Urteilskopf

119 Ib 439

47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. November 1993 i.S. Gesamteigentümer R. gegen Gemeinde Seewen, Baudepartement und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 439

BGE 119 Ib 439 S. 439

Die Gemeinde Seewen sucht schon seit längerer Zeit nach einem Standort für eine neue Schiessanlage. Die bestehende Anlage gibt wegen des Schiesslärms Anlass zu Klagen der Anwohner und ist sanierungsbedürftig. Die Bemühungen der Gemeinde für einen Anschluss an eine benachbarte Schiessanlage waren erfolglos. In der Folge erteilte das Baudepartement des Kantons Solothurn der Gemeinde die Bewilligung gemäss Art. 24 des Bundesgesetzes über
BGE 119 Ib 439 S. 440

die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700) für eine neue Schiessanlage mit acht Scheiben. Das Verwaltungsgericht wies eine hiegegen von den benachbarten Gesamteigentümern R. erhobene Beschwerde ab. Die Gesamteigentümer R. gelangten mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Dieses weist die Beschwerde ebenfalls ab, da die Schiessanlage standortgebunden ist, ihr keine überwiegenden privaten oder öffentlichen Interessen entgegenstehen und die Voraussetzungen für eine zwangsweise Zuweisung an eine fremde Schiessanlage gemäss Art. 24 Abs. 1 der Verordnung über das Schiesswesen ausser Dienst vom 25. Februar 1991 (Schiessordnung; SR 512.31) nicht erfüllt sind. Mit Bezug auf die Frage der Planungspflicht von Schiessanlagen erfolgt die Abweisung der Beschwerde
Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

