Urteilskopf

119 II 232

47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Juni 1993 i.S. X. gegen Y. (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 233

BGE 119 II 232 S. 233

Mit Vertrag vom 22. März 1991 mietete X. von Y. das Restaurant Z. in Luzern für die Zeit vom 1. Oktober jenes Jahres bis zum 30. September 1993. Den jährlichen Mietzins setzten die Parteien auf Fr. 245'000.-- zuzüglich Fr. 12'000.-- a conto Nebenkosten fest, zahlbar in vorschüssigen monatlichen Raten von Fr. 21'417.-- jeweils auf den ersten Tag des Monats. Am 9. Dezember 1992 mahnte Y. seinen Mieter mit eingeschriebenem Brief für den verfallenen Dezember-Mietzins und setzte ihm eine Nachfrist von 30 Tagen zur Bezahlung des Ausstandes an. Gleichzeitig drohte er X. an, das Mietverhältnis nach Fristablauf zu kündigen. Das betreffende Schreiben wurde dem Mieter am 10. Dezember ausgehändigt. Die dreissigtägige Zahlungsfrist endete am Montag, den 11. Januar 1993. Am Abend jenes Tages erstattete X. den geschuldeten Dezember-Mietzins mittels Postanweisung an die Wohnadresse des Gläubigers; die Zahlung ging Y. erst am 13. Januar zu. Gestützt auf Art. 257d Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 257d - 1 Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage.
1    Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage.
2    Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter fristlos, bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen.
OR kündigte der Vermieter

BGE 119 II 232 S. 234

das Mietverhältnis am 3. Februar auf den 31. März 1993. Wegen verspäteter Bezahlung des Januar-Mietzinses kündigte er X. am 12. Februar ein zweites Mal. Am gleichen Tag verlangte er die Ausweisung des Mieters. Einen knappen Monat später sprach er ferner eine vorsorgliche Kündigung wegen Nichtbezahlens des Februar-Mietzinses auf den 30. April aus. Mit Entscheid vom 12. März 1993 stellte das Amtsgericht fest, dass das Mietverhältnis aufgrund der Kündigung des Vermieters vom 3. Februar per 31. März nach Massgabe von Art. 257d
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 257d - 1 Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage.
1    Ist der Mieter nach der Übernahme der Sache mit der Zahlung fälliger Mietzinse oder Nebenkosten im Rückstand, so kann ihm der Vermieter schriftlich eine Zahlungsfrist setzen und ihm androhen, dass bei unbenütztem Ablauf der Frist das Mietverhältnis gekündigt werde. Diese Frist beträgt mindestens zehn Tage, bei Wohn- und Geschäftsräumen mindestens 30 Tage.
2    Bezahlt der Mieter innert der gesetzten Frist nicht, so kann der Vermieter fristlos, bei Wohn- und Geschäftsräumen mit einer Frist von mindestens 30 Tagen auf Ende eines Monats kündigen.
OR rechtsgültig aufgelöst sei, und befahl dem Beklagten, das Mietobjekt bis zum 1. April zu verlassen. Das Obergericht des Kantons Luzern bestätigte am 27. April 1993 dieses Urteil und entschied, X. habe das Mietobjekt bis zum 17. Mai zu verlassen. X. führt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Y. und das Obergericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht nimmt die Beschwerde als Berufung entgegen und weist sie ab.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Der Beklagte bringt vor, er habe den Mietzins für die Monate Dezember und Januar rechtzeitig bezahlt. Somit habe kein Grund für eine ausserordentliche Kündigung bestanden. Gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen haben die Parteien die Zahlungsmodalitäten nicht näher geregelt. Nach Angaben des Beklagten, welche vom Kläger ausdrücklich anerkannt wurden, überwies jener die Zinse jeweils mit einem Vergütungsauftrag der Bank. Es ist deshalb mit dem Obergericht und den Parteien von einem entsprechenden stillschweigenden Übereinkommen auszugehen. Dies bedeutet nun allerdings nicht, dass der Schuldner nicht eine andere Zahlungsart hätte wählen dürfen. Es stellt sich aber die Frage, wie eine solche hinsichtlich der Fristenwahrung zu handhaben ist.
Nach Art. 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR sind Geldschulden Bringschulden. Der Schuldner hat die Leistung am Wohnort oder am Geschäftssitz des Gläubigers zu erbringen. Ist Barzahlung geschuldet, so erfüllt er nur rechtzeitig, wenn er seinem Gläubiger an jenem Ort den betreffenden Betrag spätestens am letzten Tag der Zahlungsfrist übergibt oder übergeben lässt. Entscheidend ist somit, dass der Gläubiger zum vereinbarten Erfüllungszeitpunkt über das Geld verfügen kann.
BGE 119 II 232 S. 235

Bedient sich der Schuldner eines Erfüllungsgehilfen, wie beispielsweise der Post, so darf der Gläubiger nicht schlechter gestellt sein als bei Barzahlung. Der Schuldner hat mit anderen Worten dafür zu sorgen, dass das Geld rechtzeitig in dessen Verfügungsbereich gelangt. Der entsprechende Auftrag muss so frühzeitig erteilt werden, dass der Zahlungsvorgang im Zeitpunkt des Ablaufs der Zahlungsfrist erledigt ist. Bis zu diesem Zeitpunkt trägt der Schuldner die Verlust- und Verzögerungsgefahr (OR-LEU, Art. 74 N. 6; BK-WEBER, N. 125 zu Art. 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR; ZK-SCHRANER, N. 102 zu Art. 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR; BUCHER, OR Allg. Teil 2. Aufl. S. 304 Ziff. 4; für Einzelfragen zur Erfüllung durch bargeldlose Überweisung, GAUCH/SCHLUEP, Bd. II 5. Aufl. Rz. 2351 ff.). Diese Grundsätze des Allgemeinen Teils des OR haben, da keine Gründe für eine Ausnahme sprechen, auch für den Bereich des Mietrechts Gültigkeit. Dabei ergibt sich ohne weiteres, dass eine am Abend des letzten Tages der Zahlungsfrist erteilte Postanweisung - im Gegensatz etwa zur direkten Übergabe des Geldes an den Gläubiger - den Anforderungen an die Rechtzeitigkeit einer Zahlung nicht zu genügen vermag. Ob der Vermieter früher allenfalls verspätete Mietzinszahlungen mittels Überweisungsauftrag annahm, kann hier offengelassen werden, da der Beklagte hinsichtlich des Dezember- und des Januar-Mietzinses von sich aus eine andere Zahlungsart gewählt und die Konsequenzen dieses Vorgehens selbst zu tragen hat. Da bei diesem Ergebnis bereits die am 3. Februar ausgesprochene ausserordentliche Kündigung gültig ist, kann auf die Beurteilung der Frage, ob eine am zweitletzten Tag erteilte Postanweisung als rechtzeitig erfolgte Zahlung im Sinne der vorinstanzlichen Erwägungen zu betrachten sei, verzichtet werden.
3. Ebenfalls nicht durchzudringen vermag der Beklagte mit seinem Vorbringen, der Kläger verhalte sich rechtsmissbräuchlich, wenn er sich nach Entgegennahme der Zahlungen darauf berufe, diese seien verspätet erfolgt. Mit seiner Argumentation scheint der Beklagte zu verkennen, dass ein Vermieter auch dann Anspruch auf die (verbleibenden) Mietzinse hat, wenn er das Mietverhältnis wegen Zahlungsversäumnis auflöst. Nimmt er die verspäteten Mietzinszahlungen an, macht er sich deshalb keineswegs eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens schuldig.