30 A. Staat-rechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

III. Glaubensund Gewissensfreiheit. Liberté de conscience et de croyance.

4. Urteil vom 14. März 1900 in Sachen römisch-katholische Kirchgemeinden
Wegenstetten und Zuzgen gegen christkatholische Kirchgemeinde
Wegenstetten-Hellikon-Zuzgen bezw. Aargau.

Art. 5 0, Abs. 3. Stellung des Bundesgericktes bei Anständen beweisen-l
Trennung von Religionsgenossenscha/'tesin. Versiossen die Anordnungen des
idealen Miteigentan am. Kirchen und des Sémultangebmuckes solt-Ziergegen
Art. 50, Abs. 3 li.-V. ?

A. Durch Dekret vom 24. Mai 1898 errichtete der Grosse Rat des Kantons
Aargau eine christkatholische Kirchgemeinde Wegensteinellikon-angen. Zn
diesem Dekrete traf er Bestimmungen bezüglich der Ausscheidung und
Zuteilung des Kirchengutes, von denen folgende als für den vorliegenden
Rekan von Bedeutung hervorzuheben sind:

EUR 2. Vom Eigentum an den Pfarrkirchen einschliesslich Glocken,
Orgel und Mobiliar in Wegenftetten und Zuzgen, soweit dasselbe nicht
dem Staate zufällt, sowie vom Eigentum an den Kapellen in Hellikon,
kommen der neuen Kirchgemeinde zu:

in Wegenstetten ein ideeller Dritteil,

in Zuzgen ein ideeller Vierteil.

Die Lasten für Bau und Unterhalt dieser Objekte, soweit sie nicht beim
Staate liegen, übernimmt die neue Kirchgemeinde im gleichen Verhältnisse,
wie sie am Eigentum beteiligt isf. Wenn und insoweit diese Objekte nur von
der einen oder andern Gemeinde benützt werden, sollen deren Unterhatt und
sonstige Aus-lagen einzig von der benützenden Gemeinde getragen werden.

EUR. 7. Die Benützimg der Pfarrkirchen in Wegenstetten und angen,
sowie der Kapellen in Hellikon steht den beiden Muttergemeinden und
der Tochtergemeinde gleichmässig zu; die Priorität in der Abhaltung des
Gottesdienstez sowie die Benützung

!II. Glauhensund Gewissensfreiheit. N° 4. 31

der Altäre unterliegt einem jährlichen Wechsel unter den Kirchgemeinden
beider Konfessionen.

Vorbehalten bleibt eine allfällige gütliche Vereinbarung unter den
Parteien.

Gleichzeitig wurde vom Grossen Rate folgendes Postulat angenommen:
Der Regierungsrat sei beauftragt, zu prùfen, ob nicht an dem Wege
der giitlichen Vereinbarung oder auf dem Dekretswege jeder Gemeinde
eine besondere Kirche zu Eigentum oder zu ausschliesslicher Benutzung
zugeschieden werden könne

B. Gegen die angeführten §§ 2 und 7 dieses Deh-eres haben die
römisch-katholische Kirchgemeinde Wegenstetten-Hellikon und die
römisch-katholische Kirchgemeinde angen rechtzeitig den staatsrechtlichen
Rekurs an das Bundesgericht ergriffen, mit den Be- gehren: 1. und 2. Das
ideelle Miteigentum der römisch-katholischeu Kirchgemeinde Wegenstetten
und der christkatholischen Kirchgemeinde Wegenstetten-Hellikon-Zuzgen
an der Pfarrkirche in Wegenstetten, und das ideelle Miteigentutn der
römisch-katholischen Kirchgemeinde Zuzgen und der christkatholischen
Kirchgemeinde Wegenstein-Hellikon:Zuzgen an der Pfarrkirche in Zuzgen,
ein: schliesslich Glocken, Orgel und Mobiliar, sowie der im Dekrete
angeordnete Simultangebrauch dieser Kirchen seien in Abänderung dieses
Dekrets aufzuheben, und es sei die Verteilung der Kirchen und ihrer
Zubehörden in der einen oder andern der im Rekurse vorgeschlagenen
Veräusserungsweisen öffentliche Feilbietnng, Feilbietung unter den
ideellen Miteigentümern, Zuspruch an den einen ideeilen Miteigentümer
unter Belastung desselben mit einer dem andern Teile gn bezahlenden
Auskanfssumme Vorzunehmen, so dass keinerlei Gegenstände der Gemeinschaft
zwischen den beiden Kirchgemeinden mehr übrig bleiben. 3. Für den Fall,
dass das Vindikationsbegehren der Ortsbürgergemeinde Hellikon keinenErfolg
haben sollte (s. unten sub F), seien die grossrätlichen Verfügungen Über
die Kapellenstistungen St. Sebastian und St. Wendelin aufzuheben, diese
Stiftungen in unverletztem Bestandzu erhalten und jede derselben in ihrer
Totalität unter Anwendung der einen oder andern der vorgeschlagenen
Veräusserungsweisen (s. o.) entweder der rötnisch-katholischen
Kirchgemeinde Wegenstetten oder der christkatholischen Kirchgemeinde
W-egenstetten-

