262 Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Maierieiirecht'siiche Entscheidungen.

Ziff. 4 der Übereinkunft trifft zwar, wie gesagt, hier nicht zu. Allein
es fehlt doch jeder Anhaltspunkt dafür, dass die JuwSimplon-Vahn diese
unrichtige Angabe zur Täuschung der Klägerin, und nicht blos deshalb, weil
sie selbst aus Bersehen die fragliche Bestimmung irrtümlicherweise als
anwendbar hielt, gemacht habe. Und auf alle Fälle durfte sich die Beklagte
auf diese Rechtsansfassung, die ihr die Bahn als Partei mit gegenteiligen
Intereser kundgab, nicht verlassen, sondern es war ihre Sache, selbständig
die Rechtslage zu prüfen und darnach ihre Entschliessung zu richten. Dass
Übrigens für ihr Verhalten jene Meinungsäusserung der Bahn irgendwie
besiimmend gewesen sei, kann nicht als wahrscheinlich, um so weniger als
dargetan gelten. Demnach hat das Bandes-geruht erkannt: Die Berufung
wird abgewiesen und damit das angefochtene Urteil der II. Zivilkammer
des bernischen Appellationshofes vom 2. Dezember 1910 in allen Teilen
bestätigt

5. Erfindungspatente. Brevets d'invention.

39. gut-zii vom 9. Juni 1911 in Sachen Eleker BAY-, Bekl. u. Ber.-Kl.,
gegen Chiarina, Qt.-©., Kl. u. Ver-Beil

Pateninichîfssgkeitsklage. Kompetenz der Berufemgsinstanz zar, r
Heizerprüfung eines trauten-isten Heck-155601538 , das die Verirrt-sung
einer Verletzung des als nichtig angefochtenen Patent-ces bezweckt. -Ob
ein P rimtgumclzten als Beweismitiel zu berechsiclztigen sei, ist eine
Icantanal prozessuale Beweisrechtsfmge. Nichtigkeit des Patentes wegen
Mangels eines neuen schöpferischen Gedankens. (Elektrische Gebdlc de
Heizfmmge nach bereit-v bekunntmn Systmn mit blasser Neuheit der V
wendung desselòen für die Heim-ng grösserer Lokale . }

A. 'Durch Urteil vom 20. Januar 1911 hat das Zwilgericht des Kantons
Glarus in vorliegender Rechtsstreitfache erkannt:Berufungsinstanz:
5. Erfindungspatente. N° 39. 283

1. Es sei das eidgen. Patent Nr. 30,846 nichtig erklärt.

2. Es sei das beklagtische Rechtbot vom 10. August 1910 gerichtlich
geöffnet

3. Sei die Klägerin mit ihrem Schadenersatzbegehren dagegen abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte gültig die Berufung an
das Bundesgericht ergriffen mit den Anträgen: 1. das angefochtene
Urteil aufzuheben und damit die Klage abzuweisen und das Rechtsbot
vom 10. August 1910 zu bestätigen; 2. eventuell den Fall an die
Vorinstanz zurückznweisen und die Akten bezüglich der vom Gerichte
den amtlichen Experten vorgelegten Frage zu vervollständigen, ob a)
dem unter Nr. 30,846 bestehenden eidgen. Patent der Charakter einer
Erfindung beigelegt werden könne, b) dieselbe eine Neuheit darstelle
oder nicht. Die Berufungsklägerin hat ferner erklärt, das Dispositiv 3
des Urteils nicht anzufechten

