10 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

keineswegs die Möglichkeit aus, dass noch andere Betriebsmittel vorhanden
seien. Es kann daher in der Tat nicht als willkürlich bezeichnet werden,
wenn die appenzeller Behörden bei der Festsetzung des steuerpflichtigen
Vermögens die einzige ihnen gegebene Handhabe benutzten und also
ihrer Taration jenen vom Rekurrenten selbst angegebenen Betrag von 2
Millionen zu Grunde legten. Dies war umso weniger willkürlich, als ja
anderseits bei der Berechnung der Einkommenssteuer gemäss dem Verlangen
des Rekurrenten die Zinsen dieses gleichen Betrages von 2 Millionen m
Abzug gebracht wurden.

4.Endlich beschwert sich der Rekurrent über die von ihm als zu hoch
bezeichnete Taxation des in Herisau befindlichen Bankgebäudes. Nun ist
aber von vorneherein klar, dass das Bundesgericht als Staatsgerichtshof
auf eine Überprüfung dieser Taxation nicht eintreten kann. Es ergibt sich
übrigens aus den Akten, dass hier offenbar keine übertriebene Taxation
vorliegt. Ganz abgesehen davon, dass der Direktor der St. Galler Filiale
lanlässlich einer Besprechung mit den appenzellischen Steuerbehörden
einen Verkehrs-wert des Bankgebäudes im Betrage von ungefähr 100,000
Fr. anerkannt haben soll, mag darauf hingewiesen werden, dass die
Brandassekuranz des betreffenden Gebäudes, welche 7/8 des wirklichen
Wertes nicht übersteigen dars, 65,000 Fr. beträgt, und dass darin der
Wert von Grund und Boden nicht Inbegrifer ist. Von Willkür kann daher
auch in diesem Punkte nicht gesprochen werden.

Demnach hat Idas Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

Vergl. noch, betr. materielle Rechtsverweigerung (Willkür): Nr. 6
Erw. 2.ll. Doppelbesteuerung. N° 2. ]1

II. Doppelbesteuerulig. Double imposition.

2. gluten vom 2. Februar 1910 in Sachen Industriegefetlschaft sitt
gochappe, aeg, gegen Berti und gzasecstadt.

Nähere Ausgestaltung des in konstanter Praxis anerkannten Grundsatzes,
daSS der durch Zweigniederlassungen realisierte Geschäfts- gewinn in
denjenigen Kantonen zu cersteuern ist, in welchen sich die betreffenden
Zweigniederlassungen befinden. Berechnung des Ertrags der einzelnen
Geschäftsniedei'lassungen, wenn die Tätigkeit derselben eine verschiedene
ist, z. B. am Orte der Hauptniederlassung der Ankauf der Rohmaterialien
und der Verkauf der fertigen Produkte stattfindet, in den verschiedenen
Filialen aber die verschiedenen technischen Betriebe lokalisiert
sind. Notwendigkeit, in solchen Fällen die beiden Haupterwerbsfaktoren,
Arbeit und Kapital, grundsätzlich in gleicher Weise zu berücksichtigen und
daher entweder die in dem betreffenden Jahre verwendeten Arbeitskräfte zu
kapitalisieren, oder aber den Zins des in diesem Jahre produktiv gewesenen
Kapitals zu berechnen, wobei dann die in Betracht kommenden Kantone
einfach im Verhältnis der auf die einzelnen Geschäftsniederlassungen
entfallenden Erwerbsfaktoren bezw. Produktionsmittel zur Besteuerung
des Gesamtertrages des Unternehmens berechtigt sind. Spezifikation und
Bemessung der hiebei zu berücksichtigenden Arbeitskräfte, wozu auch
die in den Gehältern und Tantiemen zum Ausdruck kommende Tätigkeit
der Geschäftsinhaber bezw. der Direktoren und Verwaltungsrätc gehört,
sodass also auch derjenige Kanton, auf dessen Gebiet sich lediglich die
Zentralleitung befindet, eerho'iltnismässig steuerberechligt ist.

