736 A. Staatsrechiiiche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

über die Beschwerde des Rekurrenten ans Art. 4 BV als überflüssig
weg. Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird
gutgeheissen. Demgemäss werden die Urteile des Obergerichts des Kantons
Aargau (Abteilung für Strafsachen) vom 26. April 1907 aufgehoben

IV. Gerichtsstand des Wohnortes. For du domicile.

117. guten vom 3. Onkel-er 1907 in Sachen Thiévent gegen guggenheim.

Reis-irre gegen peremtoa'ische Variati-ang in eine-ne Z ieilprozess ;
Zulcissigkeit. Domizilerwdhlung im Bestellschein; bedeutet sie eine
Gerichtsstcmdsvm*einèarung und eine-n Verzicht auf den Gerichtsstand
des Wohnsitzes ?

Das Bundesgericht hat da sich ergibt:

A. Am 30. Oktober 1906 bestellte der Rekurrent, der Wirt in Saignelégier
ist, bei einem Reisenden des Rekursbeklagten 6 Stück Tricothemden Am
Fusse des vom Rekurrenten unterschriebenen Bestellscheines findet sich
in kleinem Druck in deutscher Und französischer Sprache die Bemerkung:
Beide Parteien nehmen für diesen Vertrag Domizil in Zürich. ( Les deux
parties con tractantes désignent comme domicile juridique, pour cette
affaire, la ville de Zurich .) In der Folge verweigerte der Nekurrent die
Annahme der Ware, weil sie nichtbestellungsgemäss sei. Der Rekursbeklagte
belangte ihn hierauf vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich
im ordentlichen Verfahren auf Zahlung des Kaufpreises. Auf den 11. Juni
1907 zur-Hauptverhandlung über diesen Rechtsstreit vorgeladen, schrieb der
Rekurrent dem Einzelrichter, dass er nicht erscheinen merde, weil er die
Zuständigkeit des zürcherischen Richters nicht anerkenne. Am 11. Juni 1907
ver-fügte der Einzelrichter:IV. Gerichtsstand des Wohnortes. N° M?. 737

1. Der Prozess wird neu vertagt auf Donnerstag den 27. am 1907, vormittags
8 W Uhr.

2. Aus diesen neuen Rechtstag wird der Beklagte peremtorisch .vorgeladen,
b. h. unter der Androhung, dass bei abermaligem unentschuldigiem oder
unbegründetem Ausbleiben Anerkennung der tatstichlichen Klaggründe und
Verzicht auf Einreden angenommen "wurde.

Z. (Prozessentschädigung.)

B, Gegen die Verfügung des Einzelrichters hat Thiévent den
staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung
ergriffen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Rekurrent an seinem
ordentlichen Wohnsitzgerichtsstand belangt werden müsse. Durch die
Klausel im Bestellschein betreffend Domizilerwählung in Zürich habe
der Reknrrent nicht auf seinen ordentlichen, ihm verfassungsmässig
garantierten Gerichtsstand verzichten wollen; denn die Bedeutung der
Klausel sei unklar-, und der Rekurrent als rechtsunkundige Person habe
sie nicht im Sinne einer Prorogationsabrede aufsassen können.

C. Der Rekursbeklagte Guggenheim hat auf Abweisung des Rekurses
eingetragen und geltend gemacht, dass eine Beschwerde der vorliegenden
Art nur gegen das Endnrteil, nicht aber gegen eine blosse prozessualische
Verfügung, zulässig sei; eventuell liege eine Prorogationsabrede in der
Klausel des Bestellscheines betreffend Domizilerwählung in Zürich,welche
Klausel auch vom Rekurrenten vernünftigerweise gar nicht anders habe
verstanden werden können ;-

in Erwägung:

1. Nach ständiger Praxis ist die Beschwerde wegen Verletzung des am. 59
BV schon zulässig gegen die blosse Vorladung vor den ausserkantonalen
Richter. Es ist daher auf den Rekurs, der sich gegen eine (peremtorische)
Vorladung des zürcherischen Richters, verbunden mit einer Bussund
Entschädigungsverfügung wegen Nichterscheinens des Rekurrenten zum ersten
Termin richtet, einzutreten.

