Urteilskopf

146 I 97

10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kantonspolizei Zürich (Beschwerde in Strafsachen) 1B_115/2019 vom 18. Dezember 2019

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Sachverhalt ab Seite 98

BGE 146 I 97 S. 98

A. A. ist estnischer Staatsangehöriger und wohnt in London, wo er als Geschäftsmann tätig ist. Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt gegen ihn eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts der Datenbeschädigung. Sie schrieb ihn zur Aufenthaltsnachforschung aus. Am 5. Juli 2018 hielt die Kantonspolizei Zürich A. bei seiner Einreise am Flughafen Zürich an. Auf Nachfrage hin, wie mit A. zu verfahren sei, erliess die Staatsanwaltschaft sogleich einen Zuführungsbefehl. Die Kantonspolizei nahm A. darauf fest. Bevor sie ihn während rund 4 Stunden unbeaufsichtigt in einer Zelle einsperrte, durchsuchte sie ihn. Dabei musste er sich ausziehen. Die Durchsuchung wurde in zwei Phasen durchgeführt. A. durfte jeweils die Kleider des Ober- bzw. Unterkörpers anbehalten. Um allfällige Gegenstände zwischen den Gesässbacken festzustellen, musste er mit entkleidetem Unterkörper in die Hocke gehen.

B. Die von A. gegen die Leibesvisitation erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich am 29. Januar 2019 ab (Dispositiv Ziffer 2).
C. A. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, Ziffer 2 des Dispositivs des Entscheids des Obergerichts aufzuheben und festzustellen, dass die Leibesvisitation unrechtmässig gewesen sei (...). (Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Die Vorinstanz legt dar, die Leibesvisitation habe die Bannung der Selbst- und Fremdgefährdung bezweckt. Für eine Leibesvisitation wie hier genüge es, dass Gründe für eine vorläufige Festnahme bestünden und die Verbringung in eine unbeaufsichtigte Zelle erforderlich sei. Weitergehender, konkreter Anhaltspunkte für eine Selbst-
BGE 146 I 97 S. 99

