256 Civilrechtspflege.

4. Was nun das Widerklagsbegehren betrifft, so ist freilich auch nicht
direkt bewiesen, dass die Luise Lutz das uneheliche Kind der Frau
Niederer sei. Allein für diese Annahme sprechen doch so viele Judizien,
dass dieselbe als rechtlich erwahrt angesehen werden muss. Zunächst
fällt diesbezüglich wiederum in Betracht die durch die Strafnntersuchung
vom Jahre 1860 und die Ehescheidungsakten vom Jahre 1861 ausgewiesene
Thatfache, dass Sebastian Lutz mit der Frau Niederer verdächtige
Beziehungen unterhalten und sich mit ihr heimlich entfernt hat, Ferner
ist durch die Aussagen des Jakob Niederer und der Luise Lutz selbst
erwiesen, dass die beiden mehrere Jahre zusammen lebten. Der erstere
erinnert sich auch an die Taufe der Luise Lutz und an diese selbst, die
ihm noch von Marseille her als kleines Mädchen im Gedächtnis geblieben
ist. Und Johann Niederer berichtet, wie ihm Frau Lutz erzählt habe, als
sie im Jahre 1868 nach Genf zu ihrem Manne gekommen sei, habe sie dort
ein kleines Mädchen bei ihm getroffenwas sie beinahe veranlasst hatte,
wieder umzukehren Hält man dies alles mit der Thatsache zusammen, dass die
Luise Luiz, mit den Eheleuten Lutz-Gmünder im Jahre 1871 nach Appenzell
zurückgekehrt ist, so liegt es nahe anzunehmen, dass dieselbe die

. uneheliche Tochter des erstern Und der Elisabeth Niederer-Wall sei, .

zumal da nicht geltend gemacht ist, dass Sebastian Lul; auch noch szu
andern Frauenspersonen Beziehungen gehabt habe. Dass Sebastian Lutz die
Luise Lutz bei den beiden Tauer als sein und seiner Ehefrau eheliches
Kind ausgab, kann dem gegenüber nicht ins Gewicht fallen, da es ihm
daran gelegen sein musste, sein unerlaubtes Verhältnis mit der Frau
Niederer nicht bekannt werden zu lassen, Und da ihm dies auch mittels
seines auf ihn und seine Ehefrau lautenden Heimatscheins ein leichtes
war. Ebenso lässt es sich schon aus psychologischen Gründen erklären,
dass Frau Lutz nach ihrer Wiedervereinigung mit ihrem Ehemanne nichts
dagegen einwendete, dass die Luise Lutz als ihr eheliches Kind ausgegeben
wurde. Es kann hierauf um so weniger Gewicht gelegt werden, als Frau Lutz,
nach der eigenen Aussage der Luise Lutz die von 1868 an bis zu ihrem im
Jahre 1896 erfolgten Tode bei ihm lebte, mehrfach sich dahin ausgesprochen
hat, dass sie, die Luise Lug, nicht ihre Tochter sei. Auch Frau Niederer
hatIX. Civilsireitigkeiien zwischen Kantonen und Privaten. N° 33. 257

nach der Aussage des Johann Niederer, als dieser einmal mit ihr über die
fraglichen Verhältnisse sprach, erklärt, dass die Luise Lutz ihre und
die Tochter des Sebastian Luiz, sei. Dies ist denn auch die Auffassung
der beiden als Zeugen abgehörten Brüder Niederer und diejenige der Luise
Lutz selbst, wie klar daraus sich ergiebt, dass dieselbe auf die Frage,
wann ihre Mutter gestorben sei, das Todesjahr der Frau Niederer, 1883,
nannte. Es ist demnach der Beweis der Abstammung derselben von der
letztern geleistet und damit, da diese von ihrem Ehemanne seit 1861
geschieden war, ihr unehelicher Stand bewiesen, womit auch die Frage der
bürgerrechtlichen Zugehbrigkeit im Sinne des Gegenrechtsbegehrens der
beklagten Partei beantwortet ist. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

1. Der klägerische Kanten Appenzell Ausserrhoden wird mit dem
Rechts-begehren seiner Klage abgewiesen.

2. Dem beklagten Kanten Appenzell Jnnerrhoden wird sein
Gegenrechtsbegehren zugesprochen

IX. Civilstreitigkeiten zwischen Bund. und Privaten. Difi'érends de
droit civilenbre la Confédération et des particuliers.

33. Urteil Vom 26. Januar 1898 in Sachen Witwe Sutter gegen
Eidgenossenschaft.

fatwa-tang einer Lfegenscfraft durch. in der Nähe befindliche
eidgenössische Pulverfabrék. Expèosion; direkter Scieaden. Schadens-
ersatzaeespruch in Folge jener Ente:;ertung. Satz. 380 des bem.
Givilgeseiszeches.

A. Witwe Anna Sulter geb. Burkhardt ist Eigentümer-in einer im Worblentale
zu Worblaufen, Gemeinde Bolligen, westlich an der von Bern nordwärts
nach dem Grauholz führenden Landstrasse gelegenen Besitzung, die aus
einem Hauptgebäude, einem Wohn-

