684 A. Staatsrechuiche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

die dem angefochtenen Beschluss zu Grunde liegende unrichtige Auslegung
des Arl. 11 deutschen Reichsangehörigen gegenüber, die sich nach
dem gesagten geradezu als Verletzung der-Uberemkunft qualifiziert,
gerechtfertigt werden. Denn ganz abgesehen von der ("hier nicht weiter
zu erörternden) Frage, oh und inwiefern bei der richterlichen Auslegung
Und Anwendung von Staatsverträgen und internationalen Übereinkommen
überhaupt der Gesichtspunkt der Retorsion massgebend sein darf, handelt·
es sich bei Jener deutschen Auslegung des Arr. 12 z. Z. doch erst um
vereinzelte Urteile und noch nicht um eine ständige, durch die höchsten
Gerichtshöfe sanktionierte Praxis, und anderseits dürfte eine solche
allgemeine Praxis, auch wenn sie bestünde, doch höchstens zu einer
entsprechenden Anwendung des Art. 12 deutschen Gerichten gegenüber-, die
in der Schweiz Gerichtskosten eintreiben wollen, Veranlassung geben, und
nicht dazu, über das Ziel der gleichmàszigen Behandlung der beidseitigen
Staatsangehörigen und Gerichte hinaus auch noch den Art. 11, gerade im
Gegensatz zur deutschen Gerichtspraxis, gleichfalls einschränkend zu
handhaben; -

erkannt:

Der Rekurs wird als begründet erklärt und der
Beschluss des Bezirksgerichts Horgen vom 20. Mai 1905
aufgehoben.Ill. Auslieferung. Vertrag mit Deutschland. N° 115. 685

III. Auslieferung. Extradition. Vertrag mit Deutschland. Traité avec
l'Allemagne.

115. Zweit vom 22. Dezember 1905 in Sachen geraten

Ausliefemmgsbegeha'en gegen einenin der Schweiz (Zürich) wohn-enden
deutschen Reichsangehärigen, dem die vdterliche Gewalt in Deu-tschland
entzogen ist, wegen Anstiftung zur Kinderentziehung (@ 235 deutsches
RSZGB). Ort der Begehung der Amtlfîîemg, wenn die Anstiftung
in der Schweiz, die Tat in Deutsclzxmni erfoigt ist. Einwirkung
der Entmündigung auf die Rechtswid-rigkeit der Tat ; Stellung des
Auslieferungsricnters. stmfzwsfeeit nach dem Rechte des erste-einen
Staates, ;, 150 Its-reliStGB. Versuch der Anst-iftung? Auslieferung des
im Besitze des Verfolgten befindlichen Geldes ? Art. 9 AUSL-V. mit den
deutschem Reiche.

A. Mit Note vom 1. November 1905 hat die k. deutsche Gesandschaft in
Bern beim schweizerischen Bundesrat das Gesuch um Auslieferung des
among Hermann Platen, Schriftstellers, sächsischen Staatsaugehörigen,
gestellt, verbunden mit dem Gesuche um Ausantwortung der in dessen
Besitz befindlichen Gelder und sonstigen Gegenstände auf Grund von Art. 1
Eingang, Ziff. 4 und Art. 9 des Ausl.-Bertrages zwischen der Schweiz und
dem deutschen Reiche, vom 24. Januar 1874. Der Note ist ein Hastbefehl
des Untersuchungsrichters beim königl. sächsischen Landgericht zu Leipzig
beigelegt, wonach der Verfolgte wegen dringenden Verdachts der Vergehen
nach gg 235, 48, 74 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich zur
Untersuchungshaft zu bringen ist; des nähern lautet der Haftbefehl:

Jnfolge der Entmündigung Platens ruht kraft Gesetzes seine elterliche
Gewalt und übt seine Ehesrau namens Bertha Emilie geb. das. die elterliche
Gewalt über die gemeinschaftlichen Abkömmlinge, darunter die am 2. Juni
1896 in Leipzig geborene Katharina Luise Platen und den am 8. April 1899
in Leipzig geborenen Hermann Julius Alfred Platen allein aus; ihr steht
daher das Erziehungsund Aufsichtsrecht ausschliesslich zu. Diese

686 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertrà'ge.

Sachlage ist zur Zeit der Begehung der unten bezeichneten Strastaten
vorhanden gewesen.

