A. STAATSREGHTLIGHE ENTSCHEIDUNGEN ARRETS DE DROIT PUBLIC

' . ' *Erster Abschnitt. Première section. Bundesverfassung. Constitution
iédérale.I. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor de_m Gesetze.

Déni de justice et égalité devant la loi.

1. Arie-il vom 19. Januar 1905 in Sachen Yölitzsch gegen Hamlet
bezw. Yezirkggericht gazzetta.

Ehrverletzungsklage; Gerichtsstand. Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV: Zulassung der
adhäsionsweisen Behandlung von Civilansprüchen am, forum delicti
cemmissl. Verweigerung des rechtlichen Gekò'rs und Verletzung der
Bechtsgleicäheit, liegend in Art der Vorladung? Gesetzliche Vorladuîessg
nach zzz-Toh. RPflgG (5 188 Mel,). Wirkungen mangelhafter Zustellung
des Urteils.

A. Jnfolge einer vom Rekursbeklagten gegen den Rekurrenten erhobenen
Strafklage wegen Ehrverletzung durch eine an den Strafkläger gerichtete
Postsendung mit unbestrittenermassen ehrverletzendem Inhalt erliess das
Bezirksgericht anzach an den Rekurrenten eine Vorladung zu einer auf den
17. August angesetzten Verhandlung Diese der Post übergebene Vorladung
wurde im

XXXI, 4. 1905 _ l

2 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Geschäftslokal des Rekurrenten in Zürich Unter den in Erwägung 4 hienach
näher gekennzeichneten Umständen refüsiert. Als am 17. August der
Angeklagte zur Verhandlung nicht erschien, verfällte ihn das Gericht
in eine Ordnungsbusse und zu den Kosten der versäumten Tagfahrt. Ein
diesbezüglicher Protokollauszug wurde dem Angeklagten nebst einer
Vorladung auf den 31. August ebenfalls durch die Post zugesandt und
von diesem oder dessen Bureaupersonal wiederum refüsiert (faber die
Einzelheiten vergl. Erwägung 4 hienach).

B. Durch Kontumazurteil vom 31. August 1904 erkannte hierauf das
Bezirksgericht Zurzacht

1. Der Beklagte hat sich gegenüber dem Kläger der schweren Ehrverletzung
schuldig gemacht und wird daher zu zwei Tagen Gefangenschaft und 60
Fr. Geldbusse, im Falle der Zahlungsverweigerung zu weiteren 15 Tagen
Gefangenschaft verurteilt.

2. und Z. Kosten.

4. Die eingeklagte Ehrverletzung wird von Richteramtswegen aufgehoben
und die Ehre des Klägers zu Gerichtsprotokoll bestens

gewahrt. 5. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Civilentschä-

digung von 100 Fr. zu bezahlen.

Die Anträge des Strasklägers hatten gelautet:

1. Der Beklagte sei wegen schwerer Ehrbeleidigung angemessen zu bestrafen
und die Ehre des Klägers sei am Gerichtsprotokoll ausdrücklich zu wahren.

2. Der Beklagte habe den Kläger civilrechtlich, aus Art. 50 bis
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
55 OR
mit 300 Fr. zu entsclsädigen, richterliches Ermessen vorbehalten

3. (Kosten).

Jn den Motiven zu obigem Urteil wird zunächst die Frage nach der örtlichen
Zuständigkeit des Gerichtes aus dem Grunde bejaht, weil als Begehungsbezw.
Vollendungsort des eingeklagten Delikte-s der Ort zu betrachten
sei, an welchen die ehrverletzende Postsendung dem Kläger zugestellt
worden war. Materiell sei auf Grund der verurkundeten Klagbeilagen die
Täterschaft des Beklagten als erwiesen anzunehmen; die Aktenlage spreche
durchaus dafür, dass Dölitzsch der Abfender des inkriminierten Paketes
sei,l. Rechtsverweigemng und Gleichheit vor dem Gesetze N° i 3

