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48. Urteil vom 20. Mai 1899 in Sachen Rutishauser gegen Kläusli

Werkvertrag, Rù'cktritt des Unlernehmers wegen Verme-yes des
Besteèlers. Are: der Beeeeessung der Entschädigung. Art. 122 emd 124
(.-R., AN. 370 ecc?...

A. Durch Urteil vom l4. Januar 1899 hat die Appellationskammer des
Obergerichts des Kantons Zurich erkannt:

1. Der Beklagte und Widerkläger ist verpflichtet, dem Kläger und
Widerbeklagten weitere 37,781 Fr. 75 Cis. nebst 50,-0 Zins vom 15. Februar
1897 an zu bezahlen. Die Mehrforderung des Klagers wird abgewiesen.

2. Die Widerklage wird abgewiesen

Z. Der Kläger und Widerbeklagte ist verpflichtet, den vom Beklagten
und Widerkläger am 25. Juli 1896 zu seinen Gunsten errichteten
Kreditversicherungsbrief von 100,000 Fr. bei der-Zahlung der dem Kiäger
zugesprochenen Summe löschen zu lassen.

4. Dem Kläger und Widerbeklagten wird ein Rückforderungsrecht bezüglich
der Architekturforderungen Thomas gegenüber dem Beklagten im Sinne der
Ausführungen unter Biff. 4 litt. c der Erwägungen eingeräumt.

B. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte und Widerkläger die Berufung an
das Bundesgericht erklärt, und folgende Abänderungsanträge gestellt:

1. Dispositiv 1 des Urteils sei aufzuheben; _

2. Es habe die Berechnung des klägerischen Guthabens auf Grundlage des
Vertrages vom 16. Mai 1896 zu erfolgen;

Z. Der Prozess sei an die kantonale Instanz zurückzuweiseu behufs Abnahme
des angetragenen Beweises dafür, dass die sub 2 verlangte Rechnungsweise
thatsächlich möglich sei.

Zn der heutigen Hauptverhandlung vor Bundesgericht wiederholt der
Anwalt des Berufungsklägers diese Berufungsanträge. Der Anwalt des
Berufungsbeklagten beantragt Verwerfung der Berufung und Bestätigung
des angefochtenen Urteils.V. Obligationenrecht. N° 48. 397

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Durch Vertrag vom 16. Mai 1896 übertrug der Bekiagte Rutishaufer
dem Kläger Klänsli die vollständige Ausführung einer Restaurationsund
Saalbaute in Zollikon und verpflichtete sich, ihm dafür einen nach dem
Kubikinhalt des Gebäudes zu bemessenden Werklohn im Betrag von 26 Fr. per
m3 zu bezahlen. Dabei war bestimmt, dass 75 9/0 der Assekuranzfnmme
sofort nach Vollendung des Rohbaues und Vornahine der (zur Festsetzung
des Assekuranzwertes vorgeschriebenen amtlichen) Gebäudeschatzung zu
leisten seien. Der Kläger nahm die Baute sofort in Angriff und führte
die Arbeiten bis zum 21. Dezember 1896 fort. Nachdem am 29. Oktober
1896 die Gebäudeschätzung stattgefunden, und der Kläger den Beklagten
vergeblich zur Bezahlung der auf diesen Zeitpunkt fälligen 75 0/O der
Assekuranzsumme aufgefordert hatte, liess er am 18. Januar 1897 durch den
Audienzrichter dem Beklagten eine Frist von 10 Tagen ansetzen, um die 75%
der Bausumme nach Vertrag zu bezahlen, unter der Androhung, dass sonst
der Kläger berechtigt wäre, vom Vertrage zurückzutreten. Nach fruchtlosem
Ablauf der Frist erhob er beim Bezirks-geruht Zürich Klage auf Bezahlung
der von ihm geleisteten Arbeit. Das Gericht ordnete eine Expertise zur
Schätzung der vom Kläger geleisteten Arbeit an. Da die Erster-ten ihrer
Berechnung nicht den Einheitspreis von 26 Fr. per Kubikmeter, sondern
bestimmte Ansätze für die einzelnen Leistungen zu Grunde legten, und
sich der Beklagte über diese Rechnungsweise beschwerte, so veranlasste