Der verehelichten Platen sind ihre beiden Kinder Luise und Alfred,
die sie bei sich in Leipzig hatte, durch Gewalt entzogen worden (§
235 des StrafgesetzbuchesJ und Platen wird bessschuldigtsi

1. die Mitangeschuldigten Franz, Konrad und Harnisch zu der Entziehung
der Luise und

2. die Mitangeschnldigten Leaf und Grzesiak zu der Entzwhung des Alfred
durch Geschenke oder andere Mittel vorsätzlich bestimmt zu haben (%
48 des Strafgesetzbuchs).

Hu 1: Die Entziehung der Luise Platen ist dadurch bewirkt worden,
dass diese am 11. Februar 1905 vormittags im Rosentale in Leipzig auf
dem Wege zur Schule von der Hand ihrer Mutter gewaltsam weggerissen,
mittels einer bereit gehaltenen Droschke fortgefahren und dann nach
Zürich zu ihrem Vater gebracht, hierdurch aber, wie von den Tätern
beabsichtigt, aus der Gewalt ihrer Mutter entfernt worden ist. Der Tat
dringend verdächtig sind die Mitangeschuldigten Franz, Konrad und Hm-usw _

Zu 2: Die Entziehung des Alfred ist dadurch bewirkt worden, dass dieser am
11. Oktober 1905 vormittags in der 5. Bezirksfände in der Elsässerftrasse
in Leipzig von dem Mitangeschuldigten Grzesiak ergriffen, trotz seines
Sträubens zu der bereit gehaltenen Droschke getragen und dort dem
Mitangeschuldigten Senf, der ihn mit der Droschke erwartete, übergeben
und Von diesem in der Droschke untergebracht worden ist, damit er seinem
,,Vater nach Zürich zugeführt merde, hierdurch aber aus der Gemalt seiner
Mutter, wie von den Tätern beabsichtigt, entfernt worden is .

Der Angeschuldigte hat gegen seine Auslieferung Einsprache erhoben;
er ist gegen Kaution von 5000 Fr. auf freiem Fusse belassen worden

B. Aus der Cinsprache und deren Beilagen ergiebt sich in tatsächlicher
Beziehung folgendes: Platen ist im April 1904 mit seinen beiden
jüngern Kindern Katharina Luise und Hermann Julius Alfred nach Zürich
übergesiedelt, wo er eine Villa käuflichIII. Auslieferung. Vertrag mit
Deutschland. N° 115. 687

erworben und wo er am 13. Juli 1904 für sich und seine beiden Kinder die
polizeiliche Aufenthaltsbewilligung erlangt hat. Die Kinder sind später
von der Ehefrau mit Hülfe der Zitrcher Polizeibehörden nach Leipzig
zurückgeholt worden. Platen suchte sie wieder in seine Gewalt zu bringen,
was ihm nur mit dem Mädchen gelang. Schon unter dem 30. Mai 1904 war
Platen durch Beschluss des Amtsgerichtes Dresden auf Antrag seiner Ehefrau
unter vorläufige Vormundschaft nach § 1906 DBGB gestellt worden; durch
Beschluss vom 27. September 1904 ist er sodann von der gleichen Behörde
wegen Verschwendung entmün: digt worden (% 6 Ziff. 2 DBGB). Gegen diese
Entmündigung hat er Anfechtungsklage erhoben; das Verfahren schwebt noch.
Der Angeschuldigte ist durch Versäumnisurteil des Landgerichts Leipzig
vom 28. Oktober 1905 auf Begehren seiner Ehefrau verurteilt worden, das
Kind Katharina Luise Platen der Klägerin herauszugeben und auf seine
Kosten nach Leipzig zu befördern. Der Angeschuldigte seinerseits hat
im November 1905 beim Bezirksgericht Zürich gegen seine Ehefrau Klage
eingeleitet über die Rechtsbegehren: Die Beklagte sei verpflichtet,
das Recht des Klägers zur Erziehung und Aufenthaltsbestimmung der
drei ehelichen Kinder der Litiganten anzuerkennen, und demzufolge
die beiden rechts-widrig vor-enthaltenen Kinder Hedwig und Alfred dem
Kläger herauszugeben und an seinen zürcher Wohnsitz zurückzuschasfen.
Erstinstanzlich wurde die Klage gutgeheissen.

