388 A. staats-rechtliche
Entscheidungen. UI. Anscnnitt. Kantonsverfassungenss.

Dritter Abschnitt-. Troisième section.

Kanto nsverfassungen.

Conslitutions cantonales; aKompetenzüberschreitung'en kantonaler
Behörden. Abus de compétence des autorités cantonales.

1. Uebergriff in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. Empiétement dans
le domaine du pouvoir Iégislatif.

61. Eil-teil vom 16. Mai 1907 in Sachen Yithrer gegen Regierung-rat
schafft-zausen

Legitimation see-in staatsrechtlichen Rekeers. Art. :{78 Ziff. 2
OG. Einführemg einer Hundeabgebe; Untersuchung, ob Steuer oder Gebühr. --
K V von Schaffhauseze, Art. 59, 60, 66 Abs. 4, 29.

A. In seinem Verwaltungsbericht für das Jahr 1904 stellte der
Regierungsrat dem Grossen Rat des Kantons Schaffhausen den Entwurf eines
Gesetzes in Aussicht, durch den die Hundesteuer und die Aussicht über
die Hunde geregelt werden sollten.. Am 21. Dezember 1905 beschloss der
Grosse Rat bei Beratung des Verwaltungsberichts, es sei über diese Materie
eine Verordnung zu erlassen; eines Gesetzes bedürfe es hier nicht, weil
es sich mehr um Massnahmen polizeilicher Natur als um eine eigentliche
Steuer handle. Der Regierungsrat erliess hierauf am 12. Dezember 1906
eine Verordnung betreffend das Halten der Hunde-

I. Uebergrifî' in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. N° 61. 389

und die Erhebung der Hundeabgabe. Turin finden sich polizeiliche
Vorschriften über die Hundekontrolle Dem Hundebesitzer wird, falls die
Haltung des Hundes als statthaft erklärt wird, gegen eine Gebührr von 1
Fr. ein Zeichen (Hundezeichen) übergeben. In § 5 ist bestimmt: Wer Hunde
hält, hat die festgesetzte Hundeabgabe zu bezahlen. Dieselbe beträgt
per Kalenderjahr: 15 Fr. für den ersten Hund, 25 Fr. für den zweiten
Hund und je ö Fr. mehr für einen weitern Hund. Eine Ermäszigung an die
Hälfte (7 Fr. 50 Crs·) tritt ein, sofern ein Hund zur Bewachung eines
einsam abgelegenen Gebäudes gehalten wird. Filr gewisse Fälle jnnge
Hunde bei der Hündin ze. sind Ermässigungen der Abgabe in Aussicht
genommen. § 16 enthält Strafbestimmungen n. a. auch für den Fall
der Nichtverabgabung. Durch diese im Amtsblatt vom 18. Dezember 1906
publizierte Verordnung wurde eine ähnliche Verordnung des Regierungsrates
vom 7. Oktober 1891 ausser Kraft gesetzt

B. Gegen die regierungsrätliche Verordnung vom 12. Dezember 1906,
soweit sie die Hundesteuer normiert, hat J. Bührer, Stadtsörster in
Schaffhausen, unterm 13. Februar 1907 den staatsrechtlichen Reknrs ans
Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung ergriffen. Es wird ausgeführt,
die Verordnung verlege die Art. 59 und 60 der KV, sowie den Grundsatz
der Gewaltentrennung. Nach den erstgenannten Bestimmungen könne eine
direkte oder indirekte Steuer nicht anders als durch Gesetz begründet
werden Die durch die angesochtene Verordnung geordnete Hundeabgabe
sei aber ohne Frage eine Steuer und nicht etwa eine blosse Gebühr. Die
Verordnung bilde daher einen Übergriff der Erekutive in das Gebiet der
gesetzgebenden Gewalt und enthalte zugleich eine Überschreitung der
regierungsrätlichen Verordnungsbesugnis (Art. 66 und 84 KV).

Art. 59 KV von Schaffhausen stellt eine Anzahl allgemeiner
steuerrechtlicher Grundsätze auf, wobei regelmässig, z. B. in Bezug .
auf die Steuerbefreiungen, die Progression, die Erbschastssteuer ec.
die nähere Ordnung dem Gesetze vorbehalten ist. Der letzte Absatz lautet:
Im übrigen wird das Gesetz die Grundsätze über die Erhebung der Staatsund
Gemeinde-steinern aufstellen und die zum richtigen Bezuge der Steuern
und Abgaben und zur Be-

390 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen,

strafung der Steuerverheimlichung erforderlichen Massnahmen treffen.

