Urteilskopf

121 III 204

43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juli 1995 i.S. H. gegen Kantons Basel-Stadt (Zivilklage)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 205

BGE 121 III 204 S. 205

A.- Am 10. Dezember 1992 wurde H. gerichtsärztlich in die Psychiatrische Universitätsklinik des Kantons Basel-Stadt eingeliefert. Mit Schreiben vom 11. Dezember 1992 ersuchte sie die Psychiatrische Kommission Basel-Stadt um ihre Entlassung. Nachdem H. am 17. Dezember 1992 vom ärztlichen Kommissionsmitglied in der Psychiatrischen Universitätsklinik besucht worden war und die Kommission eine weitere fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht mehr für gerechtfertigt erachtete, wurde H. gleichentags aus der Klinik entlassen. Das Entlassungsverfahren wurde mit Entscheid der Psychiatrischen Kommission vom 23. Dezember 1992 erledigt.
B.- Am 12. Dezember 1994 hat H. im Rahmen eines Direktprozesses beim Bundesgericht eine Forderungsklage gegen den Kanton Basel-Stadt eingereicht. Sie beantragt im wesentlichen, der Kanton Basel-Stadt sei zu verpflichten, ihr Fr. 16'095.-- zuzüglich Zins zu 5% seit dem 17.12.92 zu bezahlen. Der Kanton Basel-Stadt beantragt, die Klage zufolge Verjährung abzuweisen.
BGE 121 III 204 S. 206

C.- Die Parteien haben auf eine mündliche Vorbereitungsverhandlung verzichtet. In der Folge haben sie auch ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Hauptverhandlung verzichtet.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Das Bundesgericht beurteilt als einzige Instanz zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Kanton und Privaten, wenn eine Partei es rechtzeitig verlangt und der Streitwert wenigstens Fr. 8'000.-- beträgt (Art. 42 Abs. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
OG). a) Diese von Amtes wegen zu prüfenden Voraussetzungen (Art. 3 Abs. 1
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 3
1    Der Richter prüft von Amtes wegen die Zulässigkeit der Klage und aller weiteren Prozesshandlungen.
2    Der Richter darf über die Rechtsbegehren der Parteien nicht hinausgehen und sein Urteil nur auf Tatsachen gründen, die im Verfahren geltend gemacht worden sind. Er soll jedoch die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam machen und darauf hinwirken, dass sie Tatsachen und Beweismittel, die für die Feststellung des wahren Tatbestandes notwendig erscheinen, vollständig angeben. Zu diesem Instruktionszwecke kann er jederzeit die Parteien persönlich einvernehmen.
BZP) sind vorliegend erfüllt. Ungeachtet davon, ob der geltend gemachte Haftungsanspruch auf Bundesrecht (Art. 429a ZGB) oder kantonalem öffentlichem Recht (§§ 37 ff. Beamtengesetz des Kantons Basel-Stadt) beruht, handelt es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch im Sinn des Gesetzes (BGE 107 Ib 155 E. 1). Sodann hat die Klägerin das Bundesgericht rechtzeitig im Sinn von Art. 42
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 3
1    Der Richter prüft von Amtes wegen die Zulässigkeit der Klage und aller weiteren Prozesshandlungen.
2    Der Richter darf über die Rechtsbegehren der Parteien nicht hinausgehen und sein Urteil nur auf Tatsachen gründen, die im Verfahren geltend gemacht worden sind. Er soll jedoch die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam machen und darauf hinwirken, dass sie Tatsachen und Beweismittel, die für die Feststellung des wahren Tatbestandes notwendig erscheinen, vollständig angeben. Zu diesem Instruktionszwecke kann er jederzeit die Parteien persönlich einvernehmen.
OG angerufen, d.h. bevor für den gleichen Streitgegenstand die kantonale Gerichtsbarkeit in Anspruch genommen wurde (POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Band II, N. 2.4 zu Art. 42
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 3
1    Der Richter prüft von Amtes wegen die Zulässigkeit der Klage und aller weiteren Prozesshandlungen.
2    Der Richter darf über die Rechtsbegehren der Parteien nicht hinausgehen und sein Urteil nur auf Tatsachen gründen, die im Verfahren geltend gemacht worden sind. Er soll jedoch die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam machen und darauf hinwirken, dass sie Tatsachen und Beweismittel, die für die Feststellung des wahren Tatbestandes notwendig erscheinen, vollständig angeben. Zu diesem Instruktionszwecke kann er jederzeit die Parteien persönlich einvernehmen.
OG). Und schliesslich übersteigt der Streitwert den Betrag von Fr. 8'000.--. Aus diesen Gründen ist auf die Klage einzutreten. b) Gemäss Art. 6 Abs. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache öffentlich gehört wird. Dies bedeutet, dass mindestens einmal ein Gericht eine öffentliche Verhandlung durchführen muss. Für den Fall, dass das Bundesgericht als einzige Instanz entscheidet, ist daher vor Bundesgericht eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, S. 260). Allerdings können die Parteien durch ausdrückliche Erklärung auf die Durchführung einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung verzichten (VILLIGER, a.a.O., S. 259; MIEHLSER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur EMRK, 1986, N. 333; je mit Hinweisen). Nachdem die Parteien auf Anfrage des Bundesgerichtes ausdrücklich auf die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung verzichtet haben, erweist sich das Verfahren als spruchreif.
2. Der Beklagte hält der klägerischen Schadenersatz- und Genugtuungsforderung im Gesamtbetrag von Fr. 16'095.-- die Einrede der Verjährung entgegen. Der geltend gemachte Staatshaftungsanspruch beruhe auf Art. 429a ZGB. Bezüglich dieser Staatshaftung gelte nach der
BGE 121 III 204 S. 207

