632 Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

V. Bildung und. Trennung von Religiensg'enossenschaiten. Création et
scission de communautés religieuses.

124. Urteil vom "iO. November 1898 in Sachen

der Christkatholischen Genossenschaft in St. Gallen

gegen den Grossen Rat des Kantons St. Gallen.

Art. 273 med 24 de;SE. GuttatKantonsverfassung. Arl. 50 Abs. 3 ff. V.

A. Die alt: oder christkatholische Bewe un , die i ' · katholischen
Kirche im Anschluss an die Vergküngnng del ärgert? des vatikanischen
Konzils, vom 18· Juli 1870, betreffend die Unsehlbarkeit des Papste-T
geltend machte, führte in der Stadt St. Gallen im Jahre 1873 zu der
Gründung eines Vereins liberaler Katholiken, der sich später in eine
Christkatholische Genossenschaft uiiiwandelte und an die im Jahre 1875
gegründete Christsatholische Kirche der Schweiz anschloss. Gleichwohl
blieben die Mitglieder dieser Genossenschaft Glieder der katholischen
Kirchgeineinde St. Gallen-Tablat und übteii in derselben ihre
Mitgliedschaftsrechte, insbesondere das Wahlrecht aus, Ein bereits tin
Jahre 1876 unternoinmener Versuch der Christkatholiken einebesondere
tatholische Kirchgemeinde St. Grillen zu gründeii bezw die bisherige
Kirchgemeinde St. Gallen-Tablat zu zerlegen,führte nicht zum Ziele, indem
der Grosse Rat des Kantons St.-,Giessen eine entsprechende Vorlage des
Regierungsrates bei-wars und das Bniidesgericht einen hiegegen gerichteten
Refin-B der katholischen Kirchentominission St· Gallen-Tablat, Abteilung
St. Gallen amss ssîl-é. Novernber 1879 abwies. Das bundesgerichtliche
Urteil beiuhte im wesentlichen aus der Erwägung, dass historisch und
rechtlich eine katholische Pfarrei St. Grillen zur Zeit nicht bestehe,
weshalb in der Weigeruiigl des Grossen Rates-, die Katholiken der
Stadt St. Galleii als selbständige Kirchgeineinde anzuerkennen, keine
Ver-V. Bildung und Trennung von Re]igionsgenossenschaften. N°124. 633

sassungsoerletzung liege, und dass die Frage, ob die katholischen

Einwohner der Stadt St. Galleii ein verfassungsmässiges Recht auf
Neubildnng einer selbständigen Kirchgemeinde haben, nicht zur Entscheidung
vorliege.

B. Zin Jahre 1893 gab sich der katholische Konfessionsteil des Kantons
St. Galleii eine neue Organisation, in welcher in Art. 1 der Satz an die
Spitze gestellt wurde: Die katholische Kirche in St. Gatten ist ein Glied
der römischkatholischen Kirche." Diese Bestimmung wurde vom Grossen
Rate, dem verfassungsgemäss die neue Organisation zu unter-breiten
war, am 18. Januar 1894 genehmigt Gegen den grossrätlichen Beschluss
rekurrierte die Christkatholische Genossenschaft der Stadt St. (Hellen an
das Bundesgericht, mit dem Begehren, es sei in Aufhebung des Beschlusses
gemäss der Biiiidesoersassimg und der Kautonsversassung festzustellen:
a. dass die katholische Kirche im Kanten St. Galleii aus den Angehörigen
der römischkatholischen und der chrifikatholischen Kirche bestehe, in dem
Sinne, dass jede Abteilung sich eine eigene Organisation zu geben habe;
b. dass somit neben den römischen Katholiken auch die Chrisikatholiken
vollberechtigte Mitglieder der katholischen Landeskirche des Kantons
St. Gallen seien. Das Bicndesgericht wies den Rekurs am 3. April
1895 ab. Es wurde in dem Entscheide ausgeführt, dass die St. Galler
Verfassung (Art. 23 und 24) darüber im iingewissen lasse, ob nur eine
der bestehenden katholischen Kirchen und welche von beiden gewährleistet
sein solle, oder ob die Garantie beiden zukomme, und dass diese Frage
dem Qrganisationsgesetz vorbehalten worden sei, weshalb ohne Verletzung
der Verfassung habe festgestellt werden können, dass die katholische
Kirche von St. Gallen ein Gtied der röniischkatholischen Kirche sei;
weiter wurde bemerkt, wenn die Christkatholikeii, die nicht zugleich
Mitglieder der christkatholischen Natioiialtirche und der römischkatho-
lischen Diözesaiikirche sein und sich daher gegen ihren Ausschluss aus
der letzternnicht beschweren könnten, Rechte aus Art. 50 Abs. 3 der
B.-B. herleiten zu können glaubten, so müssten siesich als besondere
Korporation konstituieren; es seien ihnen fürdiesen Fall hinsichtlich
privatrechtlicher Anstände, zu denen dies Trennung Anlass geben sollte,
alle Rechte ausdrücklich vorbehalten

634 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

C. Am 2. Februar 1896 reichte die Christkatholische Genossenschaft
St. Gallen dem Regierung-state des Kantons St. Gallen zu Handen
des Grossen Rates ein Gesuch um Anerkennung der Genossenschaft als
einer gesetzlichen Kirchgemeinde bezw. einer öffentlich-rechtlichen
Korporation ein, und fügte demselben ein Organisationsstatut bei. Der
Grosse Rat lehnte das Gefuch,. auf Antrag des Regierungsrates und der
Minderheit der vorberatenden Kommission, mit Beschluss bonI 18. November
1897 ab. Die Mehrheit der Kommission hatte dem Gesuche, unterVorbehalt
einiger Abänderungen des Organisationsstatuts, entsprechen wollen.

D. Namens der Chrisikatholischen Genossenschaft als solcher und
namens ihrer Mitglieder hat der Genossenschaftsvorstand mit Eingabe vom
lo./16. Januar 1898 gegen den grossrätlichen Beschluss den Rekurs an das
Bundesgericht ergriffen und den Antrag gestellt, es sei der Beschluss
als verfassungswidrig aufzuheben, und es sei die Christkatholische
Genossenschaft St. Galleu grundsätzlich als berechtigt zu erklären, die
Anerkennung als eine gesetzliche, öffentlich-rechtliche Korporation und
Kirchgeineinde im Sinne und Umfange ihres Begehrens vom 2. Februar 1896.
zu beanspruchen, wobei es den kantoiialen Behörden vorbehalten bleiben
möge, bezüglich der Abänderung des eingereichten Organisationsstatuts
im Sinne des Antrages der grossrätlichen Kominissionsmehrheit vom
4. November 1897 das Erforderliche anzuordnen. Der Rekurs stützt sich
darauf, dass durch den angefochtenen Grossratsbeschluss die Artikel
23 und 24 der St. Gallers Kantvnsverfassung und Art. 50 Abf. 3 der
Bundesverfafsung verletzt seien. In ersterer Richtung argumentieren
die Rekurrenten folgendermassen: Dadurch, dass der Grosse Rat nur der
römischkatholischen Kirche die Gewährleistung erteilte, nicht aber
auch der christkatholischen, sei er aus seiner verfassungsmässigen,
neutralen Stellung herausgetreten und habe die Artikel 23 und 24
derKantonsverfassung authentisch dahin interpretiert, dass die katholische
Kirche des Kantons St. Gallen ausschliesslich die römischkatholische
fei. Damit sei aber der Grosse Rat über seine verfassungsmässigen
Befugnisse hinausgegangen Die Verfassung könne nicht dahin ausgelegt
werden, dass bei einer Trennung innerhalbV. Bildung und Trennung von
Religionsgenossenschasten. N° 124. 63.5

