834 A. staats-rechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

IX. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. Difl'érents de
droit public entre cantons.

52. girleil vom 19. april 1907 in Sachen {WMW gegen (PHWR-

Klage eines Kantons gegen einen. andern auf Verbreitung eines Wild-baches,
etc. An'. 5 BV; 86 betr. die Wasserbaupolizei im Hochgebirge, vom
22. .In-ni ;!877, Art. 6: Kampezîenz des Bundesrates, Inkompetenz
des Bundesgerichts. Voraussetzungen einer F eststelIungskfage über
grundsätzliche Schadenersatzpflicht für erzitterte-n Schaden.

A. Mit staats-rechtlicher Klage vom 10. Oktober 1906 hat der Kanton
Luzern gegen den Kanton Schwyz beirn Bundesgerieht folgende Rechtsbegehren
gestellt:

1. Es sei der vorligende Rekurs als begründet zu erklären und der Kanten
Schwyz anzuhalten, gemäss den Ausführungen sub VII dieses Rekurses,
speziell gemäss dem Berichte des luzernischen Kantonsingenieurs vom
15. Februar 1906 die nötigen Arbeiten zur Wiederherstellung des frühern
Zustandes, resp. zur Sicherung des bedrohten Gebietes durch Verdauung
des Wydenbaches auf eigene Kosten vorzunehmen, resp. die Korporation
"Berg und Seeboden und Hinter-Dorfbannwald dazu anzuhalten.

L. Es sei der Kanton Schwyz grundsätzlich schadenersatzpflichtig
zu erklären, und dem Kanton Luzern das Recht zu wahren, namens der
Geschädigten den erlittenen Schaden geltend zu "machen.

Als Vorkehren, zu deren Erstellung der Kanton Schwyz verurteilt werden
soll, sind unter Ziffer VII der Klage speziell genannt:

Errichtung einer Sperre beim Ausfluss des Wydenbaches aus dem Seeboden;

Erstellung verschiedener Kiessannnlerz

Sicherung der angerissenen Bachufer vom Seebodenausfluss abwärts.

IX. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen. N° 52. 385

Die Klage wird auf Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
BV und auf völkerrechtliche Grundsätze
gestützt. Die Begründung geht dahin, dass die Verheerungen, die der von
der Rigi herab in den Kussnachtersee fliessende Wydenbach aus Luzerner
Gebiet bisher angerichtet habe und der weitere gefahrdrohende Zustand
dieses Wildwassers darauf zurückzuführen seien, dass auf Schnauzer
Gebiet, wesentlich durch die Korporation Berg und Seeboden, in einer
Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
BV und völkerrechtlichen Grundsätzen widersprechenden Weise
Veränderungen in Bezug aus den Bach vorgenommen worden seien. Schwyz sei
daher verpflichtet, den frühem Zustand wiederherzustellen, bezw. die
erforderliche Verdauung des Wildbaches auf eigene Kosten vorzunehmen
und für den auf Luzerner Gebiet entstandenen Schaden Ersatz zu leisten.

B. Der Regierungsrat des Kantons Schwyz hat beantragt, es sei auf die
Klage des Kantons Luzern wegen Jnkompetenz des Bundesgerichts nicht
einzutreten; eventuell es sei die Klage materiell als unbegründet
abzuweisen. Wie aus der Klageantwort ersichtlich, ist vor Bezirksgericht
Küssnacht zur Zeit ein Zivilprozess anhängig zwischen der Gemeinde
Greppen und mehreren dortigen Grundeigentümern einerseits und den
schwyzerischen Korporationen Berg und Seeboden und Hinterer Bannwald
Kiissnacht anderseits, und zwar über Rechts-begehren, die inhaltlich
mit den von Luzern gestellten übereinstimmen

C. Über die Frage der Kompetenz des Bundesgerichts in Bezug auf
Rechtsbegehren i hat zwischen dem Bundesgericht und dem Bundesrat ein
Meinungsaustausch stattgefunden, wobei sich der Bundesrat mit der
aus Erwägung 1 hienach ersichtlichen Auffassung des Bundesgerichts
einverstanden erklärt hat.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Es steht fest, dass der Wydenbach ein Gewässer (Wildwasser) ist,
das unter der Oberaufsicht des Bandes nach Massgabe des Bundesgesetzes
betreffend die Wasserpolizei im Hochgebirge vom 22. Brachmonat 1877
steht. Die Parteien sind hierüber einig, und auch der Bundesrat hat in
der Korrespondenz über die Kompetenzfrage dem nicht widersprochen Aus der
Spezifikation des ersten Klagebegehrens erhellt sodann, dass Luzern von
Schwhz damit nicht sowohl die Wiederherstellung eines frühern Zustande-s