C. In rechtlicher Beziehung stützt sich die Einsprache des Angeschuldigten
gegen die Auslieferung auf folgende vier Gründe: Ein Auslieferungsdelikt
liege überall nicht vor, indem es am Moment der Rechtswidrigkeit fehle;
die Grundlage des Auslieferungsverfahrens, die Entmündigung, sei von
einem unzuständigen Richter erlassen und deshalb ungültig. Sodann
wäre Ort der Begehnng Bin-ich, weshalb nach Art. 12 des Ausl.-Ges. vom
22. Januar 1892 die Auslieferung nicht stattzufinden habe. Ferner sei
die eingeklagte Handlung jedenfalls nach dem Rechte des Kantons Zürich
nicht strafbar. Endlich liege mit Bezug auf den einen der eingeklagten
Tatbestande nur ein in Deutschland strafloser Versuch vor. Der Begründung
der Einsprache an das Bundesgericht ist ein Gutachten von Professor
Zürcher beigelegt,

688 A. staatsrechtliche Entscheidungen iV. Abschnitt. Staatsverträge.

das sich namentlich mit dem erstangesührten Einfprachegrund befaszt und
diesen für durchschlagend hält. .

D. Das Gutachten des Generalanwaltes der schweizerischen Eidgenossenschaft
gelangt zum Schlusse, dem Auslieferungsbegehren sei zu entsprechen
Die Begründung lässt sich dahin zusammenfassen: Nach ständiger Praxis
sei bei Auslieferungsbegehren seitens Deutschlands, die sich auf den
schweizerischdeutschen Auslieferungsvertrag stützen, nur dieser Vertrag
und nicht das Anslieserungsgesetz massgebend; ferner sei die Strafbarkeit
der eingeklagten Handlung im Zufluchtskanton kein Erfordernis der
Auslieferung nach diesem Vertrage. Die eingeklagte Handlung erfülle sodann
zweifellos den Tatbestand des Art. 1 Biff. 4 des Ausl.-Bertrages. Ferner
seien zur Beurteilung der Tat des Angeschuldigten, als Anstifters, die
deutschen Gerichte zuständig. Endlich sei das Moment der Rechtswidrigkeit,
das nach der deutschen Civilund Strafgesetzgebung zu prüfen sei,
gegeben. Denn: Hiebei steht vor allem fest, dass die Familienrechte
über die Kinder nicht nur dem einen Elternteil, auch nicht allein dem
Vater zustehen, sondern beiden Eltern gemeinsam, vergl. Art. 1634 BGB
und 285 RStG So lange nicht die elterliche Gewalt durch Richterspruch
einem der beiden Elternteile entzogen Ist, hat jeder Teil Anrecht auf
Respektierung der von ihm ausgei'ibten Sorge und Pflege der Kinder und
auf strafrechtlichen "Schuh gegen gewaltsame Entziehung der Kinder-. Jm
vorliegenden Fall wird nicht einmal von dem Vater behauptet, dass der
Mutter gegenüber eine derartige richterliche Entscheidung getreffen worden
sei, auf die Frage der Folgen einer Entn1igung des Vaters aber braucht
gar nicht eingetreten zu werden, da auch die volle väterliche Autorität
nicht genügt, der Mutter die natürlichen Rechte völlig zu benehmen,
sondern durch das Civilgesetz lediglich ein Über-wiegen der Meinung des
Vaters bei Meinungsverschiedeuheit unter den Eltern statuiert ist Er
dars dieses Plus von Autorität nicht eigenmächtig durch Gewaltsanwendung
geltend machen. Auch in dieser Beziehunghat die deutsche Gerichtspraxis
sich bereits unzweideutig im Sinne der eben entwickelten Interpretation
der Gesetze ausgesprochen; vet-gi. lehausen, Kommentar zu Art. 235 RStG
Bin. 4lII. Auslieferung. Vertrag mii Deutschland. N° 115. 689