XXIV, 2. 1898 17

258 Givilreclsiltspflege.

stock, einer Scheme, einer Kegelbahn nebst Garten und Umschwung und
einigem Wiesland besteht. Im Hauptgebäude, an das ein Flügel mit einem
Tanzsaal erst in neuerer Zeit angebaut worden ist, wird seit Jahrhunderten
eine Wirtschaft, heute znr Papiermùhte genannt, Betrieben. Schon
früher, und wohl so lange wie die Wirtschaft zur Papiermühle, hatte
im Worblentale, westlich der letztern, eine Pulverrnühle bestanden,
die früher von der beruischen Regierung betrieben worden, im Jahre
1850 aber infolge der Einführung des eidgenössischen Pulverregals
an die Eidgenossenschaft übergegangen ist. Unter dieser erweiterte
sich der Betrieb beständig und es rückten die Grenzen des Komplexes,
auf dem das Pulver in verschiedenen Gebänlichkeiten fabriziert wird,
mit der Zeit bis an die Suttersche Liegenschaft heran. Die Einführung
des rauchlosen Pulvers im Jahre 1889 bedingte wesentliche Abänderungen
bezw. die Neueritellung der FabrikationsräUMIichkeiten und Einrichtungen,
die in den nächsten Jahren ausgeführt wurben. Gegen die dies-bezügliche
Baupublikation, die erst erlassen wurde, als die Gebäude zum Teil
schon erstellt waren, erhob Witwe Sutter, gestützt auf Sai gx. 380 des
bernischen Civilgesetzbuches, das bernische Gesetz über das Gewerbewesen
vom 7. November 18-19 und das Fabrikgesetz Einspracha Die erforderliche
administrative Banbewilligung wurde trotzdem erteilt, immerhin unter
Wahrung von Drittmannsrechten. Die Eidgenossenschaft hatte überdies
begonnen, auch in dem östlich der Strasse gelegenen, von ihr erworbenen
Gebäude der alten Papierfabrik einen Teil der Pulverfabrikation auszuüben;
sie stand jedoch hievon in der Folge wieder ab. Die Reklamationen,
die von daher der damalige Eigentümer der Wirtschaft zur Papiermühle,
Friedrich Sutter, erhoben hatte, fanden im Februar 1891 ihre Erledigung
durch eine gütliche Übereinkunft der Beteiligten.

B. Am 4. Januar 1893, früh 4 Uhr, fand in einem der zur Pulverfabrikation
dienenden Gebäude der Eidgenossenschaft aus nicht näher aufgeklärten
Gründen eine Explosion statt, durch die das Gebäude zerstört und der darin
befindliche Arbeiter getötet wurde. Der Knall und die plötzliche Helle
erschreckte die Nachbarschaft, insbesondere die Bewohner der angrenzenden
Sutterschen Befitzung, welch letztere zudem auch äusserlich durch die
Erschütte-IX. civilstreitigkeiken zwischen Kantonen und Privaten. N°
33. 259

rung beschädigt wurde. Dieses Ereignis veranlasste die Witwe Sutter,
der Eidgenossenschaft ihre Besitzung zum Kaufe anzubieten. Der
Bundesrat ging auf den Vorschlag nicht ein, ermächtigte jedoch das
Militärdepartement, mit Frau Sutter über die Auszahlung einer angemessenen
Aversalentschädigung für den ihren Liegenschaften durch die Nähe der
Pulversabrik erwachsenden Schaden zu unterhandeln. Es wurden demzufolge
im gegenseitigen Einverständnis drei Erperten ernannt, die sich darüber
aussprechen sollten, welche Entschädigungen gerechtfertigt seien a,. für
den Fall, dass Frau Sutter für sich und ihre Rechtsnachfolger auf allen
indirekten Schaden Entwertung der Gebäude, Verminderung der Frequenz der
Wirtschaft ze.) verzichte, der ihr aus der Nähe der der Pulverfabrikation
dienenden Gebäude und Einrichtungen der Eidgenossenschaft in Zukunft
erwachsen mag und bis jetzt erwachsen ist, mit Inbegriff der Folgen der
Explosion vom 4. Januar 1893; b. für den Fall, dass Frau Sutter endgültig
auf allen und jeden bisherigen und zukünftigen, direkten und indirekten
Schaden verzichte. Die Experten, Nationalrat Gisi in Solothurn, Professor
Rossel in Bern und Baumeister Baumann daselbst, erklärten in ihrem am
2. Februar 1894 abgegebenen Besinden, nachdem sie zunächst den Wert der
Sutterschen Gebäude mit Umschwung auf 90,000 bis 95,000 Fr. angeschlagen
haben, gestützt auf ein Spezialgutachten von Professor Rossel, das zwar
die Wahrscheinlichkeit einer bedeutenden Explosion, die die Nachbarschaft
an Leben, Gesundheit oder Vermögen schädigen könnte, zumal nach den seit
dem 4. Januar 1893 vorgenommenen Änderungen im Betrieb der Pulverfabrik,
nicht vorhanden, dass aber doch immerhin die Möglichkeit einer solchen
Explosion nicht zu bestreiten sei. In freier Würdigung aller Verhältnisse
gelangten die Erster-ten dann für den ersten Fall Verzicht auf fernere
Ansprüche wegen Entwertung auf einen Betrag von 15,000 Fr worin der durch
die Explosion vom 4. Januar 1893 angerichtete Schaden inbegriffen sein
sollte, für den zweiten Fall Verzicht auf alle Ansprüche auch für die
direkten künftigen Schädigungen saus eine solche von 35,000 Fr. Auch
auf dieser Grundlage kam jedoch eine Einigung nicht zu stande, und mit
Schreiben vom 20. März 1894 liess der Bundesrat der Witwe Sutter er-

260 Givilrechtspflege.

öffnen, dass er die Verhandlungen als abgebrochen betrachte und es ihr
anheimstelle, ihre vermeintlichen Rechtsansprüche auf dem Prozesswege
geltend zu machen. Immerhin sei der Bund Bereit, ihr den nachweisbaren
Schaden, den die Erplosion vom 4. Januar 1893 veranlasst habe, zu
vergüten.

C. Mit Klage vom 30. Mai 1894 stellte nun Witwe Sutter beim Bundesgericht
gegen die schweizerische Eidgenossenschaft die Begehren: Es sei die
beklagte Partei schuldig, der Klägerin für all den Nachteil, der ihr und
ihrer Besitznng in Worblaufen durch die in unmittelbarer Nähe befindliche
eidgenössische Pulverfabrik, resp. deren Betrieb, erwachsen und noch
erwachsen "wird, angemessene Entschädigung zu leisten. Der Schaden wird
in der Klage folgendermassen spezisiziert:

a. Schaden an den Gebäulichkeiten infolge der Explosion vom 4. Januar
1898. . . . . . Fr. 2,650 --

b. Minderwert der ganzen Besitzung sanit Mobiliar und Vor-eaten, geschatzt
auf 153, 230 Fr.

im Minimum . . . 20,000 c. Ausfall der jahrlichen Einnahmen in
Zukunft. . . . . . 15 ,000 -