4. Die Beschwerdeführer und das Bundesamt für Raumplanung sind der Meinung, die Schiessanlage könne nur auf dem Wege der Nutzungsplanung realisiert werden. a) Wann ein nicht zonenkonformes Vorhaben hinsichtlich seines Ausmasses und seiner Auswirkungen auf die Nutzungsordnung so gewichtig ist, dass es erst nach einer Änderung oder Schaffung eines Nutzungsplanes bewilligt werden darf, ergibt sich aus der Planungspflicht (Art. 2
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 2 Planungspflicht - 1 Bund, Kantone und Gemeinden erarbeiten die für ihre raumwirksamen Aufgaben nötigen Planungen und stimmen sie aufeinander ab.
1    Bund, Kantone und Gemeinden erarbeiten die für ihre raumwirksamen Aufgaben nötigen Planungen und stimmen sie aufeinander ab.
2    Sie berücksichtigen die räumlichen Auswirkungen ihrer übrigen Tätigkeit.
3    Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden achten darauf, den ihnen nachgeordneten Behörden den zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötigen Ermessensspielraum zu lassen.
RPG), den Planungsgrundsätzen und -zielen (Art. 1
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 1 Ziele - 1 Bund, Kantone und Gemeinden sorgen dafür, dass der Boden haushälterisch genutzt und das Baugebiet vom Nichtbaugebiet getrennt wird.5 Sie stimmen ihre raumwirksamen Tätigkeiten aufeinander ab und verwirklichen eine auf die erwünschte Entwicklung des Landes ausgerichtete Ordnung der Besiedlung. Sie achten dabei auf die natürlichen Gegebenheiten sowie auf die Bedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft.
1    Bund, Kantone und Gemeinden sorgen dafür, dass der Boden haushälterisch genutzt und das Baugebiet vom Nichtbaugebiet getrennt wird.5 Sie stimmen ihre raumwirksamen Tätigkeiten aufeinander ab und verwirklichen eine auf die erwünschte Entwicklung des Landes ausgerichtete Ordnung der Besiedlung. Sie achten dabei auf die natürlichen Gegebenheiten sowie auf die Bedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft.
2    Sie unterstützen mit Massnahmen der Raumplanung insbesondere die Bestrebungen:
a  die natürlichen Lebensgrundlagen wie Boden, Luft, Wasser, Wald und die Landschaft zu schützen;
abis  die Siedlungsentwicklung nach innen zu lenken, unter Berücksichtigung einer angemessenen Wohnqualität;
b  kompakte Siedlungen zu schaffen;
bbis  die räumlichen Voraussetzungen für die Wirtschaft zu schaffen und zu erhalten;
c  das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in den einzelnen Landesteilen zu fördern und auf eine angemessene Dezentralisation der Besiedlung und der Wirtschaft hinzuwirken;
d  die ausreichende Versorgungsbasis des Landes zu sichern;
e  die Gesamtverteidigung zu gewährleisten;
f  die Integration von Ausländerinnen und Ausländern sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.
und 3
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 3 Planungsgrundsätze - 1 Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden achten auf die nachstehenden Grundsätze.
1    Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden achten auf die nachstehenden Grundsätze.
2    Die Landschaft ist zu schonen. Insbesondere sollen:
a  der Landwirtschaft genügende Flächen geeigneten Kulturlandes, insbesondere Fruchtfolgeflächen, erhalten bleiben;
b  Siedlungen, Bauten und Anlagen sich in die Landschaft einordnen;
c  See- und Flussufer freigehalten und öffentlicher Zugang und Begehung erleichtert werden;
d  naturnahe Landschaften und Erholungsräume erhalten bleiben;
e  die Wälder ihre Funktionen erfüllen können.
3    Die Siedlungen sind nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten und in ihrer Ausdehnung zu begrenzen. Insbesondere sollen:
a  Wohn- und Arbeitsgebiete einander zweckmässig zugeordnet sein und schwergewichtig an Orten geplant werden, die auch mit dem öffentlichen Verkehr angemessen erschlossen sind;
abis  Massnahmen getroffen werden zur besseren Nutzung der brachliegenden oder ungenügend genutzten Flächen in Bauzonen und der Möglichkeiten zur Verdichtung der Siedlungsfläche;
b  Wohngebiete vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen wie Luftverschmutzung, Lärm und Erschütterungen möglichst verschont werden;
c  Rad- und Fusswege erhalten und geschaffen werden;
d  günstige Voraussetzungen für die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sichergestellt sein;
e  Siedlungen viele Grünflächen und Bäume enthalten.
4    Für die öffentlichen oder im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen sind sachgerechte Standorte zu bestimmen. Insbesondere sollen:
a  regionale Bedürfnisse berücksichtigt und störende Ungleichheiten abgebaut werden;
b  Einrichtungen wie Schulen, Freizeitanlagen oder öffentliche Dienste für die Bevölkerung gut erreichbar sein;
c  nachteilige Auswirkungen auf die natürlichen Lebensgrundlagen, die Bevölkerung und die Wirtschaft vermieden oder gesamthaft gering gehalten werden.
RPG), dem kantonalen Richtplan (Art. 6 ff
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 6 Grundlagen - 1 ...18
1    ...18
2    Für die Erstellung ihrer Richtpläne erarbeiten die Kantone Grundlagen, in denen sie feststellen, welche Gebiete:19
a  sich für die Landwirtschaft eignen;
b  besonders schön, wertvoll, für die Erholung oder als natürliche Lebensgrundlage bedeutsam sind;
bbis  sich für die Produktion von Elektrizität aus erneuerbaren Energien eignen;
c  durch Naturgefahren oder schädliche Einwirkungen erheblich bedroht sind.
3    In den Grundlagen geben sie auch Aufschluss über den Stand und die bisherige Entwicklung:21
a  ihres Siedlungsgebietes;
b  des Verkehrs;
bbis  der Versorgung, insbesondere mit Elektrizität aus erneuerbaren Energien;
bter  der öffentlichen Bauten und Anlagen;
c  ihres Kulturlandes.
4    Sie berücksichtigen die Konzepte und Sachpläne des Bundes, die Richtpläne der Nachbarkantone sowie regionale Entwicklungskonzepte und Pläne.
. RPG) sowie der Bedeutung des Projekts im Lichte der im Raumplanungsgesetz festgelegten Verfahrensordnung (Art. 4
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 4 Information und Mitwirkung - 1 Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden unterrichten die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach diesem Gesetz.
1    Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden unterrichten die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach diesem Gesetz.
2    Sie sorgen dafür, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weise mitwirken kann.
3    Die Pläne nach diesem Gesetz sind öffentlich.
und 33
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 33 Kantonales Recht - 1 Nutzungspläne werden öffentlich aufgelegt.
1    Nutzungspläne werden öffentlich aufgelegt.
2    Das kantonale Recht sieht wenigstens ein Rechtsmittel vor gegen Verfügungen und Nutzungspläne, die sich auf dieses Gesetz und seine kantonalen und eidgenössischen Ausführungsbestimmungen stützen.
3    Es gewährleistet:
a  die Legitimation mindestens im gleichen Umfang wie für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht;
b  die volle Überprüfung durch wenigstens eine Beschwerdebehörde.
4    Für die Anfechtung von Verfügungen kantonaler Behörden, auf welche Artikel 25a Absatz 1 Anwendung findet, sind einheitliche Rechtsmittelinstanzen vorzusehen.78
f. RPG BGE 116 Ib 50 E. 3a S. 53 f. mit Hinweisen). In Beurteilung und Gewichtung der einzelnen räumlichen Auswirkungen hat das Bundesgericht in Anwendung dieser Grundsätze die Planungspflicht für Multikomponenten-Deponien (BGE 116 Ib 50 E. 3 S. 53), für Anlagen der Kiesausbeutung (BGE 115 Ib 302 E. 5a S. 306 mit Hinweisen), für Golfplätze (BGE 114 Ib 312 E. 3 S. 314) und andere grössere Sport- und Freizeitanlagen (BGE 114 Ib 180 E. 3c S. 186), für grössere Parkplätze (BGE 115 Ib 508 E. 6a S. 513) und Bootshäfen (BGE 113 Ib 371) bejaht. b) Zufolge der sich bei der Planung stellenden raumrelevanten Fragen und der zu erwartenden Immissionen wird es auch bei Schiessanlagen in aller Regel nur das Verfahren der Nutzungsplanung erlauben,
BGE 119 Ib 439 S. 441

