636 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Gemeinderate-Z wären als Bürger zum Rekurse nur legitimiert, sofern
ihre privaten Interessen, ihre persönliche Rechtsstellung durch den
regierungsrätlichen Beschluss betroffen wurden. Dass dies aber der Fall
sei, geht aus dem Rekurse keineswegs hervor. Derselbe stützt sich mit
seiner Begründung, dass die Erteilung des streitigen Wirtschaftspatentes
durch den Regierungsrat unzulässig sei, weil für die Wirtschaft ein
Bedürfnis nicht bestehe, lediglich auf Verletzung öffentlicher Interessen,
zu deren Wahrung der einzelne Bürger als solcher, direkt, nicht berufen
ist. Die Berweisung des Rekurrenten auf den Entscheid bei Salis, III,
Nr. 1112 geht fehl, weil bei jenem im Gegensatz zum vorliegenden Falle
ein Judividualrecht der Bürger, das Stimmrecht, in Frage stand. Und
auch der Fall bei Salis, II, Nr. 936, ist dem vorliegenden nicht analog,
indem es sich dort um die Weiterziehung eines Entscheides des Bundesrates
an die Bundesversammlung seitens der als Partei im staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahren beteiligten kantonalen Behörde handelte; -

er kannt: Auf den Rekurs wird im Sinne der vorstehenden Erwägung 2
nicht eingetreten.

Vergl. auch Nr. 110 u. Nr. 118.

II. Doppelbesteuerung N° 110. 687

II. Doppelbesteuerung. Double imposition.

110. Urteil vom 13. Oktober 1904 in Sachen Elektrizitätswerk Hagneck
und Kanton Bern gegen Kanton Solothurn.

Besteuerung von Elektrizitätswerken. Vermògenssteuer auf die im
Kanton befindlichen Anlagen als Immobilien. g 2 litt. c. ssloth.
Steuerges. von 1895, g 346 salat/z,. CGB. Art.. 4681"; Art. 4 soloth. KV
(Gewaltent-renmmg). Einkommensteuer auf den im besteuer-nden Kanton
gemachten Erwerb aus der Lieferung elektrische?" Energie dorthin:
Steuerdomiaif. Anlagen und Betrieb eines vollständigen Eta.-blissements?
(Einführung ven elektrischer Energie hoher Spannung mittelst
Prima'rleitnng aus dem Kl. Bern in den Kt. Solothurn,Anf-steèèumsiy von
Transfomnatoren in diesem Kanten. Selbständige Leitung der Anlagen im
Kt. Solothurn.) Räckweisung zn?" Berechnung des in der selbständigen
Anlage erzielten Einkommens.

A. Die Rekurrentin, die Aktiengesellschaft Elektrizitätswerk Hagneck
mit Sitz in Biel, liefert von ihrer genitale in Hagneck aus nach den
solothurnischen Gemeinden Grenchen und Bettlach elektrischen Strom zum
Zwecke der Beleuchtung und Kraftabgabe an Abonnenten. Zur Erstellnng der
erforderlichen Leitungen von der Kantonsgrenze an ist sie durch eine vom
Regierungsrat von Solothurn erteilte Konzession ermächtigt worden. Durch
Rekursentscheid des Regierungsrats von Solothurn vom Z. März 1903 wurde
die Rekurrentin für das Rechnungsjahr 1902 für 59,000 Fr. Vermögen,
nämlich den Gesamtwert der Primärleitung von der Kantonsgrenze an,
der Transformatorenstationen, der Hochund Niederspannungsapparate,
der Ortsnetze, und 20,000 Fr. Einkommen aus dieser Anlage dem Kanten
Solothurn gegenüber steuerpflichtig erklärt. Die Begründung stellt ab
auf § 2 litt. c des soloth. Steuerges. von 1895, wonach auswärts wohnende
Personen bezüglich ihrer im Kanten gelegenen Liegenschaften und Geschäfte
steuerpflichtig sind, sowie was speziell die Vermögenssteuer anbetrisst,
auf § 23 Abs. 1 litt. a der Vollz-

638 A. Staatsrechtliche Entscheiduugen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Verord. zum gen. Steuergesetz, der den Begriff Liegenschasten wie
folgt erläutert: Grundstücke, Wald und Gebäude, ferner Bestandteile und
Zubehörden von Grundstücken und Gebäuden welche weder eine Katasternoch
eine Brandassekuranzschatzung haben, und führt aus, dass das Leitungsnetz
und die sonstigen Einrichtungen der Rekurrentin im Kanten Solothurn
zweifellos Bestandteile und Zubehörden von Liegenschaften in diesem Sinne
seien und daher nicht nur in Verbindung mit einem Grundstück, sondern
auch für sich allein besteuert werden könnten. Die Steuerpflicht dieser
Einrichtungen folge aber auch daraus, dass sie Betriebsmittel eines im
Kanton betriebenen Geschäftes im Sinne des § 2 litt. c des Steuergesetzes
seien. Die in Grenchen und Bettlach vorhandenen mechanischen Einrichtungen
verträten nämlich die Stelle eines selbständigen Geschäftsführers,
dessen Tätigkeit von der Zentralstelle aus nur kontrolliert werde. Die
Anlage bilde daher den Mittelpunkt eines selbständigen Geschäftsbetriebs,
was zur Folge habe, dass die Rekurrentin auch den Reingewinn aus diesem
Geschäftsbetrieb in Solothurn versteuern müsse, d. h. die Differenz
zwischen der Gesamteinnahme für Lichtund Kraftabgabe {51,000 Fr.) und
der Gesamtausgabe für die Erzeugung der nach Grenchen und Bettlach
abgegebenen Energie, für Verzinsung und Amortisation des Anlagekapitals
und den Unterhalt des Leitungsnetzes und der Anlagen auf dem Gebiete
des Kantons Solothurn (30,000 Fr. nach fachmännischer Schätzung)",
also netto rund 20,000 Fr.

