Urteilskopf

117 IV 463

81. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Dezember 1991 i.S. W. und K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 464

BGE 117 IV 463 S. 464

A.- W. und K. waren Inhaber der Videothek "F." in K., in welcher sie den Verleih von Videofilmen betrieben. In ihrem Sortiment hielten sie auch Videokassetten mit pornographischen Filmen vorrätig, welche sie in der Zeit von Frühling 1985 bis 15. Juni 1988 gewerbsmässig ausliehen. Der Verleih von pornographischen Filmen machte etwa 5 bis 8% ihres Gesamtumsatzes aus.
B.- Mit Urteil vom 1. Dezember 1989 sprach die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich W. und K. zweitinstanzlich der fortgesetzten unzüchtigen Veröffentlichung gemäss Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3 StGB schuldig und verurteilte W. zu einer Busse von Fr. 8'000.-- und K. zu einer solchen von Fr. 10'000.--, je bedingt löschbar nach einer Probezeit von 2 Jahren. Ferner verpflichtete sie die Beurteilten, als Ersatzleistung für unrechtmässig erlangten Vermögensvorteil je Fr. 10'000.-- der Staatskasse des Kantons Zürich zu bezahlen. Die beschlagnahmten Videokassetten zog sie ein und ordnete deren Vernichtung an.
C.- W. und K. führen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Obergericht und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.
D.- Mit Beschluss vom 20. März 1991 hiess das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine von W. und K. erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde teilweise gut und nahm eine neue Kostenverteilung vor. Im übrigen wies es die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat. Das Bundesgericht weist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ab.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Die Vorinstanz hat die in der Videothek der Beschwerdeführer beschlagnahmten pornographischen Filme als unzüchtig im Sinne von Art. 204 StGB qualifiziert. Unter Verweisung auf das erstinstanzliche Urteil hat sie festgestellt, die Videofilme zeigten unverhüllte Darstellungen des heterosexuellen und gleichgeschlechtlichen Intimverkehrs sowie damit verbundene Praktiken wie Gruppensex, Anal- und Oralverkehr. Die Geschlechtsteile würden einzeln und vereinigt in Gross- und Nahaufnahmen dargestellt; zum Teil sei der Samenerguss sichtbar. Die Beschwerdeführer hätten anerkanntermassen auch Videokassetten mit Darstellungen
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sexueller Handlungen in Verbindung mit sadistischen und masochistischen Praktiken angeboten. Die Beschwerdeführer machen in dieser Hinsicht geltend, es müsse bezüglich der Auslegung von Art. 204 StGB eine Praxisänderung erfolgen, die der gewandelten Rechtsauffassung der Allgemeinheit Rechnung trage.
3. Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid für das Bundesgericht verbindlich festgestellt (Art. 277bis Abs. 1 BStP), dass die Beschwerdeführer unter anderem Videofilme in ihrem Sortiment führten, die geschlechtliche Handlungen in Verbindung mit sadistischen und masochistischen Praktiken zeigten. Darstellungen sexueller Handlungen, die Gewalttätigkeiten miteinschliessen, fallen in den Bereich der harten Pornographie, die auch nach der neuen Rechtsprechung in nicht leichtzunehmender Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl des normal empfindenden Bürgers in geschlechtlichen Dingen verstösst und in jedem Fall verboten ist. Dies steht im Einklang mit der neuen Pornographiebestimmung, welche Gegenstände oder Vorführungen, die sexuelle Handlungen mit Kindern, Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder sexuell gefärbten Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben, als harte Pornographie wertet und absolut verbietet (Art. 197
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 197 - 1 Wer pornografische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornografische Vorführungen einer Person unter 16 Jahren anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht oder durch Radio oder Fernsehen verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer pornografische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornografische Vorführungen einer Person unter 16 Jahren anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht oder durch Radio oder Fernsehen verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 öffentlich ausstellt oder zeigt oder sie sonst jemandem unaufgefordert anbietet, wird mit Busse bestraft. Wer die Besucher von Ausstellungen oder Vorführungen in geschlossenen Räumen im Voraus auf deren pornografischen Charakter hinweist, bleibt straflos.
3    Wer eine minderjährige Person anwirbt, damit diese an einer pornografischen Vorführung mitwirkt, oder wer sie zur Mitwirkung an einer derartigen Vorführung veranlasst, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
4    Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1, die sexuelle Handlungen mit Tieren oder nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht, erwirbt, sich über elektronische Mittel oder sonst wie beschafft oder besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
5    Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1, die sexuelle Handlungen mit Tieren oder nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt haben, konsumiert oder zum eigenen Konsum herstellt, einführt, lagert, erwirbt, sich über elektronische Mittel oder sonst wie beschafft oder besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.
6    Bei Straftaten nach den Absätzen 4 und 5 werden die Gegenstände eingezogen.
7    ...282
8    Wer von einer minderjährigen Person Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 herstellt, diese besitzt, konsumiert oder der dargestellten Person zugänglich macht, bleibt straflos, wenn:
a  die minderjährige Person eingewilligt hat;
b  die herstellende Person dafür kein Entgelt leistet oder verspricht; und
c  der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.283
8bis    Straflos bleibt, wer von sich als minderjährige Person Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 herstellt, besitzt, konsumiert oder einer anderen Person mit deren Einwilligung zugänglich macht.
a  sie dafür kein Entgelt leistet oder verspricht;
b  die Beteiligten sich persönlich kennen; und
c  die Beteiligten volljährig sind oder, sofern mindestens eine Person minderjährig ist, einen Altersunterschied von nicht mehr als drei Jahren aufweisen. 284
9    Gegenstände oder Vorführungen im Sinne der Absätze 1-5 sind nicht pornografisch, wenn sie einen schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert haben.
StGB in der noch dem Referendum unterworfenen Fassung vom 21.6.1991). Die betreffenden Filme sind daher als unzüchtig gemäss Art. 204 StGB zu qualifizieren. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht somit schon insoweit nicht, als es die Beschwerdeführer wegen des Vertriebs von Videofilmen mit Darstellungen sexueller Handlungen in Verbindung mit sadistischen und masochistischen Praktiken der unzüchtigen Veröffentlichung gemäss Art. 204 StGB schuldig gesprochen hat. Nicht zu beanstanden ist das vorinstanzliche Urteil aber auch, soweit es Videofilme betrifft, welche als weiche Pornographie einzustufen sind. Massgeblich hiefür sind die Begleitumstände, nämlich Art und Ort der Veröffentlichung und der Kreis der Personen, für den sie bestimmt ist, welche bei der Beurteilung des Charakters einer Schrift zu berücksichtigen sind. Dabei sind die der neu vorgesehenen Pornographiebestimmung zugrundeliegenden Zweckgedanken, welche für die Änderung der Rechtsprechung mitbestimmend waren, heranzuziehen. Mit der revidierten Gesetzesbestimmung verfolgt das Strafrecht drei Hauptaufgaben: Zunächst sollen junge Menschen vor der Konfrontation mit jeglicher pornographischer Darstellung bewahrt werden, ferner soll verhindert
BGE 117 IV 463 S. 466