einer Kirche nur ein Teil als gewährleistet zu gelten habe, da auch der
andere Teil das gleiche Recht beanspruchen forme. Auch wenn Übrigens
unter der in Art. 23 gewährleisteten katholischen Kirche nur die
römischkaiholische zu verstehen set, so sonnten daneben auch andere
Kirchen bestehen, die Anspruch aus Anerkennung als öffentlich-rechtliche
Korporationen erheben könnten. Dieses Recht folge aus Art. 50 Abs. 3 der
Bundesverfassuiig. Nach der Entstehungsgeschichte des Artikels, nasch der
bundesrechtlichen Praxis und der Ansicht der Bundesstaatsrechtslehrer
enthalte die erwähnte Verfassungsbestimmung nicht nur formelles Recht,
sondern es sollten dadurch für-den Fall der Bildung oder Trennung
von kirchlichen Gemeinschasien auch materielle Rechte der Beteiligten
garantiert werden; die Bestimmung setze voraus, dass den geschiedeiien
Teilen die Fiechtsstellung zukoinma die szr Geltendmachung solcher
Rechte erforderlich tet, Und sie garanttere ihnen diese Rechtsstellung
Insoweit seien die Kantone m der Regelung der Beziehungen zwischen Staat
Und Kirche nicht souverain; sie müssten vielmehr einer kirchlichen
Genossenschaft, die infolge der Spaltung einer bisher einhettlichen
Kirche entstanden, diejenige Stellung einräumen, die sie in den Stand
setze, ihre materiellen Ansprüche geltend zu machen. Das bedeute
aber tm vorliegenden Falle, dass der Christkatholischen Genossenschaft
St. Gallen die Stellung einer bfsennich-rechtlichenv Korsooration gewährt
werden müsse, da sie nur als solche befahigt sei, ihre aus der Trennung
fliessenden materiellen Rechte geltend zumacheik Freilich gehöre dazu,
dass die abgetrennte Genossenschaft die materiellen Voraussetzungen
einer öffentlich-rechtlichen Korporation. erfülle, d. h. namentlich
eine korporative Organisation und einen die Erfüllung ihres Zweckes
verbiirgenden'Mitgliederbestandlaufweise. Dass aber diese Voraussetzungen
bei der Christkatholischen Genossenschaft Si. Gallen vorhanden seien,
habe bis jetzt von ' ' "te weisiel er ahren. . ' für? ä äägiegungéfrat
des Kantous St Gallen schliesst in seiner Vernehmlafsung namens des
Grossen Rates auf Abweisung des Retter-fes Er sucht darzuthun, dass,
da bei dem Erlass der st. galltschen Kantonsverfassung im Jahre 1890
ofsiziell nur-eine, die mit Rom verbundene katholische Kirche bekannt
gewesen sei, sich

636 Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

die staatliche Gewährleistung auch nur auf diese, d. h. die
römischkatholische Kirche, beziehen könne, was sich auch aus Art. 24 der
Kantonsoerfassung ergebe, die nur von einem katholischen Konsessionsteil
spreche. Im übrigen verweist der Regierungsrat auf ein von Professor
Dr. L. R. von Salis in Bern eingeholtes Rechtsgutachteu, dessen
Grundgedanken dahin gehen: Das Wesen der nach geltendein Bundesrecht
zulässigen Gewährleistung einer oder mehrerer Kirchen beruhe in der
Einfügung dieser Kirchen in den staatlichen Organisiiiits. Diese Kirchen
seien öffentliche Anstalten der Kantone, die Kirchgemeinden öffentliche
Korporationen Wenn nun ein Kanten in der Form, wie es der St. Galler
Gesetzgeber gethan hat, eine bestimmte Kirche gewährleiste, so habe
eben nur diese den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Korporatiou
oder Anstalt, und es könne diesen Charakter keine ausserhalb der
gewährleisteten Kirche stehende Kirchgemeinde in Anspruch nehmen
und erlangen; denn ihrem Wesen nach sei die öffentlich-rechtliche
Kirchgemeinde eben nur ein Glied im Organismus der gewährleisteten Kirche
Somit könne auch die Christkatholische Genossenschaft der Stadt St. Gatten
die Anerkennung als gesetzliche, öffentlich-rechtliche Korporation und
Kirchgemeinde nur unter der Voraussetzung beanspruchen, dax} sie ein
Glied der durch Art. 23 der Verfassung gewährleisteten katholischen
Kirche des Kantons St. Gatten sei. Diese Voraussetzung treffe aber
nicht zu. Zwar liege bei der Fassung des Art. 23 der Kanten-Iverfassung
angesichts der Thatsache, dass damals, als der Artikel aufgestellt
wurde, in St. Gallen zwei katholische Richtungen bestanden, die Annahme
nahe, dass die Gewährleistung der katholischen Kirche die Anerkennung
derselben in derjenigen Gestalt bedente, in der diese Kirche zur Zeit
der Verfassungsrevision im Kanton St. Gatten thatsächlich bestand,
wofür übel-dem noch darauf verwiesen werden könnte, dass Art. 23 Abs. ]
der Verfassung von 1890 ohne Veränderung aus derjenigen des Jahres 1861
(Art. 6 Abs. 2) herübergenoimneu worden sei. Dieser Annahme siehe aber
Art. 24 der Verfassung entgegen. Denn hier sei der gewährleisteten Kirche
das Recht der Selbsiorgauisation eingeräumt worden. Das katholische Volk
des Kantons St. Grillen habe danach das verfassungsmässige Recht, zu
sagen, wer es seiV. Bildung und Trennung von Religionsgenossenschaften. N°
1%. 637

und was es sei; und wenn in dem ordnungsmässig zu stande gekommenen
Organisationsgesetze der Begriff der katholischen Konsession
und der katholischen Kirche in der Weise festgestellt worden,
dass die Christkatholiken davon ausgeschlossen seien, so liege
darin nich-Z anderes-, als die zulässige nähere Ausführung der
Verfassungs-vorschrift. Darnach stehe in unanfechtbar-er Weise festf
dass neben dieser katholischen Kirche für eine andere katholische
Kirche öffentlich-rechtlichen Charakter-Z im Kanton St. Gallen kein Raum
vorhanden sei. Dies habe der Grosse Rat durch die Abweisung des Gesuchs
der Christkatholischen Genossenschaft um Anerkennung als gesetzliche
Kirchgemeinde zum Ausdruck gebracht und damit weder die Verfassung
authentisch interpretiert, noch die dem Staate in religiösen Dingen
obliegende Neutralität missachtet. Durch den Beschluss sei aber auch
Art. 50 Abf. 3 der B.-V. nicht verletzt. Diese Verfassungsbestimmung
enthalte nur formelles Recht. Gegenüber den allgemeinen Normen über die
staatsrechtliche Beschwerde habe dieselbe ihre eigenartige Bedeutung
daria, dass sie eine Beschwerde zulasse nicht nur wegen Verletzung von
Bundesrecht oder von internationalem oder interkantonalem Vertragsrecht
oder von kantonalem Verfassungsrecht, sondern auch wegen Verletzung von
kantonalem Recht überhaupt Einen materiellen Rechtssatz aber enthalte
Art. 50 Abs. 3 der B.-V. nicht. Vielmehr seien Anstände über die
Auseinanderfetzung zwischen den durch Trennung einer fruher einheitlichen
kirchlichen Genossenschaft entstandenen Gemeinschaften nach Massgabe
des Rechts zu entscheiden, dem die ungetrennte Gemeinschaft unterstellt
gewesen sei, somit, wenn es sieh um eine öffentlich-rechtliche religiöse
Genossenschaft handle, nach dem kantoualen öffentlichemRechth da?, wie
die Entstehung-, so auch die Aufhebung, Umgestaltung oder Umänderuug
derartiger Gemeinschaften beherrsche. Die fPraxis der Bundesbehörden
und die Ansicht mehrerer Staatsrechtslehrer neigten freilich dahin,
der Bestimmung von Art. 50 Abs. 3 der V-.-V. eine materiellrechtliche
Bedeutung beizulegen Allein so weit wie die Rekurrenten gehen wollen,
sei bisher Niemand gegangen. Und auch mit der Entstehungsgeschichte der
Bestimmung vermöge der erhobene Anspruch nicht begründet zu werden. Das
Hauptmoment der Entstehungsgeschichte liege darin, dass die vom Verxxw,
1. 1898 . 43