Feine Handlung verstosse schwer gegen Anstand, Moral und Vechi und habe
auch eine ernstliche Verletzung der persönlichen fmeiäninnne ges Klagers
zur Folge gehabt, weshalb sich der Zu ) emer enugtuungè'ordemn i ' _
rechtfertige, f g m Sinne von am. oo OR Eine Ausfertigung dieses Urteils ·
_. wurde dem Rekurrent giederum durch nenne, und zwar in gleicher Weise
wie dî; orladung zur zweiten Verhandlung zugeschickt, aber von einem
tilgsestelltend desselben am 10. September refüsiert. Am 22 Seper wur
e von der Geri tskan (' ' ' · ' bescheinigt , ck) zei die Rechtskraft
des Urteils C. Mittels Eingabe vom 7 J8 Nove . . mver 1904 erklärte E
. Zoliksch fgegen das Urteil des Bezirksgerichts Zurzach doît .' Jugu
1904 den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgerith zu ergreifen. Er
beantragt: ss a Das Bundesgericht wolle das an '

' gefochtene Urteil än l· aufheben und den Streit zu materieller
Erledigung an bags gr? instanzliche Gericht zurückiveisen, ss

eventuell:

b) Das Bundesgericht wolle wem· t ' * klärung aufheben in dem Sinne, dass
dgienäeschltbergeefjlcgtriimtkkx der Zustellung der bundesgerichtlichen
Entscheidung an eine neue Frist zur Etnlegung der kantonalen Rechtsmittel
gegen das e 'tinstanzliche Urteil zu laufen beginne. · si rs

Das wesentliche der Rekursbegründung ist aus den Erwägungen 2 6 hienach
ersichtlich. Zn tatsächlicher Beziehung wird erklartz der Rekurrent
habe sich im August 1904 in den Fersen befunden und habe vorher seinen
Angestellten Ordre gegeben alles was Laus Böttstein oder der Enden
komme und mit sdieser ZEIT vzusagnmenhanga zu refiisieren Rekurrent habe
infolgefahren :s? gxsegaiizen ÎÎJ'Èrogffiffe erst lam 2. November 1904
erRelghtszffnung verratle te ihm zugesprochene Eioilentschädigung

. C'n einer " weisunj be; Rekggxrsantwort beantragt der Rekursbeklagte Ab-

E. (Wiederherstellnngsgesuch, das zurückgezogen wurde.)

4 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

i. (Frist.)

2. Zunächst erscheint die Berufung des Rekurrenten ans Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV
als verfehlt. Wie das Bundesgericht schon wiederholt erkannt hat,
ividerspricht es der angeführten Verfassungsbestimmung nicht, wenn über
ein Entschädigungsbegehren, das adhäsionsweise in einem Strafprozess
erhoben wurde, in Verbindung mit dem Urteil über den Strafpitnkt am komm
delicii commissi abgesprochen wird, sofern nur der Entschädigungsanspruch
auf der nämlichen tatsächlichen Grundlage beruht, wie der Strafanspruch,
und letzterer den Hauptgegenfiand des Prozesses bildet. Vergl. A. S. d.
Bg. (EUR., Bd. MOV,/1, S. 241, sowie auch Bd. xxlll S. 537. Dies trifft im
vorliegenden Falle unzweifelhaft zu; insbesondere liegt aus der Hand, dass
das Entschädigungsbegehren des Rekursbeklagten sich nur in accessorischer
Weise an das Strafbegehren anschloss, wie denn auch die Vernrteilnng
des Rekurrenten zu einer Civilenischädignng von 100 Fr. nur im Anschluss
an dessen sirafrechtliche Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe und zu
einer Geldbusse erfolgt ist. Hieran ändert der Umstand nichts, dass der
aargauische Zuchtpolizeiprozess sich, wenn auch nicht durchweg, wie der
Rekurrent behauptet, so doch zum Teil in den Formen des Civilprozesses
bewegt: durch eine mehr oder minder starke Anlehnung des Verfahrens an
die Regeln des Civilprozesses wird die rechtliche Natur des Strafantrages,
wie auch des Strafurteils, nicht verändert.

3. In zweiter Linie beschwert sich Dölitzsch über Nichtanwenduug von
§ 99 aarg. (WO, wonach eine ausserhalb des Kantons wohnhaste Partei
vom Gerichtspräsidenten aufzufordern isf, binnen einer von diesem zu
bestimmenden Frist einen im Kantone wohnhaften Zustellnngsbevollmächtigten
zu bezeichnen. In dieser Beziehung erscheint der Standpunkt des
Rekurrentenschon deshalb als haltlos, weil weder aus dem Gesetz
erhellt, dass der angeruseiie Paragraph der CPQ auf das Verfahren
in Zuchtpolizeisachen anwendbar sei, noch eine derartige Praxis der
kantonalen Ge-