oder Drittgefährdung bedürfe es nicht. Dies entspreche dem Dienstbefehl der Kantonspolizei, der nicht zu beanstanden sei.
2.2 Art. 241
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 241 Anordnung - 1 Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen.
1    Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen.
2    Der Befehl bezeichnet:
a  die zu durchsuchenden oder zu untersuchenden Personen, Räumlichkeiten, Gegenstände oder Aufzeichnungen;
b  den Zweck der Massnahme;
c  die mit der Durchführung beauftragten Behörden oder Personen.
3    Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei die Untersuchung der nicht einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen anordnen und ohne Befehl Durchsuchungen vornehmen; sie informiert darüber unverzüglich die zuständige Strafbehörde.
4    Die Polizei kann eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, namentlich um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten.
-243
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 243 Zufallsfunde - 1 Zufällig entdeckte Spuren oder Gegenstände, die mit der abzuklärenden Straftat nicht in Zusammenhang stehen, aber auf eine andere Straftat hinweisen, werden sichergestellt.
1    Zufällig entdeckte Spuren oder Gegenstände, die mit der abzuklärenden Straftat nicht in Zusammenhang stehen, aber auf eine andere Straftat hinweisen, werden sichergestellt.
2    Die Gegenstände werden mit einem Bericht der Verfahrensleitung übermittelt; diese entscheidet über das weitere Vorgehen.
StPO enthalten allgemeine Bestimmungen zu Durchsuchungen und Untersuchungen. Gemäss Art. 241 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 241 Anordnung - 1 Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen.
1    Durchsuchungen und Untersuchungen werden in einem schriftlichen Befehl angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen.
2    Der Befehl bezeichnet:
a  die zu durchsuchenden oder zu untersuchenden Personen, Räumlichkeiten, Gegenstände oder Aufzeichnungen;
b  den Zweck der Massnahme;
c  die mit der Durchführung beauftragten Behörden oder Personen.
3    Ist Gefahr im Verzug, so kann die Polizei die Untersuchung der nicht einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen anordnen und ohne Befehl Durchsuchungen vornehmen; sie informiert darüber unverzüglich die zuständige Strafbehörde.
4    Die Polizei kann eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, namentlich um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten.
StPO kann die Polizei eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, namentlich um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten. Art. 249 f
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 249 Grundsatz - Personen und Gegenstände dürfen ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können.
. StPO regeln die Durchsuchung von Personen und von Gegenständen. Gemäss Art. 249
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 249 Grundsatz - Personen und Gegenstände dürfen ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können.
StPO dürfen Personen und Gegenstände ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können. Nach Art. 250
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 250 Durchführung - 1 Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen.
1    Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen.
2    Durchsuchungen, die in den Intimbereich der Betroffenen eingreifen, werden von Personen des gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt, es sei denn, die Massnahme dulde keinen Aufschub.
StPO umfasst die Durchsuchung von Personen die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen (Abs. 1). Durchsuchungen, die in den Intimbereich der Betroffenen eingreifen, werden von Personen des gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt, es sei denn, die Massnahme dulde keinen Aufschub (Abs. 2). Dass mit diesen Bestimmungen eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Leibesvisitation bestand, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede. Er bringt vor, da bei ihm Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung gefehlt hätten, sei die Leibesvisitation unverhältnismässig gewesen. Sie habe eine erniedrigende Behandlung dargestellt.
2.3 Gemäss Art. 7
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 7 Menschenwürde - Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.
BV ist die Würde des Menschen zu achten. Dies bekräftigt Art. 3 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 3 Achtung der Menschenwürde und Fairnessgebot - 1 Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen.
1    Die Strafbehörden achten in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen.
2    Sie beachten namentlich:
a  den Grundsatz von Treu und Glauben;
b  das Verbot des Rechtsmissbrauchs;
c  das Gebot, alle Verfahrensbeteiligten gleich und gerecht zu behandeln und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren;
d  das Verbot, bei der Beweiserhebung Methoden anzuwenden, welche die Menschenwürde verletzen.
StPO. Danach achten die Strafbehörden in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen. Gemäss Art. 10 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.
1    Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.
2    Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.
3    Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten.
BV und Art. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
EMRK ist eine erniedrigende Behandlung verboten. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung gegen die Menschenwürde verstösst und eine erniedrigende Behandlung darstellt, kommt es auf die Umstände an (BGE 141 I 141 E. 6.3.5 S. 147 ff. mit Hinweisen). Die Leibesvisitation stellt einen Eingriff dar in das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit - 1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.
1    Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.
2    Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.
3    Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten.
BV) und auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
1    Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
2    Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.
BV). Sie muss verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten - 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.
1    Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.
2    Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.
3    Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein.
4    Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar.
BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 197 Grundsätze - 1 Zwangsmassnahmen können nur ergriffen werden, wenn:
1    Zwangsmassnahmen können nur ergriffen werden, wenn:
a  sie gesetzlich vorgesehen sind;
b  ein hinreichender Tatverdacht vorliegt;
c  die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können;
d  die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt.
2    Zwangsmassnahmen, die in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen.
und d StPO). Sie muss somit geeignet sein, den damit verfolgten Zweck zu erreichen. Sodann muss sie erforderlich sein. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn mildere Massnahmen zur
BGE 146 I 97 S. 100

