Urteilskopf

132 III 483

55. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. X. (SchKG-Beschwerde) 7B.33/2006 vom 10. Mai 2006

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Sachverhalt ab Seite 484

BGE 132 III 483 S. 484

Das Betreibungsamt A. setzte am 3. Januar 2006 das Existenzmini mum von X. auf Fr. 1'850.- fest und verfügte am gleichen Tag, dass von ihrem Lohn der diese Summe übersteigende Teil gepfändet werde. Unter Hinweis auf die Wohngemeinschaft mit der Tochter wurden X. ein Grundbetrag von Fr. 775.- zugestanden und als Wohnkosten Fr. 648.-, d.h. die Hälfte des Mietzinses von Fr. 1'296.-, eingesetzt. X. führte Beschwerde an das Kantonsgericht Freiburg (Schuldbetreibungs- und Konkurskammer) als kantonaler Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen. Sie verlangte, dass ihr ein Grundbetrag von Fr. 1'100.- zuzugestehen sei und die Mietkosten nicht zur Hälfte, sondern zu drei Vierteln (d.h. mit einem Betrag von Fr. 972.-) zu berücksichtigen seien. Mit Entscheid vom 7. Februar 2006 wies die kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab. Die von X. hiergegen erhobene Beschwerde heisst das Bundesgericht teilweise gut.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Die Beschwerdeführerin lebt nach den Feststellungen der kantonalen Aufsichtsbehörde in Wohngemeinschaft mit ihrer 24-jährigen Tochter, die einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Dass die Tochter ihren Lebensunterhalt nicht (vollumfänglich) selbst zu bestreiten vermöchte und auf finanzielle Unterstützung durch die Beschwerdeführerin angewiesen wäre, ist dem angefochtenen Entscheid nicht zu entnehmen. Zu bestimmen ist mithin das rein persönliche Existenzminimum der Beschwerdeführerin.
4.1 Das Kantonsgericht hat ausdrücklich auf die von der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz herausgegebenen (in der Fassung vom 24. November 2000 in BlSchK 2001 S. 14 ff. veröffentlichten) Richtlinien abgestellt. Als Grundbetrag (für Nahrung, Kleidung und Wäsche, Körper- und Gesundheitspflege, Unterhalt der Wohnungseinrichtung, Kulturelles, Beleuchtung und Kochstrom bzw. -gas) setzte es die Hälfte der für ein Ehepaar oder für "zwei andere eine dauernde Hausgemeinschaft bildende erwachsene Personen" empfohlenen Pauschale von monatlich Fr. 1'550.- (Ziff. I/3) ein. Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, dass es nicht angehe, ihre Tochter die Hälfte der Kosten des Haushaltes tragen zu lassen.
BGE 132 III 483 S. 485