A. Die Jndustriegesellschaft für Schappe, A.-G., mit Hauptsitz in Basel,
besitzt Fabriketablissemente in den Kantonen Bern, Baselland und Solothurn
und ausserdem in Frankreich und im Elsass: in Frankreich 3 Kämmeleien
und 4 Spinnereien, in Sulzmatt (Elsass), in Arlesheim (Baselland) und
in (Brellingen (Bern) je eine Spinnerei. Die Fabrikation vollzieht sich
demgemäss nicht etwa so, dass in jedem der verschiedenen Etablissemente
die gleiche Arbeit verrichtet würde. Kämmelei und Spinnerei arbeiten
sich vielmehr in die Hände. Dazu kommen

12 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

die Betriebszweige der Gazage, Winderei, Ausrüsterei und die
Reparaturwerkstätte. In Basel befindet sich die Zentralleitungt von
hier aus wird der Rohstoff gekauft, hier wird seine Ver-arbeitung in
den Kämmeleien und Spinnereien angeordnet und· schliesslich das fertige
Gespinnst verkauft; von hier aus werden alle technischen Anordnungen
von allgemeiner Tragweite erlassen, wie auch von hier aus die ganze
finanzielle Verwaltung geleitet und die Buchführung für das ganze Geschäft
geführt wird.

Jn der Spinnerei in Grellingen waren früher über 20,000 Spindeln in
Betrieb; im Jahre 1906 waren es noch 14,550, später noch weniger. Dagegen
ist in den letzten Jahren in Grellingen eine Ausrüsterei (Finissage)
eingerichtet und die Maschinenwerkstätte so erweitert worden, dass
sie für sämtliche Spinnereien der· Gesellschaft genügt. Die Anlage in
Grellingen . umfasst sodann grosse Wasserund Kanalbauten.

Nachdem die Jndustriegesellschaft für Schappe früher schon Anstände
wegen der Verteilung der Steuern auf die verschiedenen Niederlassungen
gehabt hatte, erhob sich im Jahre 1906 neuerdings ein Steuerkonflikt mit
dem Kanton Bern, in dessen Verlauf der Regierungsrat, mit Schlussnahme
vom 28. März 1908, zugestellt am 7. April 1908, das in Grellingen zu
versteuernde Einkommen der Jndustriegesellschaft für Schappe, statt
ihrer auf

84,000 Fr. lautenden Selbsttaxation, auf 235,000 Fr. festsetzte. '

Aus der Begründung dieses Beschlusses ist folgendes hervorzuheben:
Die bisherige Art der Ermittelung des steuerpflichtigen Einkommens,
wonach der Anteil am Reingewinn entsprechend dem Anteil Grellingens
an den Gesamtunkosten der Gesellschaft berechnet wurde, werde den
tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht, da diejenige Fabrik, welche
für die Produktion eines gleichen Wertes weniger Betriebskosten auswende,
als eine andere, der Gesellschaft einen höheren Gewinn einbringe. Mit
Rücksicht auf die vorliegenden komplizierten Verhältnisse könne überhaupt
nicht bloss auf einen einzigen Faktor abgestellt werden, sondern nur auf
zwei, nämlich auf den Versicherungswert und auf die Arbeiterzahl; durch
diese zwei Faktoren gelange das Produktionsvermögen (zu unterscheiden
von der Gewinnerzielung· zu welcher auch die Tätigkeit der Zentralleitung
beitrage) in der Hauptsachell. Doppelbesteuerung. N° 2. 13

zum Ausdruck. Es ergebe sich daraus folgende Rechnungsauf-

stellung: Jahresergebnis nach dem Jahresbericht

pro 1905 Fr. 3,937,436 01

Generalunkosten . . 6,118,060 02

Bruttogewinn pro 31. Dezember 1905 Fr. 10,055,496 03

ab 20 0/0 für den Anteil der Zentralleitung an der Gewinnerzielung .
2,011,099 20 bleiben Fr. 8,044,396 83

Jn Grellingen seien nun am 31. Dezember 1905 225 Arbeiter = 4,72 0/0
der Gesamtarbeiterzahl beschäftigt gewesen; die Versicherungssumme
von Grellingen betrage pro 1905 Fr. 2,306,990 = 10,41 0/0 der
Gesamtversicherungssummez das in

. . 4,720 40,410 Berechnung fallende Mittel betrage somit -,0 ;-0 _--

7,565 0/0. Auf Grellingen entfalle somit ein Bruttogewinn von 7,5650/0
von 8,044,396 Fr. 83 Cts. = 608,558 Fr. 60 Cts. Davon seien in Abzug zu
bringen die Unkosten der Filiale GrelIingen mit 239,712 Fr. 95 W., 10,41
0/o ber. Passivzinsen = 82,086 Fr. 75 Cts., 10,41 0/0 der zulässigen
Abschreibungen = 26,780 Fr. 10 Cts., 40/0 des reinen versteuerten
Grundsteuerkapitals = 24,341 Fr. 10 Ets. und die steuerfreien 600 Fr.,
zusammen 373,521 Fr. 20 Cis- sodass für Grellingen pro 1906 noch ein
steuerpflichtiges Einkommen von 608,558 Fr. 60 W. 373,521 Fr. 20 Ets. =
235,037 Fr. 40 Cis-. verbleibe.

