76lis A. Staatsrechtliche Entscheidungen. Il. Abschnitt Bundesgesetze.

die Handlung, wegen der die Auslieferung verlangt wurde und erfolgt ist,
mit der Tai, um derentwillen der Ausgelieserte verfolgt und dann bestraft
wird, in einem innern Zusammenhang steht. Eine solche Ausnahme macht das
Bundesgesetz von 1892 sogar für den Auslieferungsverkehr mit dem Ausland
(Art. 7), indem es die Verfolgung und Bestrafung des Ausgelieferten auch
für konnexe Handlungen als zulässig erklärt Es ist völlig ausgeschlossen,
dass unter den Kantonen der Grundsatz der Spezialität in einem weitern
Masse gelten und jene Ausnahme hier nicht ebenfalls zutreffen würde. Mit
einem derartigen Fall der Konnerität hat man es aber vorliegend zu
tun. Die dem Rekurrenien zur Last geiegte Unterschlagung, wofür die
Auslieferung verlangt war und erfolgt ist, wurde darin gefunden,
dass der Rekurrent einen Teil der von ihm für die Eheleute Freimark
einkassierten Erbschaft, nämlich 1105 Fr. 37 Cfs. von 2227 Fr. 62 ETS
nicht abgeliefert, sondern für sich verbraucht hatte, und der Tatbestand
des Wuchers, der zur Bestrafung des Rekurrenten geführt hat, wurde darin
erblickt, dass er sich für den Jnkasso der genannten Erbschaft von 1800
Mark Von den Eheleuten Fram-arf, unter Ausbeutnng einer Notlage und der
Unerfahrenheit der letztem, eine Provision von 450 Mark hatte zusichern
und gewähren lassen. Es ist keine Frage, dass diese beiden Tatbestände
in einem engen innern Zusammenhang stehen: Der Betrag, den der Rekurrent
auf Grund der versprochenen, als wucherisch qualifizierten Provision
zurückbehalten hatte, war im Auslieferungsbegehren alsunterschlagen
angegeben. Die widerrechtliche Aneignung dieses Betrages gehört sowohl
zum Tatbestand, für den die Auslieferung stattfand, wie auch zum
Tatbestand, für den der Rekurrent bestraft wurde, nur wurde sie bei
der Auslieferung als Unterschlagung und im Urteil dann als wucherische
Aneignung qualifiziert. Nach diesen Ausführungen kann von einer Verletzung
der bundesrechtlichen Bestimmungen über die intertantonale Auslieferung
beim Rekurremen unter keinen Umständen die Rede sein-.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Reknrs wird
abgewiesen.IV. Organisation der Bundesrechtspfiege. N° 123. ss 761

IV. Organization der Bundesrechtspflege. Organisation judiciaire fédérale.

123. gurszug aus dem get-teil vom 9. Oktober 1907 m Sachen Geissen-tun
gegen Mtagekammer Yern

Legitimation zum staatsrechtlichen Hekurs gegen die Einstellung eines
Sérafvez'fahre-ns: Die Legitimation steht dem angeblich Geschädig-len zu.

A. Die Rekurrenten hatten gegen Fürsprecher Aebi in Bern, Edgar von
Smirnoff und andere Personen Strafanzeige beim Statthalteramt Bern wegen
Fälschung, Betrags und eventuell Gehilfenschaft hiebei eingereicht und
sich dabei vorbehalten, sich in der Hauptverhandlung als Zivilpartei
zu stellen. Am 8. April 1907 beschloss die Anklagekammer des Kantons
Bern, die durch diese Anzeige veranlasste Strasuntersnchung gegen Aebi,
Smirnofs und Getroffen werde aufgehoben. Dieser Beschluss ist gemäss den
Vorschriften des bernischen Rechts und der Praris mit keiner Begründung
versehen.

B. Gegen den Aufhebungsbeschluss der Anklagekammer haben die Rekurrenten
die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht ergriffen, mit dem
Antrag, es sei der Beschluss, soweit Aebi und Smirnoff betreffend,
aufzuheben, und es sei die Anklagekammer anzuweisen, gemäss Gesetz
entweder zu überweisen oder eine Aktenvervollständignng anzuordnen. Die
Rekurrenten machen geltend, sie seien durch den angefochtenen Beschluss
in ihrem Rechte auf vollständiges richterliches Gehör in erheblicher Weise
verkürzt worden, weil ihnen dadurch ein Weg, ihre Interessen zu verSelge?
nämlich der Strafprozess mit Adhäsion, versperrt worcU EI.