werden, dass jemand gegen seinen Willen Darstellungen sexuellen Inhalts wahrnimmt und schliesslich soll harte Pornographie schlechthin verboten werden. Rechtsgut des neu vorgesehenen Art. 197 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 197 - 1 Wer pornografische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornografische Vorführungen einer Person unter 16 Jahren anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht oder durch Radio oder Fernsehen verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer pornografische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornografische Vorführungen einer Person unter 16 Jahren anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht oder durch Radio oder Fernsehen verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 öffentlich ausstellt oder zeigt oder sie sonst jemandem unaufgefordert anbietet, wird mit Busse bestraft. Wer die Besucher von Ausstellungen oder Vorführungen in geschlossenen Räumen im Voraus auf deren pornografischen Charakter hinweist, bleibt straflos.
3    Wer eine minderjährige Person anwirbt, damit diese an einer pornografischen Vorführung mitwirkt, oder wer sie zur Mitwirkung an einer derartigen Vorführung veranlasst, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
4    Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1, die sexuelle Handlungen mit Tieren oder nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht, erwirbt, sich über elektronische Mittel oder sonst wie beschafft oder besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
5    Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1, die sexuelle Handlungen mit Tieren oder nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt haben, konsumiert oder zum eigenen Konsum herstellt, einführt, lagert, erwirbt, sich über elektronische Mittel oder sonst wie beschafft oder besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.
6    Bei Straftaten nach den Absätzen 4 und 5 werden die Gegenstände eingezogen.
7    ...282
8    Wer von einer minderjährigen Person Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 herstellt, diese besitzt, konsumiert oder der dargestellten Person zugänglich macht, bleibt straflos, wenn:
a  die minderjährige Person eingewilligt hat;
b  die herstellende Person dafür kein Entgelt leistet oder verspricht; und
c  der Altersunterschied zwischen den Beteiligten nicht mehr als drei Jahre beträgt.283
8bis    Straflos bleibt, wer von sich als minderjährige Person Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Absatz 1 herstellt, besitzt, konsumiert oder einer anderen Person mit deren Einwilligung zugänglich macht.
a  sie dafür kein Entgelt leistet oder verspricht;
b  die Beteiligten sich persönlich kennen; und
c  die Beteiligten volljährig sind oder, sofern mindestens eine Person minderjährig ist, einen Altersunterschied von nicht mehr als drei Jahren aufweisen. 284
9    Gegenstände oder Vorführungen im Sinne der Absätze 1-5 sind nicht pornografisch, wenn sie einen schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert haben.
StGB ist die ungestörte sexuelle Entwicklung Jugendlicher. Dem Schutz dieser Entwicklung dient auch das gänzliche Verbot der Verbreitung jeglicher Art von Pornographie durch Radio und Fernsehen, da sich der Empfängerkreis bei diesen Medien nicht begrenzen lässt (vgl. Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1089; ähnlich die deutsche Regelung in § 184 dtStGB). Die Vorinstanz hat ausgeführt, dass heutige Videotheken den Gesichtspunkten des Jugendschutzes und des Schutzes vor ungewollter Konfrontation mit pornographischen Darstellungen kaum genügten. Dagegen bringen die Beschwerdeführer zu Recht nichts vor. Dass den Schutzgedanken der Pornographiebestimmung in Videotheken und ähnlichen Läden, welche nicht ausschliesslich mit pornographischen Erzeugnissen handeln und nicht entsprechend gekennzeichnet sind, nicht genügend Rechnung getragen werden kann, trifft denn auch zu. Es ist offensichtlich, dass ein Grossteil der Kundschaft, welche Videotheken aufsucht, um Videofilme auszuleihen, nicht an pornographischen Filmen interessiert ist. Im zu beurteilenden Fall ergibt sich dies schon daraus, dass der Verleih von pornographischen Filmen nach Angaben der Beschwerdeführer lediglich etwa 5 bis 8% ihres Gesamtumsatzes ausmachte. Daraus ist klar ersichtlich, dass die fraglichen Filme für die überwiegende Mehrheit der Kundschaft nicht gefragt waren. Dieser nicht interessierte Teil des Publikums läuft aber bei den in üblichen Videotheken herrschenden Verhältnissen Gefahr, mit dem Angebot pornographischer Filme ungewollt konfrontiert zu werden. Anders stellt sich die Situation lediglich bei der Vorführung derartiger Filme im Kino oder bei sogenannten "Sex-Shops" dar, die ausschliesslich mit weicher Pornographie handeln. Sowohl bei Kinovorstellungen als auch bei "Sex-Shops" kann durch entsprechende Ankündigungen und Kennzeichnungen sichergestellt werden, dass die Besucher auf den Charakter der Vorführung bzw. der angebotenen Waren hingewiesen und vorbereitet werden. Es wird somit von vornherein nur ein interessiertes Publikum angesprochen. Bei Läden, die hauptsächlich andere als pornographische Waren führen, ist demgegenüber ein Schutz vor ungewollter Konfrontation mit Pornographie nicht ohne besondere Massnahmen
BGE 117 IV 463 S. 467

