246 Staatsrechtliche Entscheidungen. lI. Abschnitt. Bundesgesetze.

traire à. Ia garantie contenue dans l'art. 61 de la Constitution federale,
aux termes de laquelle Ies jugements définitifs rendus dans un canton
sont exécutoires dans toute la Suisse, et Ie prononcé du Juge-instructeur
de Louèche ne saure-it subSister.

Par ces motifs,

Le Tribunal federal prononce:

Le reeours est admjs, et le prononcé du 10 mars 1898,

par lequel le Juge-instructeur de Louèche a, refusé la de-

mande en mainleve'e d'opposition formée par les recoumnts Genet, est
declare nul et. de nul effet.[. Schuldbetreihung und Konkurs. N° 43. 247

Zweiter Abschnitt. Deuxieme section.

Bundesgesetze. Lois fédérales.I. Schuldbetreibung und Konkurs. Poursuites
pour dettes et faillite.

43. Urteil vom 2. Juni 1898 in Sachen Eggimann.

.Verfasszmgsund gesetzmc'zissiges Zeestmsszsieiekommm eines EMM-Mides?
Art. 58 Abs. 2 Org.-Ges. und staatsisrechtliche?' Rekurs. Als
bundesrechtliches Rechtsmittel gegen einen Kompetenze-ntsclzeid Zeani-ema-
ier Ge-î'iekte isé nur der staatsrechtliche Besserer zulässig. Stellemg
des Bundesgerichts bei Gericktsstandseeesitscheidusingen kanteezaleî'
Gerickte. Gerichtsstand der Arrestbestcà'tigungsklassge.

A. Am 17. April 1897 wirkten Joh. Lüthi in Bern, Christian Zingg daselbst
und Jsidore Marcet in Tarragona (Spanien) gegen Wilhelm Eggimann in San
Severo (Italien), mit dem sie in einem mit Vertrag vom 30. Juni 1896
aufgelösien Kollektivgesellschaftsverhältnisse gestanden waren, für
eine aus diesem Verhältnisse hergeleitete Forderung von 13,2-39 Fr. 60
Cis-. Vom Vicegerichtspräsidenten von Bern einen Arrestbefehl auf eine
angebliche Forderung des W. Eggimsann an die Gebrüder Hostettler in Bern
von 13,000 bis 14,000 Fr. aus, der am 19. April durch das Betreibungsamt
Bau-Stadt vollzogen wurde. Mit Zahlungsbefehl vom 30. April hoben Lüthi,
Zingg und Mareet

xxw, i. 1898 17

248 Staaisrechtliche Entscheidungen. H. Abschnitt. Bundesgesetze.

gegen Eggimann in Bern Betreibung an; der Betriebene schlug jedoch Recht
vor. Am 15. Mai reichten hierauf die Gläubiger beim Gerichtspräsidenten
von Berti die Klage auf Anerkennung ihrer Forderung ein. Gegenüber
dieser Klage stellte W. Eggimann zwischengesuchsweise das Begehren,
es sei zu erkennen, die bemischen Gerichte seien zur Beurteilung der
Klage nicht zuständigund der Jmpetrant nicht schuldig, sich vor dem
gewählten Gerichtsstand auf dieselbe einzulassen. Der Gerichtspräsident
von Bern. sprach dem Jmpetranten seine Jnkompetenzeinrede zu. Gegen
diesen Entscheid haben die Jmpetraten die Appellation erklärt.

B. Am 15. Januar 1898 kam die Gerichtsstandsfrage vordem beruischen
Appellationshofe zur Verhandlung Nach dem Protokoll dieser Behörde wurde
jedoch, nachdem die allgemeine Umfrage gehalten und geschlossen erklärt
war, die Verhandlung und Urteilsfällung auf Antrag eines Richters auf
einen spätern Termin verschoben. Die anwesenden Parteianwälte erklärten,
an eine förmliche Vorladung zum neuen Termin zu verzichten und sich damit
zu begnügen, dass ihnen der neue Termin mindestens 24 Stunden vorher
brieflich mitgeteilt werde. Im neuen Termin vom 28. Januar 1898 wurde auf
Ansuchen des Anwaltes des Jmpetranten Eggimann eine Erklärung desselben
zu Protokoll genommen, dass das Gericht am 15. Januar nach Schluss der
Berathung über die Anträge abgestimmt habe, dass 4 Stimmen auf den Antrag
auf Bestätigung, 4 für Abänderung des erstinstanzlichen Entscheides
abgegeben worden seien, worauf der Präsident erklärt habe, er werde,
wenn kein Antrag auf Verschiebung gestellt merda,-den Stichentscheid im
erstern Sinne abgeben. Das Gericht fügte dieser Erklärung im Protokoll
die Bemerkung bei, dass die Berathung im letzten Termine in dem Sinne
abgebrochen worden sei, dass dieselbe im später-n Termine wieder neu
aufgenommen werden und daraufhin eine neue Abstimmung stattfinden
sollte. Der Appellationshof gab dann seinen Entscheid dahin ab, dass
er den erstinstanzlichen Entscheid aufhob, den Jmpetranten Eggimann mit
seiner Gerichtsstandseinrede abwies und ihn verurteilte, den Jmpetraten
Lüthi, Zingg und Marcet die 180 Fr. betragenden Kosten des Jneidentes zu
bezahlen. In der Begründung wurde ausgeführt: Wenn der Jmpetrant behaupte,
er hann.I. Schuldhetreibung und Konkurs. N° 43. 249