638 Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesvertassnng.

fassungsgesetzgeber angenommene jetzige Fassung nicht, wie der
bundesrätliche Entwurf es gethan, das Recht der Entscheidung von Anständen
über die Trennung und Neubildung von Religionsgenossenschaften direkt
den Bandes-behörden zugewiesen hat. Der bundesrätliche Entwurf habe
weder einen kantonalen Instanzenzug vorgesehen, noch die Bundesbehörden
verpflichtet, nach dem kantonalen materiellen Recht ihren Entscheid
abzugeben. Damit aber, dass man in der Verfassung die Bundesbehörden nur
als Beschwerdeinstanz anerkannte, sei die materiell-rechtliche Bedeutung
der Bestimmung preisgegeben worden. Enthalte demnach Art. 50 Abs. 3 der
B.-V. kein materielles Recht, so sei klar, dass die Artikel 23 und 24 der
St. Galier Kantonsverfassung mit Bundesrecht nicht in Widerspruch stehen.

F. In der Replik wird, was das kantonale Verfassungs-recht betrifft,
daran festgehalten, dass sich die Christkatholische Genossenschaft als
gleichberechtigtes Glied der nach Art. 23 der Verfassung gewährleisteten
katholischen Kirche betrachten könne und dass sie jedenfalls neben dieser
gewährleisteten katholischen Kirche das Recht auf öffentlich-rechtliche
Existenz besitze. In letzterer Beziehung wird namentlich geltend gemacht,
es dürfe daraus, dass im Kanton St. Grillen die Voraussetzungen nicht
normiert seien, unter denen eine konfessionelle Genossenschaft, die
sich von einer gewährleisteten Kirche ablöst, als Korporation anerkannt
werden kann, nicht gefolgert werden, dass eine solche Anerkennung
ausgeschlossen sei, Denn es frage sich, ob nicht, trotz des Fehlens
positiver kaut-malrechtlicher und bundesrechtlicher Normen, dann ein
Rechtsschutz für das Begehren auf öffentlich-rechtliche Anerkennung
gewährt werden müsse, wenn eine Abweisung mit den allgemeinen
bundesrechtlichen Normen über Glaubensund Kultusfreiheit, mit der
Gleichberechtigung der verschiedenen, konfessionellen Bekenntnisse
und insbesondere auch mit der Erhaltung des religiösen Friedens in
Widerspruch treten würde. Damit sei die Frage nach Sinn und Tragweite
von Art. 50 Abs. 3 der B.V. gestellt. In dieser Beziehung beruft sich
die Repiik auf ein von Professor Dr. ©. Vogt in Zürich erstattetes
Gutachten. In diesem Gutachten wird ausgeführt: Der Zweck, den man mit der
Aufstellung von Art. 50 Abs. 3 verfolgt habe, bleibe unerreicht, wenn dem
ArtikelV. Bildung und Trennung von Religionsgenossenschasten. N° 124. 639

nur formalrechtliche Bedeutung zuerkannt merde. Nach schweizerischem
Bundesrecht sei den Bundesbehörden mehrfach eine Kompetenz übertragen,
ohne dass für die Entscheidung ihnen eine materielle Rechtsnorm an die
Hand gegeben werde, so bezüglich der staatsrechtlichen Streitigkeiten
zwischen Kantonen, der interkantonalen Gerichtsstandsfragen, die
nicht unter Art. 59der B.-V. fallen, der Doppelbesteuerungsfragen. Die
Übertragung der Gerichtsbarkeit lege den Behörden eine Verpflichtung
auf, die Pflicht nämlich, ihres Amtes zu walten und den Streit zu
erledigen. Von diesem Gesichtspunkte aus erscheine es als unzulässig,
dass der Entscheid, den die Parteien nach Vorschrift der Bundesverfassung
zu fordern berechtigt seien, von Voraussetzungen abhängig gemacht werde,
welche die kantonale Staatsgewalt nach ihrem freien Ermessen schaffen
könnte. Es stände so in der Macht der Kantone, den Beteiligten den Weg zu
verschliessen, den ihnen der Bund öffnen wollte. Die in Art. òO Abs. 3
den Bandes-behörden übertragene Entscheidungsgewalt sei, worauf schon
der Ausdruck Anstände hinweise, Billigkeitsgerichtsbarkeit und schliesse
die freie Befugniss in sich, unabhängig vom Kanton und seinen Gesetzen
alle Verfügungen zu treffen, durch welche die Absicht der Verfassung,
bei einer Glaubenstrennung jedem Teil die ihm gebührende Rechtsstellung
und ökonomische Ausstattung zu gewähren, verwirklicht werden könne. Es
handle sich nicht um eine gewöhnliche staats-rechtliche Rekurssache,
in der dem Bundesgerichte nur Kassationsbefugnisse zuständen, sondern um
Angelegenheiten eigener Art, die vom Bundesgericht in ihrer Gesamtheit
zu behandeln und zum Austrag zu bringen seien. Materiell müsse gesagt
werden: Die Trennung sei nicht durch einen Abfall der Christkatholiten
vom katholischen Bekenntnisse, sondern durch die Einführung einer
neuen Glaubenssatzung, einer Änderung des bisherigen Bekenntnisses der
katholischen Kirche herbeigeführt worden. Diese Anderung dürfe nicht
zum Nachteil der beim bisherigen Bekenntnis Verharrenden ausschlagen,
wie freilich auch nicht zum Nachteil derer, die die neue Lehre annehmen
und dadurch nur von einem Rechte Gebrauch machen. Das sei die Parität, die
die Bundesverfassung im Hinblick auf den Dogmenstreit in der katholischen
Kirche wieder aufgenommen, indem man eine Gerichtsbarkeit geschaffen640
staats-rechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

habe, vor der in gleichem Rang und Recht stehende Parteien erscheinen
sollen. Diese Parität sei durch den st. gallischen Grossen Rat nicht
gewahrt worden. Die Mitglieder der Christkatholischen Genossenschaft seien
Angehörige einer öffentlich-rechtlichen Korporation gewesen, so lange
sie innerhalb der katholischen Kirche des Kantons St. Gallen standen;
um einer Neuernng millen, die sie nicht herbeigeführt hätten, dürfe
man sie nicht des Rechts berauben, auch fernerhin einer Genossenschaft
anzugehören, die den öffentlich-rechtlichen Charakter an sich trägt. --