32 ÀStaatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Hcklifomsiguzgen zuzutetlenz eventuell seien die Kapellengebäud in der
einen oder der andern der vorgeschlagenen Weisen zu veràussemss sodass
keinerlei Gemeinschaft zwischen den Parteien mehr übrig bleibe. Alles
unter Kostenfolge. Der Rekurs stützt sich rechtlich aus Art. 50 Abs. 3
B.-V. und macht, kurz zusammengefaszt, geltend: Durch das angefochtene
Dekret werden die Kirchen und deren Zubehörden für alle Zeiten als
unteilbar erklärt; das verstosse gegen Art. 50 Ubs. 3 B.-V. Diese
Verfassungsbeitimmnng verlange geradezu eine Teilung und schliesse
überdies den Simultangebrauch einer Kirche durch Römischkatholische
und Christkatholische gerader aus, da dieser eine Quelle beständigen
Unfriedens sei. Den Römischkatholischen des Fricktales sei übrigens
dieser Simnltangebrauch noch in einem speziell an die Geistlichkeit
des Fricktales gerichteten Erlasse der Kardinal-General-anuisitoren des
hl. Osfiziums vom 23. September 1878 verboten worden.

C. Der Regierungsrat des Kantons Aargan, namens dieses Standes, sowie die
christkatholische Kirchgemeinde WegensiettenHellikon-Zuzgen stellen in
ihrer Antwort den Antrag: Aus den Rekurs sei nicht einzutreten, soweit
er das angebliche Eigentum der Ortsbürgergemeinde Hellikon betreffe;
im übrigen sei er abzuweisen, unter Kostensolge. Die Antwort beruft sich
namentlich auf die Entscheidungen des Bundesgerichts in Sachen Grenchen
(Amii. Samml. XX, S. 753 ff.) und in Sachen Laufen (Amtl. Samml. XXlll,
S. 1369 ff.), und bestreitet, dass Art. 50 Abs . 3 B.-V. eine resilose
Teilung des sämtlichen Kirchenvermögens in Aussicht nehme. Die Teilung
würde die Kirche teilweise ihrer Zweckbestimmung entfremden. Übrigens sei
zu bemerken, dass der Staat den Chor der Psarrkirchen in Wegenstetten
und Zuzgen zu unterhalten habe und dass er daher auch über denselben
verfügungsberechtigt sei.

D. Aus der Replik ist an thatsächlichen Anbringen hervorzuheben: Die
für die Römischkatholischen in Wegenstetten erstellie Kirchenbaute
sei von einer Privatgesellschaft und ausschliesslich aus privaten
Mitteln erstellt worden. Zugegeben werde, dass der Staat den Chor der
Pfarrkirchen in Wegenstetten und Zuzgen zu unterhalten habe; dagegen
werde bestritten, dass er darüber verfügen könne und dass er Eigentümer
desselben fei. Fernerlll. Giaubensand Gewissensfreiheii. N° 4. 33

wird zur Jllustrierung der vorgeschlagenen Veräusserungsweisen bemerkt,
dass in Landau in der Pfalz im Jahre 1892 die dortige Simultankirche zum
Zwecke der Lösung des Simultanverhältnisses zwischen der katholischen
und der protestantischen Kirchgemeinde versteigert und der letztern
zugeschlagen worden sei.

E. In der Duplik betonen die Rckursbeklagten, dass die Chöre in
Wegenstetten und Zuzgen, wie überhaupt überall da, wo der Staat Kollator
sei, im Eigentum des Staates stehen; zum Beweise dafür legen sie einen
Auszug aus dem Staatsinventar über die Kirchengebäude in den genannten
Ortschaften ins Recht und berufen sich aus die Staatsrechnung vom Jahre
1897. Sie erklären, der Staat verwahre sich entschieden gegen einen
Auskaus oder eine Steigerung.