C-. In der heutigen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten die
gestellten Berufungsanträge erneuert Der Vertreter der Klägerin hat
auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils
angetragen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Die beklagte Gesellschaft Elektra, Fabrik elektrischer Heizund
Kochapparate, in Wädenswih ist Inhaberin des am 13. Mai 1904 angemeldeten
schweizerischen Patentes Nr. 30,846, dessen Patentanspruch wie folgt
formuliert ist: Eine elektrische Heizungsanlage für Kirchen und sonstige
grosse Lokale, dadurch gekennzeichnet, dass unter Sitzbänken niedrige,
langgestreckte elektrische Heizkörper untergebracht sind, weiche sowohl
ein Wärmeu der Füsse, als auch eine gleichmässige Erwärmung des zu
heizenden Lokales ermöglichen. Am 10. August 1910 hat die Beklagte gegen
die Klägerm die A.-G.Therma in Schwanden, ein Rechtsbot erwirkt, wodurch
dieser die Erstellung einer Kirchenheizungsanlage in Schwanden untersagt
wurde, weil damit das genannte Patent verletzt merde. Demgegenüber hat
die Klägerin mit der vorliegenden Klage die Begehren aus Recht gestellt,
es sei dieses Rechts-bot gerichtlich zu öffnen und das Patent Nr. 30,846
nichtig zu erklären unter Kostenfolge, Schadenersatz und Vorbehalt
weiterer Rechte. Die Vorinstanz hat, gestützt auf ein von ihr eingeholtes
Erpertengutachten, dessen tech-

264 Oberste Zivilgerichtsiustanz. £. Maleriellrechtliche Entscheidungen.

nischer Teil von Jngenieur Dr. Denzler und dessen rechtlicher von Advokat
Dr. A. Cnrti verfasst ist, in der oben wiedergegebenen Weise erkannt.

2. Die Zuständigkeit des Bundesgerichts ist gegeben. Dies namentlich
auch hinsichtlich des Begehrens um gerichtliche Bestätigung des
Rechtsbotes Diese Bestätigung wäre die notwendige Folge der Abweisung der
Patentnichtigkeitsklage und der damit ausgesprochenen Aufrechterhaltung
des Patentes, indem alsdann die Erstellung der Heizungsanlage, die
das Rechtsbot untersagt, das Patentrecht der Beklagten verletzen würde
und der Anspruch auf Unterlassung einer solchen Patentverletzung sich
unmittelbar als ein materiellrechtlicher Anspruch aus dem gerichtlichen
Schutze des Patentes ergäbe Ob im tibrigen das streitige Rechtsbot
als ein dem kantonalen Prozessrecht unterstehender, unter amtlicher
Mitwirkung erlassener Befehl zu einem bestimmten Verhalten (ähnlich dem
Zahlungsbefehl des eidgen. Betreibungsrechtes) formell gültig sei oder
nicht, steht ausser Frage und wäre auch vom Bundesgericht nicht zu prüfen

Z. In der Sache selbst ist mit der Vorinstanz, soweit es sich um die
tatsächlich-technische Seite des Streites handelt, auf das amtliche
Gutachten des Experten Denzler abzustellen. Das Gutachten Hottinger,
das die Beklagte zur Entkräftigung der Expertise Denzler von sich
aus eingeholt hat, wird von der Vorinstanz nicht berücksichtigt, weil
Privaterperten in der Regel an bestimmte Weisungen der Parteien sich zu
halten hätten und sich nicht unabhängig von diesen bewegen könnten Man hat
es in diesem Punkte mit der Würdigung der Beweiskraft eines bestimmten
Beweis-mittels also mit der Lösung einer dem kantonalen Prozessrecht
unterstehenden und daher vom Bundesgericht nicht nachzuprüfenden
Beweisrechtsfrage zu tun.

4. In der Sache selbst ist auf Grund der Expertise Denzler folgendes zu
bemerken: Das technische Mittel, womit der durch die Erfindung verfolgte
Zweck, grössere Lokale unter Wärmung der Füsse der in ihnen sitzenden
Personen gleichmässig zu erwärmen, erreicht werden will, besteht nach dem
Patentanspruch darin, dass unter den Sitzbänken niedrige, langgestreckte
elektrische Heizkörper untergeMacht werden. Laut den Angaben des Experten
ist nun die Verwendung des elektrischen Stroms zu Heizzwecken fast so
alt, wie seine Verwendung zur Beleuchtung und zum Motorenbetrieb, und
gehen fernerBerufungsinstanz: 5. Erfindungspaîente. N° 39. 265

