110 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 11. Abschnitt. Bundesgesetze.
des Hausarztes, der Verpächter und zahlreicher Nachbarn des Rekurrenteu
dieser weder ein Verschwender noch ein Alkoholiker zu sein scheint,
sondern ein verhältnismässig fleissiger und tüchtiger Landwirt, welcher
in den letzten acht bis zehn Jahren nicht nur nicht rückwärts gearbeitet,
sondern sein bescheidenes Vermögen fogar verdoppelt und verdreifacht hat.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird begründet erklärt
und der Entscheid des Re-
gierungsrates des Kantous Vaselland vom 14. November 1908 aufgehoben.
V. Haftpflicht. Responsabilité civile.
19. Eli-teil vom 17. Februar 1909 in Sachen gaemar gegen zerrissde des
Divitgerirhte von geht-ginn.
Inkompeteeez des Bee ndesgericfets zur Beurteilung; wie Beschwee'dm
wegen Verweigerung des Armenrechts in Haftpfie'chtprozessm, auch im
Anwmdungsgeòe'et des EEG mm 1905.
A. Der Rekurrent wollte wegen eines im Januar 1908 stattgefundenen
Unfalles eine Haftpflichtklage gegen die eidgenössische Postverwaltung
anstrengen und stellte am 1. Dezember 1908 beim Zivilgerichtspräsidenten
Basel-Stadt ein Gesuch um Erteilung des Armenrechles zur Führung des
Prozesfes _ B. Auf dieses Gesuch hat der Zivilgerichtspräfident laut einer
Vom 11. Dezember 1908 datierten Mitteilung der Zivilgerichtsschreiberei
erkannt:
Es wird auf das Armenrechtsgesuch nicht eingetreten.
C. Gegen diesen Entscheid, der nach § 173 der kantonalen ZPO nicht
weiter-gezogen werden konnte, hat Werner am 18. Dezember 1908 wegen
Amtspflichwerletzung beim Bundesgericht Beschwerde erhoben, mit dem
Antrage, es sei das Zivilgericht aufzufordern, dem Rekurrenten das
Armen-recht zu erteilen, und es seien dem Zivilgerichte die Kosten
aufzuerlegen.V. Haftpflicht. N° 19. 111
D. In seiner Vernehmlassnng erklärt der Zivilgerichtspräsident,
das Armenrecht sei wegen Aussichtslosigkeit der Klage verweigert
worden. Sodann wird näher ausgeführt, aus welchen Gründen die Klage
aussichtslos gewesen sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Es handelt sich im vorliegenden Falle um eine Beschwerde
wegen Verweigerung des Armenrechts in einem Haftpflichtprozesfe.
Zur Beurteilung solcher Beschwerden hat sich das Bundesgerichl,
wenigstens im Anwendungsgebiet des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes
vom Jahre 1875, des Fabrikhaftpslichtgesetzes von 1881 und des
erweiterten Haftpflichtgesetzes von 1887, stets inkompetent erklärt,
da nach Art. 11 des letztern Gesetzes, namentlich aber nach Art. 189
Abs. 2 OG, für derartige Beschwerden die Kompetenz des Bundesrates und
eventuell der Bundesversammlung gegeben sei. Vergl. BGE 18 S'. 568
Crw. 3 (Fabrikhaftpflicht), 21 S. 374 (Eisenbahnhaftpflicht),22
S. 383f. (Fabrikhaftpflicht), 30 1 S. 514 f. (Fabrikhaftpflicht); ferner
v. S a lis, Bundesrecht 2. Aufl. VNr.2320 und 2860. In dem auf den
heutigen Fall anwendbaren Eisenbahnhaftpflichtgesetz vom 28. März 1905,
dessen Art. 22 Abf. 2 die Gewährung des Armenrechts ebenso vorsieht,
wie Art. 6 des erwähnten Haftpflichtgesetzes von 1887 sie ordnete, ist
nun zwar eine dem Art. 11 dieses letzteren Gesetzes analoge Vorschrift
nicht enthalten. Indessen trifft jedenfalls die auf Art. 189 Abs. 2 OG beruhende Erwägung auch im vorliegenden Falle zu; denn im neuen
Eisenbahnhaftpflichtgesetz ist ebensowenig, wie in den früheren Gesetzen
und im Organisationsgesetz, eine Bestimmung zu finden, durch welche die
Oberaufsicht über die Handhabung der Vorschriften betreffend Erteilung
des Armenrechts einer andern Behörde als dem Bundesrate (und eventuell
der Bundesversammlung) übertragen worden ware. Es ist daher anzunehmen,
dass auch unter der Herrschaft des neuen Eisenbahnhaftpflichtgesetzes
Beschwerden über Verweigerung des Armenrechts beim Bundesrate anzubringen
find. Diese Kompetenzabgrenzung rechtfertigt-sich auch aus der praktischen
Erwägung, dass alle Beschwerden über Verweigerung des Armenrechts auf
dem Gebiete der gesamten Haftpflichigesetzgebung gleichartig behandelt
werden sollten.