und insbesondere Entscheid des Reichsgerichts in Strafsachen .Bd. XXII,
Nr. 49.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die erste Einwendung des Angeschuldigten geht dahin, er könne nicht
ausgeliefert werden, weil die Anstiftung deren er beschuldigt sei,
wenn überhaupt, so nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz begangen
sei. Nun bestimmt allerdings Art. 12 des Ausl.-Ges. vom 22. Januar 1892,
dass die Auslieferung nicht bewilligt werde, wenn die strafbare Handlung,
wegen deren sie verlangt wird, auf dem Gebiete der Eidgenossenschaft
begangen worden iii, und schliesst sich damit den allgemeinen in
Auslieferungssachen herrschenden Grundsätzen an. Allein dieser Grundsatz
hat nun im schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrag keine Aufnahme
gefunden, vielmehr, wie das Bundesgericht stets anerkannt hat, die
Auslieferungspflicht für Personen, die sich auf dem Gebiete des ersuchten
Staates aufhalten, allgemein statuiert, mit der einzigen in Art. 3 Abs. 1
statuierten, hier nicht in Frage kommenden Ausnahme; und nach ebenso
feststehender Praxis des Bundesgerichts hat das Auslieferungsgesetz dem
früheren Auslieferungsvertrag weder derogieren wollen, noch derogieren
können. (Vergl. namentlich A. S., Bd. XVIII, S. 193 Erw. 3; ferner
Bd. XXV, 1, S. 34.5.) Dagegen fragt sich immerhin, ob der Angeschuldigte
der deutschen und nicht der schweizerischen Jurisdiktion untersteht,
trotzdem er in der Schweiz seinen Wohnsitz hat. Der Entscheid dieser Frage
ist davon abhängig, welcher Richter zuständig ist zur Beurteilung der
Anstiftung, wenn die Anstiftung oder ein Teil derselben im einen Staate,
die Tat selber im andern Staate begangen ist. Diese Frage ist zwar in
der deutschen Wissenschaft kontrovers; allein das Reichsgericht steht
konsequent auf dem Boden, dass der Richter des Tatortes zuständig sei
auch für die Beurteilung der Anstiftung; vergl. namentlich Entsch. des
RG in Strass Bd. XXV, S. 425, Auch nach zürch Strafrecht, sofern
daran abgestellt werden dürfte und wollte, wäre übrigens anzunehmen,
die Beurteilung der Anstiftung unterstehe dem deutschen Richter, wie
der Bundesanwalt in seinem Gutachten zutreffend aussührt. (Vergl. auch
Sträuli, Komm. z. zürch RPflGes., Suppl.-Bd., § 753, Anni. 4, S. 200.)

690 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

Der erste Einwand des Angeschuldigten ist sonach zu verwerfen.

2. Mit seiner Hanpteinwendung macht der Angeschuldigte geltend, er
sei nach deutschem Rechte nicht strafbarz denn die Entmündigung in
Deutschland sei ungesetzlich Und ungültig; in der Schweiz, von wo aus
er gehandelt habe, sei er unbestrittene-:massen handlungsfähig und
im Besitze der väterlichen Gewalt; er habe daher nicht rechtswidrig
gehandelt. Die Frage nun, ob das dem Angeschuldigten zur Last gelegte
Delikt dessen Tatbestand als gegeben vorausgesetzt den angerufenen
gesetzlichen Tatbestand erfülle, untersteht in der Tat der Prüfung des
Auslieferungsrichters. Hiebei ist vorerst nach der deutschen Judikatnr und
Wissenschaft nicht zweifelhaft, dass das Delikt des § 235 RStGB auch von
einem Elternteil gegen den andern verübt werden kann; vergi. Olshausen,
Komm. z. SMB, 5. Aufl., § 235, Anm. Il (Bd. II, S. 865); RG Entsch. in
StrS, Bd. XXII, S. 165 s. u. dort zit. Dagegen ist zweifelhaft, ob der
Auffassung des Bundesanwaltes beizutreten sei, wonach auf die Frage
der Entmündigung des Angeschuldigten überhaupt nichts ankomme, weil das
Delikt auch von dem die väterliche Gewalt innehabenden Vater gegen die
der elterlichen Gewalt nicht enthobene Mutter gerichtet sein könne; das
von ihm zitierte Urteil des Reichsgerichts (Entsch. in StrP, Bd. XXII,
Nr. 49) betrifft einen andern Fall, indem dort der Elternteil, der das
Delikt verübte die Mutter dem Zustand, dass die Kinder beim andern Teil
blieben, zugestimmt hatte, und zudem diesem andern Teil (dem Vater)
die überwiegenden Rechte zustanden. Es empfiehlt sich daher, die vom
Angeschuidigten herangezogene Frage des Einflusses der Entmündigung
zu prùfen, soweit diese Prüfung dem Auslieferungsrichter überhaupt
zusteht. Es handelt sich hiebei um den Einfluss einer civilrechtlichen
Vorfrage auf die Handlung des Angeschuldigten: hat der Angeschuldigte
als entmigt zu gelten, so ist seine Handlung strafbarz ist jenes
nicht der Fall, so ist seine Handlung nicht rechtswidrig im Sinne des
§ 235 des RStGB. Das Gutachten Ziircher Vertritt nun die Ansicht, es
stehe dem Auslieferungsrichter, und nicht dem Urteilenden Tatrichter
zu, jene civilrechtliche Vorfrage zu prùfen, und es gelangt sodann in
Beantwortung dieser Vorfrage zum Schluss, füriii. Auslieferung. Vertrag
mit Deutschland. N° MB. 691

