546 A. staats-rechtliche Entscheidungen, IV. Abschnitt. Staatsvertràge.

77. Arten vom 15. Hinter-wer 1906 in Sachen Yetenzom

Einsssprachen Dritter gegen den Vollzug der Ausliefemmg der einem
Aeeszuliefemden abgenommene-n Gegenstände (Art. 12 Mesh-Vertrag mit
Russland). Korn-Feiertag des Bmedesgerichts zum Entscheid über soèche
Einspa'aehen. Die Aeeslieferng der Gegenstände hat obere Rücksicht
auf die Einspruch-en Dritter und einen von solchen erwirkten Arrest
stattzesiefinden. SchKG Arti. 271 Abs. 3; Art. 44.

Das Bundesgericht hat, da sich ergibt:

Mit Eingabe ans Bundesgericht vom 28. August 1906 hat das eidgenössische
Justizund Polizeidepartement ausgeführt: Nachdem durch Urteil des
Bundesgerichts vom 18. Juli 1906 * die Auslieferung des Belenzow samt
den ihm bei der Verhaftung abgenommenen Geldern und Effekten bewilligt
worden sei, habe das Departement die zürcherischen Behörden eingeladen,
ihm die dem Belenzow abgenommene Summe von 37,000 Rubel zu Handen der
russischen Gesandtschaft zu über-senden Hierauf habe die Justizund
Polizeidirektion des Kantons Zürich folgendes mitgeteilt: Es sei nach
den vom Polizeikommando Zürich gemachten Erhebungen seitens der von
Belenzow und Genossen bemussten Bank in Moskau eine Belohnung von 10 %
des Betrages, welcher von dem gestohlenen Gelde wieder beigebracht merde,
ausgesetzt worden, und es erhebe die zürcherische Polizei Anspruch
aus diese Belohnung; einen gleichen Anspruch macheAdvokat Dr. Th. in
Zürich geltend, der durch die zürcherisches Polizei als Dolmetsch für
die Abhörung des verhafteten Beleuzow beigezogen worden sei und hiebei
diesen des Diebstahls an der in Frage kommenden Bank in Moskau überführt
habe; von Dr. Th. sei aus die entsprechende Summe von 3700 Rubel ein
Arreftbefehl des Audienzrichters in Zürich erwirkt worden. Demgemäss
habe die zürcherische Justizund Polizeidirektion von dem beschlagnahmten
Gelde nur 33,300 Rubel dem Departement für die russische Gesandtschaft
eingesandt und den Rest zurückbehalten Der Gesandtschaft sei bis anhin
nichts bekannt geworden

* Nr. 76 S. 531 hievor. (Anm. (i. Reds. Publ.;Auslieferung. 'E, Vertrag
mit Russland. N° 77. 547

über die Aussetzung der fraglichen Belohnung von 10 0/0; sie habe indessen
ihre Regierung darüber befragt und ihre Zustimmung gegeben, dass der
Betrag von 3700 Rubel einstweilen beim Departement hinterlegt bleibe,
dagegen erachte sie dessen Zürückbaltung und die Arrestlegung darauf in
Zürich als unzulässig. Das eidgenössische Justizund Polizeidepartement
stehe demgemäss vor der Tatsache, dass ihm von dritter Seite verunmöglicht
werde, das Erkenntnis des Bundesgerichts in Sachen Belenzow, soweit es
sich um die Auslieferung der diesem bei der Verhaftung abgenommenen
Gelder handle, zu vollziehen und zwar in Anbetracht eines Umstandes,
der erst nachträglich zur Kenntnis gelangt sei und mit Rücksicht auf
den sich hierauf stützenden Anspruch der zürcherischen Polizei, sowie
den von Dr. Th. auf das Geld erwirkten Arrest. Demzufolge sehe sich das
Departement veranlasst, dem Bundesgericht die Angelegenheit Belenzow
neuerdings zu unterbreiten, damit das Bundesgericht darüber entscheide,
ob angesichts seines Urteils der Arrestbefehl des Audienzrichters
in Zürich berücksichtigt zu werden brauche, oder ob nicht vielmehr
die Justizund Polizeidirettion des Kantons Zürich verpflichtet sei,
dem Departement die bei Belenzow beschlagnahmte Summe herauszugeben
Eventuell werde um einen Entscheid darüber ersucht, ob und in welchem
Umfang das bundesgerichtliche Urteil vom 18. Juli 1908 auf Grund der
erwähnten neuen Tatsachen modifiziert werde.

Mit Zuschrift vom 6. September 1906 hat sodann das eidgenössische
Justizund Polizeidepartement dem Bundesgericht noch Kenntnis von einer
Note der russischen Gesandtschaft vom 5. September gegeben, worin die
Gesandtschaft ausführt, dass von dem dem Belenzow abgenommenen Gelde 10
0/0 durch die zürcherische Polizei erst zurückbehalten werden könnten,
nachdem durch ein kompetentes russisches Gericht festgestellt sei, dass
das Geld wirklich Eigentum der Moskauer Handelsbank auf Gegenseitigkeit
sei. Bis zu einem solchen richterlichen Entscheide dürfe keinerlei Abng
an den polizeilich beschlagnahmten 37,000 Rubel gemacht werden. Es werde
sodann Sache der erwähnten Bank sein, ob sie ihre Zustimmung dazu gebe,
dass 10 0/0 des Geldes an allsällige Berechtigte ausbezahlt werden; --

548 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

in Erwägung:

1. Da das Bundesgericht als entscheidende Behörde in
Auslieferungssachen auch darüber zu befinden hat, ob die im Besitz
des Angeschuldigten Betroffenen Gegenstände mitauszuliefern sind
(am. 24 des Auslieferungsgesetzes vom 22. Januar 1892 Und Art. 12 des
Auslieferungsvertrages mit Russland), ist es zweifellos auch zuständig,
über allsällige Einsprachen Dritter zu erkennen, die gegen den Vollng der
Auslieferung hinsichtlich solcher Gegenstände erhoben werden (vergl. auch
AS 31 I S. 502).