gewährleistet. Dies gilt im besonderen Masse für den Schutz von Kindern und Jugendlichen, die angesichts des Angebots an Unterhaltungsfilmen einen grossen Teil der Kundschaft von Videoverleihgeschäften ausmachen. Bei solchen Lokalen wird anders als bei Kinovorführungen oder "Sex-Shops" keine Zutrittskontrolle durchgeführt, so dass auch nicht verhindert werden kann, dass Jugendliche Zutritt zu den Abteilungen mit pornographischen Filmen erlangen oder derartige Filme gar ausleihen. Die Möglichkeit der Wahrnehmung von Darstellungen sexuellen Inhalts - und seien es nur die Wortbeschreibungen und Bilder auf den Kassettenhüllen - ist deshalb nicht in genügendem Mass ausgeschlossen, wie sich auch im Falle der Beschwerdeführer aufgrund der entsprechenden verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) ergibt. Bei solchen auch Kindern und Jugendlichen allgemein zugänglichen Lokalen ist die Toleranzgrenze daher enger zu ziehen als bei Kinovorführungen oder beim Verkauf von pornographischer Ware in "Sex-Shops". Der Verleih pornographischer Filme in Videotheken, die zur Hauptsache andere Filme im Angebot führen und somit nicht nur einem ausschliesslich an Pornographie interessierten Publikum offenstehen, stellt deshalb eine Störung der öffentlichen Ordnung dar. Der Schuldspruch wegen unzüchtiger Veröffentlichung gemäss Art. 204 StGB ist somit zu Recht erfolgt.