36 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

schaff selbst, ins Handelsregister eingetragen ist und aktenmässig
erhobene Tatsachen, welche dort auch ohne Eintragung ins Handelsregister
ein steuerrechtlich bedeutsames Geschäftsdomizil der Ge- sellschaft
begründen würden, völlig fehlen. Bei dieser Sachlage konnte die
Rekurrentin im Steuerjahr 1907 vom Kanten BaselStadt gar nicht mit
einer Einkommenssteuer belegt werden, so dass der Kanten Graubünden
durch seine Besteuerung jedenfalls eines Eingrifer in die Steuerhoheit
des Kantons Basel-Stadt sich nicht schuldig gemacht hat. Dabei kann
unerörtert bleiben, ob BaselStadt nicht etwa in Zukunft berechtigt wäre,
die Eintragnng der Rekurrentin in das Handelsregisier zu veranlassen und
die Besteuerung vorzunehmen, da heute ja nur darüber zu entscheiden ist,
ob im Jahre 1907 ein Geschäftsdomizil in Basel und eine Doppelbesteuerung
vorlag.

3. In der Rekursschrift hat die Rekurrentin die Bemerkung gemacht,
der Kanton Graubünden habe nicht etwa alle Versicherungsbranchen zur
Steuer herangezogen, sondern nur diejenigen oder wenigstens einzelne
Feuerbersicherungsgesellschaften, die sich erlaubten, gegen den § 59 des
kantonalen Brandversicherungsgesetzes (Aufhebung bestehender Verträge)
Stellung zu nehmen. Indessen hat die Rekurrentin den Schluss, dass
dieses Verhalten den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze, welchen
nach dem französischsschweizertschen Niederlassungsvertrag auch die in
Frankreich domizilierten juristischen Personen anrufen können, verletze,
nicht gezogen und auch keine Beweise für ihre Behauptung angetragen,
so dass aus diesen Punkt nicht weiter einzugehen ist.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesenII. Doppelbesteuerung-. N° 74 37

7. Zittetc vom 25. März 1909 in Sachen Hoheon gegen Gemeinde genti-Hindi.

Sîeuee'dome'zil eines Z ivilWut Baningenieurs, welcher im Déenste
Derschiedener technischer L'Y-nternehmnngen bald in diesem. bald in jenem
Kantone tätig ist, jedoch in keinem. dieser Kantone einen Hausszand
begründeä, sondern sei-ne freie Zeit stets an dem Orte gabri-nyt, wo
essFra-u und Kinder znriwkgeiassen hat und auch einzig ein-e eigene
Wohnung besitzt.

A. Der Reknrrent ist Zivilund Bauingenienr und bekleidet seit dein Monat
August 1908 die Stelle eines Banleiters beim Kraftwerk an der Dala in
Lenk, das von der Eisenbahngesellschaft Susten-Leukerbad ausgeführt
wird. Seit dem Jahre 1905 hat er Niederlassung in Bern, wo seine Familie
eine Wohnung an der Chutzenstrasse innehat und die Kinder die Schulen
besuchen, wo er bis und mit dem Jahre 1908 Steuern entrichtete und seit
Ende des Jahres 1906 auf Grund freiwilliger Erklärung im Handelsregister
eingetragen ist. Ein Bericht der städtischen Polizeidirektion Bern vom
22. Februar 1909 stellt fest, dass Rekurrent sich während des Jahres 1908
in Bern nie polizeilich abgcsmeldet habe und dass die Ehefrau Schoon
mit ihren Kindern einzig im Sommer für einige Wochen von Bern in den
Ferien abwesend gewesen sei. Rekurrent selber wird, laut seiner Angabe,
durch seinen Beruf meistenteils ausserhalb der Stadt Bern festgehalten:
im Jahre 1908 sei er in Churwalden, im Jahre 1907 im Schwarzwald, im
Jahre 1908 zuerst in Montreux und seit Ende August in Leuk tätig gewesen
Am 19. Dezember 1908 wurde nun dem Rekurremen von der Steuerbehörde von
Leuk ein Formnlar für die im Kanton Wallis zu entrichtende Mobiliarsteuer
zugestellt. Als Reknrrent sich weigerte, das Formular auszufüllen, weil
er seine Steuern in Bern bezahlt habe, beschloss die Steuerkommission
der Gemeinde Lent, von der Erhebung der Vermögenssteuer und der
Haushaltungstare abzusehen, dagegen den Rekurrenten für feinen Gehalt
steuerpflichtig zu erklären, und zwar gestützt au, Art. 62 Al. 1 des
Finanzgesetzes dont 10. November 1903 lautend:

88 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

Die Steuer auf die Honorare und Gehälter der Beamten und die Besoldung der
Angestellten ist in der Gemeinde zu entrichten, mo der Steuerpflichtige
den Sitz seiner beruflichen Tätigkeit hat.