B. Gegen diesen Entscheid hat die Jndustriegesellschaft für Schappe am
28. Juni 1908 den staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht ergriffen,
mit den Anträgen:

1. Den angefochtenen Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern als
Akt unzulässiger Doppelbesteuerung aufzuheben;

2. den Regierungsrat des Kantons Bern anzuhalten, die Steuertaxation
für das Zweiggeschäft in Grellingen in Einklang zu bringen mit der für
das Hauptgeschäft in Basel erfolgten Steuerdeklaration; '

3. eventuell die Rekurrentin berechtigt zu erklären, ihre pro 1906 für
Baselstadt zu entrichtenden Steuern in dem Masse

II

14 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. lAbschnitt. Bundesverfassung.

herabzusetzen, als das für den Kanton Bern zu versteuernde Einkommen
den Betrag von 3,930/O des Gesamteinkommens übersteigen werde.

Zur Begründung macht die Rekurrentin im wesentlichen folgendes geltend:
die Abgrenzung der Steuerhoheit nach Massgabe der auf die Einzelgeschäfte
entfallenden Geschäftsunkosten beruhe auf einer Vereinbarung mit der
Finanzdirektion von Bern aus dem Jahre 1881, der seither immer nachgelebt
worden sei; auch von Baselland, das ein auf gleicher Grundlage aufgebautes
Steuersystem besitze wie Bern, sei dieser Verteilungsmassstab angenommen
worden. Dieser Berteilungsmodus sei einfach und zutreffend, weil in
der Summe des Aufwandes für Unkosten die Intensität des Betriebes
zum Ausdruck gelange. Auf die Arbeiterzahl abzustellen gehe nicht an,
weil der Gewinn nicht nur durch persönliche Dienstleistungen, sondern
auch durch Maschinen, Tierund Wasserkraft erzielt werde. Vollends
unzutreffend sei die Berücksichtigung des Versicherungswertes, denn es
komme bei der Abgrenzung der Steuerhoheit am Einkommen doch nicht auf
das Produktionsvermögen an, sondern aus die effektive Produktivitän Wenn
sich die Rekurrentin für die Jahre 1906 und folgende das in Grellingen
versteuerbare Einkommen in der von Bern beabsichtigten Weise berechnen
lassen müsste, so käme das für den überschiessenden Betrag auf eine
Doppelbesteuerung heraus, da die Gesellschaft weder pro 1906 noch pro
1907 den andern mitbeteiligten Kantonen gegenüber sich schadlos halten
könnte; fürdie Folgezeit aber müsste der Steuermodus auch gegenüber den
andern Kantonen geändert werden, und es sei deshalb auch dies Regierung
des Kantons Baselstadt in dieser Sache zur Vernehmlassung einzuladen.

C. Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt Abweisung des Rekurses
Der Regierungsrat des Kantons Baselstadt, der die Abgrenzung der
Steuerhoheiten nach Massgabe der auf jedem Steuergebiet befindlichen
Aktiven im Verhältnis zu den Gesamtaktiven als richtige Lösung ansieht,
stellt das Gefuch, essei das Besteuerungsrecht des Kantons Bern gegenüber
der Re kurrentin so zu normieren, dass die Steuerhoheit seines Kantons
im derzeitigen Umfang gewahrt bleibe.H. Doppelbesteueruflg. N° 2. 15