die Frage der Entmündigutig sei ausschliesslich das schweizerische
Recht massgebend, der Angeschuldigte habe daher nicht rechtswidrig
gehandelt, jedenfalls nicht den angerufenen Deliktstatbestand erfüllt,
und sei also nicht auszuliefern. Allein vorerst erscheint es nicht
richtig, dem Auslieferungsrichter diese weitgehende Überprüfungsbesugnis
einzuräumen. Es handelt sich um die Frage, ob ein Tatbestandsmerktnal,
nämlich die Rechtswidrigkeit, wirklich (nicht nur in nypothesi) vorhanden
sei; der Haftbefehl behauptet, der Augeschuldigte sei entmündigt,
nach deutschem Recht ist er es auch unzweifelhaft und war er es auch
zur Zeit der Begehuug der Tat schon, dagegen macht der Angeschuldigte
geltend, diese Entmündigung sei nicht zu berücksichtigen, weil für die
Frage seiner Handlungsfähigkeit das schweizerische Recht massgebend sei.
Es handelt sich also um die Prüfung des Vorhandensein-Z einer Tatsache,
und diese Prüfung steht nach anerkannten Rechtsgrundfügen, denen sich
auch das Bundesgericht in feststehender Rechtssprechung angeschlossen hat,
nicht dem Auslieferungsrichter, sondern ' nur dem urteilenden Tatrichter
zu. Freilich ist die hier geltend gemachte Tatsache eine rechtliche
Tatsache; allein das ändert am gesagten nichts: Sache des urteilenden
Richters wird es sein, zu prfifen, ob die Entmündigung vom zuständigen
Richter ausgegangen ist und ob der Angeschuldigte als zur Zeit der
Begehung der Tat entmüudigt zu gelten habe. Aber auch wenn man weiter
gehen und auf eine Prüfung der Frage der Entmündigung eintreten will,
so kann doch das Nachprüfungsrecht nur darin bestehen, zu untersuchen,
ob jener juristische Vorgang die Entmündigung in Deutschland als
rechtlich nicht bestehend zu behandeln sei, ob also der Angeschuldigte
als nicht entmündigt zn gelten habe. Hiebei handelt es sich nun um
eine Statutenkollision: der Angeschuldigte ist nach deutschem Recht
entmündigt ohne Rücksicht auf fein Domizil; anderseits untersteht er
gemäss Art. 32 BG betr. civilr. V. d. N. u. A. für den schweizerischen
Richter dem Wohnsitzrecht, und hienach ist er unzweifelhaft nicht
entmündigt, sondern voll handlungsfähig und im rechtlichen (wenn auch
nicht faktischen) Besitze der väterlichen Gewalt. Allein der Umstand,
dass der Angeschuldigte in der Schweiz nicht als entmündigt zu betrachten
ist, ist ohne Bedeutung fin: die Straf-

692 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

barkeit der ihm zur Last gelegten Handlung Denn in Deutschland hat er
in das Rechtsgut der elterlichen Gewalt, dessen Verletzung das Objekt
des Kinderraubes nach § 235 DRStGB bildet, eingegriffen; dort ist sein
verbrecherischer Wille (dessen Vorhandensein immer vorausgesetzt) zur
Ausführung gelangt; ein dortiges Rechts-gut ist verletzt; ob der Handelnde
nach dem dort geltenden Rechte als zum Eingriff berechtigt anzusehen ist,
ist massgebend; das Recht, dem die Kinder unterstehen, ist anwendbar
auf die Frage, ob Kinderraub stattgefunden habe. Das BG betr. die
civilr. V. d. N. u. A. kann bei dieser Frage nicht die Entscheidungsnorm
bilden; denn es stellt nur Normen auf für den schweizerischen Richter,
löst aber einen Konflikt der hier vorliegenden Art nicht.