G. Die Duplik verweist in rechtlicher Beziehung auf eine ergänzende
gutachtliche Äusserung von Professor v. Salis, in der auf den Ausführungen
im ersten Gutachten durchwegs beharrt und beigefügt wird, dass auch,
wenn der Anspruch der Christkatholischen Genossenschaft ex aequo et
bono beurteilt werden wollte, derselbe mit den Grundsätzen der Parität
nicht geschützt werden könnte, da die Voraussetzung dieses Grundsatzes
die Anerkennung einer Kirche als Landeskirche sei, die Eidgenossenschaft
aber die Anerkennung eines Glaubensbekenntnisses und die Garantie einer
Kirche abgelehnt und den Kantonen hierin freie Hand gelassen habe.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Das Begehren der Rekurrentin ist daraus gerichtet, dass sie von den
Behörden des Kantons St. Gatten als öffentlichrechtliche Korporation
und Kirchgemeinde anzuerkennen sei. Sie hält den ihr diese Eigenschaft
versagenden Beschluss des st. galli: schen Grossen Rates vom 18. November
1897 aus zwei Gesichtspunkten für verfassungswidrig; erstlich nämlich aus
dem Gesichtspunkte der Art. 23 und 24 der St. Galler Kantonsverfassung,
und sodann namentlich aus dem Gesichtspunkte des Art. 50 Abs. 3 der
Bundesverfassung Zn beiden Richtungen unterliegt die Beschwerde der
Entscheidungsbefngnis des Bundesgerichts. In ersterer Richtung handelt
es sich um einen gewöhnlichen staatsrechtlichen Reknrs wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte, dessen Entscheid nach Art. 113 Ziff. 3
der Bundesverfassung und Art. 175 Ziff. 3 des Bundesgesetzes über die
Organisation der Bundesrechtspflege dem Bundesgerichte zusteht. Die
Kompetenz des Bundesgerichtes zur Entscheidung des zweiten, aufV. Bildung
und Trennung von Religionsgenossenschaften. N° 124. 641

Ari. 50 Abs. 3 der B.-V. sich beziehenden Beschwerdepunktes ergibt
sich aus der angerufenen Verfassungsbestimmung selbst, In Verbindung
mit am. 175 und 189 des O.-G., da unbestrittenenmassen ein Anstand
öffentlich-rechtlicher Natur vorliegt, der sich über die Trennung
bezw. Bildung einer Religionsgenossenschaft erhoben hat und welcher auf
dem Wege der Beschwerdeführung vor die zuständigen Behörden, d. i. gemäss
den Art. 170 und 189 des O.-G. vor das Bundesgericht gebracht werden Emm.
Wenn der Regierungsrat des Kantons St. Gallen der durch Art. 50 Abs. 3 der
B.-V. begründeten Entscheidungsbefugnis des Bundesgerichtes eine Grenze in
der Weise zieht, dass er sagt, die Entscheidung habe auf Grund kantonalen
Rechtes zu erfolgen, so bezieht sich dieser Einwand nicht auf die formale
UrteilskomYetenz, sondern auf die Frage des anzuwendenden Rechtes si

2. Die Artikel 23 und 24 der St. Galler Kantonsverfassnng vom 16. November
1890 lauten: _

Art. 23. Die katholische und die evangelische Kirche, sowie die freie
und uneingeschränkte Ausübung des fkatholischfen und evangelischen
Glaubensbekenntnisses und Gottesdtenstes sind gewährleistet. .

Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen innert den Schranken
der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung ist auch "allen andern
Konfessionen und Religionsgenossenschaften gewährleistet. .

Art..24. Die religiösen und rein kirchlichen Angelegenheiten besorgen
die kirchlichen Behörden. _ · _

Der katholische und der evangelische Konsessionsteil geben sich ihre
konsessionellen Organisationen selbst, unter Sanktion des Grossen Rates,
und zwar: _ _

a. Der katholische Konfessionsteil für Besorgung der katholischen,
konfessionellen und klösterlichen Angelegenheiten, welche nicht rein
kirchlicher Natur sind, sowie fur Verwaltung der Fonds und Stiftungsgijter
der katholischen Konsefnon. ' .

b. Der evangelische Konfessionsteil fin: Besorgnng der rein kirchlichen,
sowie der übrigen evangelischen konfessionellen Angelegenheiten und für
Verwaltung der Fondsund Stiftungsgüter der evangelischen Konfession.s i i

642 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Die von jeder Konsession anfzustellenden Behörden besorgen die
konfessionellen Angelegenheiten gemischter Natur, sowie die Verwaltung
der Fonds und Stiftungsgüter der Konfessionen unter Aufsicht und Sanktion
des Staates '

Die in Art. 23 ausgesprochene Gewährleistung verleiht der katholischen
und der evangelischen Kirche, soweit sie im Kanton St. Gallen als
einheitliche Gebilde oder in der Form einzelner Gemeinschaften vertreten
sind, wie allseitig angenommen wird, den Charakter öffentlich-rechtlicher
Anstalten, bezw. öffentlich-rechtlicher Korporationen Die Rekurrentin
behauptet nun, dass die Christiatholische Genossenschaft der Stadt
St. Gallen schon deshalb den verfassungsmässigen Anspruch habe, als
öffentlich-rechtliche Korporatton anerkannt zu werden, weil sie ein
Glied der in Art. 23 gewährleisteten katholischen Kirche sei. Wäre vom
Grossen Rate des Kantons St. Gallen das kantonale Berfassungsrecht in
diesem Sinne ausgelegt und dem Gesuch der Rekurrentin um Anerkennung
als öffentlich-rechtliche Korporation entsprochen worden, so hätte
ein derartiger Beschluss wohl kaum mit Erfolg als verfassungswidrig
angefochten werden können. Denn gewiss können gute Grunde daftlr angeführt
werden, dass sich die Gewährleistung des Art. 23 auf die Gesamtheit der
Anhänger der katholischen Konfession im Kanton St. Gallen, als Einheit
gedacht, somit auch auf denjenigen Teil beziehe, der sich zwar infolge
der bekannten, imlJahre 1878 in St. Gallen promulgierten Beschlüsse des
vatikanischen Konzils von der früher einheitlichen katholischen Kirche
faktisch getrennt hatte und zur Zeit der Verfassungsrevision tm Jahre
1890 in der Form einer privatrechtlichen Genossen-

schaft in gewissem Sinne ein selbständiges Dasein führte, der aber doch
staats rechtlich als Bestandteil der einen gewährleisteten katholischen
Kirche zu betrachten war. Es kann dies-bezüglich daran hingewiesen werden,
dass am. 23 Abs. 1 der K.:V. mit der entsprechenden Bestimmung der frühem
Verfassung vom 17. November 1861 (Art. 6 Abs. 2) übereinstimmt, durch
welche die gesamte, damals einheitliche katholische Kirche gewährleistet
wurde. Auch kann man sagen, dass der Verfassungsgesetzgeber die beiden
damals schon thatsächlich vorhandenen Richtungen in der katholischen
Kirche habe garantieren wollen, da ja beide die NachfolgerV. Bildung
und Trennung von Religionsgenossenschaften. N° 124. 643