F. Gegen das grossrätliche Dekret vom 24. Mai 1898 hatte auch
die Ortsbürgergemeinde Hellikon einen staatsrechtlichen Rekurs an
das Bundesgericht etgriffen, mit dem Antrage, die Bestimmungen des
genannten Dekretes seien aufzuheben, soweit sie sich auf die beiden
Kapellengebände in Hellikon, die beiden Kapellenfonds und auf den
Hellikoner Kirchenbanfonds beziehen; eventuell seien den rechtlichen
Ansprüchen der Qrtsbürgergemeinde entsprechende Abänderungen des Dekretes
vorzunehmen Dieser Rekurs ist durch Urteil des Bundesgerichtes vom
28. Dezember 1898 als unbegründet abgewiesen worden.

G. In dem von der bundesgerichtlichen Jnstruktionskommission
am 20. Februar 1899 vorgenommenen Augenschein ist folgendes
konstatiert worden: die Gemeinde Zuzgen zählt 650 Seelen, wovon
*A Christkatholiken. Sie besitzt eine Psarrkirche, die von den
Christkatholiken für alle gottesdienstlichen Handlungen, von den
Römischkatholischen nur für die Predigten benutzt wird; für die Messe
und zur Entgegennahme der Spendung der Sakramente bedienen sich die
Römischkatholischen einer in der Nähe der Kirche gelegenen alten
Scheune. Die Gemeinden Wegenstetten und Hellikon zählen zusammen 1270
Einwohner, wovon 425 Christkatholiken. Hellikon (mit 640 EinwohnernJ
das zur Psarrei Wegenstetten gehdrt hat nur zwei Kapellem davon ist
diejenige zu St. Wendolin durchaus unbrauchbar, wahrend diejenige des
hl. Sebastian etwa 60 Personen fassen mag;

xxv1, L 1900 3

34 A. Staaisrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

in ihr wurde bisher einzig für die römischen Katholiken die Messe
gelesen. Die Pfarrkirche von Wegenstetten bietet für wohl 600 Personen
Raum. Sie wird seit dem Entscheide des Bundesgerichtes in Sachen
Wegenstetten-Hellikon vom 31. Dezember 1881 (Amu. Sammr VII, S. 651
ff.) nur noch oon den Christkatholiken benutzt. Die Römischkatholischen
haben in der Nähe eine gut gebaute und gut ausgestattete Notkirche erbaut,
die mindestens 450 Personen (nach der Behauptung der Rekursbeklagten
enthält sie circa 600 Sitzplätze) zu fassen vermag. Glocken hat diese
Notkirche nicht.

H. Auf Grund dieses Augenscheines und in Hinblick auf das in
Fakt. A oben mitgeteilte grossrätliche Postulat unterbreitete die
Jnstruktionskommission dem Regierungsrate des Kantons Aargau folgenden
Vergleichsvorschlag:

a. Die Römischkatholischen haben die Notkirche in Wegenstetten dem Staate
Aargau abzutreten zu Hemden der dortigen Christkatholiken. '

b. Den Römischatholischen ist ferner aufzuerlegen für die fehlenden
Glocken sich mit den Christkatholiken abzufinden.

c. Hingegen wird die alte Pfarrkirche den römischen Katholiken wieder
zurückgegeben

d. Jede Partei übernimmt die Kosten des Unterhaltes bezw. die Baulast
jener Kirche, deren ausschliessliches Gebrauchsrecht ihr zuerkannt worden

Dieser Vergleichsvorschlag wurde einzig vothder römisch-katholischen
Kirchgemeinde Wegenstetten angenommen, von der römisch- katholischen
Kirchgemeinde Zuzgen (die übrigens in der Sache nichts zn
sagen hatte), sowie von der christkatholischen Kirchgemeinde
Wegenstetten-Hellikon-Zuzgen aber abgelehnt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Stellung des Bundesgerichts bei Anständen, welche sich aus der
Trennung von Religionsgenossenschaften ergeben und die sich auf Art. 50
Abs. 3 B.-V. in Verbindung mit Art. 175, 178 u. 189 O.-G. stützen, ist
vom Bundesgerichi in seinen Entscheiden i. S. Grenchen (Amtl. Samml. XX,
S. 763 Erw. 2) und i. S. Lauer (Amis. Samml. XXIII, S. 1382 f. Erw. 6)
dahin präzisiert worden, dass es in erster Linie -Sache der
Kan-III. Glauhensund Gewissensfreiheit. N° &. 35