B. Gegen diesen Entscheid des Regierungsrats von Solothurn hat die
Rekurrentin rechtzeitig den staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht
ergriffen mit dem Antrag, es sei der Entscheid aufzuheben. Die Besteuerung
des Vermögens wird als unzulässige Doppelbesteuerung und als Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV
verletzend angefochtenweil die von der Rekurrentin im Kanton Solothurn
erstellten elektrischen Justallationen und Leitungsanlagen weder
unbewegliches Vermögen im bundesrechtlichen Sinne, noch Liegenschaften
im Sinne des § 2 des soloth. Steuerges. seien; auch habe durch blosse
Vollziehungsverordnung, ohne Eingriff in das Gebiet der gesetzgebenden
Gewalt, der Begriff Liegenschaften nicht auf Zubehör-den und Bestandteile
von Grundstücken ausgedehnt werden

lI. Doppelbesteuerung N° 110. 639

können. Vorliegend könne zudem nicht von Bestandteilen und Zubehbrden
von Grundstücken im Sinne des soloth. CG (§§ 346 ff.) gesprochen
werden, weil die fraglichen Anlagen nicht dem Grundstücke, mit dem sie
verbunden sind, sondern der Zentrale oder allenfalls den Gebäuden,
denen der Strom zugeführt wird, dienen; die Zentrale sei aber nicht
im Kanten Solothurn und jene Gebäude stünden nicht im Eigentum der
Rekurrentin, so dass diese als Steuersubjekt nicht in Betracht kommen
könnte. Die angefochtene auf die Vollziehungsverordnung gestützte
Auffassung des Regierungsrats sei also auch willkürlich. Sie enthalte
überdies eine verfassungswidrige ungleiche Behandlung der Rekurrentin,
weil andere ähnliche Unternehmungen, die solothurnische Gemeinden mit
elektrischem Strom bedienen, z. B. die Gesellschaft des AnreEmmekanals,
die Elektrizitätswerke Olten-Aarburg und Wynau, für solche Anlagen im
Kanton Solothurn nicht zur Vermögenssteuer herangezogen würden. Von einer
Pflicht der Rekurrentin sodann, im Kanton Solothurn Einkommensteuer
zu bezahlen, so wird weiter ausgeführt, könne schon deshalb keine
Rede sein, weil die Rekurrentin infolge der erorbitanten Besteuerung
im Kanton Bern bisher noch gar kein Einkommen erzielt habe. Zudem
involviere in dieser Hinsicht der angefochtene Entscheid eine bunt-es-
rechtlich unzulässige Doppelbesteuerung Die Rekurrentin unterliege für
ihr Gesamteinkommen der Steuerhoheit ihres Wohnsitzkantons Bern. Eine
ein Steuerdomizil begründende Zweigniederlassung oder Anlage, die
unter selbständiger Leitung einen wesentlichen Teil der produktiven
Tätigkeit eines gewerblichen Unternehmens umfasse und ohne wesentliche
Änderung gänzlich vom Hauptgeschäfte losgelbst und auch mit rechtlicher
Selbständigkeit ausgestattet werden könnte (A. S., XXIV, 1, S. 449), habe
die Rekurrentin im Kanton Solothurn nicht; denn sie liefere den beiden
Gemeinden lediglich gegen Bezahlung Strom und habe dadurch höchstens nach
Art eines auswärtigen Handelsmanns, der in dem Kanton Waren vertreibe,
ihren Geschäftsbetrieb auf solothurnisches Gebiet ausgedehnt Die
einheitliche geschäftliche und technische Leitung ihres Betriebs sei im
Kanton Bern; im Kanton Solothurn befinde sich kein einziger Angestellter,
Vertreter oder Arbeiter; der ganze geschäftliche Verkehr mit dem Kanton
Soloxxx, il. 49021 42

.64O A. Staaisrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

thurn beschränke sich auf die Stromzuführung,·die regelmässige
Rechnungsftellung an die Aboiinenten und den Einzug der
Abennementsgebühren. Auch sei es ein rein zufälliges Moment,
wenn die Weiterleitung der Ware von der Zentrale nicht auf dem
gewöhnlichen Transportwege, sondern durch Drähte erfolge. Es wäre bei
Elektrizitäiswerken auch unmöglich auszuscheiden, welcher Teil des
Reingewinns auf den einen und welcher auf den andern Kanton entfalle,
weil das Quantum der Stromabgabe von Monat zu Monat wechsle, der Preis
je nach der Entfernung ein verschiedener sei und ein grosser Teil der
erzeugten Kraft überhaupt längere Zeit nicht zur Verwendung gelange.

C. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat auf Ab-.

weisnng des Rekurses angetragen und zwar im wesentlichen aus den
im angefochtenen Entscheid angeführten Gründen. Zur Beschwerde, die
beanspruchte Steuer enthalte eine ungleiche Behandlung der Rekurreniin,
wird bemerkt: Es sei nicht richtig, dass andere Elektrizitätswerke in
ähnlicher Lage nicht zur Steuer herangezogen wurden. Die Gesellschaft
des Aareund Emmekanals und das Elektrizitätswerk Olten-Aarburg
seien im Kanton donnziliert und dort in vollem Umfang einkommensund
vermögenssteuerpslichtig. Das Elektrizitäiswerk Wynau habe allerdings
seinen Sitz im Kauton Bern, gebe aber in dem Kanten Solothurn an

einzelne industrielle Etablissemente nur Rohkraft ab und habe·

nirgends im Kanton eine gewerbliche Anlage für Licht und Kraftversorgung
wie die Rekurrentin. Für die Einkommensteuer konne also Wynau nicht
in Betracht kommen; inwieweit es zur nVermögens(Liegenschafts-) steuer
herangezogen werden forme, wurden die Steuerorgane untersuchen. Speziell
zur Frage, ob die Rekrurentin im Kanton Solothurn für die Einkommensteuer
ein Steuerdoniizil im bundesrechtlichen Sinne habe, wird noch ausgeführt:
Der solothurnische Geschäftsbetrieb der Rekurreniin sei nicht etwa
bloss Ausfluss einer in Biel konzentrierten Tätigkeit, wie etwa ein
Versandtgeschäft seine Waren gegen Bezahlung nach auswärts sende. Vielmehr
liefere die Rekurrentiu nur die rohe Energie von der Zentrale aus,
und diese Energie werde dann erst siim Kanten durch Umformung in
gebrauchsfähigen Zustand gestellt. Hier, sowie zum Verkehr mit den
Abonnentem sei eine spezielle Leitung

II. Doppelbesteuerung- N° MO. 641

und Überwachung notwendig, die den Betrieb in Solothurn als selbständigen
Betrieb charakterisiere. Es sei kein Grund einzusehen, weshalb die
Rekurrentin anders behandelt werden follie, als eine Genossenschaft,
die die Rohenergie von auswärts beziehe, um sie zu transformieren und an
Abonnenten abzugeben. Es wäre denn auch leicht möglich, dass der Betrieb
der Rekurrentin im Kanten Solothurn vom Hauptgeschäft losgelöst, verkauft
oder verpachtet und so mit rechtlicher Selbständigkeit ausgestattet
würde, hier müsste lediglich der primate Leitungsdraht mit einer andern
Kraftquelle verbunden werden.