B. Gegen diesen Beschluss der Steuerbehörde von Leut ergriff der Rekurrent
am 27. Dezember 1908 den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht,
mit der Beschwerde, dass die Steuerbehörde von Bern, gemäss der bisherigen
Praxis in Steuersachen, sich weigere, die von ihm für das Jahr 1908 dort
bezahlte Steuer zurückzuzahlen und dass er deshalb den bundesgerichtlichen
Schutz gegen die ihm drohende Doppelbesteuerung anrufefEr fügte bei,
dass sein Aufenthalt in Leaf, gerade wie der Aufenthalt in den oben
angeführten Arbeitsorten, nur temporären Charakter habe.

C. Die Mnnizipalität der Stadt Leuk machte in erster Linie geltend, es
sei der Nachweis nicht geleistet, dass Rekurrent die Steuer für den in
ihrer Gemeinde verdienten Gehalt in Bern bezahlt habe. Wie dem übrigens
sei, so werde der Standpunkt festgehalten, dass Rekurrent für seinen in
Leuk verdienten Gehalt auch in Leuk steuerpflichtig sei, denn es könne
als sicher angesehen werden, dass die Erstellung des Kraftwerkes an
der Dala vor Ende des laufenden Jahres nicht vollendet werde, so dass
Rekurrent noch während des ganzen Jahres 1909 seine Tätigkeit in Leut
ausüben werde. Es sei aber ferner wahrscheinlich, dass Rekurrent am Bau
der Eisenbahn Susten-Leut mitwirken und dann während 14/2 3 Jahren dem
Bureau in Leut vorstehen werde.

D. Der Staatsrat des Kantons Wallis bemerkt, dass im Kanton Wallis vom
Rekurrenten nur die Bezahlung der Jndustrietaxe verlangt merde, und zwar
nur für die Zeit, während welcher er auf dein Gebiete der Gemeinde Leaf
als bauleitender Jugenieur arbeite. Eine Person, die an ihrem Domizil
ihre Personalsteuer bezahle, könne dazu verhalten werden an dem davon
verschiedenen Orte ihrer gewerblichen Betätigung die Gewerbesteuer zu
bezahlen. Das treffe hier zu. Es fehle daher für eine Doppelbesteuerung
am Erfordernis der Besteuerung der nämlichen Objekte Entscheidend sei
aber in jedem Falle, dass der Rekurrent seit dem Jahre 1905 jedes Jahr
in verschiedenen Kantonen als Jugenieur gearbeitet, in Bern selbst aber
kein Hauptgeschäft besessen habe und dass infolgedessen sein Geschäftssitz
dort sich befinde, wo er seineIl. Doppelbesteuerung. N° 7. 39

Tätigkeit als Jugenieur ausübe. Die in Leuk begonnenen ArBetten, welche
2-3 Jahre in Anspruch nehmen können, seien, wenn nicht als Hauptgeschäft,
so doch mindestens als Zweiggeschäft anzusehen, welches zum Bezug einer
Judastrietaxe berechtigte

E. Der Regierungsrat des Kantons Beru bestätigt, dass der Rekurrent in
Bern seine Steuerschätzung eingereicht habe und für sein Einkommen zur
Steuer herangezogen merde. Der Steuermspruch Berns sei auch begründet,
weil Rekurrent in Bern seinen zivilrechtlichen Wohnsitz, den Mittelpunkt
seiner privatrechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe und
mit dem Kanton Wallis nur dadurch verbunden sei, dass er dort während
einer bestimmten Zeit des Jahres seine berufliche Tätigkeit ausübe. Ein
Besteuerungsrecht des Kantons Wallis könne dieser Umstand nicht begründen,
weil Rekurrent nur Angestellter, nicht Geschäftsmhaber sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (3uläsfigkeit des Rekurses).

2. Bei der Frage, ob ein Eingriff eines Kantons in die Steuerhoheit
eines andern Kantons vorliege, ist mm, im Gegensatze zur Auffassung des
Regierungsrates des Kantons Wallis und der Munizipalität von Lenk, nicht
sowohl darauf abzustellen, ob der Rekurrent im Kanton Bern das Einkommen
ans seiner ganzen beruflichen Tätigkeit wirklich versteurt habe, als
vielmehr darauf, ob er in letzterm Kanton zur Steuer herangezogen werden
könne Nun kann aber nach der Vernehmlassung des Regierung-states gar
kein Zweifel darüber bestehen, dass der Kamen Bern das Besteuerungsrecht
in Bezug auf das ganze Einkommen des Reimrenten für sich beansprucht Es
liegt daher jedenfalls ein Eingriff eines Kantons in die Steuerhoheit des
andern Kantons vor, da der in der Vernehmlassung des Regierungsrat-es des
Kantons Wallis angeführte Fall einer zulässigen Besteuerung durch zwei
verschiedene Kantone selbstverständlich ooraussetzt, dass der Kantenitt
welchem der Steuerpflichtige sein Domizil besitzt, das auswärts besteuerte
Geschäftseinkommeu nicht ebenfalls besteuere. Endlich kann auch darüber
ein ernstlicher Zweifel nicht bestehen, dass die von der Steuer-behörde
von Leuk geforderte Abgabe eine wirkliche Steuer