einen unter Berücksichtigung aller massgebenden Interessen sachgerechten Standort festzusetzen und dabei die vom Bundesrecht geforderte Mitwirkung der Bevölkerung bei der Planung (Art. 4 Abs. 2
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 4 Information und Mitwirkung - 1 Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden unterrichten die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach diesem Gesetz.
1    Die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden unterrichten die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach diesem Gesetz.
2    Sie sorgen dafür, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weise mitwirken kann.
3    Die Pläne nach diesem Gesetz sind öffentlich.
RPG; BGE 115 Ia 89) sicherzustellen. Zu Recht betont deshalb das eidgenössische Schiessanlagen-Recht die Abstimmung und Koordination der Standortfestsetzung mit der Ortsplanung (Art. 5 der Verfügung des Eidgenössischen Militärdepartements über die Schiessanlagen für das Schiesswesen ausser Dienst vom 6. Mai 1969 (Schiessplatzverfügung; Dok. EMD 51.65); Art. 5
SR 510.512 Verordnung vom 15. November 2004 über die Schiessanlagen für das Schiesswesen ausser Dienst (Schiessanlagen-Verordnung) - Schiessanlagen-Verordnung
Schiessanlagen-Verordnung Art. 5 Koordination - Schiessanlagen müssen sich in die bestehende Raumplanung einfügen und den Vorschriften über den Umweltschutz entsprechen. Vor Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sowie bei baulichen Sanierungen sind der zuständige eidgenössische Schiessoffizier und die zuständigen Fachstellen möglichst frühzeitig, das heisst bei der Vorprojektierung oder der Projektierung, beizuziehen.
der Verordnung über die Schiessanlagen für das Schiesswesen ausser Dienst vom 27. März 1991 (Schiessanlagen-Verordnung; SR 510.512)). In diesem Sinne werden im Regelfall Anlagen, für welche eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben ist (300-m-Anlagen mit mehr als 15 Scheiben; Ziff. 52.2 des Anhanges zur Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 19. Oktober 1988 (UVPV; SR 814.011)), nur auf dem Wege der Nutzungsplanung realisierbar sein (vgl. BGE 114 Ia 114). Es gilt dies namentlich für Anlagen in noch dichter besiedelten Gebieten und mit noch grösseren Nutzungskonflikten als dies hier zutrifft.
c) Im vorliegenden Fall ist das von den kantonalen Behörden gewählte Verfahren mit dem Bundesrecht vereinbar. Es geht um einen Schiessstand mit acht Scheiben. Für den Kugelfang ist eine Erdaufschüttung von rund 30 Metern Länge, 15 Metern Breite und ca. 4 Metern Maximalhöhe vorgesehen. Gemäss den Baugesuchsplänen sind im Schützenhaus nebst den dem Schiessbetrieb dienenden Räumlichkeiten ein Aufenthaltsraum ohne Kochgelegenheit, jedoch mit Toiletten geplant. Das Schützenhaus soll mit Quellwasser versorgt, die Abwässer über eine periodisch zu entleerende, abflusslose Jauchegrube entsorgt werden. Es sind 17 Abstellplätze mit Kiesbelag geplant, und das Schützenhaus soll über den bestehenden landwirtschaftlichen Weg mit einem neuen Einlenker an die Kantonsstrasse angeschlossen werden. In Anbetracht der Grösse, der Nutzungsintensität, der Auswirkungen auf Umwelt, sowie in Beachtung der erforderlichen Erschliessungsarbeiten, kann die geplante Baute nicht mit jenen Anlagen verglichen werden, für deren Realisierung die Rechtsprechung bisher eine Nutzungsplanung verlangt hat. Das Bundesgericht hat es denn auch noch in jüngster Zeit zugelassen, dass kleinere Schiessanlagen im Verfahren nach Art. 24
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz
RPG Art. 24 Ausnahmen für Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen - Abweichend von Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe a können Bewilligungen erteilt werden, Bauten und Anlagen zu errichten oder ihren Zweck zu ändern, wenn:
a  der Zweck der Bauten und Anlagen einen Standort ausserhalb der Bauzonen erfordert; und
b  keine überwiegenden Interessen entgegenstehen.
RPG bewilligt werden (BGE 114 Ib 125 E. 4c S. 130; BGE 112 Ib 39 E. 5 S. 48). Es besteht kein Anlass, vorliegend von dieser Praxis abzuweichen.