174 A. Staatsrechtlicbe Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

nicht finden. Somit aber sieht die Behauptung am Schluss des
gemeinderätlichen Berichtes, es sei von früher her bewiesen, dass der
Rekurrent mit dem ihm zur Verfügung stehenden Geld nicht hanshälterisch
umzugehen wisse, durchaus unbelegt da und vermag so den streitigen
Entmündigungsgrund nicht zu substanziieren In der Rekursantwort allerdings
berqu sich der Regierungsrat auf den an sich gewiss erheblichen Umstand,
dass sich der Rekurrent von feinem Bruder und Vormund ohne Widerspruch
ökonomisch übervorteilen lasse, allein hieran kann das Bundesgericht aus
prozessualischen Gründen keine Rücksicht nehmen; zudem fehlt auch dieser
Angabe die nötige tatsächliche Bestimmtheit, insbesondere hinsichtlich
der Arbeitsfähigkeit und Leistung des Reknrrenten einerseits, der Grösse
des Vermögens-, dessen Ertrag der Vormund lukrieren soll, anderseits

Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid und damit die
Bevormundung des Rekurrenten wegen nngenügender tatsächlicher Begründung
bundesrechtlich nicht haltbar. Mit der Aufhebung der bestehenden
Vormundschaft aber wird selbstverständlich die Pflicht des bisherigen
Vormundes zur Rechnungslegung in keiner Weise berührt. Auch bleibt es
natürlich den Vormundschaftsbehörden unbenommen, ein neues Verfahren
gegen den Reinerenten einzuleiten und eventuell, auf Grund der genauer
ermittelten tatsächlichen Verhältnisse, neuerdings dessen Bevogtigung
auszusprechen

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und damit in Aufhebung des Beschlusses des
Regierungsrates von Uri de dato 24. Januar 1903 die Eutvogtigung des
Rekurrenten ausgesprochenII. Sehuldhetreibung und Konkurs. N° 40. 175

II. Schuldbetreibung und Konkurs.

Poursuites pour dettes et faillite.

40. Urteil vom 14. Mai 1903 in Sachen Cardoner gegen Cardoner.

Zulà'ssigkeit der (kantonalen) Einführemg der Appellation gegen
Rechtsòffnungs-Enîscheide. Unzulcîss'igkvit des Suspensive/fekts.
81525!qu des Bwndesgerésshts als Siaaisgerichtsäof. Arzt. 25 Ziff. 2;
Art. 84 Seth.u. B".-Ges.

A. Durch Entscheid vom 12. Januar 1903 hatte der Gerichts_ präsident II
in Bern der Rekursbeklagten, Frau Elise Carboner-

Wyss, in einer gegen ihren Ehemann, den Nekurrenten José Cardoner,
angehobenen Betreibung auf Sicherstellung einer Frauengutsforderung im
Betrage von 98,323 Fr. 25 Cts definitive Rechtsöffnung erteilt. Gegen
diesen Entscheid erklärte der Rekurrent rechtzeitig die Appellation an
den kantonalen Appellations: und Kasfationshof, gemäss dem bernischen
Einführung-sgesetz zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs,
welches jenes Rechtsinittel für Rechtsöffnungssachen mit einem Streitwert
von über 400 Fr. vorsieht, und des Nähern normiert (vergl. §§ 36
Ziffer 3, 37, 39 41 leg. cit.). Die I. Abteilung des Appellationsund
Kassationshoses aber erkannte am 28. Januar 1903, unter Berufung auf
einen Pienarentscheid des Gerichts i. Sachen Lack, Aeschiimann und Josi
gegen Aebi vom 15. November 1902, auf die Appellation des Reknrrenten
werde von Amtes wegen nicht eingetreten. Das angerufene Präjudiz ist
im wesentlichen wie folgt motiviert: Das Bundesgericht als oberste
Aufsichtsbehörde in Belreibungsund Konkurssachen habe sich in seinen
Entscheidungen i. S. Lehmann vom 1. Mai 1897 (Amd. Samml., Bd. XXIII,
1, Nr. 130) und neuerdings i. S. Brändlin vom 30. September 1902 dahin
ausgesprochen, dass der Ergreifnng eines durch die kantonale Gesetzgebung
im Rechtsöffnungsverfahren eingeführten Rechtsmittels auch wenn solche