4.2 In der Wohngemeinschaft der Beschwerdeführerin mit ihrer Tochter erblickt die Vorinstanz eine Hausgemeinschaft im Sinne von Ziff. I/3 der genannten Richtlinien. Mit der dort neben der Ehe erwähnten "dauernden" Hausgemeinschaft ist hauptsächlich ein Konkubinatsverhältnis gemeint (vgl. BGE 130 III 765 E. 2.3 und 2.4 S. 767 f.; ALFRED BÜHLER, Aktuelle Probleme bei der Existenzminimumberechnung, in: SJZ 100/2004 S. 26). Voraussetzung einer Gleichstellung mit der Ehe ist auf jeden Fall, dass die Hausgemeinschaft partnerschaftlicher Natur ist. Nur bei einer solchen ist nämlich anzunehmen, dass beide Personen - im Verhältnis ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (dazu BGE 114 III 12 E. 3 S. 15 f.) bzw. zu gleichen Teilen (dazu BGE 128 III 159) - nicht nur an die Wohnkosten, sondern etwa auch an die Aufwendungen für Nahrung oder Kulturelles beitragen, und ist es deshalb gerechtfertigt, bei der Festlegung des Grundbedarfs die Gemeinschaft als Ganzes zu behandeln und vom entsprechenden Pauschalbetrag auszugehen. Die von einer Mutter und ihrer 24-jährigen erwerbstätigen Tochter gebildete Wohngemeinschaft lässt sich mit einer Gemeinschaft der angeführten Art nicht vergleichen. Die Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz bestimmen denn auch, dass der Arbeitserwerb volljähriger in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner lebender Kinder bei der Berechnung des Existenzminimums grundsätzlich einzig insofern zu berücksichtigen sei, als ein angemessener Anteil von den Wohnkosten (Mietzins und Heizung) des Schuldners abzuziehen sei (Ziff. IV/2 Abs. 2 und Ziff. V/2). Indem die Vorinstanz der Beschwerdeführerin (nur) den halben Grundbetrag für Ehepaare bzw. für zwei andere eine dauernde Hausgemeinschaft bildende erwachsene Personen zugestanden hat, hat sie der Tochter in sachlich nicht gerechtfertigter Weise zugemutet, (zur Hälfte) an die allgemeinen Kosten des Haushalts beizutragen und damit von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht.
4.3 Das Existenzminimum der Beschwerdeführerin ist nach dem Gesagten auf Grund einer Einzelrechnung zu ermitteln, d.h. es ist von dem für einen alleinstehenden Schuldner empfohlenen Grundbetrag (von Fr. 1'100.-; Ziff. I/1 der Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz) auszugehen. Gewisse von diesem Grundbetrag zu deckende Auslagen werden möglicherweise nicht von der Beschwerdeführerin allein bestritten, sondern von der im gleichen Haushalt lebenden Tochter mitgetragen,

