den Scheidungsfällen des Art. 142, auch bei einem
geringen gegenseitigen Verschulden der Ehegattew beiden ein Eheverhot
auferlegt werden müsste, während bei den Scheidungen aus einem bestimmten
Grunde der Kläger von dieser Massnahme von vornherein verschont bliebe,
auch wenn der Richter zur Überzeugung gelangen sollte, dass ihn ebenfalls
ein erhebliches Verschulden an der Scheidung treffe. Dazu kommt, dass es
in den Zerrüttungsfällen, in denen nurein leichtes Verschulden in Betracht
kommt, erfahrungs,gemäss für den Richter sehr schwierig ist, die Frage
der Verschuldung sicher und einwandfrei zu lösen. Die Anwendung dieser
Grundsätze an den vorliegenden Fall führt zur-Aufhebung des angefochtenen
Eheverbotes. Es genügt2. Familienrecht, N° s 10. 63

' t, da beide E e atten es versäumt haben, sich einander anzugxccslsew
Foran diehkgorinstanz abstellt, um über sie fein Eheverbot zu verhängen
Massgebend ist, dass die Parteien nicht wichtigere eheliche Pflichten
erheblich verletzt haben. Ihre gegenseitige unuberis windliche Abneigung,
wie sie schon nach wenigen Jahren zur Ge kung kam, ist in erster Linie
und in der Hauptsache auf ihre ausgesprochenen Charaktergegensätze,
ihre verschiedene Lebensauffassung und Lebensweise, ihr ganzes,
stark differierendes Wesen zuruckzuführen. Jnsbesondere kann nicht
mit der Voriustanz gesagt werdtlzn, dass die Parteien es am nötigen
Anpassungswillen haben seh ex; lassen, nachdem sie beinahe 26 Jahre lang
in der Ehe derharr und mehr wie 22 Jahre nebeneinander gelebt haben,
bis Izqu Schlusse vom sichtlichen Bestreben geleitet, die unheilbar
zerruttete Ehe trotzdem im Interesse der Kinder aufrechtzuhalten.

5. Die Beklagte hat ferner beantragt, sie sei gestutzt auf die mit
dem Kläger getroffene Vereinbarung berechtigt zu erklaren, dessen
Namen weiterzuführen und es sei. dem Vertrag vom 2. Î"; zeinber 1909
auch in dieser Hinsicht un. Sum von ArtBiff. 5 ZGB die Genehmigung zu
erteilen. Diesem Begchlkeix kann,· obschon der Vertreter des Klägers
auch heute wieder er. ar hat, er habe nichts dagegen einzuwenden, dass
die Veklagte seinen Namen weitertrage, in dieser allgemeinen Fassung
nicht entsprochen werden. Artikel 149 bestimmt ausdrücklich, dass die
geschiedene Frau den Namen wieder annimmt, den sie vor Abschluss der Ehe
mag. Es ist das eine im Interesse der öffentlichen Ordnung aufgesxe te
Bestimmung zwingenden Rechts. Freilich hatte die Experten ogg mission
einen Antrag des schweig. Frauenbundes angenommetxEs ne Inhalts,
dass der Richter der Frau auf Verlangen gestatten n t, den Namendes
geschiedenen Gatten werter zu tragen. lerkoi S. 145 f.). Es wollte
damit u. A. der Mutter die MogNtch ei geboten werden, zu verhindern,
dass sie fortan einen andernGamerT trage als ihre Kinder, worauf die
Beklagte vornehmlich ethislegt· Diese Bestimmung wurde aber in der Folge
You der fra Le; nalrätlichen Kommission gestrichen, ohne dass dtetGrunde
dafugow sichtlich wären. Wenn der Berichterstatter der standeratlichen t
_mifsion wieder Vertreter der Beklagten heute bear; Firmen ;- trotzdem
wieder auf das Wahlrecht der Frau-zwischen g sifl desMannes und ihreni
Mädchennamen hinwies (Stenogr:. n .