D. Der ebenfalls zur Vernehmiassnng eingeladene Regierungsrat des Kantons
Bern hat erklärt, dass die im Kanton Solothurn mit Vermögenssteuer
belegten Objekte vom Kanton Bern nicht besteuert würden und zur Frage der
Einkommensteuerpflicht ausgeführt, dass die Rekurrentin für ihr gesamtes
Einkommen im Kanten Bern steuerpflichtig sei, da ein Spezialdomizil
steuerrechtlicher Natur im Kanten Solothurn nicht anerkannt werden könne,
und demgemäss beantragt, es sei der Entscheid des Regierungsrats von
Solothurn, soweit die Einkommensteuerpflicht der Rekurrentin betreffend,
aufzuheben und es sei festzustellen, dass das Recht zur Erhebung einer
Einkommensteuer vom Geschäftsbetrieb der Rekurrentin einzig dem Kanton
Berti zustehe. si

E. Das Bundesgericht hat eine Expertise über folgende Fragen erhoben:

1. Genaue Beschreibung der vom Elektrizitätswerk Hagneck im Kanton
Solothurn eingerichteten Jnstallationen zur Abgabe und Verteilung von
Strom; welche Justallationen sind Eigentum von Hagneek, welche find
eventuell im Besitz der Stromabnehmerb

2. Bedürer diese Jnstallationen, soweit sie im Eigentum des
Elektrizitätswerks Hagneck sich befinden, für ihre Beaufsichtigung und
Bedienung eines ständigen und dauernden Personals im Kanten Solothurn
-oder kann diese Beaufsichtigung und Bedienung vom Zentralsitz (Hagneck)
aus bewerkstelligt werden?

3. Welche organisatorischen eventuell auch technischen Veränderungen
wären notwendig, wenn alle Jnstallationen, die sich jetzt auf Gebiet
des Kantons Solothurn befinden, vom Werk in Hagneck abgelbst und wenn
mittelst dieser Jnstallationen die

642 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

Stromabgabe an die gegenwärtigen Abnehmer als besonderes Gewerbe betrieben
werden wollte?

4. Wie hoch schätzen die Erperten den Ertragswert der auf Gebiet des
Kantons Solothurn befindlichen Jnftallationen, d. h. den Betrag, der
durch pachtweife Überlassung derselben an eine Unternehmung, die die
Stromabgabe im Kanton Solothurn als besondern Gewerbebetrieb besorgen
würde, jährlich erlöst werden könnte; wobei verstanden ist, dass die
Unterhaltungskosten zu Lasten dieser Unternehmung berechnet würden?

5. Welchen Nettogewinn erzielt das Werk Hagneck gegenwärtig jährlich aus
der Siromabgabe im Kanton Solothurn, wenn lediglich aus die durch die
dort befindlichen Jnftallationen vermittelte Tätigkeit der Stromabgabe
(Detaillierung) abgestellt und also für die Kraft beim Eintritt in den
Kanten Solothurn ein Preis eingesetzt wird, der dem Werk in Hagneck für
die Stromerzeugung über die effektiven Produktionskosten hinaus auch
noch einen angemessenen Gewinn sichert?

Das Gutachten des Experier Jngenieur S;). Wagner in Sketch, lautet wie
folgt: I

Die Aktiengesellschaft Hagneck liefert mittelst einer oberirdischen
Hochspannungsleitung elektrische Energie in Form von Drehstrom
von 8000 Volt verketteter Spannung und 40 Perioden pro Sekunde an
die solothnrnischen Gemeinden Grenchen und Bettlach. Diese Leitung
kommt von Pieterlen-Lengnau her und tritt in den Kanton Solothurn
ein an der Gemeindegrenze zwischen Lengnau und Grenchen. Zn der
Gemeinde Grenchen sind im Anschluss an diese Hochspannungsleitung
sechs Transformatorenstationen ausgestellt, und zwar eine an
der Südwest-Peripherie einzeln abgezweigt, vier solche an einer
gemeinsamen mit Notausschalter versehenen Abzweigleitung längs
der Ostund Nord-Peripherie der Gemeinde und die sechste an der
Leitung nach Bettlach. Von diesen Transformatorenstationen aus
gehen die Sekundärleitungen, welche den Niederspannnngsstrom den
einzelnen Abonnenten zuführen. Die Weiterführung der oberirdischen
Hochspannungsleitung nach Bettlach ist bei der Abzweigung in Grenchen
ebenfalls mit einem Notausschalter versehen. An diese Leitung ist auf
Gemeinde-II. Doppelbesteuerung. N° 110. 643

gebiet Grenchen noch eine Transformationsftation in der Ziegelei
Pauli angeschlossen, im fernern auf Gemeindegebiet Bettlach zwei
weitere Transformatorenstationen, eine für die dortige Uhrenfabrik
Und eine zweite im Dorfe selbst. Die sämtlichen Anlagen auf den beiden
Gemeindegebieten, also Hochspannungsleitnngen, Transformatorenftationen,
Sekundärleitungen inklufive Strassenbeleuchtungsanlagen, sind Eigentum
der Aktiengesellschaft Hagueck. Dabei erstreckt sich das Eigentumsrecht
der Sekundärleitungen jeweilen bis zum letzten Jsolator am Hause des
Abonnenten, währenddem alle Einrichtungen hinter diesem Jsolator im
Innern der Häuser Eigentum der Abonnenten find. II