Zum Beweise für diese ePosten berief sich die Klagerin namentlich auf eine
Erpertisez den ersten Posten betreffend wurde überdies auf die Zeugnifse
von Gemeinderat Walter und Gipser Sterchi einerseits-, Baumeister Kästli
und Bauführer Widmer anderseits abgestellt, die am 11. Januar bezw. am
20. Juli 1893 auf Ansuchen der Frau Sutter eine Lokalbesichtigung
vorgenommen hatten. Anschliessend an ihre Schadensaufstellung erklärte
die Klägerin immerhin, ihren Anspruch noch weiter reduzieren zu wollen
und zwar auf 20,000 Fr. Zur Begründung der Klage wurde im wesentlichen,
abgesehen von den bereits relevierten Thatsachen, geltend gemacht:
Wenn auch zugegeben werdedass durch das im Gutachten vorn 2. Februar
1894 angeführte, neue Verfahren die Erplosionsgefahr sich in etwas
vermindert habe, so sei doch zum mindesten die Möglichkeit einer
Explosion noch immer da. Jedenfalls sei noch keineswegs erwiesen,
dass die die drei Trockenhäuser umgebenden Erdwälle im Falle einer
grössern Explosion genügend Schutz bieten würden. Diese stete Gefahr
habeIX. leilstreiiigkeiten zwischen Kantonen und Privaten. N° 33. 261

eine ganz erhebliche Entwertung der Liegenschaft zur Folge Die Besorgnis
um Leben und Gesundheit ihrer Familie zwinge die Klägerin geradezu, sich
nach einem andern Geschäfte umzusehen. Diesen Umstand wurde sich aber
ein Käufer der Papiermühle zu Nutze machen, und es werde der Klägerin
schwer fallen, einen nur annähernd günstigen Preis zu erzielen. Die
Entwertung der Besitzung sei aber auch faktisch vorhanden, indem das
Wirtschaftswesen infolge verminderter Frequenz, namentlich seit der
Explosion vom 4. Januar 1893, erheblich gelitten habe. Dafür-, dass auch
Dritt-personen von der beständigen Gefahr beeinflusst seien, werde auf
folgende Beispiele verwiesen: Im Herbst 1892 sei eine Guidenkompagnie,
die für die Dauer ihres Dienstes in der Papiermühle hätte untergebracht
werden sollen, wegen der gefährlichen Nähe der Pulverfabrik anderswohin
disloziert worden. Am 9. Mai 1893 hätten zwei Damen aus Marseille sich
bei der Klägerin einmieten wollen; aus dem nämlichen Grunde seien sie
aber davon abgestanden. Früher seien viele Gesellschaften besonders
Schulen und Familien mit Kindern in die Papiermuhle gekommen; das sei
jetzt anders geworden; weshalb, ergebe sich aus der Äusserung eines
Mitgliedes der Berner Liedertafel, der am 2. Januar 1893, anläszlich
eines Ausfluges dieser Gesellschaft, bemerkt habe, er gehe nicht mehr
gerne nach der Papiermühle und zwar der Pulverfabrikation wegen. Dem
Projekt des Verkauf-Z der Liegenschaft sei es denn auch zuzuschreiben,
dass eine Konkurrenzwirtschaft in der Nähe entstanden sei. Der Konsum und
damit der Ertrag der Wirtschaft habe sich, zumal seit der Explosion vom
4. Januar 1893, bedeutend reduziert: während früher die Bruttoeinnahmen
sich auf 48,000 bis 50,000 Fr. im Jahre belaufen hätten, seien dieselben
im Jahre 1893 auf die Hälfte zurückgegangen Die Wareneinkäufe hätten noch
im Jahre 1892 Fr. 54,600 betragen, im Jahre 1893 bis Ende Juni bloss noch
18,000 Fr. oder bis Ende des Jahres 36,000 Fr. Infolgedessen seien nicht
nur die Immobilien im Werte zurückgegangen, sondern auch das Mobiliar
und die Vorräte.

D. Die beklagte Partei schloss in ihrer Antwort auf Abweisung der
Klage, soweit mit derselben mehr verlangt werde, als die Ersetzung des
nachweisbar durch die Explosion vom 4. Januar

262 Givilrech Lspflege.

1893 entstandenen Schadens-, bezüglich dessen sich der Bund der Klage
grundsätzlich unterziehe. Immerhin wurde auch in letzterer Beziehung
der Anspruch der Klägerin der Höhe nach bestritten und selbständig
geltend gemacht, dass die Gebäulichkeiten der Klägerin sich überhaupt
in reparaturbedürftigem Zustande befänden und dass eine Untersuchung
derselben durch die Beamten des eidgenössischen Baubiireaus, die im
Frühjahr 1893, als es sich um den Ankan der Liegenschaft durch den Bund
gehandelt habe, vorgenommen worden sei, keine erheblichen Schädignngen
erzeigt habe, die von der Erplosion hätten herrühren können. In der
Hauptsache wurde bestritten, dass die klägerische Besitzung durch die
Pulverfabrikation einer steten und grossen Gefahr ausgesetzt sei,
namentlich nicht seit der infolge der Erplosion vom 4. Januar 1893
getroffenen Massnahmen. Alles, was über eine Entwertung der Liegenschaft
und eine Abnahme der Frequenz behauptet werde, werde bestritten;
jedenfalls sei am Rückgang in der Frequenz, dem Konsum oder Gewinn,
nicht die Pulverfabrikation oder die Erplosion vom 4. Januar 1898
schuld. Speziell die angeführten Beispiele seien unrichtig.