64 A. Oberste Zivilgerichtsinstànz. I. Materiellrechtliche Entscheidungen.

19051Ssi-1079), so beruht dieser Hinweis offenbar auf seinem Irrtums
Dagegen kommt der Parteivereinbarung, spssowie der heutiger! Erklärung
des Klägers rechtliche Wirkung insoweit zu, als der Klägersdadurch von
vornherein aus das Recht verzichtet hat, die künftige Führung-seines
Namens durch dieBeklagte gerichtlich anzufechtenv Dieser Verzicht
widersireitets der öffentlichen Ordnung nicht und ist für den Kläger
verbindlich. Bei dieser Rechtswirkung inter partes hat es sjedoch sein
Vewenden.Dritten Trägern des Namens und den staatlichen Organen gegenüber
so namentlich was den Zivilstand betrifft sskann sich die Beklagte auf
die Ermächtigung des Klägers nicht berufen und es ist daher von einer
Genehmigung des Vertrages vom 2. Dezember 1909 in dieser Hin ficht mit
der Vorinstanz Umgang zu nehmen; '

ss erkannt: ss

1. Die Berufung beider Parteien hinsichtlich des Eheverbotes
wird begründet erklärtund demgemäss Dispositiv 3 des Urteils des
Kantonsgerichts St. Gallen vom 17; April 1912 aufgehoben.

f2. Die Berufung der Beklagtenhinsichtlich ihrer künftigen Namensführung
wird im Sinne von Erwägung 5 abgewiesen.

3. Obligationenrecht. Code des obligations.

11. gis-steil vom 2. Februar 1912 in Sachen Yauunteruetjiuuug des I, und
II. giore; der aac-deum'EoggenburgYasssmgeseflschaft, Bekl. u. Ver.-KL,
gegen Yodensee-Taggeuburg-Yahugeseffschafl, Kl. u. Ver.-Bea.

Vertragsausiégubg. Vereinbarung zwischen einer Bakngeseilsckafl und
einem'Untemehmer'des Fabrikate-IF über die Tragung der Haft-

' pfliche des Baubetriebes.

, Das Bundesgericht hat ans Grund folgender Aktenlage:

A. Durch Vertrag mit der Klagerin vom 25.s Mai 1907

hat die beklagte Baunnternehniung (ein Konsortiuin der Firmen

Loche-c & Cie.; Miller, Zeerleder & Gobatz
E. Ritter-Egger;3. Obligationenrecht. N° H. 65

L. Kürsteiner und V. Rossi-Zweifel) den Bau des I. und II. Streckenloses
der Bodensee-Toggenburgbahn übernommen Die diesem Vertrags zu Grunde
gelegten allgemeinenBestimninngen fulr die Übernahme und Ausführung
von Vauarbeiten und Lieferungen , welche die Klägerin aufgestellt hat,
enthalten in Art. 9, mit dem Randtitel: Fürsorge für die Arbeiter
und Haftpflicht, als Absatz 3 folgende Klausel: Für die Pflege der
Arbeiter bei PerWIetznngen, sowie für jeden Schadenersatz, welcher
den Arbeitern .bezw. den Familien derselben in Fällen von Tbtung
oder Verletzung zu leisten ist, hat der Unternehmer nach PMassgabeder
Vorschriften der Bundesgesetzgebung in vollem Umfange aufzukommen hat
zudiesem Behufe segie Arbeiten, bei einer soliden Versicherun s eell·
at u versi em, . . . Di ggeklxktef schloss in der Folge für ihre
Arbeiter eine Hollektivunfallversicherung mit Deckung der industriellen
Haftpflicht des Arbeitgebers ab, die nur die Haftpflicht nach Massgabe der
Bundesgesetze vom 25. Juni 1881 und 26. April 1887umfasst Ferner liess
sie auf ihren Arbeitsplätzen ein Reglement sur die Arbeiter anschlagen,
das bezüglich der Unfälle u. a. bestimmt (512 Abs. 5): Im Falle von
dauernder Arbeitsunfähigkeit, herbeigef.i"ihrt durch Unfälle, gelten
d. B. des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881 Und 26. April 1887." Das
Regleinent legte sie dem Oberingenienr der Klägerin zur Durchsicht vor,
worauf dieser ihr mit Schreiben vom 26. Juli 1907 mitteilte, er habe
daran weiter nichts auszusetzen, als dass in § 12 Abs. 5 seines Erachtens
nur stehen sollte: . . . d. B. desBundesgesecizes . . oder dann:
. . . d. B. des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1881, 26. April 1887
und-28. März 1905. Die Beklagte gab jedoch dieser Bemerkung keine Folge.

Am 10. April 1909 erlitt der Mineur Frumenzio Fanestrari iin Dienste
der Beklagten einen Unfall, durch den er beide Augen valor. Er gelangte
deshalb auf Grund des EHG von 1905 init einein Entschädigungsanspruch
von über 18,000 {getan die Klagerm. Diese anerkannte den Anspruch, im
Einverständnis mit der Beklagten über dessen Quantitativ, und forderte
hieran von der Veklagten gestützt aus die erwähnte Vertragsbestiinmung
'den vollen Ersatz der ausgelegten Entschädigung nebst Kosten. Die
Beklagte

AS 38 u ioie 5