336 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

(die sich wohl gar nicht bewerkstelligen liesge), sondern die Verbauung
des Wydenbaches verlangt. Dass diese Verbaunng notwendig und dringend ist,
wird auch von Schwyz anerkannt Wohl aber streiten sich die beiden Kantone
darüber, in welcher Weise das Wildwasser des Wydenbachs zu korrigieren
sei und wer die Kosten der Korrektion zu tragen habe. Es handelt sich
somit um einen Anstand im Sinne des Art. 6 des zitierten Bundesgesetzes,
welche Bestimmung lautet: In Fällen, wo bei derartigen Bauten (Verbauungen
von Gewässern) unzweifelhaft ein wesentliche-s Jnteresse mehrerer Kantone
in Frage steht, hat, wenn über die Ausführung und Beitragsleistung unter
denselben eine Vereinbarung nicht erzielt werden kann, der Bundesrat
über die daherigen Anstände zu entscheiden. Darnach fällt Rechtsbegehren
1 nicht in die Kompetenz des Bundesgerichts, sondern des Bundesrates
als Aufsichtsbehörde im Gebiete der eidgenössischen Wasserpolizei. Die
Begründung des Rechtsbegehrens aus am. 5 BV und völkerrechilichen
Grundsätzen ist nicht geeignet, eine Verschiebung der Kompetenz zu
bewirken, ganz abgesehen davon, dass Arts) BV hier überhaupt nicht
in Frage kommen kann (AS 26 I S. 450). Nach Art. ö leg. cit. besteht
die Entscheidungsbesugnis des Bundesrates allgemein in den Fällen, wo
unter Kantonen über die Ausführung einer Wildwasserverbauung und die
Beitragsleistung hieftir Streit herrscht. Es ist nicht anzunehmen,
dass in Konkurrenz mit diesem besonderen Verfahren dasjenige des
staatsrechtlichen Prozesses zwischen Kantonen vor Bundesgericht
nach Art. 175
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Biff. 2 OG gegeben sein soll. Die Frage der Ausführung
eines solchen Werkes kann denn auch Überhaupt nicht nach rechtlichen,
sondern nur nach technischen Gesichtspunkten entschieden werden, und
sie ist auch vor-liegend gänzlich unabhängig von jener Begründung
des luzernischen Rechtsbegehrens zu lösen. Der Umstand, dass die
gesahrdrohenden Verhältnisse eines Grenzgewässers in widerrechtlicher
Weise durch den einen Kanton oder dessen Angehörige verursacht find,
mag auf die Kostenverteilung von Einfluss sein. In dieser Beziehung
kann das Bundesgericht nach Art. 12 leg. cit. gegenüber dem Spruche des
Bundesrates als Rekursinstanz angerufen werden. Eine solche Weiterziehung
ans Bundesgericht ist offenbar deshalb eröffnet worden, weil es sich hier

(X. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kaukonen, N° 52 337

mit um Rechtsfragen, z. B. des zwischenstaatlichen Nachbarrechts, handelt
Dies zeigt aber wiederum, dass ein Streit über die Aussührnng einer
Wildwasseroerbauung und die Kostentragung hiefür nicht unter Berufung auf
Verfassungsund Völlerei-echt nach Art. 175 Ziffer 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
OG beim Bundesgericht
anhängig gemacht werden kann. (S. auch Bericht der nationalrätlichen
Kommission zum Entwurf des Bundesgesetzes, Bundesblatt 1877 I S. 53.)

Aus das erste Rechtsbegehren der Klage kann daher wegen Jnkompetenz des
Bundesgerichts nicht eingetreten werden.

2. Das zweite Rechts-begehren des Kantons Luzern stellt sich
als Feststellungsklage dar: Der Kanton Schwyz soll grundsatzlich
ersatzpsiichtig erklärt werden für den vom Wydenbach auf Luzerner
Gebiet verursachten Schaden. Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage
ist an die Voraussetzung geknüpft, dass der Klager an der alsbaldigen
Feststellung des fraglichen Rechtsverhältnisses ein rechtliches Interesse
glaubhaft mache. Nun ist in der Klage mit keinem Worte behauptet, dass
der Kanton Luzern ein solches rechtliches Interesse daran habe, dass
die Schadenersatzpslicht des Kantons Schwyz grundsätzlich festgestellt
werde. Und es ist dies umsoweniger anzunehmen, als die wirklich
Geschädigten gegen zwei schwyzerische Korporationen als angebliche
Schädiger zurzeit einen Schadenersatzprozess vor den schivyzerischen
Gerichten fuhren. Es kann deshalb auch auf das zweite Rechtsbegehren
als auf eine unzulässige Feststellungsklage nicht eingetreten werben,
und es bedarf die Frage keiner Erörterung, ob Luzern zur Erhebung einer
Schadenersatzklage für seine geschädigten Angehörigen legitimiert wäre
und ob ein solches Begehren im Wege der staatsrechtlichen Klage nach
Art. 175 Ziffer 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
OG überhaupt gestellt werden könnte und nicht vielmehr
als zioilrechtliche Streitigkeit nach Art. 48 Ziffer 3 ibid. geltend zu
machen wäre.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Auf die Klage des Kantons Luzern wird nicht eingetreten.