3. Die Frage, ob die eingeklagte Handlung auch nach dem Rechte des
ersuchten Staates (d· i. also nach dem Rechte des Kantons Zürich als des
Kantons, in dem der Angeschuldigte sich befindet) strafbar sei, entfällt
nach feststehender Praxis des Bundesgerichts bei Auslieferungsbegehren
seitens des deutschen Reiches, da der Auslieferungsvertrag zwischen der
Schweiz und Deutschland dieses, sonst allerdings allgemein anerkannte
Erfordernis der Auslieferung nicht kennt. (Vergl. BGE XXV, 1, S. 273
Erw. 2; XVIII S. 188 Erw.1, und namentlich grundlegend IV S. 124
f. E. 2.) Wollte man aber auch von dieser Praxis abgehen, so erschiene
doch die Strafbarkeit der eingeklagten Handlung auch nach zürcherischem
Strafrecht als gegeben: In Betracht kommt § 150 zürch. StGB (in der
Fassung vom 6. Dezember 1897), lautend: Wer sich unbefugter Weise eines
Menschen bemächtigt, entweder durch List oder Gewalt, oder, wenn der
Bewältigte das sechszehnte Altersjahr noch nicht zurückgelegt hat, mit
dessen Willen, jedoch ohne Einwilligung seiner Eltern, Pflegeeltern,
oder des Vormundes, um ihn dem Schutz des Staates oder derjenigen zu
entziehen, unter deren Aufsicht er steht, wird ...... bestraft. Der
Verteidiger des Angeschuldigten macht geltend: diese Bestimmung treffe
deshalb nicht zu, weil das Bestreben des Augeschuldigten ausschliesslich
darauf gegangen sei, seine Kinder aus der ihnen schädlichen Umgebung
der Mutter wegzubringen und in einen besseren Zustand zu versetzen; er
beruft sich dafür-III. Auslieferung. Vertrag mit Deutschland. N° 115. 693

dass darin kein Menschenraub liege, auf Zürcher, Komm., Note 4 zu § 150,
S. 138 (3. Aufl.). Allein der dort angeführte Fall ist vom heutigen
verschieden, da dort die Einwilligung dessen, aus dessen Gewalt das
Kind entzogen wurde, vorlag. Auch im übrigen treffen die Voraussetzungen
der angeführten Gesetzesstelle zu; ebenso ist das zürch. StGB nicht etwa
milder als das deutsche hinsichtlich der Stellung des Anstifters (vergl. §
87 Abs. 1). Endlich kann auch nicht gesagt werden, der Angeschuldigte
habe nach zürcherischem Recht deshalb nicht unbefugt gehandelt, weil er
nach zürcherischem Recht im Besitze der väterlichen Gewalt gewesen sei:
auch wenn die Strafbarkeit nach dem Rechte des erfuchten Staates vom
Auslieferungsrichter geprüft wird, so darf er sich dabei nicht an Stelle
des urteilenden Richters setzen und hat er die Tat genau so aus ihre
Voraussetzungen zur Auslieferung zu prîifen, wie dies bei der Prüfung
der Voraussetzungen nach dem Rechte des ersuchenden Staates geschieht: es
gilt also in dieser Beziehung alles in Erwägung 2 ausgeführte auch dann,
wenn die Frage der Strafbarkeit nach zürcherischem Strafrecht beurteilt
wird; namentlich ist davon auszugehen, dass der Eingriff an einem Orte
erfolgt ist, wo der Angeschuldigte entmündigt und nicht im Vesitze der
elterlichen Gewalt war.