die ersten Versuche mit elektrischer Heizung von Tram: und Eisenbahnwagen
( mit ganz ähnlicher Anordnung der Heizkörper unter den Bänken, wie
die im klägerischen Patent beschriebene) weit über den Zeitpunkt der
Anmeldung dieses Patents (13. Mai 1904) zurück. Der Experte verweist
hiesiir auf Messungen, die im Jahre 1894 in Brooklyn, im Jahre 1895 in
Albany und im Jahre 1902 in Berlin gemacht worden sind zur Ermittelung
des Bedarfes an Heizstrom, der erforderlich ist, um durch Radiatoren
die Luft im Innern eines Tramwagens auf einer bestimmten Übertemperatur
gegenüber der äussern Luft zu erhalten; und ferner auf eine im Jahre
1903 (in der Nr. 23 d. J. der Revue d'Electricité) beschriebene
elektrische Zugsheizung der französischen Westbahn, bei der als
Fusswärmer aus-gebildete Heizkörper zwischen den Sitzen und Waggonboden
liegen. Hienach kann also daran allein, dass die Beklagte als Mittel
zur Erreichung der von ihr bezweckten technischen Wirkung elektrische
Heizkörper verwendet, noch kein Patentanspruch gestützt werden, da es
an dem gesetzlichen Erfordernis der Neuheit fehlt. Vielmehr wäre hier
nötig, dass das gewählte Mittel, um die gewollte Wirkung Überhaupt oder
doch besser erzielen zu können, eine neue, der Besonderheit des Zweckes
angepasste Ausgestaltung erfahren hätte, dass also die Heizkörper der
Beklagten von den bisher üblichen konstruktiv Unterschiede aufweisen
würden, die sie für die Heizung von Kirchen und sonstigen grösseren
Lokalen geeigneter machen. Solches ist aber nach Patentanspruch und
Patentbeschreibung nicht der Fall: Der Patentanspiuch hebt als Merkmale
der zu verwendenden elektrischen Heizkörper lediglich hervor, dass sie
niedrig und langgestreckt seien, und in der Patentbeschreibung wird
bloss noch beigefügt, es sei die eine Klemme mit der Stromzuleitung
und die andere mit der Stromrückleitnng verbunden. Darin kann aber
nach der Auffassung des gerichtlichen Gutachtens eine verbesserte, für
das gestellte Heiznngsproblem tanglichere Konstruktion nicht erblickt
werden, wie denn auch das Von der Beklagten angerufene Privatgutachten
Hottinger weder die in der Patentschrift erwähnten, noch sonst irgend
welche andere bestimmte Merkmale als technische Besonderheiten namhaft
macht, vermöge deren die von der Beklagten verwendeten Heizkörper für
die Heizung von Kirchen und sonstigen grössern Lokalen brauchbaeer
wären. Übrigens erklärt die Beklagte in der Patentbeschreibung

258 Oberste Zivilgerichtsinscauz. _ !. Materiellrcchiiiche Entscheidungen.

selbst, dass als Heizkörper vorteilhaft die durch das schweizerische
Patent Nr. 15,795 geschützten verwendbar seien, womit zugegeben wird,
dass der durch das nunmehrige streitige Patent bewirkte Erfolg schon
mit einer bereits bekannten Erfindung bewirkt werden ami.

Damit lässt sich als neues Moment im streitigen Patentanspruch allein
noch geltend machen. die Beklagte sei zum ersten Male aus den Gedanken
gekommen, auch grössere Lokale mit elektrischen Heizkörpern zu wärmen,
wobei es sich gezeigt habe, dass eine rationelle (Erwärmung auch solcher
Lokale mit bereits bekannten Arten von Heizkörpern möglich sei. Wenn
nun aber auch eine derartige weitergehende Ausniitzung besiehender
Heizkörpertypen der Initiative der Beklagten zu verdanken wäre, so hätte
diese damit dochs noch keine patentfähige Erfindung im gesetzlichen
Sinne geschaffen Denn eine solche setzt stets Voraus, dass kraft ihrer
technischen Schwierigkeiten die sich bisher der Lösung oder einer zweck-
mässigern Lösung eines bestimmten Problems entgegengestellt haben,
durch ein neues Mittel oder Verfahren, das der schöpferischen Tätigkeit
des Erfinder-Z entsprungen isf, überwunden wurden. Hier aber vermöchte
sich die Beklagte nur darauf zu berufen, eine besondere Verwendbarkeit
eines bereits erfundenen Mittels entdeckt und zuerst ausgenützt zu haben
(vergl. auch AS 26 H S. 232 View. 2).