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Zn Baselstadt ist bisher derjenige Teil des Reingewinnes der
Rekurrentin als steuerpflichtiger Ertrag in Anspruchgenommen worden,
der dem Verhältnis des auswärts nicht versteuerten Bruttoertrages zum
Gesamtbruttoertrag entspricht. Ausder bisherigen Übung der basierischen
Steuerbehörden kann nun. aber für diesen Kanton noch keineswegs die
Rechtspflicht abgeleitet werden, bei der Ausdehnung der Steuerhoheit
eines andern Kantons die eigene Steuerhoheit entsprechend einzuschränken
Derv Antrag des baslerischen Regierungsrates, die Steuerhoheit von-.
Baselstadt im bisherigen Umfang zu wahren, zeigt denn auchohne
weiteres, dass Baselstadt nicht etwa zu Gunsten des Kantons Bern auf
feine Steuerhoheit verzichten will. Da Baselstadt, entsprechend der
bisherigen Übung, das in Basel versteuerbare Einkommen nach einem
Massstabe berechnet, nach welchem vom Kanton Bern vom Gesamteinkommen
nur ein Anteil von 84,000 Frstatt von 235,000 Fr. besteuert werden kann,
so wird die Differenz von 151,000 Fr. von der Steuerhoheit beider Kantone
er: griffen, und es liegt demgemäss eine teilweise Doppelbesteuerung des
Einkommens der Rekurrentin vor. Mit Rücksicht auf den eventuellen Antrag
der Rekurrentin und die entsprechende Vernehmlassung des Regierungsrates
des Kantons Baselstadt ist in der Tat ein Steuerkonslikt beider Kantone
hinsichtlich der Abgrenzung der Steuerhoheit anzunehmen; beide Kantone
sind daherPartei. Es hat daher, im Sinne von Art. 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV und Art. 175i
Ziff. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
OG, durch das Bundesgericht die Abgrenzung der Steuerhoheit
beider Kantone zu erfolgen: freilich nur für das Steuerjahr 1906, da
nur der nach der Behauptung der Rekurrentin den Art. 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV verletzende
Entscheid des bernischen Regierungsrates über dieses Steuerjahr
angefochten ist und da die für dieses Jahr gültige Abgrenzung, wegen der
wechselnden Produktionsverhältnisse am Hauptsitz und den verschiedenen
Zweigetablissementen, nicht ohne weiteres auch für die folgenden Jahre
Verbindlich sein kann.

2. Die grundsätzliche Steuerberechtigung beider Kantone, je in Bezug
auf einen Teil des Einkommens der Rekurrentin, ist nicht bestritten. Sie
ergibt sich nach den herrschenden bundes-

16 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

rechtlichen Grundsätzen (vergl. AS 23 S. 505 f.; 24 I S. 449; 27 I S. 434;
29 I S. 11 f.) auch ohne weiteres: in Basel befindet sich der Hauptsitz,
in Grellingen im Kanton Bern eine -Spinnerei, eine unter besonderer
Leitung stehende produktive Anlage, welche wie auch die bundesgerichtlich
bestellte Expertise bestätigte ohne wesentliche Veränderungen vom
Hauptgeschäft abgetrennt werden könnte. Aus der Möglichkeit, diese
steuerrechtliche Filialanlage selbständig zu betreiben, folgt jedoch
nicht, dass der Kanton Bern nun etwa berechtigt wäre, ohne Rücksicht auf
den Gang des Gesamtgeschäfts den Ertrag des Etablissementes in Grellingen
zu besteuern. Einen besonderen Ertrag der Filiale "festzustelleu, wäre
unmöglich. Selbst wenn für Grellingen eine besondere Buchhaltung bestünde
(was nicht der Fall ist, da die Gesamtbuchhaltung für das Gesamtgeschäft
in Basel geführt wird), fo könnte nicht gesagt werden, dass nun die
Filiale durch Ablieferung an die-Zentralleitung einen bestimmten Betrag
als Gewinn erzielt habe, da es sich bei allen solchen Ansätzen nur um
Fiktionen handeln würde: in Wirklichkeit wird ein Gewinn erst erzielt,
wenn die Ware mit Vorteil an Dritte abgegeben wird, d. h. durch einen
wirtschaftlichen Vorgang, bei dem das Etablissessment in Grellingen
ganz unbeteiligt ist (vergl. hier auch die Urteile des preussischen
Oberverwaltungsgerichts vom 11. und 28. November 1897 und vom 17. Februar
1898 und die Ausführungen bei Fuisting, Die direkten Steuern, Bd. III
S. 179 C litt. c). Richtigerweise kann es sich in einem solchen Falle
daher nur darum handeln, den Anteil der Zweiganstalt an der Erzielung
des Gesamteinkommens der Gesellschaft zu bestimmen und demgemäss die
Steuerberechtigung der territorial beteiligten Kantone abzugrenzen.