der früher einheiklichen katholischen Kircher sein behaupteten.
Art. 24 würde einer solchen Auffassung nicht zwingend im Wege
stehen. Wenn in diesem Artikel vorgesehen ist, dass der katholische
Konfessionsteil sich seine kirchliche Organisation selbst gebe, so ist
nicht ausgeschlosser dass man unter dem katholischen Konsessionsteil
auch hier die gesamte katholische Bevölkerung des Kantons St. Gallen,
mit Inbegriff der Christkatholiken, verstanden wissen wollte. Mit
Unrecht hat der Regierungsrat von St. Gallen darauf abgestellt, dass
Art. 24 nur von einem katholischen Konfessionsteil spreche und dass
darunter eben nur einer, nicht mehrere verstanden sein könnten. Vom
katholischen Konfessionsteil wird hier im -Gegeusatz zum evangelischen
Konfefsionsteil gesprochen, und in dieser Beziehung bilden die beiden
katholischen Teile eben nur einen, den katholischen Konfefsionsteil
des Landes. Daraus würde aber folgen, dass, falls nicht eine beide
Teile umfassende kirchliche Organisation zu Stande kommen follie,
beiden das Recht, sich zu organisieren, zustände. Denn es ist klar,
dass, wenn unter dem katholischen Konsessionsteil das ganze katholische
Volk von St. Gallen zu verstehen ist, dann nicht dadurch, dass sich die
Mehrheit eine Organisation gibt, welche die Minderheit ausschliesst,
die Minderheit dem Staate gegenüber aufhört, einen Bestandteil des
katholischen Konfessionsteils zu bilden. Nur mit dieser Beschränkung
ist es richtig, dass es dem katholischen Volke des Kantons St. Gallen
kraft des Rechts, sich seine Organisation selbst zu geben, zustehe,
zu sagen, wer es sei und was es sei. Sonst hätte es jeweilen eine
Mehrheit innerhalb einer gewährleisteten Konfession bezw. die nach der
innern Organisation zuständige Behörde in der Hand, durch Änderung der
Organisation oder des Bekenntnisses der ursprünglich gewährleisteten
Kirche eine andere zu substituieren, während es doch in letzter Linie
den staatlichen Organen vorbehalten werden mux}, zu bestimmeu, ob die
neue kirchliche Organisation, das neue Bekenntnis als gewährleistete
Kirche gelten könne, oder ob diese Eigenschaft nicht vielleicht dem
aus-geschlossenen Teile oder beiden Teilen zukomme. Es ist auch die
Behauptung nicht zutreffend, dass durch die grossrätlich genehmigte
Organisation des katholischen Konfessionsteils vom Jahre 1898
rechts-gültig bestimmt worden sei, was die katholische Kirche im544
Staaisrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

Sinne der St. Galler Verfassung sei, in der Meinung, dass danach für eine
andere katholische Kirche öffentlich-rechtlichen Charakters kein Raum mehr
bleibe. Möglich ist es, dass der Grosse Rat seinem Genehmigungsbeschluss
diese Bedeutung beilegte. Allein ausgesprochen wurde dies in dem
Akte selbst nicht, und es kann deshalb auch gesagt werden, dass in
der Genehmigung des Organisationsgesetzes durch den Grossen Rat nur
die Anerkennung liege, dass die Kirche, welche sich die vorgelegte
Organisation gegeben hat, den Charakter einer verfassungsmässig
gewährleisteten katholischen Kirche trage, ohne dass diese damit
als die einzige kirchliche Gemeinschaft katholischer Konfession habe
anerkannt werden wollen, die Anspruch auf jenen Charakter hatte. Aus
allem dem ergibt sich, dass der Grosse Rat des Kantons St. Gallen durch
die kantonale Verfassung nicht gehindert gewesen ware, dem Gesuche der
Christkatholischen Genossenschaft-um Anerkennung als öffentlich-rechtliche
Korporation gestützt daraus zu entsprechen, dass die Genossenschaft ein
Glied der durch die Verfassung gewährleisteten und infolgedessen mit
jenerEigenschaft ausgestatteten katholischen Kirche sei, und dass auch
nach der Genehmigung des Qrganisationsgesetzes der römischkatholischen
Kirche vom Jahre 1893 eine solche Lösung noch möglich war. Wären übrigens
auch die Art. 23 und 24 der St. Galler Verfassung dahin auszulegen, dass
unter der katholischen Kirche nur die römischkatholische zu verstehen
sei, so würde dies noch nicht in sich schliessen, dass die zuständigen
Staatsbehörden nicht unter Umständen auch andern, als den gewährleisteten
kirchlichen Korporationen den öffentlichrechtlichen Charakter verleihen
dürfen, wie das Bundesgericht in seinem Urteil vom 1. November 1898 mit
Bezug auf § 80 der bernischen Kantonsverfassung von 1846, der neben der
evangelisch-reformierten ausdrücklich nur die römischkatholische Kirche
gewährleistet hatte, ausgeführt hat. Anderseits ist aber zuzugeben,
dass die dein grossrätlichen Beschluss zu Grunde liegende Auslegung
der kantonalen Verfassung sich ebenfalls vertreten lässt. Es kann
gesagt werden, dass die Verfassung von 1890 nur diejenige katholische
Kirche habe gewährleisten wollen, die damals thatsächlich einzig als
öffentlich-rechtliche Anstalt bestand, d. I). die römischkatholische
Kirche. Noch wahrscheinlicher ist freilich, dass man. a V. Bildung und
Trennung von Religuonsgenossenschaflen. N° 1-4. 645

durch die Verfassung die Frage, was unter dein kathälistcshenüftodi;r
sessionsteil zu verstehen sei, offen lassen bezw. degi ndiî)e®...Ze
zuständigen Behörde vorbehalten wollte. Wenn aaher f th niche Rat den
Standpunkt einnahm, dass nur-die romisch-a SVT" Kirche die durch die
Verfassung gewährleisten katholische ing; sei, und der Christkatholischen
Genossenschaft die gestutz

Art. 23 und 24 der Kantonsverfassung nachgesuchte Anerkentnungk als
öffentlich-rechtliche Korporation verweigerte, so Ist elr SBM;doch nicht
über die Schranken der ihm nach der tantvna ex li: ,t sassung zustehenden
Befugnisse hinausgegangen, bezw. , ; %? darin eine Auslegung kantonalen
Versassungsrechtes, ie das nicht als unhaltbar darstellt, und von der
abzuweichen "Tur der Bundesgericht, das jeweilen in solchen Fragen die
Aussahtjngohne obersten kantonalen Instanz berücksichtigt und davon nich
it im Not abweicht, nicht hinreichende Grunde vorliegen. SolwetVerii
daher die Rekurrentin aus Art. 23! und 24ader kandtona eu sassung stützt,
kann ihr Begehren nicht-geschutzt wer er; NeW-c:

3. Art. 50 Abs. 8 der Bundesverfassung auf den ie __ t rentin bei der
Begründung ihrer Beschwerde das Hauptgkwgg legt, setzt fest: Anstände aus
dem ossentlichen odlenPivanoesMx welche Über die Bildung oder Trennung
von Reigiondgwhsun schasten entstehen, können auf dem Wege der qusghwer
gitterstellg der Entscheidung der zuständigen Bundesbehor en x _ Il