Rechtsprechung des Bundesgerichtes eine Verjährungsfrist von einem Jahr seit dem Wegfall der freiheitsentziehenden Massnahme. Diese Frist sei abgelaufen, so dass die klägerische Forderung verjährt und die Klage daher abzuweisen sei. Demgegenüber macht die Klägerin geltend, dass sich die Verjährung nicht nach Bundesrecht, sondern nach dem Beamtengesetz des Kantons Basel-Stadt richte, dessen § 37 Abs. 1 eine Verjährungsfrist von zwei Jahren vorsehe. Für den Fall, dass Bundesrecht anwendbar sein sollte, sei gemäss Art. 60 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 60 - 1 Der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjährt mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.35
1    Der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjährt mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.35
1bis    Bei Tötung eines Menschen oder bei Körperverletzung verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zwanzig Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.36
2    Hat die ersatzpflichtige Person durch ihr schädigendes Verhalten eine strafbare Handlung begangen, so verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung ungeachtet der vorstehenden Absätze frühestens mit Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung. Tritt diese infolge eines erstinstanzlichen Strafurteils nicht mehr ein, so verjährt der Anspruch frühestens mit Ablauf von drei Jahren seit Eröffnung des Urteils.37
3    Ist durch die unerlaubte Handlung gegen den Verletzten eine Forderung begründet worden, so kann dieser die Erfüllung auch dann verweigern, wenn sein Anspruch aus der unerlaubten Handlung verjährt ist.
OR die längere strafrechtliche Verjährungsfrist massgebend.
a) Zunächst ist die Frage der massgebenden Haftungsgrundlage zu prüfen. Vor dem Inkrafttreten der Novelle zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung waren die Kantone befugt, den Bereich der sogenannten "administrativen Versorgung" zu regeln (BBl 1977 III, 8). Namentlich im Hinblick auf eine einheitliche Umsetzung von Art. 5 Ziff. 1 lit. e
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK wurde die fürsorgerische Freiheitsentziehung in Art. 397a
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
ff. ZGB bundesrechtlich geregelt (BBl 1977 III, 17). Das Schwergewicht der bundesrechtlichen Regelung besteht in der Vereinheitlichung der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Sowohl in den Materialien als auch in der Literatur wird einhellig die Ansicht vertreten, dass die materiellen Voraussetzungen abschliessend bundesrechtlich geregelt seien und nicht durch kantonales Recht ergänzt werden könnten (BBl 1977 III, 19 m.w.H.; NR Brosi, Berichterstatter, Sten.Bull. NR, 88. Jg., 1978, S. 745 f.; vgl. auch Votum Alder, a.a.O., S. 749; MATTMANN, Die Verantwortlichkeit bei der füsorgerischen Freiheitsentziehung, Diss. Freiburg 1988, S. 52; KOLLER, Die fürsorgerische Freiheitsentziehung und das kantonale Verfahrensrecht, SJZ 78, 1982, S. 53 f.). Im Rahmen der Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung wurde in Art. 429a ZGB auch eine bundesrechtliche Haftungsbestimmung ins Gesetz eingefügt. Weder die Botschaft noch die Protokolle der parlamentarischen Beratungen äussern sich indessen dazu, ob Art. 429a ZGB eine abschliessend bundesrechtliche Regelung aufstelle, oder ob daneben Raum für kantonale Haftungsbestimmungen bestehe. Verschiedene Gründe sprechen jedoch dafür, dass es sich bei Art. 429a ZGB um eine abschliessende bundesrechtliche Regelung der Staatshaftung handelt. Einerseits bezweckt Art. 429a ZGB ähnlich wie die bundesrechtliche Umschreibung der Voraussetzungen für die Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung eine gesamtschweizerisch
BGE 121 III 204 S. 208