2. Art. 12 des schweizerisch-russischen Auslieferungsvertrages bestimmt,
dass die im Besitz des reklamierten Jndividuums gefundenen Gegenstände,
wenn die kompetente Behörde des um die Auslieferung eingegangenen
Staates die Rückgabe versügt hat, in dem Zeitpunkt abgeliefert werden,
in welchem die Auslieferung des Judividuums vor sich geht. Nachdem das
Bundesgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 1906 entschieden hat, dass
Belenzow samt den ihm bei der Verhaftung abgenommenen Geldern und Effekten
der rufsischen Regierung auszuliesern sei, besteht nunmehr für die Schweiz
Russland gegenüber die bedingungslosestaatsvertragliche Verpflichtung,
das dem Belenzow abgenommene Geld in vollem Betrage herauszugeben Aus
diese staatsvertragliche Pflicht kann der Umstand nicht von Einfluss
sein, dass seitens dritter Personen privatrechtliche Ansprüche auf einen
Teil des Geldes geltend gemacht werden und dass von einem Ansprecher zur
Sicherung seines Anspruchs ein entsprechender Betrag mit Arrest belegt
ist. Denn die Rechte Dritter hinsichtlich der beschlagnahmten Gegenstände
werden zwar als solche durch die Auslieferung nicht berührt, aber sie
müssen als Privatrechte hinter der öffentlichrechtlichen Pflicht des
Staates zur Auslieferung zurücktreten, und sie können daher nicht in einer
Weise verfolgt werden, die der Auslieferung im Wege stehen weirde. Dies
müssteauch dann gelten, wenn im Vertrag mit Russland, wie z. B. in
demjenigen mit Deutschland, Art. 9 i. f., und im Auslieferungsgesetz,
Art. 27 letzter Absatz, die Rechte Dritter auf die auszuliefernden
Gegenstände ausdrücklich vorbehalten wären, weil dadurch nur bestimmt ist,
dass die Rechte Dritter durch die AuslieferungAuslieferung. 2. Vertrag
mit Russland. N' 77. 549

nicht geändert werden was schon aus allgemeinen Rechtsgrundfätzen folgt ,
nicht aber, dass das Auslieferuugsverfahren eingestellt werden mùsste, bis
über die Rechte Dritter entschieden istAuch jener Vorbehalt könnte also
nicht hindern, dass die Auslieferung ohne Rücksicht auf die vorliegend
erhobenen Ansprüche von Drittpersonen ihren Fortgang nimmt und dass
erst nach vollzogener Auslieferung über dieselben, falls sie bestritten
sind, durch den kompetenten Richter entschieden wird und deren Vollng
betrieben werden kann (vergl. auch o. Maritz, Internationale Rechtsbilfe
in Strassachen).

Was speziell den Arrest anbetrifft, der aus einen Teil des an Russland
auszuliefernden Geldes gelegt ist und der nach dem gesagten angesichts
des bundesgerichtlichen Urteils vom 18. Juli 1906 keine Wirkungen ausüben
kann, so ist noch daran zu erinnern, dass in Art. 271
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 271 - 1 Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:469
1    Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:469
1  wenn der Schuldner keinen festen Wohnsitz hat;
2  wenn der Schuldner in der Absicht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen, Vermögensgegenstände beiseite schafft, sich flüchtig macht oder Anstalten zur Flucht trifft;
3  wenn der Schuldner auf der Durchreise begriffen ist oder zu den Personen gehört, welche Messen und Märkte besuchen, für Forderungen, die ihrer Natur nach sofort zu erfüllen sind;
4  wenn der Schuldner nicht in der Schweiz wohnt, kein anderer Arrestgrund gegeben ist, die Forderung aber einen genügenden Bezug zur Schweiz aufweist oder auf einer Schuldanerkennung im Sinne von Artikel 82 Absatz 1 beruht;
5  wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen provisorischen oder einen definitiven Verlustschein besitzt;
6  wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen definitiven Rechtsöffnungstitel besitzt.
2    In den unter den Ziffern 1 und 2 genannten Fällen kann der Arrest auch für eine nicht verfallene Forderung verlangt werden; derselbe bewirkt gegenüber dem Schuldner die Fälligkeit der Forderung.
3    Im unter Absatz 1 Ziffer 6 genannten Fall entscheidet das Gericht bei ausländischen Entscheiden, die nach dem Übereinkommen vom 30. Oktober 2007473 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu vollstrecken sind, auch über deren Vollstreckbarkeit.474
letzter Absatz
SchKG dem Arreste gegenüber Staatsverträge ausdrücklich vorbehalten
sind und dass nach Art. 44 ibid. strafrechtlich mit Beschlag belegte
Gegenstände nicht der Verwertung auf dem Betreibungswege unterliegen; -

beschlossen:

Das Auslieferungsversahren hat seinen Fortgang zu nehmen ohne Rücksicht
auf die von Drittpersonen erhobenen Ansprüche und ohne Rücksicht auf
den von Dr. Th. in Zürich herausgenommenen Arrest. Die 3700 Rubel sind
der rnssischen Gesandtschast gemäss ihrem in ihrer Note vom 18. August
1906 ausge-

sprochenen Wunsche zur Verfügung zu halten.