Hwîdeîîen Bundesbehörden wollte durch diese Verfassungsbqth mung eine
besondere Ausgabe zugewiesen werden.Deundweni?eii:k;: materielle
Entscheidungsbesugnis der Bundesbehorden te gm ewäre, wie in den
übrigen ihrer Kognition unterworfenenti Ell-e legenheiten, wenn also
das Bundesgeyrichtz dein gegenilvaxingstcm ; aus Art. 50 Abs. 3
sich beziehenden Streitigkeiten zur (Î! bir lichen Beurteilung
übertragen sind, einen kantonalen rag von eine kantonale Verfügung
betreffenddBigdlräietlgeintxieänärxxnrriäg dem Religionsgenossenschaften
nur aus ie rùfen " ' a 'un srecht des Bundes und des Kantonsszu
p EgiiäelsoViJärH dieg Bestimmung überflüssig, da diese Besithjijs
d;; Bundesgericht schon durch die allgemeine Kompagan nde u Art. 113
Biff. 3 der B.-V. gegeben ist. Um diesem inwa zss 646 Staatsrechtliche
Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

begegnen, legt der Regierungsrat des Kautons St. Gallen selbst dem
Art. 50 Abs. 3 der B.-V. insofern eine besondere Bedeutung bei, als er
annimmt, dass in Fällen wie der vorliegende sich das Überprüfungsrecht
des Bundesgerichts auf die Anwendung der sämtlichen, die Materie
betreffenden Normen des kantonalen öffentlichen Rechts, speziell auch
des einschlägigen Gesetzesrechts, erstrecke. Das kann aber nicht die
vom Verfassungsgesetzgeber dein Art. 50 Abs. 3 der B.-V. beigelegte
Bedeutung, der richtige Sinn dieser Versassungsstelle sein. Erstlich
würde eine solche Kompetenz eine ganz und gar ausserordentliche, mit der
verfassungsmässigen Stellung, die sonst das Bundesgericht den kantonalen
Behörden gegenüber einnimmt, nicht zu vereinbarende sein. Sodann hienge
es vollständig von der Gestaltung des kantonaleu Rechts ab, ob und welche
praktische Bedeutung dem Art. 50 Abs. 3 zukomme. Wenn ein Kanton keinerlei
diese Verhältnisse ordnende Rechtsnorinen befässe, so wäre die Kompetenz
des Bundesgerichts inhaltlos. Und in letzter Konsequenz würde eine solche
Auffassung dazu führen, dass nur diejenigen Kantone, die die fraglichen
Verhältnisse regeln, einer Kontrolle der Bundesbehörden unterständen,
die andern aber nicht. Dieses Ergebnis ist so unbefriedigend, dass man es
entschieden ablehnen muss, die Bedeutung der Bestimmung in der gedachten
Kompetenzerweiterung der Bundesbehörde zu erkennen. In der That liegt ihr
ein anderer Sinn zu GrundeArt. 50 Abs. 3 der B.-V. ist nicht eine blosse
formale Kompetenzbestimmungz er hat auch einen materiell-rechtlichen
Inhalt. Das Bundesrecht weist verschiedene Beispiele auf, in denen
das materielle Recht aus einer äusserlich als blosse Kompetenznorni
sich darstellenden Bestimmung, aus Sinn und Zweck derselben und aus
ihrem Zusammenhang mit anderen Bestimmungen gewonnen werden muss
(vergl. z. B. Art. 118 Ziff. 2, Art. 46 Abs. 2 der B.-B., ferner
Art. 33 des Bandes-gesetzes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen
vom 23. Dezember 1872). Ähnlich verhält es sich mit Art. 50 Abs. 3 der
B.-V. Wenn hier von Anständen aus dem öffentlichen oder Privatrechte die
Rede ist, die über die Bildung oder Trennung von Religionsgenossenschaften
entstehen, so sind dabei die neugebildeten Genossenschaften als Träger
von Ansprüchen öffentlicher oder privater Natur ge-V. Bildung und Trennung
von Religionsgenossenschaften. N° 124. 647

dacht. Man ging davon aus, dass solchen Gengssenschaften RLechte zustehen,
welche die Bandes-behörden in letzter egristanz zu schutzlexn und nach
Voraussetzung, Inhalt und Umfang im einzelnen $; e gemäss allen in
Betracht fallenden Umständen zu bestimmenha en: Durch Art. 50 Abs. 3
wollte fernerdie Trennung von Religions genossenschaften ermöglicht
bezw. erleichtert werden. 'ES ergie t sich dies deutlich aus dem
Zusammenhang, in dem die Bestimmung steht. Man hat die Bildung oder
Trennung einer Religions: genossenschast als Ausfluss des Rechts der
Glaubensund Kultu; freiheit (Art.-19 Abs. i und 2 und Art 50 Zlbs 1),
wäre a50 Mittel zur Aufrechterhaltung des religiosen Friedens ( rt. d 3
Abs. 2) betrachtet und deshalb unter die Garantie des Buii e QUESTE der
Bestimmung des Art. 50 Abs: 3 der B.-V. egne materielle Bedeutung in dem
erwähnten Sinne zukommt, lestätigt ihre Entstehungsgeschichte,auf welche
deshalb unbledexikäch zurückgegriffen werden kann, weil allerdings der
LWortak Er Verfassungs-stelle Zweifel über ihre Bedeutung und Tragwei
ci??? kommen lässt. In dem verworfenen Verfassungsentwurf von-· ' war
die Bestimmung nicht enthalten. Dagegen findet sie sich in dem Entwurf
des Bundesrates vorn 4. Juli 1873 in der Fassuqu . Ansiände aus dem
öffentlichen oder Privatrechtez welche net-: die Trennung oder Neubildung
von Religionsgesellschäiften gegenüber den Kantonen entstehen, entscheidet
der Bund. Daso Zusdmmentrefsen einer derartigen Bestimmung nnt der damalsd
sich entwickelnden Spaltung in der katholischen Kirche notigt dazu, angie
Zweck in spezielle Beziehung zu setzen zu diesem Vorgange È bundesrätliche
Botschaft vom 4. Juli 1873 erlautert déc; item; indem sie sagt, es werde
dadurch vom Bunde Jedem th we von und jeder Gruppe von Individuen das
Recht zuerkannt, sich ä} einer bestehenden Religionsgenossenschaft zu
trennen, sowie au das Recht eine neue zu bilden. Die von den Kantonen n
derfertigen Fällen getroffenen Massnahmen können auf dem Resurs"wege vor
die Bundesbehörde gezogen werden welche sinch jedoch damit nur soweit
befasst, als die Sache Bezug hat-aus ofseiitliche aber Privatrechte,
ohne in Dogmenfragen irgendwie zu interne:nieren (siehe die Botschaft
als Beilage II zu dein gedruckten648 Staatsrechtsiche Entscheidungen. L
Abschnitt. Bundesverfassung.