einheitliche Regelung der Staatshaftung, die den Anforderungen von Art. 5 Ziff. 5
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK genügt (BBl 1977 III 18; MATTMANN, a.a.O., S. 62 f.). Anderseits drängte sich angesichts der abschliessenden materiellrechtlichen Regelung des fürsorgerischen Freiheitsentzuges auch bezüglich der Haftungsfrage eine gesamtschweizerische Lösung auf, da unterschiedliche kantonale Staatshaftungsbestimmungen zu unbilligen und ungerechtfertigten Ungleichheiten geführt hätten, die durch eine bundesrechtliche Vereinheitlichung in Art. 429a ZGB vermieden wurden (MATTMANN, a.a.O., S. 60 m.w.H). Der Auffassung der Klägerin, Art. 429a ZGB stelle nur eine bundesrechtliche Minimalvorschrift dar, kann nicht gefolgt werden. Die von ihr angerufene Judikatur (VPB 50, 1986, Nr. 34) bezieht sich nur auf die Haftung des Zivilstandsbeamten nach Art. 42
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 42 - 1 Wer ein schützenswertes persönliches Interesse glaubhaft macht, kann beim Gericht auf Eintragung von streitigen Angaben über den Personenstand, auf Berichtigung oder auf Löschung einer Eintragung klagen. Das Gericht hört die betroffenen kantonalen Aufsichtsbehörden an und stellt ihnen das Urteil zu.
1    Wer ein schützenswertes persönliches Interesse glaubhaft macht, kann beim Gericht auf Eintragung von streitigen Angaben über den Personenstand, auf Berichtigung oder auf Löschung einer Eintragung klagen. Das Gericht hört die betroffenen kantonalen Aufsichtsbehörden an und stellt ihnen das Urteil zu.
2    Die kantonalen Aufsichtsbehörden sind ebenfalls klageberechtigt.
ZGB. Im Unterschied zu dieser Bestimmung, die eine primäre Beamten- und lediglich eine subsidiäre Staatshaftung vorsieht, handelt es sich bei Art. 429a ZGB um eine zeitgemässe Staatshaftungsnorm, die eine ausschliessliche und kausale Staatshaftung statuiert. Die Klägerin geht auch fehl in der Annahme, dass sich nur ein einzelner Aspekt der Haftungsfrage - vorliegend die Verjährung - nach dem günstigeren kantonalen Recht richte, sind doch die Haftungsvoraussetzungen integral entweder nach kantonalem oder nach Bundesrecht zu beurteilen. Aus diesen Gründen ist Art. 429a ZGB die ausschliessliche Rechtsgrundlage für die Staatshaftung. b) Nach Auffassung der Klägerin sind jedenfalls die Genugtuungsansprüche in Bezug auf die medikamentöse Zwangsbehandlung während der Dauer ihres Klinikaufenthaltes nach kantonalem Recht zu beurteilen, weil das Bundesrecht nur die Anordnung, nicht aber die Durchführung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung regle. Das Bundesgericht hat erkannt, dass die Bestimmungen zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung nur festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Person in eine Anstalt eingewiesen werden darf, während sie sich zur Art der Behandlung nicht äussern. Art. 429a ZGB erfasst daher nur den Entzug der Bewegungsfreiheit, nicht aber Eingriffe in die körperliche und psychische Integrität der betroffenen Person (BGE 118 II 254 E. 6). Entgegen der Ansicht der Klägerin schliesst dies indessen nicht aus, dass Art. 429a ZGB im vorliegenden Fall auch für die Genugtuungsforderung massgebend ist, soweit sich diese auf die medikamentöse Behandlung bezieht. Oft drängt sich unmittelbar nach der Anordnung einer freiheitsentziehenden Massnahme eine medikamentöse Behandlung zur Stabilisierung des Zustandes des Betroffenen auf. In diesem Fall stellt die Massnahme nicht eine
BGE 121 III 204 S. 209