an seinem Wohnsitz in Sau Severo belangt werden müssen, so konne er sich
dafür weder auf Art. 59 V.-V. noch auf den schweizerisch-italienischen
äliiederlassungsvertrag stützen, obschon die Klage rein persönlicher
Natur sei. Denn Art. 59 B.-V. habe nur Geltung für die in der Schweiz
wohnhaften Personen, und der Niederlassungsund Konsularvertrag zwischen
der Schweiz und Italien lasse die Frage des Gerichtsstandes, abgesehen von
erbrechtlichen Streitigkeiten, unberührt; er beziehe sich überhaupt nur
auf Streitigkeiten zwischen Angehörigen beider Vertragsstaaten. Anderseits
lasse sich die Zuständigkeit der bernischen Gerichte nicht mit der
Eigenart der Klage als einer solchen betreffend die Auseinandersetzung
einer aufgelösten Kollektivgesellschaft, die in Bern ihren Hauptsitz
gehabt habe, begründen. Dagegen ergebe sich diese Zuständigkeit aus
folgenden Gründen: Schon nach dem Bundesgesetze über Schuldbetreibung
und Konkurs sei der Gerichts-stand des Ortes des Arrestes für die
Klage auf Anerkennung der Forderung, für die der Arrest gelegt werde,
begründet Zwar fehle dies-bezüglich eine ausdrückliche Bestimmung über
den Gerichts-stand, wie sie für andere im Bollstreckungsverfahren im
Zusammenhang stehende Streitigkeiten, so für die Aberkennungsklage
(am. 83), die Rückfordernngsklage (Art. 86), die Arrestaufhebungsklage
(Art. 279) und für die Schadenerfatzklage des Arrestierten gegen den
Arrestherausnehmer (Art. 273) aufgestellt seien. Daraus könne aber nicht
ohne weitere; gefolgert werden, dass das Bundesgesetz den Gerichtsftand
für die Forderungsklage des Arreftneh-

. mers absichtlich nicht geregelt habe, Um die Regelung den Kan-

tonen zu überlassen Besondere Gründe, hier nicht die nämliche Norm
zu setzen, seien nicht erfindlich. Vielmehr treffe das Motiv des
Zusammenhangs mit dem Vollstreckungsverfahren bei der Forderungsklage des
Arrestnehmers in gleichem oder in höherm Masse zu, als bei den erwähnten
andern Klagen, zumal da, wo im Interesse der raschen Durchführung des
Vollstreekungsverfahrens so kurze Klagefristen aufgestellt seien. Eine
derartige Norm stehe jedenfalls insoweit auch nicht im Widerspruch mit
dem Geiste des modernen Rechts und der modernen Gesetzgebung als die
Zuständigkeit des Richters des Arrestortes auf die Fälle beschränkt merde,
in denen sich der Arrestnehmer bezüglich des Gerichts-stan-

250 Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.