3. Der Verteilungsmassstab ist in jedem einzelnen Falle besonders
zu bestimmen. In der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist bei
Versicherungsgesellschaften auf das Verhältnis der Prämieneinnahme, bei
Banken und Warenverkaufsgeschäften auf das Verhältnis der Roheinnahmen,
bei Strassenbahnen auf {die in den einzelnen Gemeinden erwachsenen
Betriebskosten oder die betreffenden Bruttoeinnahmen oder auf die Länge
der Schienengeleise abgestellt worden (vergl. Fuisting, a. a. O. S. 179
CII. Doppelbesteuerun'g. N° 2. 17

iitt. b). Bei einem Fabrikationsgeschäfte, bei dem Fabrikation und
Verkauf der Waren örtlich getrennt sind, fällt der Warenumsatz als
Verteilungsmassstab ohne weiteres ausser Betracht.

Im vorliegenden Falle, in welchem der Ertrag auf der Fabrikation und
auf der Handelstätigkeit (Einkauf und Verkauf) beruht, fragt es sich in
erster Linie ob der Verteilungsmassstab des angefochtenen Entscheides des
bernischen Regierungsrates zu einer richtigen Lösung führe. Die Auffassung
des bernischen Regierungsrates, es seien das Mittel aus Verficherungswert
und Löhnen am Ort der Zweiganstalt und im Gesamtgeschäft festzustellen
und darnach die Befteuerungsrechte der beteiligten Kantone proportional zu
bemessen, beruht auf der richtigen Auffassung, dass die Güterproduktion,
welche neben der Handelstätigkeit eine der Vor-

aussetzungen für die Erzielung von Gewinn in der Fabrikations-

branche bildet, nur durch das Zusammenwirken von Arbeit und Kapital
ermöglicht werde. Sie verdient deshalb den Vorzug vor der Auffassung des
Basler Regierungsrates, der lediglich auf das Verhältnis der Aktiven
abstellen möchte, da hier die Bedeutung der Arbeit für die Produktion
verkannt wird.

Die Auffassung, dass in den Fabrikationsbranchen Arbeit und ssKapital
zur Produktion zusammenwirken müssen und dass der steuerrechtliche
Verteilungsmassstab demgemäss hier beide Faktoren zu berücksichtigen
habe, kommt freilich auch in der bisherigen Praxis zum Ausdruck, da
die Geschäftsunkosten, auf welche sie abstellt, sowohl die Vergütung
für die Benutzung fremder Arbeitskräfte, als auch die Vergütung für
die Benutzung fremden Kapitals in sich schliessen. Zu untersuchen ist
deshalb, in welcher -Weise diese beiden Faktoren zu berücksichtigen
seien. Gegen die Verteilung nach den Geschäftsunkosten ist einzuwenden,
dass nicht die wirklichen, sondern nur die zur Erzielung des betreffenden
Ertrages notwendigen Unkosten einen Rückschluss auf die Intensität des
Geschäftsbetriebes zulassen: wenn ein einfacher und billiger Fabrikbau
in jeder Beziehung die gleichen Dienste leistet wie ein komplizierter
und teurer, so ist der Anteil des Kapitals an der Produktion offenbar
in beiden Fällen gleich zu bestimmen, obschon die Unkosten Unterhalt und
Verzinsung der teureren und der billigeren Anlage nicht die gleichen sind;
der Anteil