Protokoll über die Verhandlungen der eidgen. Rate betr. Revision der
Bundesverfaffung 1873,"?4, Seite 10). Die nationalrätliche Kommission
schlug die vom bundesrätlichen Entwurfe abweichende, heute geltende
Fassung vor. Die Änderung bestand jedoch lediglich darin, dass man die
Bandes-behörden nicht als die einzige, sondern bloss als die oberste
Instanz einsetzte und den kantonalen Behörden die vorinstanzliche
Kompetenz zur Entscheidung der fraglichen Anstände ausdrücklich
zuerkannte. Dass die Änderung auch eine Änderung mit Bezug auf den
materiellen Inhalt der Bestimmung bedeute, kann weder dem Wortlaut der
beiden Redaktionen, noch den vorhandenen Materialien entnommen werden
(vergl. die bezügliche Bemerkung von Bundesrat Welti in der Sitzung
des Nationalrates vom 26. November 1873, Protokoll, S. 146). Jnhalt und
Zweck der Bestimmung nach beiden Fassungen wurden in der Diskussion von
Bundesrat Weltt, der auf das eidgenössische Landfriedensrecht und die
darin aufgestellten Grundsätze der Glaubens- freiheit und der Parität
zurückgriff, dahin zusammengefasst: 1. Jndividuelles Recht des Unterthans,
sich für diese oder jene Religion zu entscheiden. 2. Der Grundsatz,
dass es bei diesem theoretischen Rech: nicht verbleibe, sondern dass,
wenn ein Teil aus der bisherigen Religionsgenossenschaft aus-scheiden
wolle, alsdann die materiellen Rechte nicht verloren gehen dürfen-
(vergl. Protokoll, Seite 145). Man hatte vornehmlich Rechte am Kirchengut
im Ange, wie insbesondere der Antrag v. Gonzenbach zeigt. Dieser Redner
ging von der Bestimmung des Landfriedens von 1712, dass an paritätischen
Orten das allgemeine Kirchengut zwischen beiden Konfessionen geteilt
werden solle, aus, und bemerkte, ähnliche Fragen könnten sich in nächster
Zeit wiederholen, es dürfe dabei nicht auf den Besitzstand abgestellt
werden; die politische Seite der Frage sei Sache der politischen Behörden,
nicht aber auch die Frage, wie das Kirchengut geteilt werden folle; diese
könne zweckmässig nur vom Bundesgericht ausgetragen werden. Demgemäss
ging sein Antrag dahin, es solle in einem besondern Absatz der Entscheid
über Ansprüche neu sich bildender Religionsgemeinschaften auf die
vorhandenen Kirchengüter der katholischen und evangelischen Konfession
dem Bundesgericht übertragen werden. Es ist ferner beachtenswert, dass
der Antrag Benq), eine Bundeskompetenz zur Schlichtung derV. Bildung und
Trennung von Retigionsgenossenschaflen. N° 124. 649 fraglichen Anstände
nicht zu schaffen, weil zur Regelung derselben in den Kantonen bereits
die erforderlichen Behorden vorhanden seien, nicht angenommen wurde,
und dass auch Im Standerat ein Ante-F auf Streichung des Absatzes
nicht durchdrang (dergt. Protoko , S. 148 u. 149, 159 u. 340). Die
Beziehung der Bestimmung zur alt: oder chrisikatholischen Bewegung
trat in densVerhandlungen der gesetzgebenden eidgenössischen Räte ganz
deutlich m den Vordergrund -(vergl. z. B. Protokoll, S. 138). Es ergiebt
sich aus dem allem auf das unzweideutigste, dass man mit Art. öl) Abs-Z
ter B.-V. religiösen Dissidenten, speziell den Katholikenk die sich
dem Dogma Von der Unfehlbarkeit des- Papstes nicht unterziehen wollten,
die Bildung besonderer Religionsgenossenschaften erleichteen, dass man
letztern gewisse materielle-Rechte, insbesondere Rechte am Kirchengut
im Sinne einer Ausscheidung, garantierennund dass man jene Rechte unter
den Schutz der Bundesbehoiden stellen wollte (vergl. auch die Botschaft
des Bundesratesrd uber den ersten Rekurs der Luzerner Altkatholiken,
B.-B. 1870, II,

Cîéiiesgeî fLginn und Zweck haben denn auch die Bundesbehörden in
der Praxis dem Art. 50 Abf. 3 der Bundesverfafsung beigelegt. In der
Entscheidung vom 23. Januar i885 uber den Rekurs des Vorstandes der
Christkatholischen Genossenschaft Luzern betreffend die Inanspruchnahme
der Mariahilfkirche zu christkatholischen Kultuszwecken sagte der
Bundesrat, von der Entstehtängsgeschichte der Bestimmung ausgehend,
dass Art. 50 AB]. Ide]: Bundesverfassung in dem Falle giiwendbar ist, wo
unter en Anhängern eines Religionsbekentnisses eine Spaltung eingetreten,
mo sich zwei religiöse Richtungen gegenubersteheiz die beede gestùtzt
auf ihr Bekenntnis, den Anspruchferhebem Lee bishegge Gemeinschaft
ausschliesslich im wahren Sinne dar-zustellen ine Anhänger der beiden
streitenden Teile sind vom Bundeals gleichberechtigte Mitglieder der
bisherigen kirchlichen Gemeinschaftzu betrachten; und weiter: Es läge in
der freien Willenkbestiw mung der Mehrheit, des besitzenden Teiles, eines
konfessionellen Verbandes oder im souveränen Ermessen der Kantonsbehorden
zu entscheiden, ob und welche Rechte einer sich loslosendenlMiw derheit
gegenüber der bisherigen Gemeinschaft zuzueikennen550 Staatsrechtliche
Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

feiert, wenn nicht Art. 50 in feinem dritten Absatze daherige
Rechtsaz1sprüche der sich trennenden Teile vorgesehen und deren
"Schutz, vor allsälliger Missachtung den Bundesbehörden übertragen
hatte (B.-B. 1885, I, S. 222 und 226). Der Entscheid wurde zwar von der
Bundesversainmlung nicht bestätigt, jedoch ohne dass sie sich selbst über
die Bedeutung von Art. 50 Abs. 3 in einem anderen Sinne ausgesprochen
hätte (vergl. auch dieErwägungen des Bundesrates in seinem Eutscheide
i. S Trim: bach, B.-B. 1883, II, S. 875 ff.). Das Bundesgericht hat im
Falle Wegenstetten-Hellikon (A. S..., Bd. VII, S. 656) allerdings den
Standpunkt eingenommen, dass Art. 50 Abs. 3 lediglich eine Kompetenznorni
enthalte. Allein es geschah dies zu einer Beit, als das Bundesgericht
noch nicht in der Lage war, über den Gesammtinhalt der Bestimmung sich zu
äussern, da ihm damals nur die privatrechtlichen Anstände aus der Bildung
oder Trennung von Reiigionsgenossenschaften zum Entscheide vorgelegt
werden konnten, nicht aber auch die Anstände aus dem öffentlichen Rechte
(vergl. auch den Fall Bondo, A. S., Bd. IX, S. 417 ff.). Später hat
sich dann das Bundesgericht grundsätzlich mit aller Entschiedenheit
dahin ausgesprochen, dass Art. 50 Abs. 3 bezwecke, bei der Spaltung von
Religionsgenossenschaften auf Begehren eines Teiles oder beider Teile eine
Ausscheidung des bisher gemeinsamen Kirchenverinögens eintreten zu lassen
und der Bundesbehörde in dieser Richtung ein materielles Überprüfungsrecht
gegenüber kantonalen Verfügungen insofern einzuräumen, als sie speziell
zu untersuchen habe, ob die Verfügung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen
oder mit den Anforderungen der Billigkeit im Einklange stehe bezw. ob
sie dein Grundgedanken der eidgenössischen Verfassungsbestimmung und
den allgemeinen bundesverfassungsrechtlichen Grundsätzen entspreche
oder nicht (so in den Fällen Grenchen und Laufen, A. S., Bd. XX, S,
762 f. und Bd. XXIII, S. 1382).