176 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

Rechtsmittel als zulässig betrachtet werden nach Bundesrecht unmöglich
suspensive Wirkung zukommen könne. Nun habe aber das vom bernischen
Gesetzgeber in jenem Verfahren zugelassene Rechtsmtttel der Appellation
zweifellos Suspensiveffekt, da für dasselbe gemäss § 39 letzter Absatz
des E.-G. zum B.-G. über Schuldbetreibung und Konkurs die Bestimmungen
des kantonalen Civilprozesses gelten und das bernische Recht eine anders
geartete Appellation nicht kenne. Somit erscheine dieses Rechtstnittel
nach der Auslegung des eidg. Betreibungsgesetzes durch das Bundesgericht
als bundesrechtswidrig und könne folglich nicht in Kraft bestehen. Es
wäre übrigens auch schon deshalb abzulehnen, weil die vom Bundesgericht
bisher offen gelassene Frage, ob überhaupt den Kantonen bundesrechtlich
gestattet sei, eine Weiterziehung von Rechtsöffnungsentscheiden
einzuführen, verneint werden müsste. Dies ergebe sich abgesehen von
der Entstehungsgeschichte der bundesrechtlichen Vorschriften über
die Rechtsösfnung und vom Charakter des Rechtsbffnungsentscheides als
einer der Urteilsnatur entkleideten, bloss das Betreibungsverfahren
betreffenden richterlichen Verfügung, worüber auf den cit. Entscheid des
Bundesgerichts i. S. Lehmann verwiesen werde aus folgenden Erwägungen :
Die Rechtsöffnung gehöre zu den Instituten, für welche die Kantone gemäss
Art. 25 Ziff. 2 des Bandes-gesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs ein
summarisches Prozessverfahren aufzustellen haben. Da nun das Bundesgesetz
in den beiden Fällen des Konkurserkenntnisses (Art. 174) und der Frage der
Bewilligung des Rechtsvorschlages bei der Wechselbetreibung (Art. 185),
deren Entscheidung ebenfalls innert kurzer Frist zu erfolgen habe, eine
Berufung ausdrücklich vorsehe, so spreche dies einigermassen für die
Ansschliessung derselben im Rechtsöffnungsverfahren. Danach dürfe ferner
der Rechtsöfsnungsrichter einem allfällig durch die kantonale Gesetzgebung
eingeführten Rechtsmittel nicht gestützt auf Art. 36 des Bundesgesetzes
aufschiebende Wirkung erteilen, sondern müsste die Kompetenz hier
aus dem kantonalen Rechte schöpfen, welches jedoch ohne ausdrückliche
Ermächtigung des Bundesgesetzgebers eine dahingehende Vorschrift nicht
erlassen könne. Wenn aber das Bundesgesetz in Rechtsöffnungssachen einen
Justanzenzug ohne Suspensivesfekt hätte gestatten wollen,

ll. Schuldbetreibnng und Konkurs. N° 40. 177

so hätte es in Art. 85 auch den Fall erwähnen müssen, dass der Schuldner
einen oberinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheid vorlege, der in Abänderung
desjenigen der ersten Instanz das Rechtsöffnungsbegehren ablehne;
ausserdem hätte das in Art. 83 ibidem borgesehene Provisorium auf die
Zeit zwischen dem erstund oberinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheid
ausgedehnt und der Beginn der Frist zur Erhebung der Aberkennungsklage
auf den Zeitpunkt der Rechtsöffnungserteiluug durch die obere Jnstanz
hinausgeschoben werden müssen; überhaupt hätte den UnzukömmIichkeiten,
welche ein derartiger Instanzenng mit seiner Möglichkeit der Aufhebung
bereits vollzogener Entscheidungen der ersten Instanz biete, in irgend
einer Weise gesteuert werden müssen.

B. Gegen den vorstehenden Entscheid des Appellationsund
Kassationshofes ergriff José Cardoner rechtzeitig und sormrichtig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht mit dem Antrag, derselbe
sei als verfassungswidrig aufzuheben und die rekursbeklagte Behörde zu
materieller Behandlung der Streitsache zu verhalten. Die Rekursschrift
führt im wesentlichen aus: Da das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs mit Bezug auf das Rechtsösfnungsverfahren lediglich vorschreibe,
dass die Aus-fällung des Entscheides nach kontradiktorischer Verhandlung
und innert fünf Tagen erfolgen müsse (Art. 84 leg. cit.), so ergehe sich
aus dem in Art. 25 Biff. 2 ibidem enthaltenen Austrag an die Kantone,
jenes Verfahren zu regeln, ohne weiteres deren Kompetenz zur Einführung
eines Jnstanzenzuges in Rechtsöffnungsfachen, sofern und soweit dieser
nicht mit den Zwecken und dem Wesen der Rechtsöffnung im Widerspruch
stehe. Nun sei der Zweck dieses Institutes, wie der Bundesrat in feiner
Botschaft vom 7. Dezember 1888 zutreffend bemerke, den Gläubiger einer
liquiden Forderung gegen trölerischen Rechtsvorschlag zu schützen und ihm
zu ermöglichen, sich selbst gegen den Willen des Schuldners rechtzeitig
einer bestehenden Pfändung anzuschliessen Dieser Zweck aber könnte
sogar bei einem Jnstanzenzug mit Suspensivwirkung erreicht werden
(zu vergl. Reichel, in Zeitschrift des beruischen Juristenvereins,
1891, Bd. XXVII, S. 28), um so mehr also, wenn einem kantonalrechtlich
vorgesehenen Rechtsmittel kein Suspenfiveffekt beigelegt merde. Somit
stehe die

178 A. Staatsrechiliche Entseheidungen. (I. Abschnitt. Bundesgesetze.

streitige Appellation grundsätzlich, bei richtiger Handhabung der
Bestimmungen des Einführungsgesetzes (vgl. Art. 40 ibidem) dem genannten
Prozesszweck keineswegs entgegen; nur die Praxis habe sich missbräuchlich,
und im Widerspruch mit dem Gesetz selbst, in einer den Anforderungen des
summarischen Verfahrens nicht entsprechenden Weise entwickelt Dass dieses
Rechtstnittel auch dem Wesen der Rechtsöfsnung nicht widerspreche, ergebe
sich ohne weiteres aus den Art. 174 und 18-5 des Bundesgesetzes, die für
zwei unbestrittenermassen summarisch zu erledigende Streitsachen einen
Jnstanzenzug ausdrücklich vorschreiben. Demnach könne die Appellation
im Rechtsöffnungsdersahren nicht als bundesrechtswidrig bezeichnet
werden, wie übrigens auch der Bundesrat annehme, da er acht kantonalen
Einführungsgefetzen zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs,
welche jenes Rechtsmittel vorsehen, anstandslos die Genehmigung erteilt
habe. Schon die bisherige Erörterung beweise die Unrichtigkeit der vom
Appellationsund Kassationshof vertretenen Rechtsauffasfungz immerhin
sei, gegenüber den Motiven des angefochtenen Entscheides im einzelnen
noch zu bemerken: Gemäss der Praxis der Betretbungsund Konkurskammer
des Bundesgerichts, wonach Rechtsmittel mit Suspensivefsekt im
Rechtsössnungsverfahren mindesrechtlich ausgeschlossen seien,
erscheine die bernische Appellation, welche jenen Effekt habe, nicht,
wie der Appellationshos annehme, schlechthin als bundesrechtswidrig,
sondern nur soweit sie dem Bundesgesetz widerspreche, d. h. nur
mit Bezug auf den Suspensivesfekt, so dass lediglich dieser
nicht in Kraft bestehe. Die Berufung des Appellationshofes aus die
Ausführungen des bundesgerichtlichen Entscheides in Sachen Lehmann über
Entstehungsgeschichte und Charakter der bundesgesetzlichen Rechtsösfnung
gehe fehl, da dort nicht die Frage, ob es den Kantonen Überhaupt
freistehe, einen Jnstanzenzug für Rechtsösfnungssachen einzuführen oder
nicht, entschieden, sondern lediglich ausgesprochen worden sei, dass ein
kantonalrechtlich vorgesehenes Rechtsmittel nicht Suspensivefsekt haben
könne. Übrigens widerlege gerade die Entwicklungsgeschichte des streitigen
Rechtsinstitutes die Auffassung des Appellhofes, indem der Urtypus des
summarischen Prozessverfahrens, der italienische Erekutivprozess, nach
der herrschenden Lehre eine Appella-ll. Schuldbetreihung und Konkurs. N°
40. 179

tion zugelassen, aber ihr den Suspensiveffekt abgesprochcn habe. Aus dem
Umstand, dass der Bundesgesetzgeber selbst in zwei sumtnarischen, der
Eltechtsöffnung analogen Verfahren die Berufung vorgesehen habe, dürfe
keineswegs gesolgert werden, er habe dieselbe bei der Rechtsösfnung
ausschliessen wollen, vielmehr ergebe sich daraus nur, dass die
grundsätzliche Kompetenz der Kantone zur Regelung des sunnuarischen
Prozessversahrens (Art. 25 Biff. 2 leg. cit.) hier auch die Frage des
Jnstanzenzuges umfasse. Wenn endlich auf Unzukömmlichkeiten verwiesen
werde, die ein Rechtsmittel ohne Suspensivesfekt angeblich im Gefolge
habe, so könnte dieses Argument jedenfalls nur dafür sprechen, ein solches
Rechtsmitteî als unzweckmässig durch die Gesetzgebung ausser Kraft
zu setzen, nicht aber dasselbe richterlich als ungültig zu erklären.
Allein jene Unzukömmlichteiten würden bei richtiger Handhabung des
Gesetzes gar nicht bestehen, eventuell könnte der Rechtsöfsnungsrichter
zu ihrer Vermeidung im einzelnen Falle gemäss Art. 36 des Bundesgesetzes
den Suspensivesfekt eintreten lassen, da dieser Artikel nicht nur die
im Bundesgesetz selbst erwähnten Rechtsvorkehren betreffe, sondern von
allgemeiner Tragweite fei.

Nach dem Gesagten erscheine die im bernischen Einsührungsgesetz
vorgesehene Appellation nur insoweit als bundesrechtswidrig, als ihr
von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung beigelegt werde, im übrigen
aber bestehe sie zu Recht. Daher sei der Appellationsund Kassationshof
gehalten, aus die vorliegende Appellation materieil einzutreten. Seine
Weigerung, dies zu tun, qualifiziere sich demnach als bewusste
Nichtanwendung eines geltenden Gesetzes , somit als Rechtsverweigerung
im Sinne des Art. 4 B.-V.

C. Der Appellationsund Kassationshof des Kantons Bern verweist als
Rekursantwort auf seine Vernehmlassung an das Bundesgericht i. S. des
Rekurses Lack, Aeschlimann und Iost gegen Aebi. Dort hatte er mit dem
Antrag auf Rekursabweisung, soweit hier wesentlich, geltend gemacht: Nach
den eitierten Entscheidungen der Schuldbetreibungs und Konkurskammer
des Bundesgerichts, welche den Suspensivesfekt der im bernischen
Einführungsgesetz vorgesehenen Appellation als bundesrechtswidrig
erklären, trotzdem jenes Gesetz und damit das streitige Rechts-

188 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.

mittel mit feiner suspensiven Wirkung durch den Bundesrat genehmigt
worden sei, können die kantonalen Gerichte nicht mehr einfach auf
diese bundesrätliche Genehmigung abstellen, sondern seien genötigt,
gegebenenfalls jede der in Rede stehenden kaut-malen Gefetzesbeftimmungen
selbständig daraus zu prùfen, ob sie mit dem Bundesrecht vereinbar
sei. Dies aber treffe mit Rücksicht auf die erwähnte bundesgerichtliche
Auslegung des Bundesrechts für die bernische Appellation nicht zu. Da das
Bundesgericht eine Suspensivwirkung als schlechthin unzulässig erkläre,
könne dieselbe entgegen der Annahme des Rekurrenten auch nicht gemäss
Art. 36 des Bandes-gesetzes verliehen werden.

D. Der Vertreter der Rekursbeklagten, Frau Cardoner, sieht sich zu
Gegenbemerkungen auf den Rekurs nicht veranlasst.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der vorliegende Rekurs richtet sich gegen den Entscheid des
Appellationsund Kassationshofes des Kantons Bern, der dahin
,geht, dass die im bernischen Einführungsgesetz zum Bundesgefetz
betr. Schuldbetreibung und Konkurs für Rechtsbssnungsstreitsachen
vorgesehene Appellation, weil bundesrechtswidrig, nicht in Kraft
bestehe. Dieser Entscheid bezw. die daraus resultierende formelle
Abweifung der vom Rekurrenten eingereichten Appellationserklärung wird
aus dem Gesichtspunkt der Rechtsverweigerung (Verletzung von Art. é
B.-V.) angefochten. Nun handelt es sich dabei zunächst allerdings um die
Anwendung kantonalen Prozessrechts, welche an sich das Bundesgericht im
Sinne der angerufenen Verfassungsbeftimmung nur darauf zu überdrüer befugt
wäre, ob nicht der kantonale Richter klare Rechtsnormen rein willkürlich,
d. h. mit nur vorgeschobener, nicht sachlicher Begründung, missachtet
habe. Allein der angesochtene Entscheid selbst beruht nicht auf jenem
kantonalen, sondern aus eidgenössischem Recht, indem er die Zulässigkeit
der streitigen Prozessvorschriften, gestützt auf die Bestimmungen des
Bandes-gesetzes betr. Schuldbetreibung und Konkurs, verneint. Somit
steht in letzter Linie die Auslegung von Normen dieses Bundesgefetzes in
ihrem Verhältnis zum kantonalen Prozessrecht in Frage. In dieser Hinsicht
aber ist eine verfassungswidrige Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetz
schon dann anzunehmen, wenn eine kantonale Behörde denIl. Schuldbetreibung
und Konkurs. N° 4-0. 181

hier massgebenden Grundsatz der derogatorischen Kraft des eidgenössischen
gegenüber dem kantonalen Recht Art. 2 der Ubergangsbestimmungen zur
Bundesverfassung unrichtig angewendet hat, sei es, dass sie dem kantonalen
Recht einen zu grossen Spielraum gewährt, bezw. implicite das Bundesrecht
zu eng interpretiert, sei es, dass sie umgekehrt wie vorliegend behauptet
die Tragweite eidgenössischer Normen überschätzt und dadurch die Geltung
kantonalrechtlicher Bestimmungen in bundesrechtswidriger Art beschränkt
hat. Denn die verfassungsmässige Garantie der Rechtsgleichheit, welche
der Rekurrent anruft, erfordert zweifellos, dass der Wirkungsbereich des
eidgenössischen Rechts in einheitlicher, zuverlässiger Weise abgegrenzt
sei; sie bedingt daher die Kompetenz des Bundesgerichts, Entscheidungen
kantonaler Behörden, die sich auf jene Abgrenzung beziehen, nicht nur
in dem oben bezeichneten beschränkten Sinne, sondern durchaus frei zu
überprüfen und schon wegen sachlicher Unrichtigkeit aufzuheben. Dieser
Auffassung entspricht denn auch das Urteil des Bundesgerichts
i. S. Hediger & Söhne (Amtl. Samml., Bd. XXV, 1, Nr. 31, Erw. 2), welches
den dem heutigen entgegengesetzten Fall, einen Rekurs gegen die Zulassnng
der Anwendbarkeit kantonalrechtlicher Vorschriften betrifft.

2. Nach dem Gesagten hat das Bundesgericht vorliegend auf eine
selbständige Untersuchung der Frage einzutreten, ob die Interpretation
des Bundesrechts durch das angefochtene Urteil des berInschen
Appellationsund Kassationshofes materiell richtig sei oder nicht. Wenn
nun die kantonale Behörde ihre Auffassung in erster Linie aus die Praxis
der Schuldbetreibungs und Kontraskammer des Bundesgerichts stützt, laut
welcher einem Rechtsmittel im Rechtsösfnungsverfahren nach Bundesrecht
keinenfalls Suspensivwirkung zukommen kann, so ist hierüber vorab zu
bemerken, dass das Bundesgericht als Staatsgerichtshos an jene Praxis
gebunden ist, indem dieselbe den Einfluss des Rechtsöffnungsentscheides
auf die pendente Vetreibung, also eine Frage rein bez treibungsrechtlicher
Natur beschlägt, deren Entscheidung ausschliesslich in die Kompetenz der
Aufsichtsbehörden fällt. Demnach muss eine kantonale Gesetzesvorschrift,
welche einem Rechtsmittel streitiger Art Suspensiveffekt verleiht so
die hier einschlägige Be-

xxlx, !. 1903 13

182 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

stimmung des hernischen Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz betreffend
Schuldbetreibung und Konan-?, bezw. der bernischen Prozessordnung über
die Appellation ohne weiteres als bundesrechiswidrig bezeichnet werden
und kann daher, gemäss dem mehrerwähnten Grundsatz der derogatorischen
Wirkung des Bundesrechts, nicht in Kraft bestehen. Allein aus dieser
Feststellung ergibt sich keineswegs notwendig, wie der Appellationsund
Kassationshof annimmt, dass ein Rechtsmittel mit Suspensiveffekt in casu
die bernische Appellation schlechthin dem Bundesrecht widerspreche
und in seiner Totalität rechtsungültig sei; vielmehr würde diese
Schlussfolgerung nur dann zutreffen, wenn ein solches Rechtsmittel ohne
jenen Effekt überhaupt nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte,
keinen vernünftigen Sinn und Zweck mehr hätte. Dies kann jedoch
speziell mit Bezug auf die in Rede stehende Appellation durchaus nicht
behauptet werden. Denn einerseits ist zu beachten, dass die Frage nach dem
Suspensiveffekt derselben für alle diejenigen zahlreichen Fällein welchen
die erste Instanz die Rechtsösfnung verweigert, gar keine Bedeutung
hat. Anderseits ist die Appellation ohne jenen Effekt gewiss auch im
Falle der Rechtsöffnungserteilung in erster Instanz keineswegs zwecklos,
da das Appellationsurteil bei gesetzentsprechender Durchführung des
hernischen Verfahrens, welche natürlich vorausgesetzt werden muss, ohne
Zweifel zeitig genug ergehen farm, um die Wirkung des erstinftanzlichen
Entscheides, sofern er ihm widerspricht, aufzuheben, bevor die Betreibung
in ihrem Fortgang eine nicht mehr zu beseitigende Situation (Vollzug der
Pfandverwertung; Konkurseröffnung) geschaffen hat. In Art. 40 Ziff. 3
des Einführungsgesetzes ist ja dem Appellationsund Kassationshofe zur
Pflicht gemacht, die Rechtsöfsnungsfälle, mit Übergehung der üblichen
Reihenfolge auf einen der nächsten Sitzungstage anzuberaumen und zwar
auch während der Gerichtsferien Da das bemische Obergericht wöchentlich
Sitzungen hält, ist damit die Möglichkeit gegeben, eine Berufung in 8-14
Tagen nach ihrer Einreichung zu erledigen.

Übrigens ergibt sich schon aus der historischen Entwicklung des
heutigen summarischen Prozessoerfahreus (vergl. Briegleb: Geschichte des
Exekutivprozesses), dass die Unterdrückung des Suspen-II. Schuldhetreibung
und Konkurs. N° 40. 183

fiveffektes der Appellation nicht etwa deren Wesenheit berührt sondern
lediglich eine durch die spezielle Natur jenes Verfahrens erforderte
Modifikation derselben darstellt Aus diesem Gesichtspunkt hat denn auch
der Bundesgesetzgeber selbst in Art. 361eg. mt. die nicht aufschiebende
Wirkung der Rechtsmittel des Betrefbungsrechts, darunter also auch der
im Gesetze selbst ausdrücklich vorgesehenen Berufung in den ähnlichen
Fällen der Art. Né und 185, als Regel aufgestellt

Z. In zweiter Linie geht die Argumentation des angefochtenen
Urteils selbständig dahin, es sei überhaupt ein Jnstanzenzug im
Rechtsösfnungsverfahren mit dem geltenden Bundesrecht nicht vereinbar,
so dass die vom bernischen Gesetzgeber eingeführte Appellation schon
aus diesem Grunde nicht in Kraft bestehen könne. Der Appellationsund
Kassationshof deutet in seiner Natursantwort an, er hätte sich
mit Rücksicht auf die Genehmigung des massgebenden kantonalen
Einführungsgesetzes durch den Bundesrat allerdings nicht für kompetent
gehalten, hierüber zu entscheiden wenn nicht die Schuldbetreibungs
und Konkurskammer des Bundesgerichts durch ihre mehr-erwähnte Praxis
hinsichtlich des Suspensiveffekts implicite eine solche, den Richter
bindende Wirkung Jener Genehmigung verneint hätte. Nun wäre auf diesen
Einwand an sich vorab zu untersuchen, welche Bedeutung und Tragweite
der bundesrätlichen Genehmigung des genannten Gesetzes gemäss Art. 29
des Bundesgesetzes Betz. Schuldbetreibung und Konkurs zukomme, ob damit
insbesondere, wie die Vorinstanz zu behaupten scheint, die in jenem
enthaltenen Bestimmungen über das Vechtsöffnnngsverfahren allgemein
und für den Richter verbindlich als bundesrechtlich zulässig anerkannt
seien; allein dies magfvorliegend dahingesiellt bleiben, da sich speziell
über die hier streitige Frage der Zulässigkeit des Jnstanzenzuges die
Auffassung des Bundesgerichts, gemäss den nachfolgenden Ausführungen,
materiell mit der im genehmigte-n Gesetz zum Ausdruck gelangten Anschauung
des Bundesrates deckt, so dass das Resultat jener formellen Erörterung
die konkrete Entscheidung unter keinen Umständen beeinflussen könnte. In
der Sache selbst ist nämlich auf folgende Erwägung abzustellen: Das
Bundesgesetz betr. Schuldbetreibung und Konkurs erteilt den Kantonen in
Art. 25 Biff. 2