4. Die letzte Einwendung des Angeschuldigten: mit Bezug auf die ihm zur
Last gelegte Anstiftung zur Entführung seines Sohnes Alsred handle es
sich um Anstiftung zum Versuch der Entführung; Anstiftung zum Versuch sei
aber begrifflich unmöglich; sodann sei der Entführungsversuch nach zürch
StGB nicht strafbar; endlich sei der ersuchte Staat nur berechtigt, nicht
aber verpflichtet, wegen blossen Versuches die Auslieferung zu gewähren,
bezieht sich nur auf das zweite der eingeklagten Delikte und könnte daher
bei Begründeterklärung nur eine Einschränkung, einen Vorbehalt bei der
Auslieferung, nicht aber die gänzliche Verweigerung der Auslieferung zur
Folge haben. Die Einwenduug ist aber ebenfalls unbegründet. Abgesehen
davon, dass die Frage der Strafbarkeit des Entsührnngsversuches nach
zürch StrR nicht zu prüfen ist es handelt sich übrigens um Versuch
des Menschenraubes und dass es nicht richtig ist, dass ein Versuch zu
Anstiftung begrifflich unmöglich ist, ist zweifelhaft,

694 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

ob es sich bei der eingeklagten Handlung um blossen Versuch der Entführung
handelt; denn es ist in der deutschen Literatur und Rechtssprechung
streitig, ob zur Vollendung des Deliktes nach § 235 d. RStGB die
Entführung aus der Gewalt genügt, oder ob dazu die Begründung eines neuen
Gewaltverhältnisses gehort. (S. Olshausen, a. a. O Anm. 1, S. 863.) Die
Entscheidung dieser Kontroverse steht aber nicht dem Auslieferungsrichter,
sondern dem urteilenden Tatrichter zu.

5. Sind so alle Einwendungen des Angeschuldigten aussichhaltig, und
steht der Auslieferung auch sonst kein aus dem Auslieferungsvertrage
herzuleitendes Hindernis entgegen, so ist sie mit Bezug auf die Person
des Angeschuldigten zu bewilligen. Dagegen hat sie nicht stattzufinden
hinsichtlich des im Besitze des Klugeschuldigten befindlichen Geldes
und der sonstigen Gegenstande: dieses Geld und die Gegenstände haben mit
dem Verbrechen wegen dessen der Angeschuldigte verfolgt wird, in keiner
Weise etwas zu tun; Art. 9 Ausl.-V. trifft daher nicht zu.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Einsprache des Moritz Hermann Platen gegen die von der k. deutschen
Gesandtschaft in Bern begehrte Auslieferung an das königliche Landgericht
Leipzig wird abgewiesen, und die Auslieferung hat stattznsinden,
soweit es die Person des Ver-folgten betrifft; hinsichtlich
des Geldes und der übrigen Gegenstände wird die Auslieferung
nicht bewilligt.B. STRAFRECHTSPFLEGE ADMNISTRATlON DE LA JUSTICE
PÉNALEI. Polizeigesetze des Bundes. Fischereigesetz. Lois de police de
la Confédération. Loi sur la péche.

1-16. guten des Daisationshofes vom 3. Oktober 1905 in Sachen
greater-guru), Kass.-Kl.gegen Zinses-DIRECTKern-Beet

Vemntworàlichèeit des technischen Leiters einer Fabrik für Verun-reinigung
eines Fischgewässers durch Ausfliessen von Sohle-mae. Art. 21
Fischereiges., Art. 19 BStR: Verhältnis der allgemeinen Be-stimmungen des
Beendesstmfrechts zu den Spezialgesetzen. Auch- fahrlàssige Uebertretung
des Fischereigesetzes ist strafbar. Ver-letzung der Spezialverordnung
zu Art. 21 des Fischereiges.

vom 3. Juni 1889, als Kassatz'onsgfflnd ; Art. 34 Fischerez'ges.,
Art. 163 OG.

A. Durch Urteil vom 9. Juni 1905 hat das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft erkannt:

Das Urteil des Bezirksgerichtspräsidentenverhörs Arlesheim d. d.
19. Januar 1905, lautend;

Der Beklagte wird der Übertretung des Fischereigesetzes schuldig

erklärt und in eine Busse von 80 Fr., im Nichtbezahlungsfalle zu 16
Tagen Gefängnis verurteilt.

wird in Bezug auf die Schuldsrage bestätigt, in Bezug auf das Xxx1,
1. {905 45