Art. 60 bestimmt in Abs.1: Das Gesetz regelt den Bezug der indirekten
Abgaben.

am. 66 Abs. 4 lautet: Dem Regierungsrat liegt ob 4. Die Bollziehung der
Gesetze, Dekrete und Beschlüsse und der Erlass der hier erforderlichen
Verordnungen-L

Art. 29 stellt den Grundsatz der Trennung der gesetzgebenden,
vollziehenden und richterlichen Gewalt auf.

C. Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen hat auf Abweisung des
Rekurfes angetragen und ausgeführt: Die Entschei-

dung des Falles hänge davon ab, ob die fragliche Hundeabgabe

eine Steuer im Sinn der Verfassung sei. Nun habe man es aber nach
schaffhauser Auffassung mit einer blossen Gebühr zu tun. Im Kanton
Schafshausen habe von jeher eine Hundeabgabe bestanden, die stetssort
durch blosse Verordnung des Regierungs-

rates fixiert worden sei. Zudem sei der Regierungsrat ja durch .

den Grossen Rat zum Erlass der angefochtenen Verordnung ansdrücklich
aufgefordert worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Beschwerdelegitimation des Rekurrenten ist gegeben. Einmal handelt
es sich um die Anfechtung eines allgemein verbindlichen Erlasses, durch
den jedermann als gegenwärtiger oder möglicher zukünftiger Hundehalter
in seiner Rechtsstellung betroffen wird. Und sodann ist geltend gemacht,
dass ein Erlass dieser Art nur im Wege der Gesetzgebung, d. h. unter
Mitwirkung des Volkes getroffen werden könne Zu einer Beschwerde über
einen Erlass wegen Missachtung der Rechte des Volkes auf Mitwirkung
bei der Gesetzgebung ist aber nach der Praxis des Bundesgerichts jeder
Aktivbürger befugt (AS 30 I S. 329 Erw.1; S. 718 Crw. 1).

2. Es ist vom Regierungsrat anerkannt, dass nach schaffhauset Steuerrecht
eine Steuer nur im Wege der Gesetzgebung eingeführt werden fami. Jn
der Tat gehört es geradezu zum Wesen des modernen Rechtsstaates, dass
die Steuerauslage der gesetzlichen Grundlage bedarf, und es ist denn
auch in den Art. 59 und 60 KV von Schaffhausen deutlich ausgesprochen,
dass die Begrün-

I, Ueber-griff in das Gebiet der gesetzgebenden Gewalt. N° 81. 391

dung und Ordnung sowohl der direkten, als auch der indirekten Steuern
Sache der Gesetzgebung ist.

Nun kann kein ernstlicher Zweifel sein, dass man es bei der durch die
angefochtene regierungsrätliche Verordnung normierten Hundeabgabe
-wenigstens ganz überwiegend mit einer eigentiichen Steuer zu tun
hat. Gegen die Annahmeeiner blossen Gebührr spricht vor allem die Höhe der
Tare, die sich mit der Zahl der von einer Person gehaltenen Hunde zudem
steigert, ferner die Erwägung, dass die Hundetontrolle eine nicht sowohl
im Interesse des Hundebesitzers, sondern der Allgemeinheit dnrchgeführte
polizeiliche Massnahme ist und insofern nicht als staatliche Gegenleistung
an den Hundebesitzer sich darstellt Endlich ist zu beachten, dass für das
sogenannte Hundezeichen eine besondere Gebühr von 1 Fr. zu entrichten
ist. Die fragliche Abgabe hat vielmehr ihrer ganzen Struktur nach den
Charakter einer Aufwandund Luxussteuer, die neben dem fiskalischen auch
den polizeilichen Zwäck verfolgt, einer Vermehrung der Hunde über das
im allgemeinen Interesse wünschbare Mass hinaus entgegenzuwirken. Von
einer Gebühr kann höchstens insofern die Rede sein, als die Kontrolle,
speziell die tierärztliche Hundeschau, auch dem einzelnen Hundehalter zu
gute kommt. Aber dieses Moment spezieller Entgeltlichfeit tritt hinter
dem Steuercharakter der Abgabe ganz zurück, zumal die Gegenleistung für
jene staatliche Tätigkeit in der Hauptsache schon in der Gebühr von 1
Fr. für das Hundezeichen liegen dürfte (s. AS lll S. 581 Erw. 2, s. auch
von Heckel im Handwörterbuch der Staatswissenschaften III S. 1348). -

3. Jst darnach die in Frage stehende Hundeabgabe eine Steuer, so
konnte sie nach schaffhanfer Staatsrecht nur durch die Gesetzgebung
und jedenfalls nicht durch eine, der gesetzlichen Grundlage ermangelnde
Verordnung des Regierungsrates eingeführt werden. Es kann sich nur noch
fragen, ob der Regierungsrat die verfassungsmässige Befugnis zum Erlass
der betreffenden Vorschriften nicht im Wege der Delegation von Seite
des Grossen Rates erlangt hat. Dies muss aber, ganz abgesehen davon,
ob seine Delegation des Gesetzgebungsrechtes grundsätzlich zulässig
wäre (vergl. AS 30 I S 68), aus folgenden Gründen verneint werden:
Der Grossratsbeschluss vom 21. Dezember 1905 bedeutet