richts-behörden dargetan ist. Abgesehen davon bleibt nnerfindlich, wieso
eine Rechtsverweigerung gegenüber dem Rekurrenten darin liegen sollte,
dass eine Bestimmung auf ihn nicht angewendetI. Rechtsverweigerung und
Gleichheit vor dem Gesetze N° 1 5

wurde, deren Anwendung für i n eine B Schliesslich ist zum
mindesten fipaglich ob eiîîmglîfflîdeiîît [WifeÎFÈÎMÎQ ;meä
dZustzllungsbevollmächtigten vom Rekurizenthrk r en o er a er nicht
vielmehr deren Ent ebenso verwei ert worden " · " ' gegennahme uni der
Urteigsausfertigungware wie diejenige der Vorladungen . Der Rekurrent
behauptet sodann, die Art der Vorladungen an ihn sei auch abgesehen
vondederzlzitichltkik wendng des angeführten § 99 aarg. CPQ eine
ungesetzliche gewesen Darin, dass über ihn abgeurteilt wurde ohne da wie
er behauptet, irgend eine Vorladung in seine Hände gelanBi si erblickt
er eine Verweigerung des rechtlichen Gehörg ed sonnt eine Verletzung der
in Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV und 17 aar KV unwahrleisteten Gleichheit der Bürger vor dem
Gesstze geA &)??? ist richtig, dass nach der bundesgerichtlichen Praxis
jeder ugg agte einen verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehvr
besitzt, in dem Sinne, dass derselbe nicht strafrechtlich verurteilt
werden-darf, ohne in gesetzlicher Weise vorgeladen worden zu sein. Dabei
haben sich die Art der Zustellung und die Bescheinigung derselben nach
dem Rechte des Orts der Zustelluw gwas m casu das Recht des Kantons Zürich
ist) zu richie;I etzterer Grundsatz ist zwar bis jetzt hauptsächlich bei
Sele-. genheit der Exekution von Civilnrteilen in anderen KaukonenIn;
23%? auf Art..61M:BV, ausgesprochen worden, trifft abe; >); auch aus
die Halle zu, in denen ein Strafurteil wegen A S g uug des rechtlichen
Gehörs angefochten wird. (Vergl. , . .d bg. E. Bd. XXIII S. 62,
Bd. XXIV 1 S 261 sowie Urteil des Bundesgerichts vom 19. Oktober Lea-Hi
S'Gysler iikid Mischler gegen Joner *.) . . Im vo iegenden Falle sind
nach einander zwei Vorladun en vor gis Yezirksgericht Zurzach der Post
übergeben und von digeser im eschaftslokal des Angeklagten in Zürich
präsentiert worden die ersse derselben, diejenige auf den 17. August,
war offen 'mit Ruckdoppel, gemass Art. 38 der Transportordnung für die
schweiz Posten vom 3. Dezember 18943 die zweite, diejenige auf den

* In der Amtlichen Sammlung nicht abgedruckt. (Anm. d. Red. f. Paél.)

8 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

31. August, befand sich in einem Umschlag, aus dessen Aufschrift jedoch
der wesentliche Inhalt der Vorladung ersichtlich war und der zugleich als
Rückschein im Sinne von Art. 81 BCS} betr. die Posttaren, vom 26. April
1884, zu dienen bestimmt war; beide Vorladungen wurden vom Rekurrenten
oder einem Angestellten desselben mit dem Stempel Refusä C. Ed. Dòligsck)
zurückgegeben

Fragt es sich mm, ob in diesem Hergang nach zürcher Recht der
Tatbestand einer gesetzlichen Vorladung erblickt werden müsse,
so ist von § 188 zürcher RPflG auszugehen, wonach alle Vorladuugen
(in Civilwie in Strafsachen) durch einfachen oder chargierten Brief
erfolgen können, sofern auf diesem Wege rechtzeitige Bescheinigung
des Empfanges zu erwarten ist. Letzteres durfte im vorliegenden Falle
zweifellos angenommen werden; denn laut Poststempel wurde die Vorladung
zur ersten Verhandlung mindestens fünf Tage vor dieser Verhandlung und
die Vorladung zur zweiten Verhandlung mindestens neun Tage vor dieser
letztern von der Post präsentiert Es durften also nach dem massgebenden
Recht des Kantons Zürich beide Vorladungen durch die Post erfolgen,
und zwar sowohl durch gewöhnliche chargierte, als auch sogar durch
nichtchargierte Briefe. Umsomehr müssen die vom Bezirksgericht Zurzach
gewählten Formen der offenen Zustellung in Original und Rückdoppel, sowie
der Zustellung in einein Umschlag mit Jnhaltsangabe als rechtsgenüglich
erscheinen; denn diese Formen der Vorladung boten noch mehr Garantien als
die Vorladung durch entfachen oder chargierten Brief. (Vergl. Sträuli,
Kommentar zum zürch. RPflG § 188 Note 1.) Fraglich kann nur sein, ob die
Zustellung deshalb als nicht erfolgt zu betrachten sei, weil das Doppel
der Vorladung nicht beim Adressaten zurückgelassen wurde und auch eine
Empfangsanzeige für die Vorladung fehlt. Allein dieser Mangel macht im
vorliegenden Falle die Zustellung nicht zu einer rechtsungültigen, und
zwar deshalb nicht, weil die Erfüllung der Förmlichkeit vom Rekurrenten
selbst ab-

