Urteilskopf

125 III 219

36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. April 1999 i.S. A. und Mitkl. gegen Y. (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 219

BGE 125 III 219 S. 219

Am 5. Oktober 1989 verpachtete X. seinen Landwirtschaftsbetrieb an seinen Sohn Y. (Beklagter). Der Vertrag sah eine Dauer von neun Jahren vor und sollte unter Einhaltung einer Frist von einem Jahr frühestens auf den 30. April 1998 kündbar sein; andernfalls sollte sich die Pacht um 6 Jahre verlängern. Am 17. Juli 1995 verstarb X. und hinterliess eine Ehefrau sowie elf Kinder, darunter den Beklagten. Dessen Mutter und Geschwister (Kläger) kündigten den Pachtvertrag mit Schreiben vom 14. März 1997 auf den 30. April 1998. Der Beklagte erachtete die Kündigung als ungültig. Ein diesbezügliches Gesuch der Kläger um Bestellung eines Erbenvertreters wurde vom Einzelrichter des Bezirks Uster am 28. April 1997 abgewiesen. Darauf verlangten die Kläger vor Mietgericht Uster, die Gültigkeit der Kündigung festzustellen. Die Klage wurde am 7. August
BGE 125 III 219 S. 220

1998 abgewiesen. Gleich entschied das Obergericht des Kantons Zürich am 16. Dezember 1998. Das Bundesgericht weist die von den Klägern dagegen erhobene eidgenössische Berufung ab,
Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. Nach Auffassung der Vorinstanz hätte die Kündigung des Pachtvertrags nur gültig ausgesprochen werden können, wenn ihr alle Erben zugestimmt hätten. Sie vertritt die Ansicht, vom Einstimmigkeitsprinzip könne unter den gegebenen Umständen nicht abgewichen werden; allenfalls hätte um die Bestellung eines Erbenvertreters nachgesucht werden müssen. Die Kläger halten diese Betrachtungsweise für bundesrechtswidrig. Zur Begründung führen sie an, die Vorinstanz hätte nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht auf dem Einstimmigkeitserfordernis beharren dürfen, da alle Erben in die Kündigung einbezogen gewesen seien: die einen elf hätten gekündigt, dem einzelnen anderen sei gekündigt worden. Abgesehen davon sei ein Gesuch um Bestellung eines Erbenvertreters gestellt, vom Einzelrichter des Bezirks Meilen jedoch abgewiesen worden. a) Nach Art. 602 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 602 - 1 Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
1    Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
2    Sie werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und verfügen unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam.
3    Auf Begehren eines Miterben kann die zuständige Behörde für die Erbengemeinschaft bis zur Teilung eine Vertretung bestellen.
ZGB verfügen mehrere, eine Erbengemeinschaft bildende Erben als Gesamteigentümer des Nachlasses unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam. Deshalb können einzelne Erben für den Nachlass grundsätzlich nicht handeln. Dies ist in der Regel nur allen gemeinsam oder an deren Stelle einem Erbenvertreter (Art. 602 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 602 - 1 Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
1    Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
2    Sie werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und verfügen unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam.
3    Auf Begehren eines Miterben kann die zuständige Behörde für die Erbengemeinschaft bis zur Teilung eine Vertretung bestellen.
ZGB), Willensvollstrecker (Art. 518
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 518 - 1 Die Willensvollstrecker stehen, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, in den Rechten und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters.
1    Die Willensvollstrecker stehen, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, in den Rechten und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters.
2    Sie haben den Willen des Erblassers zu vertreten und gelten insbesondere als beauftragt, die Erbschaft zu verwalten, die Schulden des Erblassers zu bezahlen, die Vermächtnisse auszurichten und die Teilung nach den vom Erblasser getroffenen Anordnungen oder nach Vorschrift des Gesetzes auszuführen.
3    Sind mehrere Willensvollstrecker bestellt, so stehen ihnen diese Befugnisse unter Vorbehalt einer anderen Anordnung des Erblassers gemeinsam zu.
ZGB) oder Erbschaftsverwalter (Art. 554
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 554 - 1 Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet:
1    Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet:
1  wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend ist, sofern es seine Interessen erfordern;
2  wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Erben ungewiss ist;
3  wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind;
4  wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht.
2    Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker bezeichnet, so ist diesem die Verwaltung zu übergeben.
3    Stand die verstorbene Person unter einer Beistandschaft, welche die Vermögensverwaltung umfasst, so obliegt dem Beistand auch die Erbschaftsverwaltung, sofern nichts anderes angeordnet wird.528
ZGB) möglich. Nach der Rechtsprechung kann davon bloss in dringlichen Fällen eine Ausnahme gemacht werden. Ausserdem wird vorausgesetzt, dass Erben, die sich nicht auf die Zustimmung ihrer Miterben stützen können, im Namen aller bzw. der Erbengemeinschaft handeln (BGE 93 II 11 E. 2b S. 14; BGE 73 II 16 2 E. 5 S. 170; BGE 58 II 195 E. 2 S. 199 f.).
b) Wenn die Wahrung von rechtlich geschützten Interessen nicht gegenüber einem Dritten, sondern gegenüber einem einzelnen Erben in Frage steht, hat die Rechtsprechung indes das Einstimmigkeits-prinzip gelockert. Bereits in BGE 54 II 243 führte das Bundesgericht aus: «Wenn von der aus drei Erben bestehenden Erbengemeinschaft zwei gegen den dritten Miterben einen Feststellungs- oder Leistungsanspruch
BGE 125 III 219 S. 221