tone sei, derartige Zustände auf dem Wege der Gesetzgebung oder durch
Verwaltungsakt zu ordnen, dass gegen derartige Gesetze oder Entscheide
der staats-rechtliche Rekurs an das Bundesgericht zulässig ist, dass
dieses aber, mangels ausdrücklicher bundesgesetzlicher Bestimmungen,
die kantonalen Erlasse nur dann abändern fami, wenn sie mit feststehenden
allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Widerspruch stehen oder wenn sie gegen
den in Art. 50 Abf. 3 B.-V. niedergelegten Gedanken der Erhaltung des
konfessionellen Friedens verstossen. Wohl also ist das Bundesgericht
in diesen Sachen oberste Rekursinstanzz allein sein Eingreier setzt
jeiveilen einen kantonalen Erlass voraus, und seine Prüfungsbefugnis
bewegt sich in den angegebenen Schranken. Von diesen Grundsätzen ist
auch bei der Beurteilung des vorliegenden Rekurses auszugehen

2. Was nun zunächst das Begehren der Rekurrentinnen um Aufhebung
des ideellen Miteigentums betrifft, so ist rorab die Behauptung der
Rekurreutinnen zurückzuweisen, es werde stillschweigend eine körperliche
Unverteiltheit für alle Zukunft angeordnet. Nichts berechtigt,
dem Dekret eine derartige Tragweite zu geben. Gegenteils behält § 7
Abs. 2 eine gütliche Vereinbarung der Parteien ausdrücklich vor; und
wenn auch diese Bestimmung sich direkt nur auf den Simultangebrauch
bezieht, so ist sie doch wohl der ganzen Sachlage nach auf das ganze
Dekret auszudehnen, da es sich um einen Verwaltungsakt zur Erhaltung
des konsessionellen Friedens handelt; sollte sich in der Folge eine
andere Regelung als zur Erreichung dieses Zweckes geeigneter erweisen,
so würden die Verwaltungsbehörden gewiss nicht gehindert sein, auf
das Dekret zurückzukommen Für diese Auffassung spricht insbesondere
das grossrätliche Postulat und zudem sagten die Rekursbeklagteu selber
(Duplik, S. 2 sub ]]), die Teilung sei keine definitive und es könne
auf die betreffende Anordnung zurückgekommen werden. Soweit hierin ein
Zugeständnis des Regierungsrat-es liegt, ist er dabei zu behaften.

Z. Die Rekurrentinnen machen weiterhin geltend, das Recht auf restlose
Verteilung des sämtlichen Kirchenvermögens folge unmittelbar aus Art. 50
Abs. 3 B.V.: wenn die Christkatholiken kraft dieser Verfassungsbeftimmung
das Recht der Trennung und einer Vermögensausscheidung besitzen, so
stehe den Römisch-

86 A, Staatsrechtlicbe Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

.. fatholischen auch das Recht zu, sich von den Christkatholiken
gänzlich abzusondern und eine völlige Ausscheidung und Trennung zu
verlangen. Die von den Neturrentiunen vorgeschlagenen Verteilungsweisen
würden auch dem § 467 des aarg. B.-G.-B. entsprechen. Diesen Ausführungen
ist eutgegenzuhalten: Wenn schon gewiss isf, dass die Parität auch
für die Römischkatholischen zu gelten hat, so folgt hieraus und aus
am; 50 Abs. 3 B.-V. noch nicht, dass die eine Konfessionspartei eine
restlose Ausscheidung Verlangen könne; gegenteils steht die Praxis des
Bundesgerichts einem derartigen Satz entgegen. Zwar wird iu thesi eine
solche völlige Ausscheidung zur Wahrung des konfessionellen Friedens
empfehlenswert sein, aber sie wird häufig an den thatsächlichen
Verhältnissen scheitern. In casu walten denn auch gegen die von den
Rekurrentinnen vorgeschlagenen Veräusserungsweisen verschiedene Bedenken
ob: Die öffentliche Steigerung empfiehlt sich schon deshalb nicht, weil an
der Steigerung aus Gründen des öffentlichen Rechts nicht jeder Beliebige
teilnehmen könnte. Die Feilbietung unter den ideellen Miteigentümern
aber, sowie die Zusprechung des gesamten Kirchenvermögeus an einen
derselben unter Belastung mit einer Auskäussumme, hätten immer zur
Folge, dass der Erwerbende übermässig belastet und gleichwohl der andere
Teil den zur Deckung eines Neubaus samt Zubehörden notwendigen Ersatz
nicht erhalten würde. Allein auch abgesehen von diesen Bedenken mehr
praktischer Natur spricht gegen die von den Rekurrentinnen vorgeschlagene
Lösung der Umstand, dass auf die Pfarrkirchen die Normen des reinen
Privat-rechts nicht ohne weiteres angewendet werden können. Nach
Art. 67 der aargauischen Kantonsverfassung sind die Kirchgemeinden
öffentliche Korporationen, sonach ist auch im Kanton Aargau das Eigentum
an Pfarrkirchen öffentlich-rechtlicher Natur. Dazu kommt aber ferner
entscheidend noch, dass vorliegend der Staat Eigentümer des Chores der
beiden in Frage stehenden Psarrkirchen in Wegenstetten und in Zuzgeu ist;
ohne seine Einwilligung aber kann eine Veräusserung der Kirchen nicht
stattfinden Unter diesen Umständen aber widerspricht die Anordnung von
ideellem Miteigentum weder dem Art. 50 Abs. 3 B.-V. noch einem funtana:
len Rechtssatze.III. Glaubensund Gewissensfreiheit. N° 4. 37

