Urteilskopf

120 II 423

77. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Dezember 1994 i.S. I. c. M. (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 423

BGE 120 II 423 S. 423

Aus den Erwägungen:

7. a) ...
Die Stellung des Notwegberechtigten ist derjenigen eines Exproprianten ähnlich (BGE 85 II 392 E. 3 S. 402, BGE 45 II 23 E. 2 S. 26). Diese Parallele ergibt sich einerseits aus dem Wortlaut von Art. 694 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
1    Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
2    Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist.
3    Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen.
ZGB, wonach eine "volle Entschädigung" geschuldet ist (so auch Art. 16
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 16 - Die Enteignung kann nur gegen volle Entschädigung erfolgen.
EntG; SR 711), andererseits auch aus dem Umstand, dass für die Berechnung der Entschädigung ausschliesslich die Nachteile des Notwegbelasteten
BGE 120 II 423 S. 424

massgeblich sind, die Vorteile des Notwegberechtigten mithin unberücksichtigt bleiben (MEIER-HAYOZ, N. 78 zu Art. 694
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
1    Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
2    Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist.
3    Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen.
ZGB). Aus diesen Gründen wird zu Recht die Ansicht vertreten, für die Berechnung seien die Grundsätze der Enteignung heranzuziehen mit der Folge, dass der Notwegbelastete schadenersatzrechtlich im Ergebnis gleich gestellt wird, wie wenn das Grundstück von keinem Notwegbegehren bedroht wäre (CARONI-RUDOLF, Der Notweg, Diss. Bern 1969, S. 131 und 133 mit Fn. 7 f. und 9; HAAB, N. 22 zu Art. 694
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
1    Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
2    Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist.
3    Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen.
- 696
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 696 - 1 Wegrechte, die das Gesetz unmittelbar begründet, bestehen ohne Eintragung zu Recht.
1    Wegrechte, die das Gesetz unmittelbar begründet, bestehen ohne Eintragung zu Recht.
2    Sie werden jedoch, wenn sie von bleibendem Bestande sind, im Grundbuche angemerkt.
ZGB; WALDIS, Das Nachbarrecht, 4. Aufl. 1953, S. 176 bei und mit Fn. 25). Demnach entspricht die Entschädigung der Differenz zwischen dem Verkehrswert des unbelasteten und demjenigen des mit dem Notweg belasteten Grundstücks (BGE 114 Ib 321 E. 3 S. 323 f. mit Hinweisen; HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 173 zu Art. 19
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 19 - Bei der Festsetzung der Entschädigung sind alle Nachteile zu berücksichtigen, die dem Enteigneten aus der Entziehung oder Beschränkung seiner Rechte erwachsen. Demnach sind zu vergüten:
a  der volle Verkehrswert des enteigneten Rechtes;
bbis  wenn von einem Grundstück oder von mehreren wirtschaftlich zusammenhängenden Grundstücken nur ein Teil in Anspruch genommen wird, auch der Betrag, um den der Verkehrswert des verbleibenden Teils sich vermindert;
c  alle weitern dem Enteigneten verursachten Nachteile, die sich nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge als Folge der Enteignung voraussehen lassen.
EntG).
Häufig, besonders wenn es sich beim belasteten Grundstück wie hier um ein überbautes handelt, ist die klassische Differenzberechnung auf der Basis der beiden Eckwerte mit Schwierigkeiten behaftet, die der Schätzung aleatorische Züge verleihen, nicht anders als bei der Schadenermittlung im Vertrags- und im zivilrechtlichen Deliktsrecht, die im Grundsatz ebenfalls auf einer Differenzberechnung beruht (BGE 116 II 441 E. 3a S. 444, BGE 104 II 198 E. a S. 199 mit Hinweisen). Die Schätzung bleibt daher in solchen Fällen, gleich wie im Enteignungsverfahren, mit Vorteil auf die Wertdifferenz des vom Notwegrecht konkret beanspruchten Grundstückteils allein beschränkt. Folglich ist es bundesrechtskonform, wenn der Notwegberechtigte sich am Verkehrswert der von ihm beanspruchten Fläche durch Einkauf angemessen beteiligt (nicht veröffentlichtes Urteil vom 28. April 1992 i.S. H., E. 3; vgl. auch das Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 4. Mai 1987, in: Praxis des Kantonsgerichts von Graubünden, 1987, S. 12 f., Nr. 1 E. 4).