2. Da es sich nach dem Gesagten um eine in die Kompetenz des
112 A. Staaisrechtliche Entscheidungen. IL Abschnitt. Bundesgesetze.
Bundesrates fallende Angelegenheit handelt, so ist das Bundesgericht
zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde inkompetent. Demnach hat
das Bundesgericht erkannt:
Auf den Rekurs wird nicht eingetreten.
VI. Schuldbetreibung und Konkurs. Poursuite pour dettes ed.t'a.i111t-e.
Vergl. Nr· 14.
VII. Organisation der Bundesrechtspflege. Organisation judiciaire
fédérale.
20. "gu-teu vom 17. Februar 1909 in Sachen Hebel und esituierten gegen
Hirn-ermattet und cMaterien-
Beschwerde wegen Missachtung des klaren Wartlemts eines Gesetzes durch
den Richter. Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs:
im Kanton Luzern durch Erhebung der in der ZPO vorgesehenen
Kassationsbeseäwerde.
A. Die Rekurrenten haben mittels Klage vor den luzerner Gerichten ein
zu Gunsten der Rekursbeklagten lautendes Testament der am 4. August 1906
in Flühli verstorbenen Katharine Stadelmann von Escholzmatt angefochten,
u. a. deshalb, weil dasselbe, trotzdem die Verstorbene unter Vormundschaft
gestanden habe, ohne Mitwirkung des Vogtes errichtet worden sei, was eine
Verletzung von § 425 des Bürgerlichen Gesetzbuches Von Luzern bedeute.
Die zitierte Bestimmung lautet:
Bevogtete Personen, welche eine letzte Willensverordnung ersiebten wollen,
müssen ihren Vogt beiziehen. Jedoch ist eine bevogtete Person berechtigt,
behufs der Errichtung einer letzten Willensverordnung die Bestellung
eines ausserordentlichen Bei-VII. Organisation der Bundesrechtspflege. N°
20. 113
.standes zu verlangen, welcher statt des ordentlichen Vogtes ihr
Wbeistehen solî.
Das luzernische Obergericht, welchem der Prozess zur zweiunstanzlichen
Beurteilung vorlag, hat in seinem Urteil vom 25. Juli 1908 konstatiert,
dass obige Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Tat nicht
befolgt worden sei; da jedoch der Vogt das Testament nachträglich
unterzeichnet und da nachgewiesenertmassen der wahre Wille der Testatorin
frei und Ungehindert seinen Ausdruck gefunden habe, der Zweck jener
gesetzlichen Vorschrift somit erfüllt sei, so sei der gerügte formelle
Mangel bei den gegebenen Verhältnissen nicht von so wesentlicher
Bedeutung, dass dadurch die Ungüliigkeitserklärung des Testamentes
begründet werden könnte. Demgemäss wurde die Klage abgewiesen und das
Testament gerichtlich geschützt
B. Gegen dieses Urteil richtet sich der vorliegende Rekurs Die
Rekurrenten führen aus, es sei ein allgemeiner Grundsatz, dass es mit
den Vorschriften über die Formen der Testamentserrichtung genau zu nehmen
sei. Speziell das luzernische Obergericht sei sonst iin dieser Beziehung
sehr streng. Im vorliegenden Falle habe nun aber das Obergericht die
Formvorschrift einfach beseitigt, also das Gesetz nicht angewendet,
sondern abgeändert. Das sei Willkür-. Der Sinn des Gesetzes sei klar und
unzweideutig: der Vogt müsse bei der Errichtung des Testamentes anwesend
sein, er müsse beizgezogen werden und bei der Errichtung des Testamentes
mitwirken; er müsse also anwesend sein, geradefogut wie der beeidigte
Schreiber, die beiden unverwerflichen Zeugen und der Testator selber. Dies
ergebe sich auch aus § 426 BGB. Das obergerichtliche Urteil :verletze
deshalb den klaren, keiner Wegdeutung fähigen Buchstaben des Gesetze und
setze sich in diameiralen Gegensatz zu allgemeinen Rechtsanschauungen und
zur Praxis des luzernischen Obergerichts selber. Das Obergericht habe
das Testament gültig erklärt, ohne den Widerspruch zum Buchstaben des
Gesetzes, zur allgemeinen Rechtsanschauung und zu seiner eigenen Praxis
anders als durch Scheinmotive zu begründen. Das angefochtene Urteil sei
daher wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999 Cost. Art. 4 Lingue nazionali - Le lingue nazionali sono il tedesco, il francese, l'italiano e il romancio.
BV aufzuheben; denn nach Eder Praxis
des Bundesgerichts könne dieser Artikel mit Grund angerufen werden: