180 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 11. Abschnitt. Bundesgesetze.

des besondern Erpropriationsverfahrens zu betreten, und dass
insbesondere die Rekursbeklagte sich diesem Vorgehen der Rekurrenten nicht
widersetze. Für den Fall, als die mit dem besondern Erdwpriationsverfahren
betrauten Behörden finden sollten, ihre Kompetenz zur Beurteilung der
Gegenforderung der Rekurrenten sei nicht gegeben, oder das besondere
Verfahren vor Schätzungskommission sei nicht durchführbar, sollen
ferner den Rekurrenten alle Rechtsmittel für den ordentlichen Rechtsweg
gewahrt sein Es darf endlich auch bemerkt werden, dass es sich für den
kaumnalen Richter (sofern dies nach der luzernischen Civilprozessordnung
angeht) empfehlen würde, das Verfahren oder den Vollzug des Urteils
bis zum Entscheide über die von den Returrenten erhobene Gegenforderung
auszusetzen Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird im
Sinne der Erwägungen abgewiesen

II. Civilstand und Ehe. Etat civil et mariage

29. Urteil vom 5. Juni 1901 in Sachen Tschank.

Zulässigkeit des staatsrechtlichen Bekuz'ses betreffend Am'pendung
desBuezdesgesetzes über Civilstemd und Ehe. Ehe zwischen-äus{ändern ,
Art. 56 leg. cit. Aeefna-hme einer von, ihrem imstande-Fetzen Ehemann. von
Tisch und Bett getrennten Ehefrau i-ns Kanimwbürgerrecht. Kèage der
Ehefrau um dem. Richter des letztenordentlichen Wotan-sitzes nie-s
Eîeemannes äu der Schweiz. Zuständigkeit der schwei-

zerischen Gerichte, Art. 8 Abs. 3 B.-Ges. betr. Erteillmg des Schwei-

zerb-ürgerrechts ; Art. 43 Abs. 2 leg. eit-

A. Elisabeth Kessler, geb. 1861, protestantischer Konfession, Bürgerin der
Stadt St. Gallen, verehelichte sich am 29. September 1890 in St. Gallen
mit dem Kaminfeger Heinrich Tschank,

geb.1858, katholischer Konfession, von Weiz (Steiermark). Der-

Vater der Frau kaufte den beiden Eheleuten eine Liegenschaft
mit Spezereihandlung in Lachen-Vonwil (Straubenzell,
Kt. St. Gallen),Il. Civilstand und Ehe. N° 29. · 181

Jusolge ehelichen Unfriedens kehrte Frau Tschank jedoch bereits im Juni
1891 zu ihren Eltern nach St. Gallen zurück. Ende August 1891 wurde der
Ehemann Tschank schuldenflüchtig und ist seither unbekannt abwesend

Auf Klage der Frau Tschant erklärte das k. f. Landesgericht Wien,
Abteilung 111, mit Urteil vom 27. Januar 1900 die Ehe aus Verschulden
des Ehemamies Tschank von Tisch und Bett für geschieden. Am 7. Juli 1900
erhielt Frau Tschauk auf ein bezügliches Gesuch vom schweizerischen
Bandes-rate die Bewilligung zum Erwerbe eines schweizerischen
Kanton Î: und Gemeindebürgerrechts-. Am 28. Oktober 1900 nahm sie
die Qrtsgenossenversatnw lung von Untereggen (Kt. St. (Gallen) in
das Ortsbiirgerrecht auf gegen Entrichtung einer Tare von 500 Fr und
gegen die Zusicherung, dass Petentin eine Schenknng von 1000 Fr. zu
gemeinnützigen, vom Gemeinderate zu bestimmenden Zwecken machen werde,
falls sie sich innert 11/2 Jahren nicht verehelichen sollte. Dieser
Bürgeraufnahme erteilte die Biirgerversammlung der politischen Gemeinde
Untereggen unterm 11. November 1900 die Bestätigung Durch Beschluss des
Grossen Rates des Kantons St. Gallen vom 20. November 1900 ward alsdann
Frau Tschank als Bürgerin des Kantons St. Gallen aufgenommen.

B. In der Folge machte die letztere, nachdem ihr Mann zum
sriedensrichterlichen Sühneversuch nicht erschienen war, gegen ihn
vor Kantonsgericht St. Gallen die Klage auf gänzliche Scheidung der
Ehe hängig. Dabei berief sie sich für die Kompetenz der genannten
Behörde auf Art. 43 Abs. 2 des Civilstandsgesetzes undmachte geltend,
dass der Beklagte ausgewiesener Massen feinen letzten ordentlichen und
schweizerischen Wohnsitz in Straubenzell, d. h. im Kamen St. Gallen
gehabt habe und dass infolge ihre-ZSchweizerbiirgerrechts Art. 56
leg. cit. nicht zutreffe.

C. Mit Entscheid vom 14. März 1901 erklärte sich das Kantonsgericht für
die Beurteilung der Klage nicht kompetent Dabei zog es in Erwägung: Ob
es korrekt gewesen sei, der wenigstens formell in fortdauernder, wenn
auch thatsächlich getrennter Ehemit einem österreichischen Staatsbürger
lebenden Klägerin dasSchweizerund Kantousbürgerrecht zu verleihen, sei
nicht zu untersuchen. Dagegen stehe fest, dass dadurch in der Frage der

182 A. Staatsrcchiliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundcsgeselze.

Zugehörigkeit der Klägerin zum österreichischen Staatsverbaud eine
Änderung nicht eingetreten sei. Man habe es deshalb mit einer Ehe zwischen
Ausländern im Sinne des Art. 58 cit. zu thun. Bei dieser Rechtslage sei
nicht zu prstfen, ob Art. 42 Abs. 2 leg. cit. einerseits für den Fall,
wo der Ehemann Ausländer ist,Anwendung finden könne, und ob anderseits die
darin vorgesehenen sachlichen Voraussetzungen erfüllt seien oder nicht.

D. Gegen dieses Urteil erklärte Frau Tschank rechtzeitig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht. Art. 58 cit.,
lässt Rekurrentin anbringen, treffe infolge ihrer Eigenschaft als
Schweizerbürgerin nicht zu. Auderseits möge sich das Bundesgericht, um
unnötige Weiterungen zu vermeiden, jetzt schon über die Anwendbarkeit
des Art. 43 Abs. 2 cit. aussprechen. Diese sei, wie des nähern ausgeführt
wird, unzweifelhaft gegeben.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Nach ständiger Praxis ist das Rechtsmittel des staatsrechtlichen
Rekurses in Fällen vorliegender Art gegeben, wo es sich nicht um Anwendung
der Normen des Civilstandsgesetzes mag: lich eines Haupturteils handelt
und deshalb die civilrechtliche Berufung an das Bundesgericht als
ausgeschlossen erscheint (vgl. Amii. Samml., Bd. VI, Nr. 93; Bd. XII,
Nr. 76).

2. Die von den zuständigen Bunde-: und Kantonsbehörden bewilligte
Aufnahme der Reknrrentin in das Schweizerbezw. Kantonsbürgerrecht
ist für das Bundesgericht massgebend Dasselbe hat auf dieser Grundlage
vorerst zu entscheiden, ob eine Ehe, bei welcher der eine Teil nicht nur
Angehöriger eines andern Staates, sondern gleichzeitig Schweizerbürger
ist, ebenfalls-als Ehe zwischen Ansläudern im Sinne des Art.56 genannten
Gesetzes zu betrachten sei und ob also deren Scheidung in der Schweiz der
durch diesen Artikel vorgesehenen Beschränkung unterliege oder nicht. Die
Frage ist zu verneinen. Zunächst spricht der Wortlaut des erwähnten
Artikels jedenfalls eher für diese Lösung als für die gegenteilige:
Denn wenn das Gesetz von Ehen zwi-

schen Ausländern spricht, so will es sich mit dieser Ausdrucks-: '

weise wohl auf den schweizerischeu Standpunkt stellen, von dem aus eben
als Ausländer zu betrachten sind diejenigen und nur diejenigen Personen,
die ausserhalb des schweizerischen Staatsver-ll. Civilstand und Ehe. N°
29. . 183

bandes stehen. Die erwähnte Auffassung rechtfertigt sich sodann namentlich
in sachlicher Beziehung durch die rechtlich ganz verschiedene Lage,
in der sich einerseits eine Person befindet, die nur Bürger eines
auswärtigen Staates ist, und anderseits eine solche, die gleichzeitig
das schweizerische Bürgerrecht besitzt. Im Gegensatze zu ersterer sieht
letztere im Genusse der allen andern Schwei- zerbürgeru als solchen
garantierten Rechte, sofern sie wenigstens nicht im ausländischen Staate,
dem sie gleichfalls angehört,wohnhaft ist (ng. Art. 5 des Bundesgesetzes
über die Erteilung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf
dasselbe, vom 3.Heumonet 1876). Demnach muss es einer solchen Person auch
möglich sein, unter den gleichen Bedingungen wie jeder sonstige Schweizer
in der Schweiz ein Forum für ihre Ehescheidungsbezw. Ehenichtigkeitsklage
zu finden, und geht es deshalb nicht an, eine Erschwerung dieser
Möglichkeit, wie sie gegenüber Nichtschweizern freilich gesetzlich
statthaft ist, auch ihr gegenüber als statthaft zu erklären. Es lässt
sich dem entgegen auch nicht hinrroeisen auf die dem Art. 56 cit. zu
Grunde liegende gesetzgeberische Absicht der Vermeidung internationaler
Konflikte in eherechtlichen Sachen. Dieser Erwägung will jedenfalls der
Art. 56 nur insoweit Rechnung tragen, als es sich um Ehegatten handelt,
von denen keiner der Schweiz angehört. Nur in diesem Falle hat man es
mit einer wirklichen Ausländer-Ehe zu thun und konnte der Gesetzgeber
dazu gelangen, die Möglichkeit der Scheidung oder Nichtigkeitserklärnng
derselben von der Anerkennung des schweizerischen Urteils durch den
Heimatsstaat der Eheleute abhängig zu machen. Dagegen hatte er bei
Aufstellung des Art. 56 die Fälle nicht im Auge, wo wenigstens eine der
streitenden Parteien das Schweizerbürgerrecht besitzt. Hier muss eben
als der ausschlaggebende Gesichtspunkt erscheinen, dass der Jnländer des
Schutzes der ihm durch die inländische Rechtsordnung zugesicherten Rechte
teilhaftig sein soll. Eine Einschränkung dieses Satzes aus Gründen des
internationalen Privatrechts ist um so weniger am Platze, sals bei dem
berechtigten Bestreben der einzelnen Staaten, ihre Gesetzgebung ihren
besondern Verhältnissen und Anschauungen gemäss zu gestalten, Konflikte
der bezüglichen gesetzlichen Normen nicht zu umgehen find. Ubrigens sind
solche Konflikte in casa xxvxr, !. {901 43

184 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

' t vor erne en. Die gegenteilige Interpretation des ggf. Fächhätte
goiizsexstkenzen im Gefolge, die der Gesetzgeber ossenbar nicht gewollt
haben kann. Gemäss Uri. 8 Abs. 3 des Hundesgesetzes vom Z. Henmonat 1876
und ,ber hieraus bezuglichen Praxis des Bundesgerichts erstreckt sich
eine Entlassung des Chemannes aus dem Schweizerbürgerrecht nicht-auf
seine von the: getrennt lebende Ehefrauz es wollten also dieser letztern
alle aus dem Schweizerbürgerrecht fliessenden Rechte in einein solchen
vFalle gewahrt werden, also wohl auch das Recht, desinitwe Scheidung
der Ehe in der Schweiz verlangen zu konnen. Eine solche Chescheidung
in der Schweiz wäre aber, wenn hier aiich die in Art. 56 des Gesetzes
über Civilstand und Ehe vorgesehene sakrklärung des neuen Heimatstaates
des Eheniannes notwendig ware, zum vorneherein immer dann unmöglich,
wenn die Gesetzgebung dieses Staates eine definitive Ehescheidung
nicht kenntYund der Ehemann hätte es somit in der Hand, durch die
einseitige Crwerbnng eines neuen Bürgerrechtes in einem solchen Staate
die in der Schweiz wohnende, von ihm getrennt lebende Ehesraunnn jenes
Recht zu bringen. (Vgl. im Sinne vorstehender Aussichrungen v. Salis,
Ehescheidungsund Erhemchttgkeitssachen act-isländischer Ehegatten in der
Schweiz, ®. 193. Muheinîsi Sie Prinzipien des internationalen Privatrechts
tin schweizerischen Privatrechte, S.197; Vorentwnrs des schweizerischen
Cioilgesetzbuches, Art. 167. Anderer Ansicht: Martin, Kommentar zum

isiltands e e' , S. 138/9.) . C;.1Hatteg dsietzReknrrentin nach
dem Gesagten den in Blei. Bl"), cit. vorgesehenen Nachweis nicht znl
erbringen, so fragt sieh immerhin noch, ob das Forum des st. gallischen
Richters sur sie gesetzliti) begründet sei. Sie beruft sich in dieser
Beziehung aus Art. 13 Abs. 2 des Bundesgesetzes Es mag Liner-celeri
bleiben, ob der hie: statuierte Gerichtsstand des letzten schweizerischen
Wohnortes-deEhemannes auch für Ausländer gelte (ng: tm gegenteiligen
Sinne v. Satis, leg. cit., S. 2 und 85, Note D). Flut alle Halle muss
er, wie vorliegend behauptet, dann gegeben sein, wenn der klagende
Teil Schweizerbürger ist und zwar ans dein oben ausgesnhrten Grunde
einer Gieichbehandlnng desselben nnt" den andern schweizerischen
Staatsangehörigen Von diesem Gesichtspunkte aus hatIII. Erteilung des
Sehwaizerhürgerrechtes und Verzicht auf dasselbe. N° 30. 185

denn auch die bundesgerichtliche Praxis die Anwendbarkeit des Art. 43
Abs. 2 bereits anerkannt für den analogen Fall, wo der beklagte Teil
zwar nicht Ausländer, aber Heimatloser ist (Amtl. Samml., Bd. XVII,
Nr. 8, in Sachen Schneider).

Ob nun aber endlich Stranbenzell wirklich der letzte schweizerische
Wohnort- des Eheinannes Tsrhank gewesen sei und Art. 43 Abs. 2
cit. auch insofern als anwendbar erscheine, hängt wesentlich ab von
thatsächiichen Feststellungen, zu denen sich die Vorinstanz gemäss dem
von ihr eingenommenen Rechtsstandpunkte nicht veranlasst gesehen hat Es
ist ihr also Gelegenheit zu geben, darüber noch zu befinden und sich
neuerdings, immerhin aber nach Massgabe der vorstehenden rechtlichen
Ausführungen, über ihre Kompetenz auszusprechen

Demnach hat das Bundesgericht e r fa unt :

Der Rekurs wird als begründet erklärt und damit der Entscheid des
Kantonsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14.X19. März 1901 im Sinne der
Motive aufgehoben.III. Erteilung des Schweizerbürgerrechtes und Verzicht
auf dasselbe. Naturalisation et renonciation à. 1a nationalité suisse.

30. Sentenza del 22 maggio 1901 nella causa Vano-m'Viglezia contro
Tic-ino.

Procedura in easo di domanda di svincolo; art. 7, 1. 'l, 1. c.
Interessati.

1. La, ricorrente è meritata, all'avvocato Pietro Viglezio, da
Lugano. Dal matrimonio, contratto nel 1870, sono nat-i 4 figli; i due
figli maggiorenni, Orlando e Virgilio, la minorenne Garn-ten ed un
altra figlia Catherine, meritata Pugno, morta nel 1889. Fino al 1894,
i coniugi Viglezio hanno abi-