des in einer Notlage befinde und, wegen der kurzen Klagefrist, Gefahr
laufen würde, der Vorteile des Arrestes verlustig zu gehen, wenn ihm nicht
das Forum des Arrestortes geöffnet würde, was dann z. B· zutreffe, wenn
der Arrestschuldner seinen Wohnsitz im Auslande habe. Auf dem Wege der
Analogie gelange man so dazu, dass nach Bandes-recht die Forderungsklage
des Arrestnehmers in einem Falle, wie er hier vorliege, bei dem Richter
des Arrestortes angestellt werden könne. Nehme man aber auch an, es
habe der Bundesgesetzgeber die Regelung des fraglichen Gerichtsstandes
der kantonalen Gesetzgebung überlassen wollen, so gelange man zu dem
nämlichen Resultate. Zwar besiehe auch im kantonalen Recht zur Zeit
keine diesen Gerichtsstand anerkennende positive Vorschrift. Denn die
Bestimmung des Vollziehungsderfahrens in Schuldsachen vom 2. April 1850,
die schon in dem Vollziehungsverfahren vom 31. Juli 1847 enthalten
gewesen und aus der Gerichtssatzung von 1761 herübergenommeu worden,
sei durch das Einführungsgesetz zum Bundesgesetze über Schuldbetreibung
und Konkurs vom 18. Oktober 1891 aufgehoben worden. Anderseits kenne der
beruische Prozess vom 3. Juni 1883 nicht einen allgemeinen Gerichtsstand
des Wohnsitzes, sondern stelle diesen nur für persönliche Klagen als Regel
auf, und zwar nur für die im Kanton Bern domizilierten Personen. Es frage
sich somit, ob nicht eine der Bestimmungen des bernischen Civilprozesses
sich zur aualogen Anwendung auf die vorliegende Klage eigne. In dieser
Beziehung falle einmal in Betracht, dass F 16 des hernischen Prozesses den
Gerichts-stand des Sachzusammenhangs lernte, welcher Gesichtspunkt auch
zur Anerkennung des Arrestforums für die Forderungsklage des Arrestnehmers
führe; ferner sei auf § 17 zweitletztes Alinea zu verweilen, wonach
borbehältlich der Bestimmungen der Bundesverfassung und der bestehenden
Staatsverträge Personen, die im Staatsgebiete keinen festen Wohnsitz
haben, an dem Orte ihres zeitigen Aufenthalte-s belangt werden können,
welchem Falle derjenige gleichgestellt werden könne, in dem eine Person
im Kanton Bern Vermögen besitze. Einer etwas weitgehenden analogen
Anwendung des beruischen Civilprozesses dürften um so weniger Bedenken
entgegenstehen, als die Ordnung der Gerichtsstände in diesem Gesetz eine
sehr lückenhafte sei. End-I. Schuldbetreibung und Konkurs. N° 43 2-51

lich müsste, auch wenn man die analoge Anwendung einzelner Bestimmungen
des beruischen Prozesses ablehnen wollte, doch die bestehende Lücke im
angegebenen Sinne ausgefüllt werden, da diese Lösung dem Sinn und Geist
des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs und der Natur der
Sache entspreche.

C. Gegen diesen Entscheid hat Eggimann den staatsrechtlichen Rekurs
an das Bundesgericht ergriffen Schon die Art und Weise, wie derselbe
zu Stande gekommen sei, enthalte, wird borgebracht, eine Verletzung
verfassungsmässiger Rechte des Relatrenten bezw. eine Rechtsverweigerung
(Art. é B.-V. und 72 der Kantonsverfassung, sowie Art. 2 B.V.). Nachdem am
15. Januar gemäss § 278 des bernischen Prozesses die allgemeine Umfrage
gehalten worden sei und, als sich bei der Abstimmung Stimmengleichheit
ergeben, der Präsident erklärt habe, er müsse im Sinne der Zusprechung
der Inkompetenzeinrede entscheiden, habe auf ein ss derart ausgefälltes
Urteil, das nach der erwähnten Gesetzes-bestimmung in jedem Falle als
Ergebnis der Abstimmung sogleich öffentlich auszusprechen gewesen sei,
in einer spätern Gerichtssitzung nicht mehr zurückgekommen werden können,
zumal da das Gericht in der letztern anders besetzt gewesen sei, indem
ein Mitglied der frühem Mehrheit gefehlt habe. Allein auch materiell
oerstosse der Entscheid gegen verschiedene Verfassungsbestimmungeu,
nämlich gegen Art. 2, 4 und 58 der Bundesverfassung und die
entsprechenden Bestimmungen der Kantonsoerfassung (Art. 72 und 75).
Der Appellationshof gebe selbst zu, dass weder das Bundesrecht noch die
kantonale Gesetzgebung das forum arresti auch für die Beurteilung der
Klage betreffend die Hauptforderung ausstelle. Die Argumentation, mittels
deren der Gerichtshof gleichwohl zu der Annahme eines solchen Forums
gelange, sei eine vollständig unbegründete und willkürliche Schon die
Voraussetzung von der das Gericht ausgehe, sei nurichtig: Der Gesetzgeber
habe offenbar im Interesse des Schuldners durch Aufstellung kurzer Fristen
eine möglichst rasche Abwicklung des Arrestverfahrens bewirken wollen.
Auch sei zu beachten, dass man es bei den bundesrechtlich aufgestellten
Gerichtsstandsnormen überall mit Ausnahmebestimmungen zu thun habe,
die nicht aus-dehnend interpretiert werden dürften. Namentlich gäben
hierzu die Unbequemlichkeiten, die aus der Be-