40 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

ist: eine Gebühr ist es nicht, weil nicht ein Entgelt für eine bestimmte
besondere Jnanspruchnahme der staatlichen Organe oder Einrichtungen
gefordert wird, und eine Patenttaxe ist es nicht, weil der Rekurrent
nach Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV ja keiner kantonalen Erlaubnis zur Ausübung seiner
berufsmässigen Tätigkeit bedarf; die geforderte Abgabe gründet sich
einzig darauf, dass der Rekurrent im Kanton Wallis durch seine berufliche
Tätigkeit Einkommen erwirbt, und ist daher rechtlich als Einkommenssteuer
anzusehen. 3. Fragt es sich, ob das gewerbliche Einkommen des Rekrurenten
in Bern oder in Leuk zu versteuern sei, so ist davon auszugehen, dass
der Steuerpflichtige grundsätzlich nur ein Steuerdomizit hat, und zwar
an seinem Wohnsitze. Das bewegliche Vermögen und das Einkommen des
Steuerpflichtigen sind grundsätzlich an seinem faktischen Wohnsitze zu
versteuern. Eine Ausnahme bestehtnur für die Besteuerung des gewerblichen
Vermögens und des Einkommens aus gewerblicher Tätigkeit: als solches
gilt steuerrechtlich aber nicht das Einkommen eines Angestellten in
einem ausserhalb seines Domizils gelegenen Geschäfte, sondern nur
das Einkommen des Geschäftsinhabers (vergl. AS 25 1 S. 195 f.). Es
besteht kein Anlass, von diesen Grands-Shen, welche mit Ausnahme einer
Entscheidung vom Jahre 1879 (AS 5 S. 421 Crw. 4) stets festgehalten wurden
(vergl. AS 34 I S. 251 Erto. 2 und die dort ausgeführten Präjudizien),
heute abzugeben. Im konkreten Falle kann aber nicht zweifelhaft sein,
dass der Rekurrent nicht Inhaber des technischen Bureaus in Leuk ist,
sondern dass dieses der Eisenbahngesellschaft Susten-Leukerbad, welche
das Kraftwerk baut, gehört. Zu prüfen ist deshalb lediglich, ob Rekurrent
sein allgemeines Steuerdomizil in Bern oder in Leuk habe. Entscheidend
ist der faktische Wohnsitz des Steuerpslichtigem es kann im Steuerrecht
daher nicht etwa nach Art. 3 Abs. 3 BG betr. zivilr. V.d. N. u. A. der
Schluss gezogen werden, dass der Steuerwohnsitz so lange fortdauere,
bis ein neuer zivilrechtlicher Wohnsitz begründet sei. Werden die
faktischen Verhältnisse des konkreten Falles ins Auge gefasst, so ergibt
sich aber doch der Schluss, dass die Beziehungen des Rekurrenten zu
Bern überwiegen und dass daher Bern als der eigentliche Mittelpunkt der
wirtschaftlichen Beziehungen des Rekurrenten anzusehen sei. Nur in Bern
besitzt derII. Doppelbesteuerung N° 74 41

Rekurrent, so viel aus den Akten ersichtlich i, zur Zeit eine eigene
Wohnung Aber nicht nur zur Zeit wäre ein faktisches Zusammenleben
der Familie überhaupt nur in Bern gedenkbar, sondern es liegt in den
faktischen Verhältnissen weiter begründet, dass die Familie ihrem
Ernährer auch in Zukunft kaum auf seine Arbeitsplätze nachfolgen wird,
selbst wenn seine Betätigung am gleichen Orte, im Verhältnis zur Dauer
des Domizils gar vieler Bürger, nicht kurz erscheint: denn es ist zu
beachten, dass mit einer höheren Lebensstellung auch ein komplizierterer
Haushalt und weiter verzweigte Lebensbeziehungen sich einstellen, derart,
dass nicht leicht angenommen werden darf, dass mit der Bekleidung einer
Anstellung an einem andern Orte die alten Beziehungen in der Hauptsache
gelöst seien. Bei dieser Sachlage ist daher der Schluss begründet, dass
der Rekurrent nicht nur wie sich aus der Deswnierung der Schriften, der
Erfüllung der Steuerpflicht und der Eintragung ins Handelsregifter ergibt
seinen Wohnsitz in Bern haben will, sondern dass in der Tat Bern, wo feine
Familie weilt und wohin er zurückkehrt, wenn seine Arbeit dies zulässt,
auch nach Massgabe der äussern Verhältnisse den wirklichen Mittelpunkt
seiner Lebensbeziehungen darstellt. Damit ist aber auch die Steuerhoheit
von Bern gegeben und diejenige des Kantons Wallis zurückzuweisen Demnach
hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs ist geschützt.