si das Gericht die Experten, sich in einem Ergänzungsgutachten

n. a. auch darüber auszusprechen, ob es nicht möglich sei, die Forderung
des Klägers so zu berechnen, dass die Bausumme für die Vollendung der
Baute bestimmt, und von dieser der Wert der noch auszuführenden Arbeiten
und Anschaffungen abgezogen werde. Die Erperten antworteten hierauf:
Die Ausrechnung der Akkordsumme in der Weise, wie der Bauvertrag es
vorschreibe (26 Fr. per m3) wäre an sich sehr leicht gewesen; da aber
die Abrechnung zu einer Zeit habe vorgenommen werden sollen, da die
Arbeiten noch nicht fertig waren, so habe eine andere Abrechnungsweise
gesucht werden müssen, wofür zwei Arten möglich gewesen seien. Die eine
Art sei die, dass der Kubikinhalt nach dem Vertrag ans-

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gerechnet und mit 26 multipliziert, und von der sich ergebenden
Summe der Wert der noch nicht geleisteten Arbeit abgezogen werde. Die
andere bestehe darin, dass durch Ansmessung der bis zum 19. Mai 1897
(Datum der Augenscheinsverhandlung und Experteninstruktion) geleisteten
Arbeiten und Berechnung derselben zu den damals üblichen Einheitspreifen,
unter Berücksichtigung des Aktordpreises von 26 Fr. per m3 der Wert der
ausgeführten Arbeiten bestimmt werde. Die Experten haben die letztere
Art der Berechnung gewählt, weil es wegen der äusserst mangelhaften und
unklar-en Baubeschreibungen fast nicht möglich und ganz unsicher gewesen
ware, die noch fehlenden Arbeiten zu berechnen und abzuziehen. Denn
während eine richtige Baubeschreibung für die fraglichen Bauten mindestens
30 Seiten erfordert hätte, liege für den Restauratiousbau nur eine
Beschreibung von ii,-"i Seiten, und für den Saalbau eine solche von
34 Seiten vor. Die erste Instanz hat die Forderung des Klägers für die
von ihm geleisteten Arbeiten gestützt auf die Berechnung der Erperten
festgestellt, und darnach den Beklagten nach Abrechnung einer von ihm
geleisteten Zahlung von 61,000 Fr. verpflichtet, dem Kläger weitere
37,784 Fr. 75 Cis. nebst Verzugszinsen zu bezahlen. Die Appellationskammer
stellt in ihrem eingangs angeführten Urteil zunächst fest, dass der Kläger
berechtigt gewesen sei, vom Vertrag zurückzntreten, da sich der Beklagte
mit der Bezahlung von 75 0/0 der Assekuranzsumme im Verzuge befunden
habe, und führt sodann mit Bezug auf die Folgen des Rücktrittes aus:
Gemäss Art. 122 Q.-R bewirke der Rücktritt vom Vertrage, dass dieser als
von Anfang an aufgehoben zu betrachten sei. Da nun aber der Kläger seine
Leistung in natura nicht zurückverlangen könne, so müsse ihm in Analogie
zu den Bestimmungen des Art. 358 und insbesondere 370 D.M. das Recht zur
Geltendmachung des Wertes seiner Leistung eingeräumt werden Und zwar könne
für die Bestimmung dieses Wertes nicht der Inhalt des Vertrages massgebend
sein, sondern die Höhe der Entschädigung sei, wie es die Erperten gethan
haben, nach allgemeinen Grundsätzen festzusetzen. Infolgedessen sei
es nicht notwendig, auf die vom Beilagten dem Gerichte vorgelegten
Berechnungen auf anderer Grundlage einzutreten.V. Ohligaiionenrecht. N°
48. 399