252 Siaatsrechtliehe Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.

stimmung Über die Frist zur Anhebung der Forderungsklage des
Arrestgläubigers erwüchsen, kein genügendes Motiv ab, zumal nicht im
vorliegenden Falle, wo diese Unbequemlichkeiten nicht so bedeutend
seien. Wenn der Bundesgesetzgeber für die Schadensersatzklage wegen
ungerechtfertigten Arrestes und für die Klage aus Aufhebung des Arrestes
(Art. 273 und 279 B.-G.) das komm arrest-i anerkannt habe, so hätte er
dies auch für die Forderungsklage des Arrestgläubigers ausdrücklich
thun sollen, wenn dies in seinem Willen gelegen ware. Dazu femme,
dass am. 278 die Klage auf Anerkennung des Forderungsrechts gleich
behandle, ob sie vor oder nach der Arrestnahme eingeleitet werde. Von
einer analogen Anwendung des forum arresti könne somit im vorliegenden
Falle unter keinen Umständen die Rede sein. Aber auch vom Standpunkte
des kautonalen Rechts aus sei der angefochtene Entscheid unhaltbar. Den
Gerichtsstand des Sachzusammenhangs herbeizuziehen, gehe deshalb nicht
an, weil nur eine Rechtssache streitig sei und von Konnerität nicht
gesprochen werden könne. Einen Gerichts-stand des Vermögens aber kenne
der bernische Prozess überhaupt nicht. Wenn endlich der Appellationshof
sage, es bestehe eine Lücke im hernischen Prozesse, die nach allgemeinen
Grundsätzen und nach der Natur der Sache auszufüllen sei, so Übersehe
er dabei den § 11 des hernischen Prozesses, der vorschreibe, dass der
Schuldner für persönliche Klagen beim Richter seines Domizils zu suchen
sei. Wo das Gesetz nicht Ausnahmen aufstelle, müsse es bei dieser Regel
bleiben. Es sei auch unrichtig, dass das forum domicjiii des § 11 nur
für im Kanton Bem domizilierte Personen gelte, was in direktem Gegensatz
zu § 11 Al. 7 stünde. Wäre dem aber auch so, so hätte der beruische
Richter Überhaupt kein Recht, einen Ausländer bezw. einen im Auslande
niedergelassenen Berner vor sein Forum zu ziehen. Durch die Anerkennung
des for-um arresti für die Forderungsklage des Arrestnehmers schaffe somit
der Richter neues Recht, das im Widerspruch stehe zu dem bestehenden. Dazu
sei er aber nicht kompetent. Der Antrag geht dahin, es sei der Entscheid
des bernischen Appellationshofes vom 28. Januar 1898 zu kassieren. si

D. Die Rekursgegner tragen auf Abweisung des Rekurses an.
Jn thatsächlicher Beziehung wird betreffend des Verfahrens vor dem
Appellationshof berichtigt: Als in der Verhandlung vomI. Schuldbetreibung
und Konkurs. N° 43. 253