E. Die Beweisführung beschlug im wesentlichen die zwei bestrittenen
Thatsachen des Vorhandenseins einer beständigen Explosionsgefahr und
der Schädigung und Entwertung der klägerischen Fiegenschaft bezw. des
Riickgangs der Frequenz der Wirtschaft infolge der Erplosion vom
4. Januar 1893. In ersterer Richtung hatte die Klägerin auf eine
Erpertise abgestellt, die denn auch zugelassen wurde. Die Erperten,
Professor Dr. E. Drechfel in Bern und Kantonschemiker Dr. Schumacher-Kopp
in Luzern haben die ihnen gestellten Fragen folgendermassen beantwortet:
Die Gefahr einer Erplosion in der Pulverfabrik in Worblaufen sei trotz
der nach der Erplosion vom 4. Januar 1893 eingeführtcnsi Neuerungen
nicht absolut ausgeschlossen Zur Begründung dieser Antwort gehen die
Erperten zunächst auf die Eigenschaften der Schiessbaumwolle und die
Herstellungsweise des Pulvers daraus ein und bemerken in ersterer
Beziehung: Ausser den bekannten Ursachen der explosiven Zersetzung
der Schiessbaumwolle _ starke Erschütterung, Stoss, Schlag, Erhitzung
über eine gewisse Temperatur schienen auch noch andere, bis jetzt
noch nicht erkannte zu existieren, die dieselbe Wirkung auszuüben imIX
('siivilstreitigkeiten zwischen Kantonen und Privaten. N° 33. 263

stande seien. Es sei hier namentlich auf die Möglichkeit einer Entzündung
durch Selbstzersetzung hinzuweisen, in welcher Hinsicht die Beobachtung
von Interesse sei, dass die feuchte Schiessbaumwolle unter Umständen
schimmle, was allerdings wohl nur bei längerem Liegen in feuchtem
Zustande und beim Vorhandensein von Unreinigkeiten eintrete. Ferner sei
von Bedeutung die Möglichkeit eines Verschuldens eines oder mehrerer
Arbeiter, das sich aber meist nicht werde nachweisen lassen. Nachdem dann
die Erperten die einzelnen Operationen, aus denen die Pulverfabrikation
sich zusammensetzt, durchgangen und dabei die Gefahrsmomente namhaft
gemacht, auch die Vorsichtsmassregeln gegen die Gefahren evaluiert
haben, schliessen sie dahin, dass keine der beschriebenen Operationen
an sich mit der Gefahr einer Explosion verknüpft sei; damit eine
solche eintrete, sei vielmehr das Hinzutreten eines neuen Faktors
notwendig, wozu namentlich gehörten: plötzliche Einwirkung einer starken
mechanischen Gewalt, plötzliche sehr starke Erhitzung und der elektrische
Funke. Diesen Gefahren sei durch die Vorschriften der Fabrikordnung,
durch die Art und Weise-, wie die Gebäulichkeiten und Einrichtungen
angelegt und ausgeführt und der Betrieb organisiert sei, sowie durch
besondere Sicherheitsansialten und Vorkehren thunlichst vorgebeugt:
es seien bis auf die Anbringung von Vorrichtungen zur Ableitung der
Elektrizität im Innern der Trockenhäuser und dem Funkensänger auf dein
grossen Schornstein alle Massregeln ergriffen worden, die nach dem
jetzigen Stande Unserer Kenntnisse für die Ver,-,hütung einer Erplosion
von Bedeutung sind. Trotzdem, fahren Erperten fort, müssten sie sich
sagen, dass aus irgend welchen Gründen, wie z. B. Leichtsinn oder
Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit eines Arbeiters eine Erplosion
doch einmal eintreten farm und dass demgemäss die Gefahr beim Betriebe
nicht absolut aus-geschlossen ist Auf die zweite Frage, ob speziell die
die drei vorhandenen Trockenhäuser umgebenden Erdwiille im Falle einer
grössern Explosion genügend Schutz für die klägerische Besitzung bieten
oder ob nicht eher das Gegenteil der Fall sei, lautet die Antwort der
Erperten: Es ist nicht anzunehmen, dass die betreffenden Erdwällesim
Falle einer grössern Explosion genügend "Schutz für die klägerische
Besitzung gewähren, aber auch nicht, dass das Gegenteil der Fall sei,
insofern als der Schutz, den sie

264 Civilrechtspflege.

in der einen Hinsicht wirklich gewähren, die Vergrösserung der Gefahr
durch sie in anderer Hinsicht ausgeglichen sein dürfte. Es komme hier
eben, wird zur Begründung bemerkt und desuäheru ausgeführt, auf die
Stärke der Explosion an. Danach sei, erklären die Experten auf die
dritte Frage, eine Gefahr für die Besitzung Sutter, bei und infolge der
Explosion eines der Fabrikgebäude beschädigt oder demoliert zu werden,
da, gleichgültig durch welche Ursachen diese Erplosion herbeigeführt
werde. AlleVorsichtsmassregeln, die getroffen worden seien, und überhaupt
getroffen werden könnten, könnten die Möglichkeit einer Explosion nur
bis zu einem gewissen Grade vermindern, nicht aber völlig aufheben;
dazu wäre nötig, dass man alle möglichen Ursachen einer Explosion kennte,
voraus-sähe und auch völlig in seiner Gewalt hätte oder unwirksam machen
könnte, und das sei eben unmöglich, namentlich insofern Naturereignisse
oder gar Menschen mit ihren Schwächen und Fehlern in Betracht kämen. Die
Erperten fassen ihre Erhebungen und Betrachtungen dahin zusammer dass in
der Worblaufener Pulverfabrik zwar his auf die be-: reits erwähnten Punkte
alles gethan sei, um die Gefahr fürden Betrieb und die Nachbarschaft auf
ein Minimum zu beschränfen, dass aber trotzdem diese Gefahr vorhanden sei
und auch nicht absolut ausgeschlossen werden könne. Die Beweiserhebungen
über den zweiten Punkt Schädigung und Entwertung derBesitzung der Klägerin
bestanden in der Hauptsache ebenfalls in der Aufnahme einer Expertise. Das
Resultat derselben ist in zwei Gutachten, vom 15. Oktober 1896 und vom
1. September 1897, niedergelegt; die Ergebnisse derselben sind in Erw. 5
mitgeteilt Über die einzelnen Beispiele, die die Klägerin zum Belege
für ihre Behauptung einer Einwirkung der Nähe der Pulverfabrik auf den
Besuch ihrer Wirtschaft angeführt hatte, hat eine Beweisaufnahme durch
Zeugen stattgefunden, die jedoch im wesentlichen ein negative? Resultat
zu Tage förderte.