Laut Aussage der Betriebsleitung der Aktiengesellschaft Hagneck in
Biel hat dieselbe einen in ihrem Dienste vollbesoldeten Monteur
in Grenchen domiziliert zur technischen Überwachung der Anlagen
in Grenchen und Bettlach. Ausserdem hat die Aktiengesellschaft
Hagneck zu Aequisttionszwecken und zum Verkehr mit dem Publikum
zur Zeit einen Vertreter in Grenchen, welcher jedoch dieses Amt nur
als Nebenbeschäftigung versieht und nicht ausschliesslich und fest
von der Aktiengesellschaft Hagneck angestellt ist. Die allgemeine
Geschäftsleitung erfolgt jedoch vom Bureau der Aktiengesellschaft Hagueck
in Biel aus. Immerhin teilte mir die Betriebsleitung in Biel mit, dass
sich das Bedürfnis gezeigt habe, in Grenchen einen ständigen technischen
Beamten zu domizilieren, da der im Nebenverdienst angestellte Vertreter in
Verbindung mit dem Monteur auf die Dauer nicht mehr genüge. Die Frage muss
daher dahin beantwortet werden, dass die allgemeine Geschäftsleitung wohl
vom Zentralsitz ans erfolgen farm, dass aber die eigentliche Bedienung
und Beaufsichtigung der Anlagen in Grenchen und Bettlach, besonders
mit Rücksicht auf den Umfang und die Wichtigkeit der Anlage Grenchen,
durch Personal besorgt werden muss, das in Grenchen, d. h. also im Kanton
Solothurn domi: ziliert ist.

III

Zur Beantwortung der Frage 3 sind die Vertragsverhältnisses zwischen den
Gemeinden Grenchen und Bettlach einerseits und der Aktiengesellschaft
Hagneck anderseits zu untersuchen. Die Ge-

644 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

meinde Grenchen hat unter dem 21. November 1900 einen Vertrag mit
Hagneck abgeschlossen, in welchem in Art. 8 ein Rückkaufsrecht der
Gemeinde vorgesehen ist Die Gemeinde Bettlach jedoch hat keinerlei
Vertrag mit Hagneck abgeschlossen, es besitzt diese Gesellschaft
lediglich eine stillschweigende Zustimmung der Gemeinde Bettlach
zur Abgabe und Verteilung von Strom in der Gemeinde, auf Grund der
allgemeinen Reglemente der Aktiengesellschaft Hagneck über Abgabe von
elekrischer Energie. Eine Abtrennung des aus dem Gebiete des Kantons
Solothurn gelegenen Teiles der Stromanlagen der Aktiengesellschaft
Hagneck ist in technischer Hinsicht eine sehr einfache Sache, indem
dies lediglich eine Abtrennung der oberirdischen Hochspannungsleitung
von der Zuführungsleitung Hagneck an der Kantonsgrenze erfordert, wobei
dann nachher die vorhandene Verteilungsanlage ohne weiteres von jeder
anderen Seite her mit Strom versorgt und betrieben werden

farm, sofern die von dieser andern Seite her zugeführte elektrische

Energie ebenfalls in Form von Drehstrom von 8000 Volts verketteter
Spannung und 40 Perioden pro Sekunde erhältlich ist, Dies trifft
jedoch nur für den Fall zu, dass Grenchen und Bettlach gemeinsam eine
Loslösung vornehmen. Wollte eine solche nur Grenchen allein vornehmen,
so müsste für die Gemeinde Bettlach eine Umgehungsleitung gebaut
werden. In organisatorisch er Beziehung wird eine Abtrennnng vom Werk
Hagneck dadurch kompliziert, dass nicht beide Gemeinden die gleichen
vertraglichen Bestimmungen für einen eventuellen Rückkan haben, d. h. dass
diese Eventualität nur für Grenchen durch einen Vertrag festgesetzt ist,
währenddem Bettlach vertragslos ist. Es käme für Bettlach eventuell
die Anwendung von Art. 46 Abs. 3 des BG betreffend die elektrischen
Schwachund Starkstromanlagen vom 24. Juni 1902 in Frage, wonach
der Aktiengesellschaft Hagneck die Stromabgabe in Bettlach jederzeit
gekündigt werden könnte, da ein Vertrag nicht besteht. Für die Gemeinde
Grenchen ist eine Loslösung durch Art. 6 des oben genannten Vertrages in
organisatorischer Hinsicht festgelegt, immerhin mit der Verpflichtung,
während 20 Jahren die elektrische Energie von der Aktiengesellschaft
Hagneck zu beziehen. Bei der Gemeinde Bettlach hätte eine Verständigung
über die Rückkaufssumme erst stattzufin-Il. Doppelbesteuerung. N° 110. 645

den. Jch halte daher dafür, es sei mit Rücksicht auf die
Vertragsverhältnisse eine Losiösung der auf Gebiet des Kantons Solothurn
gelegenen Stromverteilnngsanlagen der Aktiengesellschaft Hagneck in
organisatorischer Hinsicht zur Zeit nur auf der Basis mögEtch, dass

a) die beiden Gemeinden die Anlage gemeinsam betreiben würden;

b) der Bezug elektrischer Energie von der Aktiengesellschaft Hagneck
erfolgen würde auf Grund der Bestimmung des Art. 6 des Vertrages der
Gemeinde Grenchen mit Hagneck.

IV Laut Auszug aus den Büchern der Aktiengesellschaft Hagneck sind die
Erstellungskosten der auf Gebiet des Kantons Solothurn gelegenen, der
Aktiengesellschaft Hagneck zn Eigentum gehörenden Anlagen die folgenden:
.. 1. Hochspannungsleitung von der Gemeindegrenze Grenchen bezw.
Kantonsgrenze bis Bettlach . . . . . Fr. 12,863 2. Verteilungsanlage in
Grenchen: a) 6 Transformatorenstaiionen Fr. 51,392 20 b) Sekundärleitungen
inklusive Strassenbelenchtungsanlage 59,889 50

Fr. 111,261 70 3. Verteilungsanlage in Bettlach: a) 1
Transformatorenstation Fr. 7075 55 b) Sekundärleitungen inklusive
Stangentransformator . 3856 85

Fr. 10,931 90

Total, Fr. 135,056 60

Es ist nun im allgemeinen nicht üblich, dass derartige Anlagen im
Sinne der Frage 4 pachtweise einer Unternehmung überlassen werden. Es
ist daher auch für den Fall der Stromabgabe durch die Gemeinde Grenchen
selbst in Art. 6 des wiederholt erwähnten Vertrages nicht eine Pacht der
Verteilungsanlage, sondern ein Rückkan derselben vorgesehen. Bei einer
pachtweisen Uberlassung müssten vielleicht folgende Ansätze gerechnet
werden:

646 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

a) Eine Verzinsung von 59/O des aufgewendeten Kapitals;

b) Eine Amortisation von der Höhe, dass das ganze Kapital während der
Dauer des Siromîieferungsvertrages, also im vorliegenden Fait während
20 Jahren, amortisiert werden könnte.