AS 36 I _ 1910 2

18 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

am Ertrag kann daher nicht einfach nach dem Verhältnis der Unkosten
berechnet werden. Aber auch die Berechnungsweise desbernischen
Regierungsrates kann nicht als richtig anerkannt werden. Der Regierungsrat
des Kantons Bern behandelt im angefochtenen Entscheide die Löhne und
den Versicherungswert gleichmässig. Die Löhne entsprechen dem Werte der
Nutzung der Arbeitskraft während eines Jahres; der Bersicherungswert
dagegen repräsentiert nicht nur den Wert der Nutzung der versicherten
Güter während eines Jahres, sondern den dauernden Wert. Um gleichartige
Grössen zu vergleichen, ist entweder der Wert der Arbeitskräfte
zu kapitalisieren oder es ist auch von den Güternutzungen nur der
Wert eines Jahresnutzens in die Rechnung einzusetzen. Die besondere
Aufgabe der Experten ist es dann, in jedem einzelnen Falle diejenigen
Güter zu bestimmen, welche überhaupt als produktiv zu bezeichnen
find, und festzustellen, ob ausnahmsweise Verhältnisse eine besondere
Berücksichtigung eines einzelnen Faktors erfordern. Soweit das nicht der
Fall ist, muss bei der Fabrikation das Einkommen anteilmässig auf Kapital
undArbeit zuriickgeführt werden. Denn es ist dabei zu beachten, dass(vom
Salär, das der Inhaber der Unternehmung sich selbst zuschreibt, abgesehen)
im Sinne der meisten kantonalen Steuersysteme ja überhaupt kein Einkommen
vorhanden ist, wenn der Ertrag einer Unternehmung nur dazu ausreicht,
die Arbeitslöhne und die landesübliche Verzinsung der im Unternehmen
investierten Kapitalien zu bestreiten, und zwar auch dann, wenn der
Unternehmer mit eigenem Kapital arbeitet, da der Zinsertrag nach den
meisten kantonalen Steuersystemen eben von der Vermögenssteuer betroffen
wird. Der Überschuss des Ertrages über den Aufwand für Arbeitslöhne
und Verzinsung der Kapitalien, der steuerrechtlich das Einkommen
der Unternehmung bildet, erscheint wirtschaftlich als das Ergebnis
der besonderen kapitalistischen und und personellen Organisation der
Unternehmung, welche Organisation Arbeitskräfte und Kapitalien in höherem
Grade produktiv macht, als es bei blosser Verleihung der Kapitalien der
Fall gewesen wäre. Wenn besondere Anhaltspunkte für das Gegenteil mangeln,
darf aber angenommen werden, dass die Erhöhung der Produktivität von
Arbeit und Kapital eine gleichmässige gewesenII. Doppelhesteuerung. N°
2. 19

sein werde, da die Organisation der Unternehmung ja beides, Arbeitskräfte
und Kapitalien, umfasst.

4. Im vorliegenden Falle haben die bundesgerichtlich bestellten Experten
den Geldwert der Erwerbsfaktoren der Gesellschaft unter Zugrundelegung
des Verhältnisses des Jahres 1905 berechnet, wie es der Kanton Bern
verlangte. Da weder der Regierungsrat von Baselstadt noch die Rekurrentin
s. Bt. dagegen Einsprache erhoben haben, ist es nicht Aufgabe des
Bundesgerichts als staatsrechtlicher Beschwerdeinstanz, nachzuprüfen,
inwiefern die betreffende Vorschrift des bernischen Steuergesetzes auch
in interkantonalen Verhältnissen auf Berücksichtigung Anspruch habe. Die
Erperten kommen nun zu folgender Aufstellung:

a) Festes und flüssiges Kapital (Kasse,

Wechsel, Wertschriften, Waren, Debitoren (abzüglich Kreditoren),
Grundeigentum, Gebäude, eigene Wasserkräfte, Mobilien und Maschinen,
Werkzeug, Betriebsmaterialvorräte,

Betriebskapital). . . . Fr. 58,358,243 52 _ b) Kapitalwert der gemieteten
Wasserkräfte . . . 1,035,000 --

c) Kapitalwert der gesamten Arbeitskräfte (die Löhne, Gehälter und
Tantiemen, zu 40/0 kapitalisiert) 117,974,479 --

zusammen Fr. 177,363,722 52Von diesen Erwerbsfaktoren entfallen auf
Grellingen:

a) Grund und Boden . . . . . Fr. 48,960 b) Gebäude und Maschinen . . .
2,806,990 c) Wasserkräfte. . . . . 315,000 --

d) Kapitalwert der Arbeitskräfte . . 4,667,275 zusammen Fr. 7,338,225

Eine besondere Berücksichtigung des Anteils der Zentralleitung an
der Erzielung des Ertrages hat nach Auffassung der Experten nicht
stattzufinden, da dieser Faktor in den Tantiemen von 503,646 Fr. 47
Ets. genügend zum Ausdruck komme. Dieser

20 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Auffassung, die auf der tatsächlichen Würdigung der konkreten
kommerziellen und technischen Verhältnisse beruht, ist ohne weiteres
beiznpflichten. Der Kanton Bern ist demgemäss als berechtigt zu erklären,
im Jahre 1906 44/70/0 des Gesamtertrages der Rekurrentin mit der
Einkommenssteuer zu belegen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird teilweise gutgeheissen und demgemäss der Entscheid des
Regierungsrates des Kantons Bern vom 28. März 1908 aufgehoben und die
Steuerhoheit des Kantons Bern dahin beschränkt, dass der Kanton Bern
nur berechtigt sein soll, 41J70X0 des Gesamtertrages der Geschäfte der
Rekurrentin mit der.Einkommenssteuer des Jahres 1906 zu belegen.