315. Januar 1898 bei der Abstimmung die Stimmen eingestanden

seien, habe der Präsident erklärt, wenn er jetzt gleich den Stichentscheid
abzugeben genötigt wäre, würde er im Sinne der Zusprechuug der
Gerichtsstandseinrede entscheiden; da aber der Fall ein schwieriger
sei, dürfte es sich anempfehlen, die Verhandlung zu verschieben und er
gewärtige, ob ein solcher Antrag gestellt merde, was dann geschehen
sei. Es habe also die Abstimmung am 15. Januar wohl begonnen gehabt,
aber sie sei noch nicht beendigt gewesen und ein Urteil sei damals
noch nicht zu stande gekommen, so dass es sich in der Verhandlung
vom 28. Januar auch nicht um die Aufhebung eines Urteils habe handeln
können, sondern bloss um eine Fortsetzung der Diskussion, womit sich die
Parteivertreter übrigens einverstanden erklärt hätten. Einer solchen
Verschiebung sei nichts entgegengestanden, es erscheine ein solches
Vorgehen als Unanfechtbar, zumal angesichts des Einverständnisses
der Parteien. Materiell könne in diesem Verfahren die Frage, ob der
Appellationshos das eidg. Schuldbetreibuugsund Konkursgesetz richtig
ausgelegt habe, nicht Über-prüft werden, sondern erst, wenn dieselbe
in Verbindung mit der Hauptsache dem Bundesgerichte unterbreitet werde
(Art. 58 Abs. 2 Q.-G.). Die Auslegung des kantonalen Prozessrechts sodann
enthalte weder eine Verfassungsverletzung noch eine Rechtsverweigerung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Rekurrent erblickt eine Rechtsverweigerung, bezw. einen Versioss
gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit und des Rechtsschutzes überhaupt
vor allem aus in der Art und Weise, wie der angefochtene Entscheid
zustande gekommen ist. Diese Beschwerde könnte nur dann gehört werden,
wenn dargethan ware, dass der Appellationshof des Kantons Bern sich in
offenbar willkürlicher Weise über allgemein anerkannte Prozessgrundsätze
oder Über bestimmte positive Vorschriften des bernischen Prozessrechts
betreffend die Berathung und Urteilsfällung hinweggesetzt habe. Ein
solcher Nachweis fehlt nun aber gänzlichDie einzige positive Bestimmung,
auf die sich der Reknrrent beruft, § 278 des bemischen Prozesses,
lautet: Bei der allgemeinen Umfrage hat Jedes Mitglied des Gerichts
seine Ansicht über die vorliegende Streitfrage bestimmt auszusprechen
und zu begründen. Dann findet auf Begehren freie Diskussion und nach
deren Schluss die Abstimmung

254 Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

statt. Bei gleich geteilten Stimmen entscheidet der Präsident, welcher
auch in jedem Falle das Urteil als Ergebnis der Abstimmung sogleich
öffentlich auszusprechen hat Aus dieser Bestimmung folgt nun keineswegs,
dass in der Verhandlung vom 15. Januar 1898 bereits ein Urteil zu stande
gekommen sei. Der Präsident machte, wie ans der amtlichen Darstellung
der damaligen Vorgänge zu entnehmen ist, die Abgabe des Stichentscheides
davon abhängig, dass nicht ein Verschiebungsantrag gestellt werde, und
er unterliess es, das Urteil durch seine Stitnmabgabe zur Perfektion zu
bringen, weil ein solcher Antrag gestellt wurde. Es hätte denn auch, wenn
schon damals das Urteil zu stande gekommen gewesen ware, die Verschiebung
der Verhandlung keinen Zweck gehabt. Fraglich könnte nur sein, ob
die Verschiebung in dem Stadium, in dem sich die Sache am 15. Januar
beta-nd, statthaft und ob nicht bei der neuen Verhandlung die gleiche
Besetzung des Gerichts erforderlich gewesen fei. Allein, was zunächst die
Verschiebung betrifft, mit der sich übrigens der Vertreter des Rekurrenten
einverstanden erklärt hatte, so erscheint eine solche weder durch
den Wortlaut des erwähnten § 278 des bernischen Prozessgesetzes, noch
durch allgemeine, zwingende Grundsätze desProzessrechts ausgeschlossen;
und ebensowenig verlangt jener § 278 oder verlangen solche allgemeine
Grundsätze, dass bei der neuen Beratung das Gericht gleich besetzt sein
müsse, wie bei der ersten.

2. In materieller Beziehung halten die Rekursgegner daîùr, dass der
angefochtene Entscheid, soweit er auf der Anwendung eidgenössischen
Rechts beruhe, Überhaupt nicht zum Gegenstand eines staatsrechtlichen
Rekurses habe gemacht werden können, weil er in dieser Beziehung der
Nachprüsung des Bundesgerichts gemäss Art. 58, Abs. 2 O.-G. nur aus dem
Wege der Berufung gegen das Urteil in der Hauptsache hätte unterstellt
werden können. Diese Auffassung ist uurichtig Das Bundesgericht als
Berufung-Jinstanz hat die Frage der Zuständigkeit der kantonalen Jnstanzen
nicht nachzuprüfen, sondern es hat bloss zu untersuchen, ob seine eigene
Zuständigkeit nach Mitgabe der darüber bestehenden besondern Vorschriften
begründet sei. Wenn daher auch in Art. 58, Abs. 2 O.-G. bestimmtsish
dass der Beurteilung des Bundesgerichts als Berufungsinstanz auch
diejenigen Entscheidungen der kantonalen Gerichte unterliegen, welche
dem Haupturteile voraus-1. Schuldhetreibung und Konkurs. N0 43. 255