Rechnet man mit einer festen Amortisationsquote von 5 (',-' von 135.000
Fr. = 6750 Fr. p. a., so ergibt sich für die 20 Jahre eine mittlere
Jahreszinseinnahme von rund 3500 Fr., d. h. der Pachtzins müsste im
Minimum für die Dauer des Vertrages aus 10,250 Fr. p. a. festgesetzt
werden.

V

Die totalen Einnahmen für Stromabgabe der Aktiengesellschaft

Hagneck betrugen pro 1903 in:

a) Grenchen. . . . . . . . . . .Fr.56,800bJBettlach . . . . . . . . . . .
5,23945

Somit total, Fr. 62,039 45 Die Selbfterzeugungskosten sind für die
Aktiengesellschaft Hagneck laut Geschäftsbericht 1903 folgende:
a) Betriebsauslagen inklusive Verzinsung und Amortisation des
Anlagekapitals. . . Fr. 367,258 b) Hier ist für künftighin ein Zuschlag
zu machen für Unterhaltung der Wasserbauten, welche Kosten bis zum
1. Januar 1904 nicht zu Lasten des Werkes gingen; zirka......... c)
Jm Fernern ist ein Betrag einzusetzen für die bestrittene Staatssteuer
an den Kanton Bern, und zur Abrundung. . Fr. 17,742 --

Fr. 400,000 Das Anschlussäquivalent der Aktiengesellschaft Hagneck
betrug am 31. Dezember 1903 = 2664 Kilo-Watt; mithin betragen die
Erzengungskosten pro angeschlossenes Kilo-Watt: 400,000 2664

Man wird daher nicht unrichtig rechnen, wenn man als Preis für die
elektrische Kraft beim Eintritt in den Kanten Solothurn

Fr. 15,000 --

1 Kilo-Watt = = rund 150 Fr.II. Doppelbesteuerung-. N° 110. 64?

165 Fr. pro 1 Kilo-Watt und Jahr annimmt, wie ein solcher für den Fall
des Rückkaufes in Art. 6 des Vertrages der Aktiengesellschaft Hagneck
mit der Gemeinde Grenchen vorgesehen ist. Es beträgtnun zur Zeit das
Anschluss-Äquivalent in a) Grenchen = 220 Kilo-Watt b) Bettlach = 23
Total = 243 Kilo-Watt. Es betragen somit: &) Die Kosten der elektrischen
Kraft: 243 Kilo-Watt)( 165 Fr. . . . . Fr. 40,095 b) Hier sind noch
hinzuzurechnen die Kosten für Verzinsung und Amortisation der Anlagen
in Greuehen und Bettlach mit 10% von 135,056 Fr. 60 (été. . . . .
13,505 66 c) Überwachung der Anlagen . . . . . 3,000 --

Somit totale Ausgaben, Fr. 56,600 66.

Der Netto-Gewinn, den die Aktiengesellschaft Hagneek aus der Stromabgabe
in Grenchen und Bettlach pro Jahr erzielt, beträgt

daher: bei Einnahmen = Fr. 62,039 45

und Ausgaben = 56,600 66

Nettogewinn Fr. 5,438 79

F. Über ihr Personal im Kanton Solothurn hat die Rekurrentin nachträglich
noch folgende Auskunft gegeben:

Wir hatten bis vor Kurzem in Grenchen einen Arbeiter, der speziell in
der Aufsicht über die Hochspannungsanlagen, Transformatorenstationen
und fekundären Leitungen instruiert war. Dieser Mann war nebenbei
bei Erweiterungen der Anlagen und Hausinftallationen tätig, doch
erhielt er immer von Fall zu Fall die nötigen Befehle schriftlich oder
mündlich von unserem speziellen Betriebsiechniker in Biel. Neben diesem
Arbeiter besorgte uns Herr Flury, Weibel in Grenchen, adminiftrative
Angelegenheiten wie das Jnkasso der Lichtabonnemente, Mitteilungen
der Abounenten über Änderungen in den Jnstallationen, Mitteilungen in
Störungssällen n. f. w. Jufolge verschiedener Vorkommnisse sind

648 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

wir nun letzter Zeit dazu gekommen, zur Vervollständigung unserer
Organisation einen ständigen tüchtigen Monteur in Grenchen zu plazieren,
um raschmöglichste Abhilfe bei Betriebsstörungen irgendwelcher
Art, prompte Bedienung der Abonnenten bei Änderungen der Anlagen,
Entgegennahme von Ansragen jeder Art u. s. w. zu erreichen. Erweiterungen
der eigentlichen Verteilungsanlagen, Verlegungen von Leitungen, Erwerbnng
der· Durchleituugsrechte für unsere Leituugen, Abschluss und Kontrolle
der Abonnemente, werden indessen nach wie vor von unserem Bureau in
Biel aus untersucht und besorgt, eine Abtrennung dieser Funktionen und
Äherweisung derselben an einen Vertreter in Grenchen selbst erscheint
uns vollständig ausgeschlossen." Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

_ 1. Die Heranziehung der Leitungen, Transformatorenstationen und
sonstigen Installationen der Rekurrentin im Kanton Solothurn zur
Vermögenssteuer beruht, wenn zunächst von der Frage eines dortigen
Steuerdomizils der Rekurrentin abgesehen wird, auf der Auffassung,
dass die Anlagen Jmmobilieucharakter haben. Diese Auffassung kann aber
weder als gegen das Verbot der Doppelbesteuerung verstossend, noch als
Verletzung von Art. 4

BB oder des Grundsatzes der Gewaltentrennung (Art. 4 KV)

angefochten werden Bekanntlich ist nach Bundesrecht unbewegliches Gut
in dem Kanton zu versteuern, wo es liegt; auch entspricht es durchaus
anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wenn solchen mit Grund und
Boden oder mit Gebäuden fest und dauernd verbundenen Einrichtungen, wie
es die fraglichen Anlagen unbestrittenermassen sind, Jmmobiliarqualität
beigemessen wird (siehe auch Ath Samuel Bd. XXIX, 1. Teil, S. 285 f.,
Erw. 3). Anderseits leuchtet ein, dass die Vollziehungsverordnung zum
solothurnischen Steuergesetz, indem sie unter den in § 2 litt. c des
Steuergesetzes genannten Liegenschasten Immobilien im allgemeinen und
speziell auch Zubehörden und Bestandteile von Grundstücken versteht,
über die Schranken einer zulässigen Gesetzesauslegung keineswegs
hinausgegangen ist, weshalb von einem Eingriff in das Gebiet der
gesetzgebenden Gewalt keine Rede sein kann. Der Regierungsrat konnte
sodann sicherlich, ohne sich einer Willkin schuldig zu machen, auch nach
kantonalemH. Doppelhesteuerung. N° 110. 649