geltend machen, besteht nicht der geringste Grund dafür, dass sie nicht sollten von sich aus vorgehen dürfen. Die Dazwischenkunft eines Erbenvertreters ist in einem solchen Falle unnötig und daher nicht gerechtfertigt, da ja alle Erben Partei sind und als solche sich über ihre gegenseitigen Rechtsansprüche auseinander setzen können». Später wurde diese Betrachtungsweise bestätigt und insoweit verdeutlicht, als ein Bezug zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Miterben verlangt wurde. So befand das Bundesgericht in BGE 74 II 215 (E. 2 S. 217), dass die (gerichtliche) Anfechtung eines zwischen Miterben abgeschlossenen Vertrages nicht wie eine gewöhnliche Verfügung über Erbschaftsgegenstände vom Prinzip der Einstimmigkeit beherrscht sei. In den Prozess müssten indes sämtliche am Vertrage Beteiligten einbezogen werden, sei es auf Seiten der Kläger oder der Beklagten (vgl. auch BGE 109 II 400 E. 2 S. 403).
c) Werden dagegen Rechtsgeschäfte zwischen der Erbengemeinschaft und einem einzelnen Erben abgeschlossen, erscheint eine Abweichung vom Einstimmigkeitsprinzip nicht gerechtfertigt. Der einzelne Erbe, der ein zum Nachlass gehöriges Objekt mietet oder kauft, beteiligt sich daran einerseits als Mitglied der Erbengemeinschaft, anderseits als Einzelperson (vgl. BGE 101 II 36). Der Erbe, der ein Nachlassgrundstück kauft, figuriert als Käufer wie auch als Gesamtverkäufer (PAUL PIOTET, Erbrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. IV/2, S. 659). Versagt ein Erbe die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft über ein Nachlassobjekt, ist gemäss Art. 602 Abs. 3
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ZGB Art. 602 - 1 Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
1    Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
2    Sie werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und verfügen unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam.
3    Auf Begehren eines Miterben kann die zuständige Behörde für die Erbengemeinschaft bis zur Teilung eine Vertretung bestellen.
ZGB ein Erbenvertreter zu bestellen, der eine sachentsprechende Entscheidung zu treffen hat (TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, N. 38 zu Art. 602
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 602 - Die Gesellschaft kann unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden.
OR). d) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die der Erbengemeinschaft zustehenden Rechte aus dem vom Erblasser mit einem Erben abgeschlossenen Pachtverhältnis nur entweder durch alle Erben gemeinsam oder einen Erbenvertreter, Willensvollstrecker bzw. Erbschaftsverwalter ausgeübt werden können. Dies gilt namentlich für die Kündigung. Dabei ist zu beachten, dass diese den Interessen des Pächters bzw. Miterben diametral zuwiderlaufen kann. Darauf ist von einem neutralen Erbenvertreter Rücksicht zu nehmen. Er wird dem Pächter das vor dem Erbgang genutzte Pachtobjekt nicht ohne weiteres entziehen können (vgl. TUOR, Berner Kommentar, Bern 1952, N. 13 zu Art. 518
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ZGB Art. 518 - 1 Die Willensvollstrecker stehen, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, in den Rechten und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters.
1    Die Willensvollstrecker stehen, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, in den Rechten und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters.
2    Sie haben den Willen des Erblassers zu vertreten und gelten insbesondere als beauftragt, die Erbschaft zu verwalten, die Schulden des Erblassers zu bezahlen, die Vermächtnisse auszurichten und die Teilung nach den vom Erblasser getroffenen Anordnungen oder nach Vorschrift des Gesetzes auszuführen.
3    Sind mehrere Willensvollstrecker bestellt, so stehen ihnen diese Befugnisse unter Vorbehalt einer anderen Anordnung des Erblassers gemeinsam zu.
ZGB), soweit mit dessen Nutzung nicht eine Gefährdung von Interessen des Nachlasses, beispielsweise in der
BGE 125 III 219 S. 222

Form einer Entwertung verbunden ist. Anderseits steht ausser Zweifel, dass der Erbenvertreter zur Geltendmachung von Ansprüchen der Erbschaft gegenüber einem Miterben, gegebenenfalls auch zur Kündigung des Pachtverhältnisses nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet sein kann (WALTER SCHICKER, Die Rechtsstellung des nach Art. 602/III ZGB für eine Erbengemeinschaft ernannten Vertreters, Diss. Zürich 1951, S. 60 ff.). Dieser Interessenberücksich-tigung durch den Erbenvertreter ginge der ein Nachlassobjekt pachtende Miterbe verlustig, wenn ihm die Übrigen ohne weiteres kündigen könnten. Die Rüge der Kläger erweist sich vor diesem Hintergrund als unbegründet und die Vorinstanz hat zu Recht auf dem Einstimmigkeitserfordernis bestanden. Ebenso wenig verfängt der Einwand, im angefochtenen Urteil sei übersehen worden, dass ein Gesuch um Bestellung eines Erbenvertreters gestellt, jedoch abgewiesen worden sei. Nachdem die Kläger das Gesuch im Hinblick auf die durch den Erbenvertreter spätestens bis Ende April 1997 zu erklärende Kündigung erst am 17. April 1997 gestellt hatten und demzufolge auch bei erfolgreicher Anfechtung des negativen Entscheides des Einzelrichters des Bezirks Meilen vom 28. April 1997 nicht mehr rechtzeitig hätten kündigen können, bleibt für diesen Vorwurf ohnehin kein Raum. Angesichts dessen braucht auf die übrigen Vorbringen der Kläger nicht weiter eingegangen zu werden.