gegangen sind, so kann sich doch diese Vorschrift auf Entscheidungen
über die rein prozessualische Frage der Zuständigkeit des an- gerufenen
kantonalen Gerichts auch dann nicht beziehen, wenn für dieselbe
eidgenbssisches Recht massgebend sein sollte. Diese Frage, die in der
Regel in der Form einer prozefsualischen Einrede ausgeworfen werden wird,
muss vielmehr stets endgültig entschieden sein, bevor zur Sache selbst
verhandelt und darüber abgesprochen wird, und als bundesrechtliches
Rechtswittel gegen einen derartigen Entscheid der kantonalen Gerichte
bietet sich überall einzig der staats-rechtliche Rekurs dar.

3. Bezüglich der Frage nun, in wie weit ein kantonaler Entscheid
Über eine Gerichtsstandssrage der Uberprüfung durch das Bundesgericht
unterliege, ist zu unterscheiden zwischen den Fällen in denen für den
Entscheid eidgenössisches, und denen, in welchen dafür kantonales
Recht massgebend ist. Soweit das kantonale Recht den Gerichtsstand
regelt, beschränkt sich die Kontrolle des Bundesgerichts auf die
Anwendung der verfassungsmässigen Grundsätze, namentlich des Art. 59 der
Bundesversassung, sowie auf den Schutz gegen Willkür und die Erledigung
interkantonaler Jurisdiktionskonflikte Wo dagegen der Bundesgesetzgeber
selbst Gerichtsstandsbestimniungen aufgestellt hat, ist die Ausgabe des
Bundesgerichts nicht auf jene Gesichtspunkte beschränkt, sondern es hat
darüber zu wachen, ob diese Bestimmungen von den kantonalen Gerichten
materiell richtig aus-gelegt und angewendet worden seien. Wenn auch das
Bundesgericht als Staatsgerichtshof, abgesehen von der Kompetenz zur
Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Bundesund Kantonsbehörden
und von Streitigkeiten staatsrechtlichen Natur zwischen Kantonen, in
erster Linie nur eingesetzt ist zur Beurteilung von Beschwerden wegen
Verletzung versafsungsmässiger Rechte der Bürger, sowie von Beschwerden
Privater wegen Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen (ein, 175,
Ziffer 3 O.-G.), so ist ihm doch weiterhin durch Art. 180 leg. cit. auch
die Überwachungf der Anwendung gewisser, bloss in Bundesgesetzen
enthaltener Bestimmungen übertragen und sind ferner seiner Rechtssprechung
die Gerichtsstandssragen in allen Fällen vorbehalten, in denen durch
Bundesgesetz eine Gerichtsstandsnorni gesetzt ist (am. 189,11nterabfatz
zu Absatz 2 O.-G.). Diese Kognition nun kann sich

256 staatsrechtlickie Entscheidungen. H. Abschnitt. Bundesgesetze.

unmöglich auf die Verfassungsmässigkeit des kantonalen Entscheides
beschränken, sondern erstreckt sich auch auf die richtige Anwendung
der bundesgesetzlichen Bestimmungen Für die Beurteilung der in Art. 180
erwähnten Streitigkeiten ist dies ohne weiters klar; denn sonst hätte
die besondere Kompetenzzuweisung überhaupt keinen Sinn. Was aber die
bundesgesetzlich normierten Gerichtsstandsfragen betrifft, so können
der Zuständigkeit des Bundesgerichts nicht engere Schranken gezogen
werden. Es entspricht einem Bedürfnisse der Rechtssicherheit und der
Einheit in der Rechtssprechung, dass eine Bundesinstanz über die richtige
Anwendung der Bundesgesetze wache. Die Aufsichtsinstanz ist, wo nicht der
Inhalt der betreffenden Gesetze oder eine ausdrückliche Bestimmung dem
entgegensteht, der Bundesrat. bezw. die Bundesverfammlung, wie dies durch
Art. 189, Abs. 2 O.-G. festgesetzt ist (vgl· auch Art.102 B.-V.). Wenn nun
anschliessend an diese Bestimmung gesagt ist, dass der Rechtssprechung
des Bundesgerichts in allen Fällen die Gerichtsstandsfragen vorbehalten
bleiben, so ist klar, dass sich diese Zuständigkeit des Bundesgerichts
hier ebenfalls, und zwar ganz besonders, ans die richtige Anwendung der
bundesgesetzlichen Vorschriften betreffend den Gerichts-stand und nicht
auf die Verfassungsmässigkeit eines daherigen Entscheides bezieht.