Recht in den Anlagen der Rekurrentin Bestandteile von Grundstücken
erblicken das soloth. CG (Art. 346) enthält in dieser Hinsicht
keine von allgemeinen Rechtsanschauungen abweichende Bestimmungen
und die Rekurrentin für die Anlagen, obgleich sie nicht Eigentümerin
der betreffenden Grundstücke ist, mit Vermögenssteuer belegen; denn
es ist nicht ersichtlich, wieso der letztere Umstand den Anlagen den
Jmuiobiliarcharakter nehmen oder sie steuerfrei machen sollte. Aber selbst
wenn und soweit jene Einrichtungen als bewegliche Sachen zu betrachten
wären, müsste das Steuerrecht von Solothurn anerkannt werden, weil die
Rekurrentin in Bezug auf den Geschäftsbetrieb, zu dem sie gehören, wie
aus den nachfolgenden Erwägungen sich ergeben wird, ein Steuerdomizil im
Kanton Solothurn hat. Endlich erscheint die Beschwerde wegen ungleicher
Behandlung, weil andere Elektrizitätswerke in ähnlicher Lage für ihre
Einrichtungen im Kanton Solothurn nicht zur Vermögenssteuer herangezogen
wtirden, nach der Auskunft, die der Regierungsrat von Solothurn in
diesem Punkte gegeben hat und an deren Richtigkeit zu zweifeln kein
Anlass besteht, als hinfällig. -2. Nach der bundesgerichtlichen Praxis
(siehe Amtl. Samml., Bd. XXIII, S. 500 ff.; Bd. XXIV, 1. Teil, S. 4.4.9
ff.; Bd. XXVII, i. Teil, S. 434, Erw. 3; Bd. XXIX, 1. Teil, S. 11,
Erw. 1) begründet eine unter selbständiger Leitung stehende dauernde
Anlage, in der ein wesentlicher Teil der produktiven Tätigkeit eines
gewerblichen oder industriellen Unternehmens vor sich geht und die
ohne wesentliche Änderung gänzlich vorn Hauptgeschäft losgelöst und
auch mit rechtlicher Selbständigkeit ausgestattet werden könnte, ein
besonderes Steuerdomizil für den daraus erzielten Erwerb (und die zur
Anlage gehörigen Mobilien). Die Berechtigung des Kantons Solothurn,
den Erwerb, den die Rekurrentin aus ihren Anlagen daselbst zieht,
mit der Einkommensteuer zu belegen, hängt daher von der Frage ab,
ob diese Anlagen und deren Betrieb den erwähnten Ersordernissen eines
selbständigen Etablissements im steuerrechtlichen Sinne entsprechen. Was
zunächst die Natur und die Funktion der hier in Frage stehenden Anlagen
deren dauernder Charakter ausser Zweifel steht anbetrifst, so ergibt
sich aus den Akten und speziell dem sub

650 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

Fakt. E wiedergegebenen technischen Gutachten, dass die Rekurrentin
elektrische Energie hoher Spannung, die sie in ihrer Zentrale Hagneck
erzeugt, vermittelst einer Primärleitung in den Kante-n Solothurn
einführt Im Anschluss an diese Hochspannungsleitung sind in Grenchen
und Bettlach im ganzen acht Transformatorenstationen aufgestellt, in
denen der hochgespannte Strom niederer Jntensität in solchen niederer
Spannung und hoher Intensität verwandelt, die elektrische Energie also
in denjenigen Zustand versetzt wird, in welchem sie sich zur praktischen
Verwertung als Licht-

und Kraftquelle eignet. Von den Transformatorenstationen gehen

dann die Sekundärleitungen aus, die den Niederspannungsstrom den
einzelnen Licht: und Kraftabounenten zuführen. Aus diesen Angaben folgt
nun schon, dass die von der Rekurrentin ins Feld geführte Analogie eines
Kaufmanns, der seine Waren auswärts in einen andern Kanton versendet,
nicht zutrifft. Ein Unterschied von wesentlicher Bedeutung kann freilich
nicht darin gefunden werden dass der Kaufmann sich zum Transport der
Post oder Eisenbahn bedient, während die elektrische Energie vermöge
ihrer besondern Natur durch feste Leitungen übertragen wird, und
jener Vergleich würde dann stichhalten, wenn die Rekurrentin lediglich
die elektrische Energie in dem Zustand, in welchem sie die Kantons:
grenze überschreitet, innerhalb des Kantons veräussern würde. Von einem
Steuerdomizil im angegebenen bundesrechtlichen Sinn könnte hier -abgesehen
von der Besteuerung der Leitungsanlagen als Immobilien trotz der festen
Einrichtungen keine Rede sein, weil die letztern ausschliesslich dem
Transporte der zum Absatz reifen Ware dienen und eine selbständige
Produktionsoder Absatztätigfeit auf dem Gebiete des Kantons, auf
dem sich die Leitungen befinden, nicht ausgeübt würde. Vorliegend
sind jedoch die Verhältnisse ganz anders. Das in den Kanton Solothurn
eingeführte Rohprodukt, die elektrische Energie hoher Spannung, die zur
technischen Verwertung in dieser Form noch nicht fähig ist, wird in den
Transformationsstationen mittelst der dortigen tnaschinellen Vorrichtungen
gebrauchsfähig gemacht, um sodann an die Abnehmer abgegeben zu werden. Es
spielt sich also ein nicht unwesentlicher Teil des Fabrikationsprozesses
in der ständigen Anlage aus Solothurnergebiet ab; die Ware wird dort
erst in den zur Detailver-H. Doppelbesteuerung. N° 110. ' 651

wendung geeigneten Zustand gestellt; und es drängt sich daher
der Vergleich mit einem Unternehmer auf, der ein von ihm auswärts
hergestelltes, noch nicht marktfähiges Fabrikat in den Kanton einführt, um
es in dortigen ständigen Einrichtungen vollends in Marktware zu veredeln.