2. Nach den vom Beklagten gestellten Berufungsanträgen herrscht darüber
kein Streit, dass der Beklagte sich mit der Bezahlung eines vor Ablauf der
Ablieferungsfrist fälligen Teils des Werklohnes im Verzug befunden hat,
und der Kläger deshalb berechtigt war, vom Vertrage zurückzutreten. Es
ist auch nicht bestritten,-oass grundsätzlich dem Kläger ein Anspruch
auf Vergütung des von seiner Seite Geleisteten zustehe, sondern lediglich
die Frage zur Entscheidung des Bundesgerichts gebracht, auf welche Weise
diese Vergütung zu berechnen sei. Da das eidgenössische ObligRecht
in dem Abschnitt über den Werkvertrag den Rücktritt des Unternehmers
wegen Verzugs des Bestellers nicht besonders regelt, so bleiben hiefür
die in Art. 122 ff. enthaltenen allgemeinen Normen massgebend Darnach
unterliegt keinem Zweifel, dass, wo es sich nicht um eine auf beiden
Seiten teilbare Obligation handelt, der Vertrag durch den Rücktritt von
Anfang an aufgehoben wird, der vom Vertrag Zurücktretende demnach für
das von ihm bereits Geleistete nicht mit der Vertragsklage Vergütung
fordern kann, sondern auf die in Art. 124 O.-R. gewährte condictio
sine cause-, unter Umständen verbunden mit einer Schadenersatzklage,
beschränkt ist. Nun ist in easu die Rückerstattung des vom Kläger bereits
Geleisteten in natura nicht möglich, da es sich um ein auf dem Grund und
Boden des Bestellers errichtetes Werk handelt. Es ist flat-, dass das
Gesetz den Unternehmer in diesem Falle nicht schlechter gestellt wissen
will, als wenn die Rückerstattung in natura möglich ist; allein das
Gesetz spricht sich darüber, worin der Ersatz für den undurchführbaren
Rückerstattungsanspruch bestehen fell, nicht ausdrücklich aus. Die Frage
muss daher nach allgemeinen Rechtsregeln, und unter Berücksichtigung der
Rechtsstellung, welche das Obligationenrecht dem Unternehmer in andern
Fällen, wo die Vollendung des Werkes verunmöglicht wird, einräumt, gelöst
werden. Ihre Lösung ergiebt sich unmittelbar aus Art. 124 selbst, wenn den
Besteller ein Verschulden trifft. Denn beim Nachweis eines Verschuldens
des Bestellers giebt Art. 124 O.-R. dem Unternehmer das Recht, für die
Vermögenseinbusse, die er infolge der Aufhebung des Vertrages erleidet,
Ersatz zu verlangen; der Unternehmer kann also, soweit ihm der Wert des
von seiner Seite Geleisteten durch Rückgabe in natura nicht ver-

XXV, 2. 1899 ss 26

490 Civilrechtspflege.

gütet wird, vom Besteller dafür Schadenersatz verlangen, dass er diese
Vergütung nicht auf dein Weg der Vertragsklage, welche durch Aufhebung
des Vertrages dahingefallen ist, beanspruchen Tann. Im vorliegenden Falle
besteht nun kein Zweifel, dass den Besteller ein Verschulden trifft,
da nichts dafür vorliegt, dass sein Verzug auf einer von ihm nicht
zu vetretenden Ursache beruhe. Der Beklagte ist demnach dem Kläger
schadenersatzpflichtig für die Folgen des Rücktrittes, und hat daher
denselben auch für das Interesse an der untergegangenen Forderung auf
Vergütung der geleisteten Arbeit gemäss dem Vertrage schadlos zu halten
Hieraus ergiebt sich aber ohne weiteres, dass die Höhe der Forderung,
die dem Kläger an Stelle der Rückerstattnng des Geleisteten in natura
zusteht, nach dem im Vertrage bestimmten Lohne bemessen werden muss. Denn
das Interesse, das ihm der Beklagte zu vergüten hat, reicht gerade so
weit, als der Anspruch, den derselbe mit der Vertragsklage hätte geltend
machen können.