D. Die Frage, ob der Fall nach dem geltenden Patentgesetze vom ,21. Juni
1907 oder, wie es die Vorinstanz getan hat, nach dem frühem Gesetze vom
29. Juni 1888 zu beurteilen sei, kann unerörtert bleiben, da die für die
Schutzfähigkeit des streitigen Patents massgebenden Normen die gleichen
geblieben find.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und damit das Urteil des Zwilgerichts
des Kantons Glarus vom 20. Januar 1911 in allen Teilen
bestätigtBerufungsinstanzt 5. Eriit1dungspateute. N° 40. 267

40. get-teil vom 29. Juni 1911 in Sachen Yateau und Genossen, KL,
Widerbekl. und Hauptber.-Kl., gegen gl.-(5). der Maschinenfabriken von
Eichen ZWB & gie. und 53m], Bekl Widerkl. und Anschlussber.-Kl.

Patentgesetz v. 29. Juni 1888 (aPaiG): Legitimation des LizenzbereGhfigîen
zu? Patentnechnhmnngsklnge scàon wr dee amtéiehen Einregisirierung des
Lizenzveri-rages (Art. 5 Abs. 2, 19 u. 26 Abs. l aPatG). Stellung der
Berufungsinsianz zn der von-&. kantonalen Richie? in Patentsachen
eingehalten Expertise. Unzulässigkeii dee neohti'e'sfgiieieen
Beibringnng eines Masehinenmadels als prozess-mies Bewet'sm
ittel, dagegen Zulässigkeit dei" Vorfùhe'emg dieses Modells in der
Bemfungsvwbandlnng zur lf'er-rnitielu'ng des Verstàînd-nisses der
taîsdckiichffl (ieebnisehen) Pai'beionbringen. Art. 14 Ziff. i aPatG
ist b loss e 0 raf n nngsv ers (rh-r ifi ; die wesentlichen Merkel
nie der Erfindung können dah-er auch aus der rien Pa-tentzmspmeh
er-iäetemden Paientbesehreibnng entnommenwerden. Priifung (fie? Frage,
ob bei einer Dampfmaschine (Dampfturbine) der Erfindungsclearakéer
in der besonderen Fun Mion une! A 'rbeitswraise des Dampfes oder in
der konstruktiven Ausgestaltung der Maschinen, und in ein gez-nett
Kons t r nktienseiemen ten oder in. der Maschine als Ganzem, im Sinne
eines Kombinationepaientes, liege. Kombfnatianspatent: Frage, ob der
Erfindungsgegenstand nmdie konkrete (in der Patentbescbreibung und
weichnnng dargesieilie) A usf-üiirnngsform bilde, oder ein nii-gemeines
Lösungsprinz ip , für das? die Patentbeschreibung um! -zeich-nng nur
eine. beispielsweise bestimmte Lösungsari rmgeben. Selbständige Würdigung
der rechtlichen Seite dieser Frage durch den Richter gegenüber den
Erörternngen der Experten. Prüfung der Schutzfähigkeit der einzelnen
Patentansprüche auf Grund der Ewperi'ise. Unzula'fseigfeeii der
nachzea'gliehen Abänderung des means eines in der Pabenieolrrifi
set-titulierten Ansprnehes. Bedeutung des Er ler c h en s de s P ate n
ie s fié?" die Niebtigkeitskioge. Nichtigkeitskiage der Inhaber eines
Kombinatienspaäentes gegen den Inhaber eines Patente-s mit verschiedenen
Einzeäonsprüchen. Art der Vergleiche ng beider Patente bei Prüfung
der Klage. Nachahmungsklage, Berechtigung des Klägers, bei der von den
Experten corzemebmenden Besichtigung des Gegenstandes der behaupteten
Nachahmung teilw. nehmen ? Kant. Beweisrechtsfrage. Verneinung der
Nachahmung, wei! beide Patente auf einer frei verwendbaren Grundlage
beruhen, auf der jedes eine neue schutzfähige Kombination gesehaffen hat.