sichtlich oder doch in leichtfertigster Weise vereitelt worden ist.

Er hat nämlich nach seiner eigenen Darstellung, nachdem der Rekursgegner
bereits von ihm Genugtuung verlangt hatte, seinen Angestellten Auftrag
gegeben, "alles was von Böttsteiu oder derI. Rechtsverweigerung und
Gleichheit vor dem Gesetze. N° L. ?

Endens kommt zu refüsieren. Ein solches Verhalten widerspricht dem
Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im zürcher Prozessrecht in
weitgehendem Masse berücksichtigt wird, und der hieraus sich ergebende
Mangel der Zustellungsform konnte vom Adressaten nur dann geltend gemacht
werden, wenn infolge des Mangels der naturelle Zweck der Zustellung nicht
erreicht wurde. Indessen könnte hievon doch nur dann die Rede sein,
wenn beide Vorladungen in geschlossenem Umschlag und ohne Aufschrift
präsentiert worden waren: nur in diesem Falle könnte die Behauptung des
Rekurrenten, er habe von allem keine Kenntnis gehabt, gehort werden;
nur in diesem Falle würde ferner das von Lammasch, Auslieferungspflicht
und Asylrecht, S. 346, geäusserte Bedenken Platz greifen, und nur
aus diesen Fall bezieht sich schliesslich der vom Rekurrenten aus
Sträuli, Kommentar zu § 188 leg. cit.. Note 2 zitierte Entscheid des
zürcherischen Obergerichts. Im vorliegenden Falle war schon mit der
Präsentierung der ersten Vorladung der Zweck der Vorladung erreicht,
indem dadurch der Rekurrent oder derjenige Angestellte, den er mit der
Vefüsierung der betreffenden Sendungen beauftragt Und dem er zu diesem
Zwecke seinen Stempel überlassen hatte dessen Kenntnis daher der seinigen
gleichzustellen ist von der angesetzten Tagfahrt Kenntnis erhielt. Von
einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann unter diesen Umständen
keine Rede sein.

5. Was die Zustellung des am 31. August 1904 ausgesällten Urteils
betrifft, so wiederholt der Rekurrent mit Bezug aus dieselbe sowohl seine
Klage über Nichtanwendung von § 99 aarg. CVD, als auch seine Behauptung,
es sei die Zustellung durch die Post unzulässig gewesen. Abgesehen davon,
dass dieser Standpunkt aus denselben Gründen als unhaltbar erscheint,
aus denen schon die Beschwerde über die Art der Vorladung verworfen
werden musste (vergl. Erwg 3 und 4 hievor), ist hier zu bemerken, dass
wegen unrichtiger oder nicht erfolgter Zustellung eines Urteils dieses
Urteil selber nicht anfechtbar, sondern nur der Eintritt der Rechtskraft
desselben verschoben wird.

Wäre also das Urteil vom 31. August 1904 dem Rekurrenten wirklich nicht
in gesetzlicher Weise zugeftellt worden, so könnte dies höchstens zur
Folge haben, dass dadurch die Frist zur Er-

8 A. staats-rechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

greifung der zulässigen Rechtsmittel verlängert worden wäre oder dass
der Rekurrent sich einer Vollziehung des Urteils hätte widersetzen
können; keineswegs jedoch könnte aus diesem Grunde die vom Rekurrenten
prinzipiell beantragte Aufhebung des Urteils ausgesprochen werden. Was
aber die eventuell nachgesuchte Aufhebung der Rechtskrafterklärung
betrifft, so ist zu beachten, dass diese selbst auf die Zuftellung
verweist und die Gültigkeit der Zuftellung mit Bezug auf die Rechtskraft
zunächst von den kantonalen Behörden, an die das Urteil weitergezogen
werden kann oder von denen Vollziehung verlangt wird, geprüft werden
müsste, bevor das Bundesgericht sich mit dieser Frage der Rechtskraft,
soweit diese in Hinsicht auf die mangelhaste Zuftellung bestritten wird,
befassen könnte. 6. (Ausführung, dass materiell keine Willkür vorliege.)
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen.