Das gleiche Resultat würde sich übrigens auch dann ergeben, wenn die
in Art. 124 O.-R. bezeichnete Schadenersatzklage nicht Platz greifen
würde. In diesem Falle müsste Art. 370 O-R. analoge Anwendung finden,
wonach der Unternehmer, wenn die Vollendung des Werkes durch einen beim
Besteller eingetretenen Zufall unmöglich wird, Anspruch auf Vergütung
der geleisteten Arbeit und der im Lohn nicht inbegriffenen Aus-lagen
hat. Denn es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, warum der
Gesetzgeber dem Unternehmer nicht die gleichen Rechte auch dann hätte
einräumen wollen, wenn die Vollendung des Werkes dadurch verunmöglicht
wird, dass der Unternehmer wegen Verzuges des Bestellers zum Rücktritt
vom Vertrag genötigt ist und den Wert der bereits geleisteten Arbeit
nicht zurückfordern kann, weil die Rückgabe in natura sich als unmöglich
erweist. Dass aber nach Art. 370 O.-R. die dem Unternehmer zustehende
Forderung auf Vergütung der geleisteten Arbeit nach Massgabe des
vereinbarten Lohnes bemessen werden muss, ergiebt sich schon daraus,
dass hier der Vertrag lediglich bezüglich des noch nicht Geleisieten,
also ex nunc und nicht ex tune, aufgehoben wird (vgl. Hafner, Komment.
zu Art. 370, Anm. 3). ·

Der Auffassung der Vorinstanz, wonach die Höhe der
klagen-V. Obligationenrecht. N° 48. 401

schen Forderung nicht nach Massgabe des in dem Vertrage vereinbarten
Werklohnes, sondern nach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen wäre, kann
demnach nicht beigetreten werden. Allein gleichwohl ist die Berufung
als unbegründet abzuweisen. Denn die Summe, welche nach dem Urteil der
Vorinstanz der Beklagte dem Kläger für die geleistete Arbeit zu bezahlen
hat, belänft sich, unter Abrechnung einer bereits geleisteten Zahlung
und eines hier nicht weiter zu erörternden Abzuges wegen Fehler, gerade
auf den Betrag, welchen die Erperten als den Wert jener Arbeit berechnet
haben. Nun haben aber die Experten, wie aus ihrem Ergänzungsgutachten
unzweideutig hervorgeht, ihrer Berechnung den im Werkoertrag bezeichneten
Einheitspreis von 26 Fr. per 1113 zu Grunde gelegt; allerdings nicht in
der Weise, dass sie den Werklohn siir das ganze Werk nach dem Knbikinhalt
berechneten und daran den Wert der noch fehlenden Arbeit abzogen. Der
Grund, warum die Experten nicht in dieser Weise vorgingen, bestand
jedoch lediglich darin, dass es nach ihrer Ansicht fast unmöglich und
ganz unsicher gewesen wäre, die noch fehlenden Arbeiten zu berechnen
und abzuziehen Deshalb sahen sich die Experten genötigt, von der im
Vertrag vorgeschriebenen Methode abzugeben und den Wert der geleisteten
Arbeit nach den damals üblichen Einheitspreisen zu berechnen; allein
dies geschah, wie die Experten ausdrücklich erklären, immerhin unter
Berücksichtigung des Akkordpreises von 26 Fr. per mi, so dass also der
Wert der geleisteten Arbeit, soweit es überhaupt möglich war, in der
That auf Grund des im Vertrage vorgesehenen Werklohnes bestimmt worden
ist. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung des Beklagten wird als unbegrtindet abgewiesen, und das
Urteil der Appellationskammer des Obergerichts des Kantons Zürich in
allen Teilen bestätigt.