3. guten vom 2. Februar 1910 in Sachen Erbat-d und Cgtoute gem) gegen
Yargau und Yerin

Vergl. S. M, szerpt zu Urteil Nr. 2.

A. Erhard und Louis Roth betreiben als Inhaber der Kollektivgesellschaft
Gebrüder Roth die Fabrikation von Kunstseide. Sie besitzen Etablissemente
sowohl in der aargauischen Gemeinde Oftringen als in der bernischen
Gemeinde Klein-Dietwil. In Oftringen befindet sich der Sitz des Geschäftes
mit der kommerziellen Leitung; ausserden werden daselbst 15 Arbeiter
beschäftigt In Klein-Dietwil werden 74 Arbeiter beschäftigt.

Für das Steuerjahr 1907 wurde nun Erhard Roth von der
Gemeindesteuerkommission Oftringen mit einem Kapitalvermögen von 250,000
Fr., mit einem Gewerbefonds von 200,000 Fr. und einem Erwerbseinkommen
von 8000 Fr. zur Steuer veranlagt. Hiegegen erhob Erhard Roth Beschwerde,
zuerst bei der Bezirkssteuerkommission und nachher beim Obergericht,
mit dem Begehren um vollständige Streichung der beiden ersten Posten und
um Reduktion des steuerbaren Erwerbseinkommens auf den Betrag von 1700
Fr. Mit Entscheid vom 13. November 1908 er-II. Doppelhesteuemng. N° 3. 21

kannte das Obergericht des Kantons Aargau auf Streichung des in
der Steuerveranlagung als Gewerbefonds ausgeführten Postens und auf
Reduktion des steuerpflichtigen Erwerbseinkommens auf 7000 Fr. Es ging
dabei von der Auffassung aus, der Kanton Aargau sei berechtigt, 35 des
Gesamteinkommens der Gesellschaft zu besteuern. Der Rekurs des Louis Roth,
der Herabsetzung des steuerbaren Einkommens auf 1700 Fr. beantragt hatte,
wurde vom Obergericht, mit Entscheid vom gleichen Tage, abgewiesen und
sein Einkommen in der Steuerveranlagung pro 1907 ebenfalls auf 7000
Fr. festgesetzt.

Der Regierungsrat des Kantons Bern setzte mit Entscheid vom 22. Juli 1908
das steuerpflichtige Einkommen I. Klasse der Gebrüder Roth für das Jahr
1907, welches von der Zentralsteuerkommission auf 25,000 Fr. angesetzt
worden war, auf20,000 Fr. fest, nicht ohne gleichzeitig zu bemerken,
dass damit der Anspruch des Kantons Aargau auf Besteuerung von 3/5 des
Gesamterwerbes nicht anerkannt sein solle.

B. Gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom
13. November 1908, zugestellt am 16. Dezember 1908, haben Louis
und Erhard Roth am 15. Februar 1909 den staatsrechtlichen Rekurs ans
Bundesgericht ergriffen, mit der Behauptung, es liege eine interkantonale
Doppelbesteuerung vor, und mit dem Antrage auf Aufhebung des angefochtenen
Entscheides in dem Sinne, dass das für das Jahr 1907 im Kanton Aargau
zu versteuernde gewerbliche Einkommen für jeden der beiden Rekurrenten
auf den Betrag von je 2000 Fr. herabgesetzt, eventuell die Sache zu
neuer Beurteilung an das aargauische Obergericht zurückgewiesen werde;
Erhard Noth beantragte ausserdem, es sei zu erkennen, dass er sein
Kapitalvermögen in Oftringen überhaupt nicht, eventuell bloss pro
rata, d. h. für die seinem Aufenthalt daselbst entsprechende Beit, zu
versteuern habe. Aus der Rekursbegründung ist folgendes hervorzuheben:
Nach dem vom aargauischen Obergericht eingeholten Expertengutachten
der Schweiz.Treuhandgesellschaft habe das ganze Erwerbs-einkommen des
Geschäftes, an dem beide Gesellschafter zu gleichen Teilen partizipieren,
in den letzten 6 Jahren durchschnittlich rund 24,000 Fr. betragen. Da
die Rekurrenten im Kanton Aargau mit einem Betrage von