G. Im heutigen Vorstande wiederholte Fürsprech Moser namens der Klägerin
die Klagsbegehren In rechtlicher Beziehung berief er sich auf Satz. 380
des beruischen Civilgesetzbuches und legte ein Rechtsgutachten von
Professor Baron in Bonn ein. Der Anwalt der beklagten Partei wiederholte
die Erklärung und den. Schluss der Antwort und bestritt namentlich, dass
durch die Ex-IX. Civilsireilssigkeîten zwischen Kantanen und Privaten. N°
33. 265

plosion eine dauernde Entwertung der klägerischen Liegenschaft eingetreten
sei, da die Gefahr schon vorher bestanden habe und sich die Erinnerung
an ein solches Ereignis und die damit verbundene Furcht bald verliere.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die beklagte Partei hat sich bereit erklärt, der Klägerin den durch
die Explosion vom 4. Januar 1893 ihr verursachten direkten Schaden
zu ersetzen, und es handelt sich heute diesbezüglich nur noch um die
Ausmittlung dieses Schadens. Derselbe konnte durch die gerichtliche
Expertise nicht mehr festgestellt werden. Dagegen liefern die von der
Klägerin vorgelegten Bescheinignngen von Gemeinderat Walter und Gipser
Sterchi einerseits-, von Baumeister Stämpfli und Bauführer Widmer
anderseits, einige Anhaltspunkte zur Abschätzung des direkt durch die
prlosion vom 4. Januar 1893 verursachten Schadens-. Gemeinderat Walter
und Gipfer Sterchi nämlich haben bei der am 11. Januar 1898 vorgenommenen
Lokalbesichtigung laut Bescheinigung vom gleichen Tage verschiedene
Beschädigungen an den Gebäulichkeiten der Klägerin konstatiert, bezüglich
deren sie freilich nicht positiv erklären, dass dieselben sämtlich auf die
kurz vorher erfolgte Explosion zurückzuführen seien. Baumeifter Stampi-'ti
und Bauführer Widmer sodann, die am 20. Juli 1893 die Gebäude der Klägerin
untersucht haben, am die von der fraglichen Explosion herrührenden Schäden
zu konstatieren, äussern sich in ihrem Bericht vom 28. Juli dahin:
Sowohl am Wirtschafts-: als am Tanzsaalgebäude sind zahlreiche Risse
und Sprünge an den Gipsdecken, an den innern Wänden Und an den Faezaden
sichtbar-, welche offenbar zum grössten Teil von der Erschiitterung
herrühren, welche die Explofilm verursachte. Infolgedessen sind grössere
Reparaturen an diesen Gebäuden notwendig, welche von Gipsermeister Sterchi
detailliert berechnet werden, Der ebenfalls produzierte Kostenanschlag
des letztern nun beläuft sich auf 2851 Fr. 80 Ets. Hierin sind jedoch,
wie nach der Bescheinigung von Kästli und Widmer angenommen werden muss,
auch einige Reparaturen inbegriffen, die nicht durch die Erplosion vom
4. Januar 1893 notwendig geworden sind. Es wird dies dadurch bestätigt,
dass nach einem vom eidgenössischen Departement des Innern an das
Militärdevartement erstatteten Bericht vom 11. April 1893, wel-

266 Civilrechtspflege.

cher in dieser Richtung durch den allerdings nicht gerichtlich
ernannten, aber doch im Einverständnis beider Parteien bestellten
Experten Baumann in seinem Gutachten vom 28. Dezember 1893 bestätigt
wird, die Gebäulichkeiten der Frau Sutter zum Teil sich nicht in gut
erhaltenem Zustande befinden. Weniger Gewicht dars, da sie nicht von
unparteiischer Seite bestätigt wird, der im nämlichen Bericht enthaltenen
Bemerkung beigemessen werden, dass die Beamten der Abteilung Bauwesen
des Departements des Jnnern bei der Untersuchung der fraglichen Objekte
keine irgend erheblichen Schädigungen entdeckt haben wollen, die von
der letzten Explosion herrühren könnten. Nach alle dem muss von der
im Kostenanschlag des Gipsermeisters Sterchi ausgesetzten Summe ein
gewisser Betrag abgestrichen und es mag so ex aequo et bono der durch die
Emolo-finn direkt verursachte Schaden auf 2000 Fr. angeschlagen werden.

2. Den weitern Anspruch auf Ersatz eines durch die Erplosion verursachten
indirekten Schadens-, der in der Entwertung ihrer Liegenschasten und ihres
Mobiliars bestehen soll, leitet die Klägerin in rechtlicher Beziehung
daraus ab, dass sie in der Ausübung ihrer Eigentumsrechte durch die
Gefahr, welche die Nähe der Pulverfabrik für Leben und Gesundheit der
auf ihrer Liegenschaft wohnenden und verkehrenden Menschen, sowie für ihr
Vermögen mit sich bringe, in rechtlich unzulässiger Weise beeinträchtigt
werde. Für die Beurteilung dieses Anspruchs sind die Regeln des
Nachbarrechts massgebend, nach denen der Eigentümer eines Grundftiicks,
hinsichtlich der Ausübung jenes Rechts, im Interesse seines Nachbars in
gewissem Umfange beschränkt ist. In der That kann sich der Inhalt des
Eigentums nicht ausschliesslich nach dem Interesse der Berechtigten
bestimmen; vielmehr zwingt schon der natürliche Zusammenhang der
Grundstücke und mehr noch die Rücksicht auf die sozialen Beziehungen der
daraus lebenden und arbeitenden Menschen zu gewissen Einschränkungen im
Jnteresse der Nachbarn. Dieser Gedanke liegt offenbar auch der Vorschrift
in Satz. 380 des hernischen Cioilgesetzbuches zu (Stunde, dass ein jedes
Grundstück so benutzt werden soll, dass auch die Nachbarn ihre Grundstücke
ihrem Rechte nach benutzen können. Wie weit der Eigentümer dem Nachbarn
gegenüber in der freien Benutzung seines Grundstück-s beschränkt sei,
darüber fehlen nun freilich imIX. Civilstreingkelten zwischen Kant-men
und Privaten. No 33. 267