4. Auch für ihren Antrag auf Aufhebung des Simultangebrauches stützen sich
die Rekurrentinnen auf Art. 50 Abs. 3 Hz.-B., indem sie die Auffassung
vertreten, diese Verfassungsbestimmung stehe dem Simultangebrauch
geradezu entgegen. Nun mag allerdings zugegeben werden, dass im Hinblick
auf die vorhandenen kirchlichen Erlasse (Breve der römischen Curie vom
12. März 1873 unb Zuschrift der General-anuisitoren des päpstlichen
Stuhles vom 23. September 1878) die Anordnung des Simultangebrauches die
Römischkatholischen in eine etwas schwierige Lage versetzt, und dass
unter Umständen der Simultangebrauch der Wahrung des konfessionellen
Friedens nicht förderlich sein kann (Schulte, Kirchenrecht, 3. Auflage,
1873, § 32, IV, S. 188, 189; Hinschius, Kirchenrecht, 1888, IV. Band, §
220, S. 386). Allein damit ist nicht gesagt, dass der Simultangebrauch
dem eidg. Berfassungsrecht, wie dasselbe nach der bisherigen Praxis
des Bundesgerichts sich entwickelt hat, widerspreche (XXIII, II,
1389, Laufen); im Hinblick auf diese Praxis lassen es die geäusserten
Bedenken nur als angezeigt erscheinen, dass dort wo die Verhältnisse
es gestatten, die Anordnung des Simultangebrauches vermieden wet-de. Jm
vorliegenden Falle nun lagen die Verhältnisse für eine Verständigung in
Zuzgen zu schwierig, indem dort eben eine zweite Kirche nicht vorhanden
ist. Anders aber steht es in Wegenstetten-Hellikon, wie aus dem sub
Fakt. G mitgeteilten Ergebnisse des Augenscheins in Verbindung mit den
übrigen thatsächlichen Verhältnissen hervorgeht; hier waren Umstände für
eine Verständigung auf der von der Jnstruktionskommission vorgeschlagenen
Basis vorhanden, und es wäre die Annahme dieses Vergleiches gewiss die
wünschenswerteste Lösung gewesen. Nachdem aber die christkatholische
Kirchgemeinde diese Annahme abgelehnt hat, und auch der Regierungsrat sich
nicht veranlasst gesehen hat, dem Grossen Rat in Ausführung des Postulats
vom 24. Mai 1898 einen diesbezüglichen neuen Beschluss vorzulegen, kann
das Bundesgericht eine solche Anordnung, wie sie der Vergleichsentwurf
versah, unmöglich von sich aus treffen. Die angefochtene Massnahme des
Grossen Rates verstösst, wie bemerkt, nicht gegen Art. 50 Abs. 3 B.-V.,
und nur unter dieser Voraussetzung könnte das Bundesgericht eine

X A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Abänderung treffe. Es muss also and) in diesem Punkte beim

grossrätlichen Dekrete sein Bewenden haben.

5. Die Anträge der Reknrrentinnen betreffend die Ka ' . · · _ pellen
In Helltkon erledigen sich mit dem Entscheide des Bundesgerichts vom
28. Dezember 1898, sowie mit den vorstehenden Ausfüh-

rungen. 6. Glocken, Orgel und Kirchen eräte 'l ' der Hauptsache g so
gen als Zubehorden Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs
wird als unbegründet abgewiesenIV. Pressfreiheit. Liberté de 1a presse.