184 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

den allgemeinen Auftrag, das Rechtsöffnungsverfahren zu normieren und
gibt hierüber des näheren lediglich die Weisung (Art. 84), dass der
Richter nach Einvernahme der Parteien binnen fünf Tagen seit Anbringung
des Begehrens zu entscheiden habe. In dieser direkten bundesrechtlichen
Vorschrift nun, auf welche übrigens die Vorinstanz gar nicht abgestellt
hat, kann ein durchgreifendes Verbot des Jnstanzenzuges nicht gefunden
werden. Dieselbe verlangt, was den Gang des Verfahrens betrifft, offenbar
nur, dass nach fünf Tagen ein Urteil erlassen sei, welches, seinem
Zweck für die pendente Betreibung entsprechend, den Zwischenfall des
Rechtsvorschlages vorläufig erledigt und dem Gläubiger die Möglichkeit
schafft, sich einer bestehenden Pfändung anzuschliessen, nicht aber,
dass gleichzeitig das Verfahren überhaupt seinen Abschluss finden
müsse; vielmehr ist jedenfalls eine Weiterziehung der Streitsache
ohne suspensive Wirkung mit jenem betreibungsrechtlichen Zwecke sehr
wohl Vereinbar. Ausdrückliche Borschriften anderer Art betreffend das
Rechtsösfnungsverfahren enthält das Bundesgesetz über Schuldbetreibung
und Konkurs nicht, namentlich finden sich in demselben über die Frage der
Appellabilität der Rechtsöffnungsentscheide Bestimmungen weder posttiver
noch negativer Art. Das Gesetz schweigt über diese Frage, gleich wie es
auch bezüglich anderer, den Gerichten überwiesener Entscheidungsbefuguisse
im summarischen Verfahren keine Bestimmung über die Möglichkeit einer
Berufung enthält, nämlich bezüglich der Bewilligung eines Verspäteten
Rechtsvorschlages (Art. 77) Und der Aufhebung bezw. Einstellung der
Betreibung (Art. 85). Trotz diesem Schweigen haben eine Reihe von
Kantonen, darunter auch der Kanton Bern (vergl. Art. 36, Ziff. i und 2
des Einsührungsgefetzes) nicht gezögert, auch für diese beiden Fälle,
und zwar mit Zustimmung des Bundesrates, eine Appellation einznführen,
und es ist dieselbe bis heute noch nie in Frage gestellt worden.

Wenn daher das Bundesgesetz in andern Fällen des summarischen Verfahrens
die Berufungsmöglichkeit ausdrücklich vorgesehen hat, wie in ein. 174
für das Konkurserkenntnis (vergl. auch Art. 189 Abs. 2) und in Art.185
für den Entscheid über die Bewilligung des Rechtsvorschtages in der
Wechselbetreibung, soII. Schuldbetreibung und Konkurs. N° 40. 185

kann daraus, für sich allein, gewiss noch nicht der Schluss gezogen
werden, dass der Bundesgesetzgeber in allen andern Fällen die
Berufung ausdrücklich habe ausschliessen wollen. Ein solches Verbot
könnte angesichts des den Kantonen in Art. 25 Biff. 2 erteilten
allgemeinen Auftrages zur Feststellung des Verfahrens im summarischen
Prozessverfahren betreffend Rechtsvorschläge und Konkursbegehren nur
dann angenommen werden, wenn noch andere Umstände, wenn namentlich
die gesamte Okonomie des Gesetzes darauf hinweisen würde, dass die
Einführung einer zweiten Instanz für die Nechtsöffnungsentscheide nicht
möglich wäre und zu Verwicklungen führen müsste, deren Lösung im Gesetze
weder ausdrücklich vorgesehen ist, noch auf dem Wege der Auslegung und
analogen Anwendung sich finden lässt. Dies scheint der Appellationsund
Kassationshof allerdings anzunehmen, allein die Argumente, welche er
hiefür vorbringt, können nicht als stichhaltig bezeichnet werden. Wenn
das angefochtene Urteil zunächst ausführen das Bundesgesetz hätte, bei
Zulassung einer zweiten Rechtsöffnungsinstanz im genannten Sinne, unter
den Urkunden des Art. 85 den Entscheid dieser zweiten Instanz, welcher
die in erster Instanz zugelassene Rechtsöffnung ablehnt, erwähnen müssen,
so beruht dies auf einer Verwechslung des formellen mit dem materiellen
Recht. Der citierte Artikel betrifft die Aufhebung bezw. Einstellung
einer formell korrekten Betreibung aus Gründen materiellrechtlicher
Natur (Nichtexiftenz bezw. Nichtfälligkeit der Forderung) und bestimmt,
dass dieselben erst nach gerichtlicher Anerkennung wirksam seien; in dem
vor-liegend angenommenen Falle aber, in welchem die zweite Instanz einen
erstinstanzlichen, die Rechtsöffnung bewilligenden Entscheid abgeändert
hat, handelt es sich um die Beseitigung eines als formell unzulässig
erkannten Betreibungsaktes durch das betreffende Erkenntnis selbst,
welches natürlich ipso jure wirkt und die weitergeführte Betreibung
direkt hemmt, womit allfällig bereits vollzogene Vetreibungshandlungen von
selbst als nichtig dahinfallen, so dass es eines besondern gerichtlichen
Verfahrens hier nicht bedarf. Für ein solches Verfahren wäre so wenig
Raum vorhanden, wie in dem Falle, wo ein letztinstanzliches kantonales
Rechtsöffnungsurteil auf dem Wege des staatsrechtlichen Rekurses
aufgehoben,