bernischen Rechte positive Bestimmungen; denn wenn auch die Vorschrift
in Satz. 380 unverkennbar einer rücksichtsloseu Ausübung des Eigentums
entgegentreten will, so ist doch damitdie Lösung der zwischen Nachbarn
entstehenden Konflikte im einzelnen Falle nicht gegeben, da als Schranke
des Rechts des Eigentümers lediglich das seinem Inhalte nach wiederum
durch das Recht des erstern beschränkte Recht des Nachbarn genannt
ist. Dagegen haben sich in Doktrin und Praxis für die Lösung der
Jnteressenkonslikte zwischen Nachbarn und für die durch nachbarliche
Verhältnisse gebotene Beschränkung der Befugnisse des Eigentümers festere
Regeln ausgebildet, welche bei der Übereinstimmung, in der sich die
modernen Rechtssystetne im allgemeinen mit Bezug auf den Begriff und
den Inhalt des Eigentums befinden, unbedenklich auch auf das Gebiet des
bernischen Rechts angewendet werden dürfen und übrigens auch durch die
bernischen Gerichte angewendet worden find. Danach kann der Eigentümer
nicht jeder Hemmung in der Benutzung eines Grundstiicks, jeder, auch der
geringsten Beeinträchtigung in der wirtschaftlichen Ausbeutung desselben
durch den Nachbarn entgegentreten. Eine gewisse Einwirkung muss sich
jeder gefallen lassen; schon das gewöhnliche Leben bringt es mit sich,
dass gegenseitige Einwirkungen stattfinden, und ohne solche wäre eine
freie Entfaltung gewerblicher und industrieller Thätigkeit unmöglich
So lange sich somit diese Einwirkungen innerhalb einer gewissen Grenze
bewegen, müssen sie als Folge der Freiheit in der Benutzung des Eigentums
hingenommen werden. Dagegen braucht sich der Nachbar solche Einwirkungen
nicht mehr gefallen zu lassen, die das Mass des Gewöhn·licheu, dessen,
was die Erfordernisse eines geordneten und gedeihlichen Zusammenlebens und
-Wirkens zu dulden zwingen, übersteigen, sei es, dass die Intensität oder
die Häufigkeit der Einwirkung eine besonders lästige oder schädigende oder
dass die Benutzungsart selbst eine aussergewöhnliche, die ordentliche
Benutzung des Nachbargrundstücks beeinträchtigende sei. Es darf das
Mittel der durch die gewöhnlichen Beuutzungsarten der Liegenschaften
bedingten gegenseitigen Einwirkungen nicht überschritten werden Und
mit Erfolg kann der Eigentümer gegen eine übermässige Inanspruchnahme
seines Grundstücks bezw. eine ausserordentliche Beeinträchtigung in der
Benutzung desselben austreten (vgl. hier

268 Civilrechtspflege.

Jhering, in den Jahrbüchern für Dogmatils Bd. VI, 'S. 81 ff.; Dernburg,
Pandekten, 5. Aufl-, Bd. I, S. 474; Keller, Pandekien, . Bd. I, S. 249
ff.; Laurent, Principes de droit ci?). francais,

Bd. VI, S. 181 ff.; Baudry-Lacantinerie, Breit civéi des Mens, S. 159
ff., und die von diesem Autor citierten Urteile französischer Gerichte;
Seuffert, Archiv, Bd. Xl, Nr. 114, Bd. XII, Nr. 124, Bd. XV, Nr. 2,
Je F., Bd.1v, Nr. 99, Bd. XIV, Nr. 6, Entscheidungen des deutschen
Reichsgerichts in Civilsachen, Bd. VI, S. 21? ff., Bd. XI, S. 341 ff.;
Entscheidungen des schweiz. Bundesgerichts, A. S., Bd. VIII, S. 379;
speziell für das bernische Recht: König, Kommentar zu Sag. 380;
Leuenberger, Bern. Privatrecht, Bd. II, S. 119, und die Urteile des
bernischen Appellationsund Kasfationshofes in der Zeitschrift des
bernischen Juristenvereins, Bd. XXVI, S. 245 und im Monatsblatt für
Bern. Rechtssprechung, Jahrg. 1890, S. 270; für das österreichische
Recht, das in § 364 des allg. bürgerl. Gesetzbuches eine mit der
Bern. Satz. 380 inhaltlich übereinstimmende Vorschrift besitzt: Unger,
in Grünhuts Zeitschrift, Bd. XIII, S. 715 ff.; f. jetzt auch § 906 des
bürgerl. Gesetzbuches für das deutsche Reich).

3. Im vorliegenden Falle erblickt die Klägerin eine solche übermässige
Inanspruchnahme ihrer Besitzung, eine Einwirkung, diesie in der
Benutzung derselben über Gebühr hemmt, darin, dass die Beklagte auf
dem Nachbargrundstück ein Gewerbe betreibt, das sie und die ihrigen
der steten Gefahr einer Beschädigung an Leib und Leben und am Vermögen
aussetzt. Grundsätzlich muss. nun zugegeben werden, dass der Nachbar
nicht nur Einwirkungen auf die Substanz seines Eigentums, sondern auch
solchen auf die Menschen, die dasselbe bewohnen und bewirtschaften,
entgegentreten kann, vorausgesetzt immer, dass man es mit Einwirkungen
zu thun habe, die das Mass des Gewöhnlichen übersteigen und sich als
ausserordentliche darstellen. Und zwar kann es keinen Unterschied
machen, ob die Nachbarn durch die Art der Benutzung eines Grundstücks
in ihrem körperlichen Besinden beeinträchtigt oder allzusehr belästigt
werden, oder ob die Hemmung in der freien Benutzung und Verwertung des
Eigentums mehr auf seelische Sl?eeinfluffimgen, wie z. B. die Furcht
vor einer mit dem Betrieb eines industriellen Unternehmens verbundenen
Gefahr, zurückzufuhren sei (vgl. Jhering, a. a. O., S. 121 und Laurent,
a. a. Q-IX. Civilstreitigkeiten Zwischen Kantonen und Privaten. N° 33. 269