Auch die Bundesstaatsrechtslehrer stimmen darin überein, dass durch
Art. 50 Abs. 3 der B..-V die Bildung von besondern, speziell alt: oder
christkatholischen Religionsgenofsenschaften gefördert und denselben
bestimmte Rechte, namentlich ein Anteilsrecht am früher gemeinsamen
Kircheugut und der Anspruch auf die-V. Bildung und Trennung von
Religionsgenosscnschaften. N° 124. 651

Eigenschaft einer juristischen Persönlichkeit, gewahrt werden wollten
(vergl. Blumer und Morel, Bundesstaatsrecht, 3. Aule Bol,S. 448; Dubs,
Das öffentl. Recht der schweiz. Eidgenossenschaft, II, S. 163; ferner
Samuely in seinem im Jahre 1875 dein Eidgen. Justizund Polizeidepartement
erstatteten Gutachten uber Art. 50 der schweizerischen B.-B., Seite 30
ff unb S.40 ss)

b. Fragt es sich hienach, ob die Christkatholische Genossenschaft
von St. Gallen, gestützt aus Art. 50 Abs. 3 der B.-V., vom Grossen
Rate des Kantons SI. Gallen die Anerkennung als öffentlich-rechtliche
Korporation verlangen könne-so ist vorauszuschickenz Es ist klar, dass
jede Genossenschaft, die nmsllnerkem nung als öffentlich-rechtliche
Korporation nachsucht, gewisse allgemeine, aus der Natur der Sache
sich ergebende Erfordernisse betreffend Zweck, Bestand und Organisation
erfüllen man}. Hierauf braucht jedoch im vorliegenden Falle nicht näher
eingetreten zu werden, da nicht bestritten ist, dass die Christkatholische
Genossenschaft jenen Erforderniser entspricht. Es fragt sich heute nur,
ob es beim Vorhandensein aller sonstigen Bedingungen im freien Belieben
der St. (Sailer Behörden liege, jene Anerkennng der Rekurrentin zu
erteilen oder zu versagen,-oder ob sie nicht durch Art. 50 Abs. 3 der
B-V bundesrechtlich gezwungen seien, die Anerkennung auszusprechen Zn
dieser Beziehung ist zuzugeben dass in der Regel eine bundesrechtliche
VerpflichtungUfUrdie Kantone nicht besteht, einer Religionsgenossenschast
offentlkcly rechtlichen Charakter zu verleihen. Allein unter gewissen
Verhaltnissen begründet Art. 50 Abs. Z der B.-B. ein Abgehen von
dieser Regel. Wie ausgeführt worden ist, will die genannte Bestimmung
einer infolge einer Glaubensspaltiing neu entstandenen religiösen
Genossenschaft gewisse Rechtsansprnche wahren. Um aber solche Ansprüche
geltend machen zu konnen, muss der Genossenschaft diejenige formale
Rechtsstelliing zukommen, ohne welche sie einen Rechtsanspruch überhaupt
nicht erheben, ihre wirklichen oder vermeintlichen materiellen illechte
nicht einklagen kann. Auch der Wortlaut derVersassungsbesiiinmung
zwingt zu diesem Schlusse Denn um einen-Anspruch aus dem öffentlichen
oder Privatrecht erheben und bezugliche Begehren zu Recht setzen zu
können, bedarf die neu gebildete Genossenschaft652 Staatsrechtliche
Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

der Anerkennung als Rechtssubjekt Es muss deshalb mindestens diese
Eigenschaft als durch Art. 50 Abs. 3 der B.:B. gewährleistet angesehen
werden. Folgerichtig ist auch der Rekurrentin, ganz abgesehen davon,
ob ihr materielle Rechte wirklich zustehen oder nicht, jedenfalls
diejenige Rechtsstellung einzuräumen, die ihr die Erhebung von
Ansprüchen ermöglicht Nun ist es blindesrechtlich zulässig, dass die
Kantone nur solchen, durch Trennung einer öffentlichen kirchlichen
Korporation entstandenen Gemeinschaften einen Anspruch auf die ihnen
durch Art. 50 Abs. 3 gewährleisteten Rechte, speziell die Rechte
am gemeinsamen öffentlichen Kirchengüt, zugestehen, die selbst den
Charakter öffentlicher Korporationen aufweisen, davon ausgehend, dass
das Kirchengut seinen rechtlichen Charakter nicht verlieren und seinem
Zwecke nicht entfremdet werden darf (vergt. den Antrag der Mehrheit
der nationalrätlichen Kommission i. S. des Mariahilsrekurses, Erw. 2,
bei v. Salis, Bundesrecht, Bd. II, S. 356; ferner den Entscheid des
Bundesgerichtes i. S. Grenchen, Amtl. Samml., Bd. XX, S. 763 Erw. 3). Auch
der Kanton St. Gallen steht aus diesem Boden, wie in der Rekursschrift
behauptet und vom Regierungsrat nicht bestritten worden ist (vergl. Erw. î
des bundesgerichtlichen Entscheides i. S. der Christkatholischen
Genossenschaft St. Gallen, vom 3. April 1895, Amtl. Samml., Bd. XXL
S. 34.1). Um ans der Trennung sich ergebende materielle Ansprüche geltend
machen zu können, hat danach die Christkatholische Genossenschaft
von St. Gallen, als eine infolge Glaubensspaltung aus einer früher
einheitlichen öffentlich-rechtlichen Genossenschaft hervorgegangene,
die übrigen Erfordernisse eines selbständigen, korporativen Verbandes
erfüllende Religionsgenosfenschaft dem Staate gegenüber das Recht,
zu verlangen, dass ihr die hier unentbehrliche Rechtsstellung, die
Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen Korporation, verliehen
merde. Selbstverständlich bleibt damit die Frage unpräjudiziert,
wie es sich in dem Falle Verhalten würde, wo nach dem einschlägigen
kantonalen Recht auch eine bloss privatrechtliche Genossenschaft als
formell berechtigt angesehen werden könnte, materielle Ansprüche im
Sinne des Art. 50 Abs. 3 der BEV geltend zu machen.

Das Begehren der Rekurrentin, vom Grossen Rate des Kan-V. Bildung und
Trennung von Religionsgenossenschaften. N° 124. 653

tons St. Gallen als öffentlich-rechtliche Korporation anerkannt zu werden,
erweist sich somit nach Art. 50 Abs. 3 der B.-V. als begründet Wie sich
aus den vorhergehenden Ausslihrungen ergibt, ist damit nicht gesagt, dass
der christ-katholischen Kirche auch im übrigen die Stellung und die Rechte
einer gewährleisteten Kirche im Sinne der St. Galler Verfassung zukommen.

i... Diese Lösung entspricht auch dem Grundsatze des Art. 4 der
Bundesverfassnng, auf die Umstände des vorliegenden Falles angewendet
Einmal hatte die katholische Kirche des Kantons St. Gallen, als
sie noch die beiden, jetzt getrennten Richtungen in sich schloss,
nach der Verfassung öffentlich-rechtlichen Charakter-. Ferner ist
seit der Spaltung dem einen Teile, der murrschkatholischen Kirche,
dieser Charakter verliehen werden. Es entspricht nun gewiss den
Anforderungen der Gleichheit vor dem Gesetze, dass bei dieser Sachlage
auch dem andern Bude, der, gegen seinen Willen, mit Hülfe des Staates
aus der Gemeinschaft ausgeschlossen worden ist, und der die übrigen
hier erforderlichen Eigenschaften aufweist, auf sein Ersuchen diese
offentliche Rechtsstellung eingeräumt werde, womit schliesslich auch
das Interesse an der Aufrechterhaltung des religiösen Friedens am besten
gewahrt sein dürfte.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird für begründet und demgemäss der Kanton St. Gallen,
unter Aufhebung des grossrätlichen Beschlusses vom 18. November 1897,
als pflichtig erklärt, der bestehenden Christkatholischen Genossenschaft
in der Stadt St. Gallen die Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen
kirchlichen Korporation zu verleihen.

Siehe auch Nr. 111, Arrèr, du 9 novembre 1898, dans la cause paraisse
catholique romaine de la Chaux-de-Fonds contre paroisse catholique
nationale de la Chanx-de-Fonds.xxw, i. 1898 M