4. Fragt es sich sonach weiter, ob der bernische Appellationshof unt Recht
auf die Gerichtsstandsnormen des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und
Konkurs abgesteckt habe, um die Kompetenz der bernischen Gerichte für die
Beurteilung der Forderungsklage des Arrestnehmers gegen den Arreftaten zu
begründen, so ist zu bemerken: Das eidg. Betreibungsgefetz enthält über
den Gerichtsstand der Klage des Arrestnehmers gegen den Arrestschuldner
auf Anerkennung seiner Forderung, der Arrestbestätigungsklage, keine
spezielle Vorschrift Der bernische Appellationshof hat nun angenommen,
es liege eine Lücke im Gesetze vor, die durch Analogie ausgefüllt werden
kbnne Hierin ist demselben jedoch nicht beizumten. Grundsätzlich ist
gemäss der verfassungsmässigen Ausscheidung der gesetzgeberischen
Befugnisse des Bundes und der Kantone auf dem prozessualischen
Gebiete der Normierung des Gerichtsstandes, abgesehen von den durch die
Bundesverfassung gesetzten Schranken, kantonales Recht massgebend Wenn es
nun der Bundesgeietzgcber für geboten oder für zweckmässig erachtet hat,
auf[_ Schuidbetreihung und Konkurs. N° 43. 257

bestimmten Gebieten, auf dem ihm die Gesetzgebungsbefugnis in
materieller Beziehung zusteht, so namentlich auch mit Bezug auf
gewisse Streitigkeiten aus dem Betreibnngsund Konkursrecht, selbst
den Gerichtsstand zu bestimmen, so kann doch daraus nicht geschlossen
werben, dass er eine allgemeine bundesrechtliche Gerichtsstandordnung
für derartige Streitigkeiten habe schaffen wollen. Vietmehr ist zu sagen,
dass da, wo er nicht selbst legiferiert hat, es eben bei dem vorhandenen,
d. h. in erster Linie bei den kautenalrechtlichen Gerichtsstandsnormen
verbleiben solle. Es darf des-

.halb, wo nicht eine ausdrückliche Vorschrift des Bundesgesetzes

besteht, jedenfalls nur ans ganz zwingenden Gründen zur analogen

Anwendung bestehender eidgenössischer Gerichtsstandsbestimmungen

gegriffen werden, während es aller Regel nach, wo der Bundes-

gesetzgeber schweigt, unter Vorbehalt der verfassungsrechtlichen
Schranken, bei den bezüglichen kantonalen Bestimmungen verbleibt. Nun
zwingt der Umstand, dass für die Schadenersatzklage des Schuldners gegen
den Arrestnehmer (Art. 273) und für die Arrestaufhebungsklage (Art. 279
des eidg. Betreibungsgesetzes) das forum arresti bundesgesetzlich
anerkannt ist, nicht zu dem Schlusse, dass es auf einer blossen
Auslassung beruhe, wenn dieses Forum nicht auch für die Forderungsklage
des Arrestnehmers aufgestellt wurde, da diese ihrer Natur und ihrem
Zwecke nach sich von jenen wesentlich unterscheidet und auch mit dem
Arrest durchaus nicht in gleich engem Zusammenhang steht, wie letztere. Es
bleibt somit dabei, dass der Bundesgesetzgeber den Gerichtsstand für die
Forderungsklage des Arrestnehiners gegen den Schuldner nicht normiert
hat. Danach ist aber der Entscheid der Vorinstanz, soweit er das forum
arresti aus dem Bundesgesetz über Schutdbetreibung und Konkurs herleiten
will, nicht haltbar.