©. 203 ff.). Nur muss es sich jeweilen um Einflüsse handeln, die
allgemein als Hindernisse in der ordnungsmässing Benutzung einer Liegen-
schaft aufgefasst werden und die objektiv nachweisbar find, während
bloss subjektive Ansichten und Auffassungen nicht in Betracht fallen
dürfen. Es muss sich deshalb fragen, ob der Betrieb der Pulverfabrik
der Beklagten wirklich mit solchen ausserordentlichen Gefahren für die
Umgebung vorhanden sei, dass dadurch die wirtschaftliche Ausbeutung der
benachbarten Liegenschaft der Klägerin nach objektivem Massstabe gemessen
gehemmt werden kann. Dies muss nun zweifellos bejaht werden. Zwar kann
diesbezüglich die Thatsache der Explosion vom 4. Januar 1893 nicht
schlechthin massgebend fein, da seither, wie die Klägerin anerkennt,
von der Beklagten vermehrte Sicherheitsmassnahmen zur Verhütung
ähnlicher Vorkommnisse getroffen worden sind. Allein nach dem Besinden
der technischen Experten, dessen Inhalt dafür bürgt, dass man es mit
einer gründlichen, alle Erkenntnismittel sorgfältig berücksichtigenden
Arbeit zu thun hat, ist auch bei der jetzigen Gestaltung des Betriebs
und trotz der vorhandenen Sicherheitseinrichtungen, die fast allen ,
vernünftiger Weise zu stellenden Anforderungen entsprechen, eine erneute
Katastrophe nicht ausgeschlossen Es bringt somit die Pulverfabrikation
eine beständige Gefahr für eine Explosion mit sich, die die Klägerin
in der ordentlichen Benutzung ihrer Liegenschaften zu ihrem Nachteil
zu beeinflussen geeignet ist, und die sich wegen der unheilvollen,
zum voraus in ihrem Umfang nicht zu berechnenden Folgen eines solchen
Ereignisfes als eine ausserordentliche darstellt. Mit Grund kann sich
deshalb die Klägerin wegen dieser Gefahr beschweren; und es ändert hier-an
der Umstand nichts, dass eine weitere Explosion nicht wahrscheinlich,
sondern nur möglich, bezw. nicht ausgeschlossen ist. Die Befürchtungen,
welche eine verminderte Benutzungssähigkeit des klägerischen Grundstücks
zur Folge haben, wurzeln nicht in Erwägungen über die grössere oder
geringere Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer neuen Explosion,
sondern in der durch die Erfahrung ausgewiesenen Intensität der Gefahr
in Verbindung mit der bestehenden Unsicherheit. Es muss somit anerkannt
werden, dass die Klägerin sich die Pulverfabrikation der Beklagten aus
nachbarrechtlichen Gründen nicht ohne anderes gefallen zu lassen braucht.

4. Nun ist aber die Klage nicht auf Einstellung des gefähr-

270 L'ivilrechispflege.

lichen Betriebes gerichtet, sondern sie geht auf Ersatz des Nachteils,
der der Klägerin und ihrer Besitzung durch die in unmit- telbarer
Nähe befindliche Pulverfabrik resp. deren Betrieb erwachsen und noch
erwachsen wird. Gegen diese Klagestellung hat die beklagte Partei
keinerlei Einwendungen erhoben; sie scheint im Gegenteil für den Fall,
dass grundsätzlich der Anspruch der Klägerin gutgeheissen werden sollte,
mit der Ausweisung derselben in Geld einverstanden zu sein. Es entspricht
dies denn auch der Sachlage: Der auf Einstellung des Betriebs gerichteten
Regate: rienklage hätte nämlich die Beklagte wohl mit Erfolg die
Einrede entgegenstellen können, dass der} Bund die Pulverfabrikation im
öffentlichen Interesse, dem Interesse der Kriegsbereitschaft, betreibe,
und dass diesem private Berechtigungen weichen müssten. Es hätte also
wohl ein derartiges Klagsbegehren abgewiesen und erkannt werden müssen,
dass die Klägerin den in der Pulverfabrikation liegenden Eingriff
in ihr Eigentum dulden müsse. Allein die Staatsverwaltung kann doch
in dieser Weise in private Rechte nur eingreifen, wenn sie ftir die
daraus dein Berechtigten erwachsenden Nachteile Ersatz leistet. Es
treffen hier ähnliche Gesichtspunkte zu, wie bei der Erpropriation,
bei der ebenfalls der im öffentlichen Interesse erfolgte Entng des
Eigentums oder anderer dinglicher Rechte nur gegen volle Entschädigung
vor sich gehen kann. Jedenfalls konnten sich hier die Parteien auf
den Standpunkt stellen, dass, wenn eine unzulässige Einwirkung auf
die Besitzung der Klägerin vorliegen sollte, nicht die Einstellung des
Betriebes der Beklagten verfügt, sondern der Nachteil, der daraus der
Klägerin entsteht, abgeschätzt und die Beklagte zum Ersatz desselben
verurteilt werden soll. Daraus geht denn auch ohne weiteres hervor, dass
zur Fundierung der Klage nicht noch der Nachweis eines Verschuldens oder
eines andern besondern Grundes für die Entschädigungspflicht der Beklagten
erforderlich , dass vielmehr eine Ausgleichung der Interessen auf dem Wege
der Schadensersatzleiftung geboten ist, sobald einerseits feststeht, dass
die Beklagte in aussergewöhnlicher Weise auf die Liegenschaft der Klä-

gerin hinüberwirkt, und anderseits dargethan wird, dass für diese

hieraus wirklich ein Schaden erwachsen ist (vergl. hier Unng a. a. O.,
S. 726 ff.; derselbe, Handeln auf eigene Gefahr, S 7 H.; R. Merkel, Die
Kollision rechtmässiger Interessen, S. 58 ff. undIX. Civilstreitigkeiten
Zwischen Kantonen und Privaten. N° 33. 27!

S. 113 ff.; ferner die Entscheidungen des deutschen Reichsgerichts in
Bd.v11, S 266 ff. und Bd. XVII, S. 103 f.; s. auch Maher, Deutsches
Vewaltnngsrecht, Bd. II, §§ 58 n. 54).