Es wäre nnn theoretisch wenigstens denkbar, dass ein Betrieb, wie
derjenige der Rekurrentin im Kanten Solothurn, bei dem ja die Umwandlung
und Verteilung des Stromes auf mechanischem Wege durch selbsttätige
Apparate und Anlagen erfolgt, ohne ständiges Personal an Ort und Stelle
vor sich geht, indem die notwendige technische Kontrolle, der Verkehr
mit den Abnehmern und die gesamte Absatztätigkeit vom Zentralsitz aus
besorgt werden, und insofern würde sich der Betrieb doch immerhin von
demjenigen des zuletztgenannten Unternehmers unterscheiden, der, auch
bei weitgehenden maschinellen Einrichtungen, doch für die Vollendung des
Produktionsprozesses und namentlich für den Absatz ständiger menschlicher
Tätigkeit im zweiten Kanton nicht entrateu kann. In diesem Falle müsste
es auch sehr fraglich sein, ob das weitere Requisit eines besondern
Steuerdomizils, die selbständige Leitung des Geschäftsbetriebes,
als durch die automatische Funktion der Anlage, mit Rücksicht auf
ihre der menschlichen Tätigkeit wirtschaftlich gleichartige Wirkung
erfüllt zu erachten wäre (vergl. hierüber A. S., XXIX, 1. T., S. 12,
E. 3). Bei der Rekurrentin ist nun aber ein ständiges Personal im
Kanton Solothurn vorhanden, das, wie dem technischen Gutachten und
den nachträglichen Angaben der Rekurrentin selber (sub Fakt. F) zu
entnehmen ist, früher aus einem Arbeiter zur Besorgung von Arbeiten
unter Aufsicht und Leitung des Personals des Hauptsitzes und aus einem
Vertreter für den Verkehr mit den Abonnenten und zu Acquifitionszwecken
(für den aber diese Tätigkeit nur eine Nebenbeschäftigung war) bestand,
während jetzt für alle diese Funktionen ein ständiger technischer Beamter
in Grenchen stationiert ist, welche Vervollständigung der Organisation-(
sich als notwendig erwiesen hat. Dass wirklich, wie im Gutachten gesagt
ist, nur die allgemeine Geschäftsleitung vom Zentralfitze aus erfolgt,
ergiebt sich mit Deutlichkeit aus der Aufzählung der Geschäfte Erweiternng
der eigentlichen Verteilungsaulagen, Verlegung von Zeitungen, Erwer-

652 A. a'taatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

bung des Durchleitungsrechtes für solche-, Abschluss und Kontrolle
der Abonnemente -, die nach der Rekurrentin dem Hauptbureau in Viel
vorbehalten sind. Die technische Leitung der bestehenden Anlage
erfolgt also durch das Personal in Grenchen und nur Erweiterungen und
Veränderungen gehen von Viel cms. Desgleichen wird die eigentliche
Absatztätigkeit, soweit sie nicht schon mechanisch geschieht, in
Grenchen besorgt, indem der dortigen Vertretung der Verkehr mit den
Abnehmern, der Jnkasso der Abonnementsgelder und auch die Arquisition
neuer Kunden obliegt, wobei dann nur der eigentliche Vertragsabschluss
der Zentralverwaltung vorbehalten ist. Es kann danach kein Zweifel sein,
dass die Anlage der Rekurrentin im Kanton Solothurn unter selbständiger
vom Zentralsitz in erheblichem Umfang unabhängiger Leitung daselbst
steht. Und diese Organisation ist auch nicht etwa eine bloss zufällige,
so dass eine selbständige Leitung ebenso gut fehlen könnte, sondern
sie hat sich, wie die Rekurrentin zugibt, offenbar mit Rücksicht auf
Art und Grösse der Anlage und deren Entfernung vom Zentralbureau
als notwendig herausgestelltz sie beruht also auf der Natur der
Verhältnisse und den Bedürfnissen des Geschäftsbetriebs. Endlich kann
es für die Frage, ob dieser Betrieb unter selbständiger Leitung im
Sinne der bundesgerichtlichen Praxis stehe, auch nichts verschlagen,
dass das Personal der Reknrrentin in Grenchen, vermöge der selbsttätigen
mechanischen Einrichtungen, sich auf einen einzigen Beamten beschränkt,
denn einmal ist die fortschreitende Ersetzung der menschlichen
Arbeit durch Maschinen eine Erscheinung, die auch in vielen andern
Industriezweigen zu Tage tritt, und sodann sind für die Würdigung der
fraglichen Tätigkeit hinsichtlich ihrer Selbständigkeit nicht sowohl der
absolute Umfang als die Qualität der Verrichtungen und das Verhältnis
zur Centralverwaltung entscheidend.

Eine Abtreunung der Stromanlagen auf Solothurner Gebiet von der Zentrale
in Hagneck ist nach dem Gutachten in technischer Hinsicht ohne jede
wesentliche Aenderung möglich: es braucht nur die Hochspannnngsleitung
an der Kantonsgrenze abgeschnitten und die vorhandene Verteilungsanlage
von anderer Seite her mit elektrischer Energie gleicher Form (Drehstrom
von 8000 Volt verketteter Spannung und 40 Perioden pro Sekunde) versorgt
zulI. Doppelbesteuerung. N° 110. 653

werden. Dass eine Umgehungsleitung für die Gemeinde Bettlach gebaut
werden müsste, falls die Anlage in Grenchen allein technisch losgelöst
werden sollte worin allenfalls eine wesentliche Amderung der ständigen
Einrichtungen zu erblicken wäre kann für die Frage des Steuerdomizils
nicht ins Gewicht fallen, weil die Anlagen in den beiden benachbarten
Dörfern ihrem ganzen Charakter nach technisch offenbar eine Einheit
bilden und auch in Bezug auf die Steuerpflicht der Rekurrentin dem
Kanton Solothurn gegenüber zweifellos als einheitliches Objekt zu
behandeln sind. Ebenso wenig würden der Abtrennung in organisatorischer
Hinsicht Schwierigkeiten entgegenstehen, sei es dass die Anlage mit einer
andern Unternehmung als Hauptgeschäft verbunden, sei es dass sie als
unabhängiges Geschäft betrieben, also auch mit rechtlicher Selbständigkeit
ausgestattet würde. In beiden Fällen könnte wohl die technische und
kommerzielle Leitung wie bisher durch einen Beamten besorgt werden, nur
dass natürlich bei der zweiten Annahme die Oberleitung vom Zentralsitz
aus dahinfallen würde. Es mag denn auch hervorgehoben werden, dass
eine Lostrennung im letztern Sinne (wie aus dem Gutachten ersichtlich)
im Vertrag zwischen der Rekurrentin und der Gemeinde Grenchen betreffend
Lieferung von elektrischer Energie vorgesehen ist, indem der Gemeinde das
Recht eingeräumt ist, das auf ihrem Gebiet befindliche Verteilungsnetz
nach bestimmter Zeit zurückzukaufen, um sodann den elektrischen Strom zu
einem Einheitspreis (165 Fr. per Jahr und Kilowattanschlnssäqnivalent)
von der Rekurrentin zu beziehen und die Stromabgabe selbst zu besorgen.