2. Der Rekurrent hat sein festes Domizil in Saignelégier; er ist
unbestrittenermassen aufrechtstehend, und der Anspruch, für den er vom
Rekursbeklagten in Zürich belangt wird, ist ohne Frage persönlicher
Natur-. Der Rekurrent kann sich daher der an-

AS 33 I 1907 48

738 A. Staatsreehtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

gefochtenen Verfügung gegenüber auf die in Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV enthaltene
Garantie des Wohnsitzgerichtsftandes berufen, falls er nicht etwa für
die vorliegende Streitigkeit durch Vereinbarung des Gerichtsstandes in
Zürich hieran verzichtet hat. Mit der Annahme eines Verzichts auf die
Wohltat des verfassungsmässig garannerten heimatlichen Gerichtsstandes
darf esjedoch nicht leicht genornmen werden, und in der blossen Klausel
auf dem Bestellschein, dass die Parteien für den Vertrag Domizil in Zürich
nehmen, kann hier nach den gesamten Umständen ein solcher Verzicht nicht
erblickt werden Einmal braucht eine Domizilerwählung nicht unbedingt
und ohne weiteres im Sinne einer Prorogationsabrede verstanden zu
werden. Man kann dabei sehr wohl auch materiellrechtliche Wirkungen,
z. B. betreffend den Lieferungsort, den Erfüllungsort,in1 Auge haben. Jn
der französischen Rechtssprache bat die Domtztlerwahlang allerdings
regelmässig die Bedeutung einer Gerichtsftandsk vereinbarung. Allein der
Rekurrent, der unbestrittenermassen keinerlei Rechtskenntnisse besitzt,
wusste wohl auch von dieser Rechtsansfassung nichts. Es ist nicht
behauptet, dass er vom Reisenden des Rekursbeklagten auf den Sinn, den
der letztere der Klausel beimass, aufmerksam gemacht worden sei, und er
brauchte an eine Prorogation um so weniger zu denken, als das fragliche
Rechtsgeschäft nicht zu denjenigen gehört, bei denen die Wahl eines
Spezialfornms sich als allgemein im gewöhnlichen Verkehr dorkommend und
durch besondere Gründe gerechtfertigt ansehen lasst. Bei dieser Sachlage
lässt sich nicht annehmen, dass der Rekurrent durch Unterzeichnung des
Bestellscheins auf seinen Domizilgerichtsstand habe verzichten wollen,
oder dass ihm auch nur hätte bewusst sein müssen, es stehe ein derartiger
Verzicht in Frage, und dass die Gegenpartei dieses Bewusstsein mit Grund
hätte als vorhanden betrachten können. Dann kann aber auch die Klausel
betreffend Domizilerwählung der Berufung des Rekurrenten auf Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV

nicht im Wege stehen (vergl. AS 26 I S. 185; S. 442 Erw. 2;-.

32 I S. 647); erkannt:

Die Beschwerde wird als begründet erklärt und es wird die-

Verfügung des Einzelrichters des Bezirksgerichts Zürich im ordentlichen
Verfahren vom 11. Juni 1907 aufgehoben. IV. Gerichtsstand des
Wohnortes. N° 118. 739

118. Arrèt cin 21 novembre 1907, dans la cause Grandes teintureries de
Marat et Lyonnaise contre Neuchätel.

Renonciation au for naturel, insérée dans un contrat. La renonciaiion
oblige le successeur de la partie renoncante.

A. Par contrat du 3 septembre 1904, l'e Office de publicité
internationale, Morel, Reymond & C'e , société en commandite ayant siège
à Neuchatel, s'est engagé à faire pour le sieur Gustave Fraisse fils,
teinturier, à Marat, une certaine publicité en échange de laquelle Fraisse
s'engageait à son tour a payer la somme de 2500 fr. par an. -Sous chiffre
6 des conditions du contrat, äu-dessous desquelles les parties ont,
l'une et l'autre, apposé leurs signatures, figure la clause suivante:
Pour l'exécution des présentes, les parties declarent faire élection de
domicile au Greffe du Tribunal civil de Neuchàtel, avec attribution de
fer pour le tribunai civil de ce lieu.

Ultérieurement la Société en commandite Morel, Reymond & Oie s'est
dissonte pour faire place à la Société anonyme de l'office cle publicité
internationale Morel, Reymond & Cie , ayant siège a N euchàtel, et qui
a repris purement et simplement la suite de la precedente.

De son cöté, Gustave Frajsse a fait apport à une société anonyme qui
s'est constituée sous le raison Grande teinturerie de Moret (S. A.) ,
avec siege en dite ville, de tous les biens meubles et immenbles
qu'il possédait, composant la teinturerie de Morat. Ulterieurement cette
société, en meme temps qu'elle a revisé ses statuts sur différents points
qui ne sont d'aucun intérét dans ce débat, &. modifié sa raison sociale
pour la transformer en la suivante: Grandes teintureries de Moral;
et Lyonnaise à Lausanne réunies (S. A.).

La Société anonyme de l'office de publioité internationale Morel,
Reymond & Cie et la. société anonyme des Grandes teintnreries de Moret
et Lyonnaise a Lausanne rénnies