O. Die Anklagekammer des Kantons Bern hat auf Abweisung des Rekurses
angetragen. In der Vernehmlassung ist darauf aufmerksam gemacht, dass
nach bernischem Prozessrecht dem Anzeiger im Strasprozess keinerlei
Prozessrechte zustehen. Der Strafanspruch

762 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.

stehe ausschliesslich dem Staate zu und dieser habe ein wesentliches
Interesse daran, dass in den zwischen ihm als Träger des Strafanspruchs
und dem Angeschuldigten schwebenden Rechtssireit kein Dritter sich
unbefugter Weise einmische. Der Anzeiger könne grundsätzlich erst dann
Parteirechte ausüben, wenn er bezüglich seiner Zivilinteressen bereits
Anträge gestellt habe, was seitens der Rekurrenten vorliegend nicht
geschehen sei. Durch den angefochtenen Beschluss hätten daher keine
Rechte der Rekurrenten verletzt werden können-

, Das Bundesgericht hat den Rekurs abgewiesen Über die Legitimation der
Rekurrenten bemerkt das Urteil:

Die Rekurrenten haben als angeblich Geschädigte ein unbestreitbare-Z
direktes Interesse daran, dass die Strafuntersuchung gegen Aebi und
vSrnirnoff durchgeführt merde. Wenn sie auch nach bernischem Recht,
wie in der Vernehmlassung der Anklagekammer ausgeführt ist, keine
eigentlichen Parteirechte in Bezug auf diese Untersuchung hatten, so
sind sie doch nach der Natur der Sache in intensiver Weise durch ihre
Interessen mit daran Beteiligt, und sie sind durch den angesochtenen
Aufhebungsbeschluss speziell auch insofern persönlich Betroffen, als
ihnen dadurch die Möglichkeit genommen ist, sich in der Hauptverhandlung
als Zivilpartei zu konstituieren und ihre Zivilansprüche adhäsionsweise,
statt in einem besondern Zivilprozess, geltend zu machen. Die Rekurreuten
müssen daher auch als legitimiert angesehen werden, den fraglichen
Beschluss im Wege des staatsrechtlichen Rekurses wegen Rechtsverweigeruug
anzufechtenV. Zivilrechtl. Verhältnisse der Niedergelassenen und
Aufenthalier. N° 124. 763

?. Zivilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen und
Aufenthalter. Rapports de droit civil des citoyens établis ou en séjour.

124. Arrèf'. du 24 octobre 1907, dans la cause Lang-et contra la Chambre
des tutelles du canton de Genève.

Art. 33 de la loi du 25 juin 1891. Cette disposition se rapporte aussi à
la tutelle des interdits, non seulement à celle des mineurs. -La question
de savoir si l'interdit a perdu la nationalité étrangère n'est pas à
revoir par le Tribunal fédéral s'il y a un arret de la cour competente
qui l'a tranehée affirmativement. Réciprocitè. Loi d'introduction du
code civil allemand, art. '? al. 1; art. 23 al. 1.

A. Par jugement du Tribunal de première instance de Genève du 12 avril
1904, eonfirmé par arrèt de la Cour de justice du canton, en date du 21
mai suivant, Frédéric Jutz, alors interne à. l'asile cantone] de Bel-Air,
à. Genève, a été interdit pour cause d'aliénation mentale. Le 29 juin
1904, il fut en conséquence pourvu d'un tuteur et d'un subrogé-tuteur
désignés par le conseil de famille, le premier en la personne du sieur
Frédéric Longet, secrétaire au commissariat de police, le second en la
personne du sieur Samuel Favarger, régisseur, tous deux à Genève.

B. Le 13 décembre 1905, l'autorité tutélaire (das königl.
Württembergische Vormundschaftsgericht) de Stuttgart pria la Chambre
des tutelles de Genève de lui transférer cette tutelle.

Sur Opposition faite à cette demande par le tuteurinstitué à Genève,
Frédéric Longet, lequel soutenait, en particulier, que son pupille avait
perdu la nationalité allemande pour avoir résidé hors du territoire
de l'empire'depuîs plus de dix ans, la chambre des tutelles de Genève,
par décision du 8 février 1906, admit qu'elle n'avait pas qualité pour
trancher cette question préjudicielle de nationalite et renvoya les par--