3. Sind hienach die Erfordernisse eines Spezialdomizils steuerrechtlicher
Natur der Rekurrentin im Kanton Solothurn gegeben und ist somit das
Recht des letztern zur Einkommensteuer grundsätzlich anzuerkennen, so
ist doch anderseits klar, dass Solothurn nur denjenigen Geschäftsgewinn
der Rekurrentin zur Steuer heranziehen farm, der aus ihrer Anlage aus
dem Gebiet dieses Kantons resultiert. Es muss daher bei Ausübung des
Steuerrechts zur Vermeidung von bundesrechtswidriger Doppelbesteuerung
darauf Rücksicht genommen werden, dass die Rekurrentin auch dem Kanten
Bern gegenüber einkommensteuerpflichtig ist und zwar für den Gewinn aus
dem auf Berner Gebiet sich abspielenden Geschäftsbetrieb, zu

654 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

welch letzter-in auch die Erzeugung des nach Solothurn gelieferten
Rohstroms und die kaufmännische und technische Oberleitung über
die solothurnischen Anlagen gehören. Eine Ausscheidung ist, wie im
technischen Gutachten gezeigt wird, in der Weise möglich, dass die
Selbsterzeugungskosten des Stroms beim Eintritt in den Kanton Solothurn
berechnet und hier ein angemessener Zuschlag als Gewinn gemacht wird. Der
Experte gelangt so zu einem Preise von 165 Fr. per ein Kilowatt und
Jahr (gleich dem im Vertrag mit der Gemeinde Grenchen für den Fall
des Rückkaufs vereinbarten Einheitspreis) und berechnet danach unter
Berücksichtigung der Verzinsung, Amortisation und Bewachung der Anlage
in Grenchen und Bettlach den Nettogewinn, den die Rekurrentin aus der
Stromabgabe im Kanton Solothurn zieht, auf rund 5440 Fr. Vergleicht
man diesen Betrag mit der auf 20,000 Frsich belauden Schätzung des
Regierungsrates von Solothurn, so liegt die Vermutung nahe, dass
hier dem Kanten Solothurn fremde Erwerbsfaktoren mitbesteuert werden
sollen. In der Tat deutet auch die Formulierung des steuerpflichtigen
Reingewinns im angefochtenen Entscheid als der Differenz zwischen der
Gesamteinnahme für Stromabgabe in Solothurn und der Gesamtausgabe für
die Erzeugung der abgegebenen Energie, für Verzinsung und Amortisation
des Anlagekapitals u. s. w. darauf hin, dass Solothurn auch einen
Geschäftsgewinn, der auf die Erzeugung des gelieferten Rohstroms in
der Zentrale entfällt und der ausschliesslich den Kanton Bern angeht,
mit Steuern belegen will, und insofern dies der Fall ist, würde man es
mit einer unzulässigen Doppelbesteuerung zu tun haben. Unter Hinweis auf
die vom Bundesgericht im Falle Sarasin Stähelin & Eie. (A. S., XXIII,
S. 506, Erw. 2) entwickelten Grundsätze, nach welchen in solchen Fällen
die Ausscheidung der kollidierenden Steuerhoheiten zu erfolgen hat, muss
daher der angefochtene Entscheid, soweit die Einkommensteuer betreffend,
aufgehoben und die Sache an den Regierungsrat von Solothurn zurückgewiesen
werden, damit er das steuerpflichtige Einkommen der Rekurrentin auf der
angegebenen verfassungsmässigen Grundlage neu festsetze, unter genauer
Bezeichnung der für seine Berechnung massgebenden Faktoren, namentlich
des Preisansatzes für den Strom, wie er in den Kanton Solothurn eingeführt
wird.III. Gerichtsstand des Wohnortes. N° 111.' 655

Schliesslich mag noch der Behauptung der Fliekurrentinv gegenüber, dass
sie infolge zu hoher Besteuerung durch den Kanton Bern uberhaupt kein
Einkommen habe, bemerkt werden, dass die blosse Taration des in Solothurn
steuerpflichtigen Einkommens, die natürlich unabhangig von der Taxation
des in Bern zu versteuernden Erwerbs erfolgen kann, mit der Frage der
Doppelbesteuerung nichts zu tun hat und auch durch das Bundesgericht als
Staatsgerichtshof nicht aus ihre Richtigkeit nachgeprüft werden könnte.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird, soweit er sich auf die Vermögenssteuer bezieht,
abgewiesen. Soweit er sich auf die Einkommensteuer bezieht, wird der
Rekurs als teilweise begründet erklärt. Demgemäss wird der Entscheid
des Regierungsrat-Z des Kantons Solothurn Vom 3 März 1903 soweit die
Einkommensteuer betreffend aufgehoben und die Sache zu neuer Behandlung
im Sinne der Motive an ss den Regierungsrat zurückgewiesen '

Vergl. Nr. 105.

III. Gerichtsstand des Wohnortes. For du domicile.

111. Urteil vom 20. Oktober 1904 in Sachen Güntert gegen Wahli
(Gewerbegericht Bern).

Wohnsitz: selbständige Zweigniederlassung-?

A. Der Rekurrent betrieb in Zürich unter der Firma F. W. Güntert ein
seit 1. Juni 1904 auf eine Aktiengesellschaft übergegangenes Kolonialund
Spezereiwarengeschäft mit auswärtigen Ablagen, deren eine sich in Bern
(Metzgergasse 24) befindet. Für diese Berner Ablage hatte er am 2. Mai
1903 die Rekursbeklagte

xxx, 1. 1904 43