Erreichung des angestrebten Zwecks genügen. Schliesslich muss die Massnahme dem Betroffenen zumutbar sein (BGE 142 I 135 E. 4.1 S. 151; BGE 141 I 141 E. 6.5.3 S. 151; je mit Hinweisen).
2.4 Das Bundesgericht hatte sich verschiedentlich mit Fällen zu befassen, in denen sich der Betroffene bei einer Leibesvisitation fast oder vollständig nackt ausziehen musste. Im Urteil 1B_176/2016 vom 11. April 2017 (in: Pra 2017 47 S. 475 ff.) ging es um einen Beschuldigten, den die Polizei nach einer Auseinandersetzung in der Luzerner Altstadt zum Polizeigebäude verbracht hatte. Dort unterzog sie ihn einer Leibesvisitation. Dabei musste er sich nackt ausziehen. In der Folge schloss sie ihn während zehn Minuten in einer Zelle ein. Das Bundesgericht erwog, der Beschuldigte sei wegen seiner Anhaltung und Verbringung zum Polizeigebäude unstreitig aufgebracht gewesen. Eine Gefährdung der Polizeibeamten habe daher nicht ausgeschlossen werden können. Um festzustellen, ob der Beschuldigte im Besitz von Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen gewesen sei, hätte es jedoch genügt, ihn über den Kleidern abzutasten. Die vollständige Entkleidung sei dazu nicht erforderlich gewesen. Zwar hätten die Polizeibeamten den Beschuldigten für kurze Zeit in einer Zelle eingesperrt. Für den Ausschluss einer Selbstgefährdung hätte es jedoch ebenfalls genügt, den Beschuldigten über den Kleidern abzutasten und ihm gegebenenfalls den Gürtel und die Schnürsenkel wegzunehmen. Die Leibesvisitation mit Entkleidung sei daher unverhältnismässig gewesen (E. 6.6).
Im Fall, der dem Urteil 6B_391/2013 vom 27. Juni 2013 (in: Plädoyer 2013 5 S. 53 f.) zugrunde liegt, nahm ein Polizeibeamter den Privatkläger, der sich in die polizeiliche Kontrolle eines Drogenkonsumenten eingemischt und das polizeiliche Vorgehen kritisiert hatte, fest und ordnete seine Verbringung zum Polizeiposten an. Dort wurde der Privatkläger einer Leibesvisitation unterzogen, bei der er sich nackt ausziehen musste. Das Obergericht des Kantons Zürich befand, die Leibesvisitation sei mit Blick auf den konkreten Tatvorwurf (Nichtentfernen der Hände aus den Hosentaschen) unverhältnismässig gewesen. Es hätten keine Verdachtsmomente bestanden, dass der Privatkläger Drogen oder gefährliche Gegenstände auf sich tragen könnte, die nicht mit einem Abtasten über der Kleidung hätten gefunden werden können. Die Leibesvisitation sei daher unrechtmässig gewesen (E. 1.2). Dem pflichtete das Bundesgericht bei. Es erwog,
BGE 146 I 97 S. 101

der Polizeibeamte hätte die von ihm beim Privatkläger befürchteten gefährlichen Gegenstände wie Messer und Feuerwerk sowie allfällige Drogen durch Abtasten über der Kleidung finden können (E. 1.4). Eine Leibesvisitation, bei der sich ein bei Krawallen Festgenommener bis auf die Unterhose ausziehen musste, erachtete das Bundesgericht im Urteil 1P.323/1988 vom 15. Februar 1991 ebenfalls als unverhältnismässig. Zum Auffinden gefährlicher Gegenstände sei die Entkleidung nicht notwendig gewesen. Ein Abtasten hätte genügt (E. 5c). Die Rechtmässigkeit der Leibesvisitation verneinte das Bundesgericht überdies in einem Fall, in dem sich eine bei einer unbewilligten Demonstration Festgenommene im Polizeiposten bis auf den Slip ausziehen musste. Das Bundesgericht legte dar, es werde nichts dafür vorgebracht, weshalb sich gerade gegenüber der Festgenommenen eine Leibesvisitation aufgedrängt hätte. Weder werde behauptet, es hätte die Vermutung bestanden, dass die Festgenommene an Gewaltakten beteiligt gewesen sei, noch würden Verdachtsmomente genannt, die auf den Besitz gefährlicher Gegenstände hätten schliessen lassen. Bei dieser Sachlage könne es klarerweise nicht mehr als verhältnismässig gelten, wenn die Festgenommene dazu verhalten worden sei, sich zu entkleiden. Eine Kontrolle durch Abtasten, eventuell unter Benützung gängiger technischer Hilfsmittel, hätte genügt (BGE 109 Ia 146 E. 8a S. 158 mit Hinweis auf das Urteil P.656/1980 vom 3. Juni 1981 E. 4).
2.5 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es nachvollziehbar, dass ein Inhaftierter, der einer körperlichen Durchsuchung unterzogen wird, sich dadurch in seiner Intimität und Würde beeinträchtigt fühlt, besonders wenn er sich vor anderen entkleiden und eine unangenehme Stellung ("posture embarassante") einnehmen muss. Eine solche Behandlung ist jedoch nicht per se illegitim. Auch vollständige körperliche Durchsuchungen können sich als notwendig erweisen zur Gewährleistung der Sicherheit im Gefängnis - einschliesslich jener des Inhaftierten selbst -, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Vorbeugung von Straftaten. Körperliche Durchsuchungen müssen allerdings für die Erreichung dieser Zwecke erforderlich ("nécessaire") sein. Zudem müssen sie so durchgeführt werden, dass das Mass des Leids oder der Erniedrigung des Inhaftierten nicht jenes übersteigt, das mit dieser
BGE 146 I 97 S. 102