185 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.

oder wo ein erstinstanzlicher Entscheid infolge Nichttgkeitsklage
hinfällig wird. Eventuell, wenn der Betreibungsbeamte diese Konsequenzen
aus der durch den Berufungsentscheid geschaffenen Sachlage zu ziehen
sich weigern sollte, wären die Aufsichtsbehörden die zur Jntervention
allein kompetenten Stellen. Ebensowenig schlüssig für den Ausschluss
einer Berufung im Rechtsösfnungsverfahren ist der weitere Einwand, es
hätte das in Art. 88 vorgesehene Provisorium auf die Zeit zwischen dem
erstund zweitinstanzlichen Rechtsössnungsentscheid ausgedehnt werden
müssen, wenn ein Jnstanzenzug hätte zugelassen werden wollen. Es ist
nicht klar, welches Provisorium damit gemeint sein soll. Sollte darunter
die in Abs. 1 erwähnte Möglichkeit, provisorische Pfändung oder Aufnahme
des Güterverzeichnisses verlangen zu können, verstanden sein, so wäre zu
sagen, dass die Bemerkung durchaus unverständlich ist, da ja die Frage,
ob der Gläubiger diese Befugnisse schon auf Grund der erstinstanzlichen
Bewilligung der Rechtsösfnung habe oder nicht, identisch ist mit der
im Falle Lehmann vom Bundesgericht entschiedenen Frage nach der Wirkung
des erstinstanzlichen Entscheides auf die Betreibung und aus dem Fehlen
einer ausdrücklichen Norm hierüber für die heute zu entscheidende Frage
keinerlei Schlussfolgerungen gezogen werden können. Wenn aber geltend
gemacht werden wollte, es hätte gleich wie in Absatz 3 des Art. 83 für den
Fall der Verwirkung oder Abweisung der Aberkennungsklage bestimmt ist die
Rechtsösfnung bezw. Pfändung werde eine endgültige das gleiche auch für
den Fall der Bestätigung einer erstinstanzlich bewilligten Rechtsöffnung
durch die zweite Instanz bestimmt und damit implicite der Rechtsbffnung
bezw. Pfändung ein bloss provisorischer Charakter auch für die Zeit
zwischen dem erstund zweitinstanzlichen Rechtsöffnungsentscheid beigelegt
werden sollen, so ist ebenfalls nicht einzusehen, wieso sich aus dem
Mangel einer solchen Gleichstellung ein Schluss gegen die Zulässigkeit der
Appellation ziehen liesse. Das Provisorium, welches besteht in der Zeit
zwischen dem Moment, da eine provisorische Rechtsöffnung erteilt worden
ist und dem Zeitpunkt, in welchem feststeht, dass die Aberkennungsklage
verwirkt bezw. abgewiesen ist, und das nach der Meinung der Borinftanz
auch aus die ZeitII. Schuldbetreibung und Konkurs. N° 40. 187

zwischen dem erstund zweitinftanzlichen Rechtsöffitungsentscheid
hätte ausgedehnt werden sollen, äussert sich ja nur darin, dass die
provisorische Rechtsöfsnung eben provisorisch bleibt, d.h. nur das Recht
zur provisorischen Pfändung bezw. zur Aufnahme eines Güterverzeichnisses
verleiht, was sich ja, wie erwähnt, aus Art. 83 Alinea 1 ergibt. Die
Vorschrift des dritten Alinea eod. hat lediglich die Dauer dieses
Provisoriums und die Wirkungen firiert, die nach Ablauf desselben
eintreten. Davon mm, dass diese Bestimmungen des am. 83 Abs. 3 auch auf
den Fall einer Appellation eines provisorischen Rechtsöfsnungsentscheides
hätten ausgedehnt werden können, kann ebenfalls keine Rede sein. Endlich
ist auch nicht einzusehen, wieso der Mangel einer Bestimmung darüber, dass
der Beginn der Frist zur Erhebung der Aberkennungsklage auf den Zeitpunkt
der oberinstanzlichen Rechtsössnungserteibmg hinausgeschoben sei, zwingend
auf die Absicht des Gesetzgebers hinweise, eine solche Oberiustanz
auszuschliessen. Da das Bundesgesetz hier die allgemeine Vollmacht an die
Kantone zur Regelung des Verfahrens nicht einschränkt, blieb eben Raum
für ein Verfahren mit zwei oder nur mit einer einzigen Instanz, und es
konnte daher auch der Beginn der Frist für die Aberkennungsklage nicht
einheitlich auf den Zeitpunkt des zweitinstanzlichen Urteils angesetzt
werden, so dass sich ganz ungezwungen erklärt, weshalb der Anfangspunkt
der Frist in mehr allgemeiner Art und Weise bezeichnet wurde, so sdass
die Beantwortung der Frage, welchen Einfluss auf den Fristenlaus
die Berufung habe, der Praxis Überlassen Web, die denn auch schon
längst die übrigens auf der Hand liegende Lösung gefunden hat. (Vergl
Entsch. des Bundesgerichts, Bd. XXII, S. 328.) Die sämtlichen von der
Vorinstanz signalisierten Unzukbmmlichkeiten, welche die Möglichkeit einer
Appellation des Rechtsöffnungseutscheides im Gefolge haben soll, erweisen
sich somit als von ganz untergeordneter Bedeutung. Die Schwierigkeiten,
die sich in einzelnen Fällen etwa daraus ergeben könnten, dass eine in
erster Instanz bewilligte Rechtsöfsnung zweitinstanzlich verweigert
wird, sind nicht grösser, als diejenigen, welche bei der Bewilligung
eines nachträglichen Rechtsvorschlages nach Art. 77 eintreten können. Jn
diesem letztern Falle hat der Gesetzgeber die Folgen