5. Da letzteres von der Beklagten ebenfalls bestritten wird, so muss es
sich nunmehr fragen, wie es sich hiemit verhalte. Dabei ist zu bemerken,
dass es sich in diesem Verfahren nur darum handeln kann, zu prüfen,
ob der Klägerin aus der Nähe der Pulverfabrik und der damit verbundenen
Gefahr ein konkreter abschätzbarer Schaden bereits entstanden sei, und
dass es unmöglich ist, zum voraus eine Abfindungssumme für allfätlige
Schädigungen durch künftige Explosionen festzusetzen. Insoweit kann also
von dem Zuspruch einer Entschädigung für künftige Nachteile nicht die
Rede sein. Anderseits ist klar, dass, soweit die drohende Gefahr schon
jetzt eine präsente und bestimmbare Entwertung der Besitzung der Klägerin
herbeigeführt hat, die Beklagte dafür jetzt schon aufkommen muss, dass
dann aber damit der Ersatzpslicht für die Gefährdung, sofern nicht die
thatsächlichen Verhältnisse sich ändern, ein Genüge geleistet ist. Die
Beklagte bestreitet nun eine solche Ersatzpslicht von vornherein deshalb,
weil die Gefahr für die Besitzung der Klägerin schon früher bestanden
habe, indem von jeher in der Nähe derselben Pulver fabriziert worden sei,
und dass somit von einem daraus der erstern entstandenen Schaden nicht
gesprochen werden könne. Allein erstlich ist in der Fabrik der Beklagten
vor dem Jahre 1889 nicht Weisspulver, sondern Schwarzpulver hergestellt
worden, und es ist nicht behauptet worden, dass die Fabrikation dieses
Pulvers die nämlichen Gefahren geboten habe, wie diejenige des Weiss
pulvers. Zudem haben seit der Einführung des letztern bedeutende
Veränderungen in der Situation und Anlage der Fabrikationsgebäude
stattgefunden, die sehr wohl auch eine Erhöhung der Gefahr im Gefolge
haben könnten. Ausschlaggebend aber fällt in Betracht, dass die
Gefahr erst durch die Explosion vom 4. Januar 1893 eine offenkundige
geworden ist, und dass erst jetzt von daher nachteilige Wirkungen für
die Liegenschaft der Klägerin thatsächlich eintreten konnten; und nun
ist nicht einzusehen, warum die Schadenersatzpflicht deshalb cessieren
follie, weil vorher die vorhandene Gefahr nicht erkannt wurde und daher
ihren schädigenden Einfluss nicht ausüben konnte (ng. hier auch Jhering,
a. a. O., S. 127, Laurent a. a.

272 Civilrechtspfiege.

O., S. 203 f.). In Wirklichkeit ist ferner der Klagerin auch aus der
von der Nähe der Pulverfabrik herrührenden Gefährdung ihrer Besitzung
ein Schaden erwachsen. Sie hat sich dies-bezüglich namentlich darauf
berufen, dass die Frequenz ihrer Wirtschaft seit der Explosion
erheblich zurückgegangen sei. Es ist dies auch nachgewiesen. Zwar
hat die Beweisführung Über die einzelnen von der Klägerin angeführten
Beispiele nur ein sehr dürftiges Resultat geliefert. Dagegen haben die
sogenannten ökonomischen Experten an Hand der allerdings mangelhasten
Buchführung der Klägerin und anderer zweckdienlicher Hilfsmittel
konstatiert, dass der Konsum in der Wirtschaft derselben seit dem Jahre
1893 bedeutend zuriickgegangen ist. Dies muss aber naturgemäss einen
ungünstigen Einfluss auf die Verkäuslichkeit der Liegenschaft und der
Wirtschaftsvorräte ausgeübt und damit eine Entwertung derselben bewirkt
haben. Die Erperten haben ferner aus bezügliche Erläuterungssragen hin
festgestellt, dass allerdings nicht die gesamte Frequenzverminderung auf
Rechnung der Explosion vom 4. Januar 1893 bezw. der Nähe der Pulversabrik
zu setzen sei, aber doch der grössere Teil. Unter Berücksichtigung
aller Umstände haben sie die ganze Entwertung auf 20,000 Fr., den auf
die Explosionsgefahr fallenden Teil aus 15,000 Fr. angesetzt. Von dieser
auf richtiger Grundlage beruhenden Schätzung abzugehen liegt kein Grund
vor, zumal da sich dieselbe von derjenigen der früher im Einverständnis
beider Parteien zur Begutachtung dieser Frage berufenen Experten nur
insoweit entfernt, als diese den gesamten Schaden, mit Inbegriff des
durch die Erplosion direkt verursachten, aus 15,000 Fr. anschlugen. Es
muss deshalb der daherige Anspruch der Klägerin in einem Betrage von
15,000 Fr. geschützt werden. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Klägerin wird ihr Klagsbegehren in einem Betrage von

17,000 Fr. zugesprochenLausanne, Imp. Georges Bride! &
CieUIVILRECHTSPFLEGE ADMINISTRATION DE LA JUSTICE CIVILEI. Organisation
der Bundesrechtspflege. Organisation judiciaire fédérale.

34. Awéé du 23 avril 1898, afa-ns la cause Bsszeegge?" contre Scheimbet.

Reeours en réforme; compétenoe du Tribunal fédéral? Droit fédéral ou
droit canîonal? Le contrat d'afiénation de suecession est régi par le
droit cantonal (art. 76 CO.).

Par aete passe à laChaux-de-F0nds le 9 aoüt 1897, Fernand Scheimbet,
photographe à Genève, devenu majeur depuis peu, expose que son ex-tuteur,
le notaire Barbier à la Ghaux-cle F0ncls, s'est refusé à lui reinettre
sa. fortune, dont il aurait eu besoin pour une association, et l'a menacé
de le faire placer sous curatelle; vu ces faits, Scheimbet déclare ce
qui suit:

Je fais par la presente cession, c'est-ä dire que je vends et transfere
purement et simplement, sans aucune exception. en faveur de Frédéric
dit Fritz Ruegger, agent de droit à la. Chaux-de-Fonds, tous mes droits
dans la succession de feu mon père Ami-Lucien Scheimbet; ainsi le dit
F. Ruegger est subrogé dans tous mes droits resultant de ma. qualité
d'héritier de mon dit père, de sorte que luj seul aura le droit de
teacher ce qui me revenait dans lasuccessien ........

xxw, 2. 1898 18