Art Behandlung unvermeidlich verbunden ist. Je schwerer der Eingriff in die Intimität des Inhaftierten wiegt, desto grössere Wachsamkeit ("vigilance") drängt sich auf. Dies gilt insbesondere, wenn er sich vor anderen ausziehen und unangenehme Stellungen einnehmen muss. Zwar kann es notwendig sein, den Inhaftierten im Hinblick auf die Sichtung der Aftergegend dazu anzuhalten, sich zu bücken und zu husten. Eine solche Massnahme ist jedoch nur zulässig, wenn sie angesichts der besonderen Umstände absolut notwendig ist und wenn ernsthafte und konkrete Verdachtsmomente bestehen, dass der Inhaftierte verbotene Gegenstände oder Substanzen in diesem Körperteil verbirgt (Urteil Frérot gegen Frankreich vom 12. Juni 2007, § 38-41 mit Hinweisen; MEYER-LADEWIG/LEHNERT, in: EMRK, Handkommentar, Meyer-Ladewig und andere [Hrsg.], 4. Aufl. 2017, N. 34 zu Art. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
EMRK).
2.6 Im Schrifttum wird dargelegt, für eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung seien Anhaltspunkte dafür erforderlich, dass ohne diese Massnahme eine konkrete Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegen könnte oder andere besonders wichtige Rechtsgüter betroffen sein könnten (HANS MAURER, in: Kommentar zum Polizeigesetz des Kantons Zürich, Donatsch und andere [Hrsg.], 2018, N. 9 zu § 35 PolG). Die Polizeibeamten dürften nicht systematisch eine Leibesvisitation mit Entkleidung durchführen. Massgeblich seien die Umstände (MARC RÉMY, Droit des mesures policières, 2008, S. 74 f. mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Kassationshofs des Kantons Genf). Eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung sei unverhältnismässig, wenn kein objektiver Grund zur Annahme bestehe, dass der Betroffene im Besitz gefährlicher Gegenstände sei. Dasselbe gelte, wenn das Abtasten über den Kleidern genüge (GUÉNIAT/HAINARD, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 1 f. zu Art. 250
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 250 Durchführung - 1 Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen.
1    Die Durchsuchung von Personen umfasst die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen.
2    Durchsuchungen, die in den Intimbereich der Betroffenen eingreifen, werden von Personen des gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt, es sei denn, die Massnahme dulde keinen Aufschub.
StPO).
2.7 Der angefochtene Entscheid widerspricht der dargelegten Rechtsprechung. Danach ist auch bei jemandem, der in eine Zelle eingesperrt wird, eine Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung und Verpflichtung des Betroffenen, in die Hocke zu gehen, nur zulässig, wenn ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen. Solche Anhaltspunkte können sich aus der dem Betroffenen vorgeworfenen Straftat ergeben. Es ist nicht dasselbe, ob jemandem ein Gewaltdelikt zur Last gelegt wird und man es deshalb mit einer mutmasslich gefährlichen Person zu tun
BGE 146 I 97 S. 103