selbständige Therapie im Hinblick auf eine Verbesserung des Zustandes der betroffenen Person dar, sondern dient deren Beruhigung. Sie steht insofern in engem Zusammenhang mit der Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Angesichts des kurzen Klinikaufenthaltes der Klägerin rechtfertigt es sich nicht, in bezug auf die beanstandete medikamentöse Behandlung von einer selbständigen Behandlung auszugehen. Vielmehr steht diese in direktem Zusammenhang mit der Anordnung und Durchführung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Aus diesen Gründen erweist sich ausschliesslich Art. 429a ZGB als Rechtsgrundlage für die Schadenersatz- und Genugtuungsforderung der Klägerin. c) In bezug auf die Verjährung einer auf Art. 429a ZGB beruhenden Forderung hat das Bundesgericht in Einklang mit der Lehre erkannt, dass der Staatshaftungsanspruch binnen eines Jahres seit dem Hinfall der freiheitsentziehenden Massnahme verjährt (BGE 116 II 407; MATTMANN, a.a.O., S. 223 f.). Der Hinweis der Klägerin auf die längere strafrechtliche Verjährungsfrist gemäss Art. 60 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 60 - 1 Der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjährt mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.35
1    Der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjährt mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.35
1bis    Bei Tötung eines Menschen oder bei Körperverletzung verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zwanzig Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte.36
2    Hat die ersatzpflichtige Person durch ihr schädigendes Verhalten eine strafbare Handlung begangen, so verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung ungeachtet der vorstehenden Absätze frühestens mit Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung. Tritt diese infolge eines erstinstanzlichen Strafurteils nicht mehr ein, so verjährt der Anspruch frühestens mit Ablauf von drei Jahren seit Eröffnung des Urteils.37
3    Ist durch die unerlaubte Handlung gegen den Verletzten eine Forderung begründet worden, so kann dieser die Erfüllung auch dann verweigern, wenn sein Anspruch aus der unerlaubten Handlung verjährt ist.
OR geht fehl. Eine strafbare Handlung im Sinn dieser Bestimmung liegt nur vor, wenn sowohl die objektive als auch die subjektive Seite des Straftatbestandes erfüllt sind (BGE 106 II 213 E. 4; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Band II/1, Zürich 1987, § 16 N. 385). Die Frage, ob allfällige strafbare Handlungen von Beamten dem Kanton überhaupt vorgehalten werden können (verneinend MATTMANN, a.a.O., S. 228), kann vorliegend offen gelassen werden, denn entgegen der Auffassung der Klägerin sind keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der verantwortlichen Beamten zu erkennen. Abgesehen davon, dass sowohl die Freiheitsentziehung als auch die Behandlung der Klägerin durch eine gesetzliche Grundlage gedeckt und damit gerechtfertigt sind, wurde in keiner Art und Weise substantiiert, inwiefern der subjektive Tatbestand der behaupteten Delikte erfüllt sein soll. Die längere strafrechtliche Verjährungsfrist kann daher nicht zur Anwendung gelangen. d) Nachdem die Klägerin am 17. Dezember 1992 aus der Psychiatrischen Universitätsklinik entlassen worden war, ist die einjährige Verjährung vor der Klageeinleitung am 14. Dezember 1994 eingetreten. Aufgrund einer entsprechenden Einrede des Beklagten hat das Bundesgericht die Verjährung zu berücksichtigen. Die Klage ist daher abzuweisen.