188 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

eines solchen Entscheides im Gesetze selbst auch nicht ausdrücklich
ausgesprochen, sondern die Praxis hat sie festgesetzt. Umsoweniger kann
aus der Tatsache, dass auch bei der Rechtsöffnung die Bestimmung der
Wirkungen eines zweitinstanzlichen Entscheides der Praxis überlassen
wurde, auf ein Verbot geschlossen werden, eine zweite Instanz einzuführen,
zumal ja, wenn die Berufung auch summarisch erledigt wird, wie bereits
erwähnt, der zweitinstanzliche Entscheid immer ergehen kann, bevor auf
Grund des erstinstanzlichen eine Betreibnngshandlnng ergehen könnte,
die sich ohne Schädigung nicht mehr rückgängig machen liesse.

4. Was die Anwendbarkeit des Art. 36 des Schuldbetreibungs und
Konkursgesetzes auf das hier streitige Rechksmittel betrifft: die Frage,
ob die zweite Instanz im Rechtsöffnnngsverfahren der Appellation
ausnahmsweise suspenswe Wirkung verleihen könne, so kann hieraus
vorliegend nicht eingetreten werden, da der Entscheid hierüber, im Sinne
der Erwägung 2 oben, in die Kompetenz der Aufsichtsbehörden fällt.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Reknrs wird gutgeheissen und somit der angefochtene Entscheid des
bernischen Appellationsund Kassatioushofes in der Meinung aufgehoben,
dass der Appellationsund Kassationshof zu materieller Behandlung der in
Frage stehenden Streitsache verhalten wird.Ill. Erwerb und Betrieb der
Eisenbahnen. N° 41. 189

III. Erwerb und. Betrieb der Eisenbahnen. Acquisition et exploitation
des chemins de fer.

41. Urteil vom Z. Juni 1903 in Sachen Bundesbahnen gegen Regierungsrat
Luzern.

Steuerfreiheit der Bundesbahnen. Art. 10 Abs. 1 und 2 Bundesgesetz
betr. Erwerb und Betrieb von Eisenbalmenmom 15. Oktober 1897
(sag. Rückkaufsgesetz). _ Steuerstreitigîeeit zwischen Bund und Kantonen
; Art. 179 Org.-Ges. Rechtliche Natur der Schweiz. Bundesbahnen,
juristische Perscînliekkeit oder Zweig der Bundesverwaliemg? Umfang der
Steuerfreiizeit (Ser Bahnhofwirkschaften.

A. Anlässlich der Neutaxatiou der Steuerpslichtigen im Jahre 1902 entstand
zwischen der Staatssieuerkommission Luzern und der Kreisdirektion II
der Schweizerischen Bundesbahnen ein Stenerkonflikt. Unter Berufung
auf ein schiedsgerichtliches Urteil vom U. Dezember 1899 in Sachen
der Schweizerischen Centralbahngesellschaft gegen den Kanton Luzern,
erklärte die Staatssteuerkommission den auf die Wirtschaftsräumlichkeiten
im Aufnahmegebäude des Bahnhoss Luzern entfallenden Gebäudewert von
200,000 Fr. zu 20 00 als steuerbar. Den von der Kreisdirektion gegen
diese Verfügung ergriffenen Rekurs hat der Regierungsrat mit Beschluss
vom 24. Januar 1903 abgewiesen

Mit dem erwähnten schiedsgerichtlichen Urteil hat es folgende Bewandtnis-:
Jm Jahre 1898, nach dem Neubau des Bahnhofes Luzern, war zwischen der
Schweizerischen Centralbahngesellschaft und dem Kanton Luzern die Frage
streitig geworden, ob von dem auf die Restaurationslokalitäten im Bahnhof
Luzern entfallenden Gebäudewert von 200,000 Fr. eine Quote von 40,000
Fr. d. h. 1/5 steuerpflichtig sei, oder ob die Centralbahngesellschaft
auch-für die Restanrationslokalttäten in vollem Umfange Steuersreiheit
habe. Nach dem in Betracht kommenden Art. 34 der Konzession für den
Eisenbahnbau von Luzern gegen Zofingen vorn 19. November 1852 sollte
die Centralbahngesellschast Steuerfreiheit ge-