2. guten vom 1. Februar 1905 in Sachen anregen gegen Bahnen
bezw. Yezirksgertchi Dust-einen Extra

Verletzung des Gmmdsatzes nuHa poena sine lege durch Bestrafung auf
Grund einer nicht bestehenden Strafnai'm und durch Subsummmug eines
Tatbestand-es unter eine Bechäsnorm, unter die er nicht fällt? (Art. 154
SW von Appenzell I. R:i:., Erregung risse-etlichen Aergemisses, angewandt
auf unsittliche Handl-zmg, begangen an einem [finde ). Stellung des
Beendesgerickts. Willkür ?

A. Robert Zähner in Appenzell erhob bei der Polizeidirektion des
Kantons Appenzell J.-Rh. gegen den Rekurrenten Strasklage wegen
Sittlichkeitsvergehen über folgenden Tatbestand: Der Rekurrent habe
am 31. Juli 1904 feinem Töchterchen Alice in der Backstube zum Adler
zuerstan den Rock getätschelt und dann gefragt-, ob es wehe tue. Auf
die verneinende Antwort habe er dem Kinde den Rock aufgehoben,
die Unterhöschen herabgelassen und ihm auf den blossenHinterteil
getätschelt und wieder gefragt,{. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor
dem Gesetze. N° 2. 9

ob es wehe tue. Nachher habe der Rekurrent dem Kinde zwei Krämlein
gegeben. Nach durchgeführter Untersuchung erhob die Polizeidirektion
beim Bezirksgericht Appenzell Anklage gegen den Rekurrenten wegen
Vergehen im Sinne des Art. 154
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
des kantonalen StG, der lautet: Wer durch
unzlichtige Worte oder Handlungen öffentliches Aergernis erregt, oder
unzlichtige Schriften oder Bilder ausstellt, verkauft, zum Verkaufe
anzeigt oder auslehnt, wird bis auf 100 Fr. oder mit Gefängnis bis
auf drei Monate gebüsst und es können die Gegenstände des Ver gehens
konfisziert werden , und das Bezirksgericht erklärte den Rekurrenten
durch Urteil vom 25. Oktober 1904 schuldig der unsittlichen Handlung,
verübt an einem Kinde-O Und verurteilte ihn zu einer Busse von 50 Fr einer
Entschädigung an Zähner wegen tort moral von 200 Fr. und den Kosten,
indem es gleichzeitig eine Widerklage des Vaters des Rekurrenten wegen
Haussriedensstörung (angeblich von Zähner begangen, als er den Rekurrenten
zur Rede stellte) und falscher Anschuldigung als der innern Begründung
ermangelnd und angesichts des festgestellten Tatbeftandes der Klage
abwies. Die Verurteilung des Rekurrenten ist wie folgt begründet: Durch
die Untersuchung sei festgestellt was der Rekurrrent bestritten hatte -,
dass das Kind Alice Zähner in der kritischen Zeit den Laden zum "Adler
betreten und darin längere Zeit verweilt habe. Aus den Akten und dem darin
enthaltenen Jndizienbeweis schöpfe das Gericht ferner die Überzeugung,
dass sich der Rekurrent der ihm zur Last gelegten unfittlichen Handlungen
schuldig gemacht habe. Diese Handlungen seien zwar kein gerade schweres
Delikt, aber involvierten immerhin einen Verstoss gegen die Sittlichkeit,
wobei erschwerend in Betracht falle, dass sie an einem Kinde begangen
worden seien. Der Angeklagte sei daher schuldig zu erklären und in das
Maximum der Geldstrafe zuver-fällen Der Art. 154
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
StG ift als angewendete
Strafnorm in den Erwägungen nicht erwähnt, wohl aber unter den Tatsachen
bei Wiedergabe der Anklage des Zähnen

B. Gegen dieses Urteil, das nach apppenzellischem Prozessrecht endgültig
ist, hat Broger den staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht ergriffen
mit dem Antrag, es sei dasselbe wegen Ver-