BGE 132 III 483 S. 486

was eine Reduktion zu rechtfertigen vermöchte. In diesem Sinne sehen beispielsweise die in den Kantonen Aargau und Zürich erlassenen Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums für einen alleinstehenden Schuldner in Haushaltgemeinschaft mit erwachsenen Personen eine (pauschale) Herabsetzung des Grundbetrags um Fr. 100.- (auf Fr. 1'000.-) vor (für den Kanton Aargau: Richtlinien vom 3. Januar 2001, SAR 231.191, Ziff. I/2; für den Kanton Zürich: Kreisschreiben der Verwaltungskommission des Obergerichts vom 23. Mai 2001, veröffentlicht in: ZR 100/2001 Nr. 46 S. 153 ff., Ziff. II/1.1). Wie viel vom Grundbetrag allenfalls abzuziehen ist, hat in Anwendung des nach Art. 93 Abs. 1
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 93 - 1 Erwerbseinkommen jeder Art, Nutzniessungen und ihre Erträge, Leibrenten sowie Unterhaltsbeiträge, Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, namentlich Renten und Kapitalabfindungen, die nicht nach Artikel 92 unpfändbar sind, können so weit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig sind.
1    Erwerbseinkommen jeder Art, Nutzniessungen und ihre Erträge, Leibrenten sowie Unterhaltsbeiträge, Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, namentlich Renten und Kapitalabfindungen, die nicht nach Artikel 92 unpfändbar sind, können so weit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig sind.
2    Solches Einkommen kann längstens für die Dauer eines Jahres gepfändet werden; die Frist beginnt mit dem Pfändungsvollzug. Nehmen mehrere Gläubiger an der Pfändung teil, so läuft die Frist von der ersten Pfändung an, die auf Begehren eines Gläubigers der betreffenden Gruppe (Art. 110 und 111) vollzogen worden ist.
3    Erhält das Amt während der Dauer einer solchen Pfändung Kenntnis davon, dass sich die für die Bestimmung des pfändbaren Betrages massgebenden Verhältnisse geändert haben, so passt es die Pfändung den neuen Verhältnissen an.
4    Auf Antrag des Schuldners weist das Amt den Arbeitgeber des Schuldners an, während der Dauer der Einkommenspfändung zusätzlich den für die Bezahlung der laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erforderlichen Betrag an das Amt zu überweisen, soweit diese Prämien und Kostenbeteiligungen zum Existenzminimum des Schuldners gehören. Das Amt begleicht damit die laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen direkt beim Versicherer.205
SchKG eingeräumten Ermessens das Betreibungsamt bzw. die kantonale Aufsichtsbehörde zu beurteilen. Hinsichtlich des vom Kantonsgericht bei der Ermittlung des Notbedarfs eingesetzten Grundbetrags ist der angefochtene Entscheid mithin aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5. Die Beschwerdeführerin beanstandet ferner, dass ihr bei den Wohnkosten nur die Hälfte des Mietzinses für die von ihr und ihrer Tochter belegte Wohnung zugestanden wurde. Wie bereits oben (E. 4.2) erwähnt, bestimmen die Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz für einen Fall der vorliegenden Art, dass bei der Ermittlung des Existenzminimums des Schuldners ein angemessener Anteil von den Wohnkosten (Mietzins und Heizung) abzuziehen sei (Ziff. V/2).
Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich nicht, dass die Tochter nicht berechtigt wäre, die Wohnung im gleichen Ausmass zu nutzen wie die Beschwerdeführerin. Etwas anderes macht auch diese selbst nicht geltend. Die Beschwerdeführerin begnügt sich mit einem Hinweis auf GEORGES VONDER MÜHLL (Kommentar zum SchKG, Basel 1998, N. 26 zu Art. 93
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 93 - 1 Erwerbseinkommen jeder Art, Nutzniessungen und ihre Erträge, Leibrenten sowie Unterhaltsbeiträge, Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, namentlich Renten und Kapitalabfindungen, die nicht nach Artikel 92 unpfändbar sind, können so weit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig sind.
1    Erwerbseinkommen jeder Art, Nutzniessungen und ihre Erträge, Leibrenten sowie Unterhaltsbeiträge, Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, namentlich Renten und Kapitalabfindungen, die nicht nach Artikel 92 unpfändbar sind, können so weit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig sind.
2    Solches Einkommen kann längstens für die Dauer eines Jahres gepfändet werden; die Frist beginnt mit dem Pfändungsvollzug. Nehmen mehrere Gläubiger an der Pfändung teil, so läuft die Frist von der ersten Pfändung an, die auf Begehren eines Gläubigers der betreffenden Gruppe (Art. 110 und 111) vollzogen worden ist.
3    Erhält das Amt während der Dauer einer solchen Pfändung Kenntnis davon, dass sich die für die Bestimmung des pfändbaren Betrages massgebenden Verhältnisse geändert haben, so passt es die Pfändung den neuen Verhältnissen an.
4    Auf Antrag des Schuldners weist das Amt den Arbeitgeber des Schuldners an, während der Dauer der Einkommenspfändung zusätzlich den für die Bezahlung der laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erforderlichen Betrag an das Amt zu überweisen, soweit diese Prämien und Kostenbeteiligungen zum Existenzminimum des Schuldners gehören. Das Amt begleicht damit die laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen direkt beim Versicherer.205
SchKG), der lediglich das in der erwähnten Bestimmung der Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz Festgelegte bestätigt. Weshalb in ihrem Fall die Halbierung der Wohnkosten - wie nach dem angerufenen Autor beim Zusammenleben zweier erwachsener Personen üblich - nicht angemessen sein soll, legt sie nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere bringt die Beschwerdeführerin nicht etwa vor, dass die Tochter unterstützungsbedürftig und sie ihr gegenüber unterstützungspflichtig wäre und sie dieser Pflicht in Form einer günstigen Beherbergung nachkomme. Die Beschwerde ist in diesem Punkt demnach unbegründet.