5. Urteil vom 31. Januar 1900 in Sachen Schneider gegen Jäger.

Verleeîzung der Pressfreeîàeit durch ein Sims-urtare] wegen Ehrverlei-zung
?

A. Zn Nr. 351 des Aargauer Tagblattes vom 24. Dezember 1898
erschien unter Neuestes und Telegramme folgende Korrespondenz: Bern,
28. Dez. (S-Korr.) Nat-Rat und RedaktorJager hat sich heute morgen im
Nationalratssaale eine unerhorte Flegelei gestattet, die so recht den
Revolver-Politiker und -Journalisten kennzeichnet, und die öffentlich
an den Pran er gestellt zu werden verdient. Der Sachverhalt ist in
Kürze fgolgender.: Der Bundesstadt-Korrespondent der N. Z. Z. Dr
KunshatteÄ in seine Berichterstattung über die letzthin stattgehabte
Be-, sprechung der Doppel-Jnitiative im Schosse der freisinnig-demo:
freigeben Frakiion der Bundesversammlung eine Bemerkung ein-: geflochten
betreffend gewisse Freisinnige, die mit den Sozialisten an einem Seil
ziehen. Diese Bemerkung war absolut sachlich g:ha·lten. Nationalrat
Jäger aber, der sich (nach dem alten oprtchwort: Wenn man einen Bengel
unter eine Heerde S .....IV. Pressfreiheit. N° 5. 39

wirft, grunzt die, so man getroffen) durch dieselbe getroffen fühlte,
machte seiner Wut sofort Lust durch gehässige persönliche Anssälle
gegen Dr. Knus in der Nummer vom 17. Dezember der Sch. F. Vr. Der so
Angegriffene erteilte hieran dem Herrn Nationalrat in Nr. 854. der
N. Z. Zig die wohlverdiente Zurechtweisung, in Worten, die offenbar dem
Herrn nicht besonders lieblich ins Ohr klangen, die aber nichts von den
Gemeinheiten des Jägerschen Wörterbuches enthielten Heute morgen nun,
einige Minuten nach 9 Uhr, direkt vor (Eröffnung der Schlusssitzung
im Nationalrate, ging Nationalrat Jäger im Nationalratssaale direkt
aus den ebenfalls anwesenden Dr. Knns 1"los, insnltierte denselben
in gemeinster Weise, mit Ausdrücken wie: Lamp, Lausbube, Dummkops
u. s. w. und eröffnete ihm, er hätte ihn beorfeigt, wenn er ihn anderswo
und nicht in diefern Saale getroffen hätte. Dies alles wickelte sich
ab mit der Hei-m Nationalrat Jäger auszeichnenden Geräuschlosigkeit
und unter den Augen verschiedener Mitglieder des Nationalrats und
einiger Vertreter der Presse. Kurz darauf versammelte sich der "Nat;
die Sitzung wurde eröffnet, und Herr Nationalrat Jäger nahm seinen Platz
ein, stolz wie immer, mit dem ihm bekanntliess eigenen Bewusstsein,
der Beste der im Saale versammelten Besten zu sein. Der von ihm derart
Jnsultierte war natürlich in Anbetracht des Ortes, wo der Vorgang sich
abspielte, vollständig wehrlos. Welche Folgen Dr. Knus der Sache geben
wird, wissen wir nicht Aber das sagen wir Herrn Nationalrat Jäger ins
Gesicht: Leute, welche ihr Mandat als Vertreter "des Volkes in der Weise
ausüben, dass sie den Ort, der sie selbst vor allem schützt, und der
nur für anständige Leute bestimmt tft, dazu missbrauchen, Wehrlose und
sogar Kollegen zu besudeln und zu bedrohen, wie Sie es gethan, gehören
nicht in den Nattonalratssaal, sondern höchstens in einen Kuhstalll
Unser Parlament war bisher stolz darauf, in dem Rufe zu stehen, dass
es Anstand und gute Sitte hochhalte. Will man ihm diesen Ruf "erhalten,
so darf man jedenfalls nicht lange zusehen, wie gewisse Lente in seinem
Schosse den Kot und Unrat til-schüttelnAuch das klingt nicht lieblich,
aber: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Jnsolge dieses
Artikels erhob Nationalrat Jäger gegen