AS 33 1 1907 es

392 A. Staatsrechthche Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungem

keine Übertragung eines dem Grossen Rat zustehenden Rechts an den
Regierungsrat, sondern beruht, was die Hundetaxe anbetrifftz auf der nach
dem gesagten irrtümlichen Auffassung, dass der Erlass von Vorschriften
hierüber ihrer mehr polizeilichen Natur wegen ohnehin in die Kompetenz
des Regierungsrates falle. Der Grosse Rat hätte aber auch eine solche
Befugnis dem Regierungsrat nicht delegieren können, weil sie ihm
selber nicht zukommt. Im Kanton Schaffhansen besteht die Einrichtung
des obligatorischen Referendums für Gesetze (Verfassungsrevision vom
Jahre 1895). Ein vom Grossen Rat beschlossener Erlass kann nur dadurch
Gesetz werden, dass er in der Volksabstitnmung angenommen wird. Dann kann
aber auch die Ermächtigung an eine Behörde zum Erlass von Bestimmungen,
die ihrer Natur nach dem Gesetze vorbehalten sind die grundsätzliche
Zulässigkeit der Delegation des Gesetzgebungsrechtes vorausgesetzt -nur
durch Gesetz und nicht durch Grossratsbeschlnss erfolgen.

4. Nach diesen Ausführungen müssen die Vorschriften der
regierungsrätlichen Verordnung vom 12. Dezember 1906 betreffend
Hundesteuer, weil als Steuernormen in verfassungswidriger Weise zustande
gekommen, aufgehoben werden. Ob der Regierungsrat zu deren Erlass
zuständig gewesen wäre, wenn es sich nicht um eine Steuer, sondern um
eine blosse Gebühr handeln würde, braucht hier nicht untersucht zu werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und die regierungsrätliche Verordnung
dom 12. Dezember 1906, soweit die Hunde-steuer normierend,
aufgehoben.II. Ueberg-rifl' in das Gebiet der richterh'chen Gewalt. N°
62. 393

2. Uebergriff in das Gebiet der richterlichen Gewalt. Empiétement dans
le domaine du pouvoir judiciaire.

62. Entscheidvom 22. Zur-i 1907 in Sachen giebt-ist und Genossen gegen
Grasen gea: des Hautoug Learch

Bedeutung des Grundsatzes der Gewaitentrennung (Art. 3 KV von
Aargau). Stellung der gesetzgebenden Behörde _ des Grossen Rates -als
Kampetenzgerichtshof (zur Beurteilung von Xompetenzkonflikten zwischen
Verwaltung und Justiz) (Art. 33 litt. % aarg. K V). _ Voraussetzungen
für die Haltet-angeines Kompetenzkenfliktes dee roh die Verwaltung
(Regierungsrat) : liegt darin, dass der Konflikt cmgehoben und entschieden
wird nach Erlass eines die gerichtliche Kom- petenz bejahemlen seen-i in
der Sache selbst entscheidenden gerichtlichen Urteils, eine Verletzung
des Grimdsetzes der Gewaitentrenmmg ? Bedeutung der Rechtskraft
gew'ch-t-lichee' Urteile. Eigentumsgarantie. -Verfassungsmässiger Richter.

A. Das aargauische Flnrgesetz vom 24. Wintermonat 1875 sieht vor, dass
verbesserte Feldeinteilungen selbst gegen den Willen einzelner Eigentümer
durchgeführt werden, wenn L/3 der beteiligten Grundbesitzer, die zugleich
den grössern Teil des Bodens besitzen, sich dafür erklären (è 33). Von
dem Zwang zur Beteiligung sind Grundstücke mit gewissen Eigenschaften,
z. B. solche, welche notorisch zu Bauplätzen bestimmt sind, Gärten und
Baumgärten usw. befreit (§ 34). Wird ein solches Unternehmen von der
Versammlung der Grundeigentümer beschlossen, so ist gleichzeitig eine
Ausführungskommission zu ernennen (§ 44). Diese Ausführungskommission
hat in erster Linie bei Durchführung der ihr obliegenden Arbeiten die
Grundstücke zu ermitteln, welche zur Unternehmung beizuziehen sind
(§ 45); sie hat ihre Arbeit in der Folge auszulegen, wobei dann die
beteiligten Grundeigentümer Gelegenheit haben, sich darüber bei der für
jeden Flurkreis bestehenden Flnrkommisfion zu beschweren. Diese verfügt
das nötige, indem sie entweder die Arbeit an die Ausführungskommission mit