5. Nun erklärt aber der bernische Appellationshof, dass das forum
arresti im vorliegenden Fall auch begründet sei nach kantonalem
Prozessrecht. Dieser Ausspruch unterliegt der Uberprüfung des
Bundesgerichts nur insofern, als dadurch verfassungsmässige Rechte des
Rekurrenten verletzt sein sollten. Diesbezüglich fragt es sich bloss,
ob mit dem angesochtenen Entscheid der bernische Appellationshof sich
einer Rechtsverweigerung Und damit einer Verletzung des Grundsatzes der
Rechtsgleichheit schuldig gemacht

habe (Art. 4 B.-V. und Art. 72 der bernischen Kantonsverfas-

258 siaaisrechtljche Entscheidungen. H. Abschnitt. Bundesgesetze.

sung). Einen weitergehenden Schutz gewährt dem Rekurrenten im vorliegenden
Falle weder Art. 2 der Bundesverfassung noch Art. 58 derselben,
bezw. Art. 75 der bernischen Kantonsverfassung, die von ihm ebenfalls
angerufen worden sind. Denn gegen das allgemeine Gebot des Rechtsschutzes
und gegen die Garantie des verfassungsmässigen Richters verstösst ein von
einer ordentlichen Gerichtsbehörde ausgefällter Gerichtsstandsentscheid
wenn nicht besondere verfassungs-rechtliche Gerichtsstandsnormen
in Frage stehennur dann, wenn die bestehende gesetzliche Ordnung des
Gerichtsstandes in einem Spezialfalle bei Seite gesetzt und der Entscheid,
statt nach gesetzlicher Norm, nach behördlicher Willkür gefällt worden
ist, welcher Gesichtspunkt sich mit demjenigen der Rechtsverweigerung
vollständig deckt. Obschon nun freilich die Argumentation des bernischen
Appellationshoses auch vom Standpunkte des bernischen Prozessrechts aus
nicht durchwegs als einwandfrei sich darstellt, indem namentlich die
Bestimmung des § 16 über den Gerichtsstand des Sachzusammenhangs kaum
beigezogen werden dürfte und es auch schwer hält, aus der Anerkennung des
Gerichtsstandes des vorübergehenden Aufenthalts bei fehlendem Wohnsitz
im Lande ans die Zulässigkeit eines Gerichtsstandes des Vermögens
zu schliessen, so kann doch daran kein Anstand genommen werden, wenn
der Gerichtshof erklärt, der in § 11, Abs. l für persönliche Klagen
als Regel aufgestellte Gerichts-stand sei nicht ein allgemeiner und
gelte nur für Kantonseinwohner, Und wenn er weiter hieraus folgert,
dass mit Bezug auf persönliche Klagen gegen auswärts wohnende Personen
eine Lücke im Gesetze vorhanden sei, die im Falle eines Arrestes im
Sinne der Anerkennung des forum arresti ergänzt werden müsse. Denn die
diesbezüglichen Erwägungen stehen mit keiner gesetzlichen Vorschrift in
unverträglichem Widerspruchez sie sind auch keineswegs rein willkürliche,
sondern sehr wohl vertretbar. Der Vorwurf endlichdass der Richter in
das Gebiet des Gesetzgebers Über-gegriffen habe, ist völlig unbegründet,
handelt es sich doch keineswegs um die Schafsnng neuen Rechts, sondern
lediglich um die Entscheidung eines konkreten Falles. Davon, dass der
Richter über die Schranken seiner Kompetenz hinausgegangen sei, kann
Um so weniger gesprochen werden, als in § 281 des hernischen Prozesses
als Wegleitnng für die Thätigkeit der bernischen Gerichte der SatzLI,
Civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalte-END
44. 259 aufgestellt ist, dass die Rechtsfragen nach dem Buchstaben und
nach Sinn und Absicht des Gesetzes, oder wo dies nicht ausreicht, nach
allgemeinen Grundsätzen der Gesetzgebung und des Rechts zu entscheiden
seien. Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

Vergl. auch Nr. 37, Urteil vom 8. Juni 1898 in Sachen Fuog und Nr. 39,
Urteil vom 28. April 1898 in Sachen Stadlin-Graf.

II. Civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.
Rapporto (le droit civil des citoyens établis ou en séjour.

44. Urteil vom 13. April 1898 in Sachen Solothurn gegen Luzern.

Art. 22 B.-Ges. betr. die civilrechtliohen Verhältnisse der
Niede-rgelassenen etc. ; ietzîer Wohnsitz des Erblasse-rs ; Wohnsitz
Be--

vo-rm-undeîes'.

A. Im Februar 1888 starb in Romeos, Kantons Luzern, der daselbst
heimatberechtigte Anton Unternährer, unter Hinterlassung eines
minderjährigen Sohnes erster Ehe, Josef, einer Witwe zweiter Ehe,
Christian geb. Unternährer und zweier aus dieser Ehe hervorgegangener
minderjähriger Kinder, Christina und Karl. Die drei Kinder Unternährer,
denen vom Vater etwas Vermögen angefallen war, wurden in Romeos unter
Vormund-