hat oder ob es an einem solchen Delikt fehlt und damit insoweit keine Anzeichen für eine Gewaltbereitschaft vorliegen. Zu berücksichtigen ist sodann das Verhalten des Festgenommenen. Verhält er sich aggressiv, spricht das für die Zulässigkeit der Leibesvisitation. Anders liegt es, wenn er sich anständig und kooperativ verhält. Im Weiteren ist von Bedeutung, ob die Verbringung des Festgenommenen in eine Zelle für ihn überraschend kommt. In einem derartigen Fall hat er in der Regel weder Zeit noch Gelegenheit, Waffen oder andere gefährliche Gegenstände unter den Kleidern zu verbergen. Eine andere Situation besteht, wenn der sich auf freiem Fuss befindliche Betroffene zum Voraus weiss, dass er in eine Zelle verbracht werden wird, wie das namentlich beim Antritt einer Freiheitsstrafe der Fall ist.
2.8 Dem Beschwerdeführer wird eine Datenbeschädigung gemäss Art. 144 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 144 - 1 Wer eine Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer eine Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Hat der Täter die Sachbeschädigung aus Anlass einer öffentlichen Zusammenrottung begangen, so wird er von Amtes wegen verfolgt.
3    Hat der Täter einen grossen Schaden verursacht, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Die Tat wird von Amtes wegen verfolgt.202
StGB zur Last gelegt. Danach wird bestraft, wer unbefugt elektronisch oder in vergleichbarer Weise gespeicherte oder übermittelte Daten verändert, löscht oder unbrauchbar macht. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer zu Gewalt neigen könnte, ergaben sich aus dem Deliktsvorwurf somit nicht. Nach den Darlegungen der Vorinstanz verhielt er sich gegenüber den Polizeibeamten stets kooperativ. Die Festnahme erfolgte für ihn sodann überraschend, was dagegen sprach, dass er unter den Kleidern eine Waffe oder andere gefährliche Gegenstände verbarg. Dafür bestanden umso weniger Anzeichen, als er am Flughafen in London bei der Sicherheitskontrolle vor der Abreise bereits auf gefährliche Gegenstände hin untersucht worden war. Ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung fehlten demnach. Auch war nicht zu vermuten, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden konnten (Art. 249
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 249 Grundsatz - Personen und Gegenstände dürfen ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können.
StPO). Damit ist es unverhältnismässig, wenn sich der Beschwerdeführer nackt ausziehen und zusätzlich in die Hocke gehen musste, damit seine Aftergegend gesichtet werden konnte. Dass die Leibesvisitation in zwei Phasen erfolgte und der Beschwerdeführer die Kleider des Ober- bzw. Unterkörpers jeweils anbehalten durfte, ändert daran nichts. Zwar ist einzuräumen, dass eine Selbst- oder Fremdgefährdung auch in einem Fall wie hier nicht absolut ausgeschlossen ist. Das verbleibende Risiko ist jedoch derart gering, dass sich eine Leibesvisitation mit Entkleidung gegen den Willen des Betroffenen nicht rechtfertigt. Um diesem Risiko zu begegnen, genügt es, wenn der Polizeibeamte den Betroffenen - gegebenenfalls
BGE 146 I 97 S. 104

unter Einsatz geeigneter technischer Hilfsmittel - über den Kleidern abtastet und ihm vor der Verbringung in die Zelle den Gürtel und die Schnürsenkel wegnimmt.
2.9 Die Vorinstanz hebt die Praktikabilität des Dienstbefehls hervor. Zwar trifft zu, dass es für den Polizeibeamten einfacher ist, wenn er vor der Verbringung des Festgenommenen in die Zelle diesen stets einer Leibesvisitation zu unterziehen hat und sich keine Gedanken zur Verhältnismässigkeit machen muss. Dem kommt jedoch kein massgebliches Gewicht zu (ebenso der Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2009, 2 BvR 455/08, N. 33). Praktikabilitätsüberlegungen dürfen nicht zulasten eines effektiven Grundrechtsschutzes gehen. Die Polizeibeamten sind zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit verpflichtet (Art. 5 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
BV). Dieser stellt zusammen mit dem Legalitätsprinzip den wichtigsten Massstab der Rechtmässigkeit allen polizeilichen Wirkens dar (MARKUS H.F. MOHLER, Grundzüge des Polizeirechts in der Schweiz, 2012, S. 221 N. 672). Dass sich ein Polizeibeamter mit der Verhältnismässigkeit seines Vorgehens auseinandersetzen muss, ist mit seiner Tätigkeit somit untrennbar verbunden.
2.10 Die Beschwerde wird deshalb gutgeheissen. Ziffer 2 des Dispositivs des angefochtenen Entscheids wird aufgehoben und festgestellt, dass die Leibesvisitation vom 5. Juli 2018 unrechtmässig war.