Urteilskopf

116 II 394

72. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. November 1990 i.S. M.-N. gegen M. (Berufung)
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 394

BGE 116 II 394 S. 394

A.- Die Ehe von Louis Theobaldus M. und Johanna Ruth M.-N. wurde mit Urteil vom 1. September 1977 geschieden. Louis Theobaldus M. wurde verpflichtet, Johanna Ruth M.-N. während der Dauer seiner Erwerbstätigkeit eine Rente von monatlich Fr. 900.-- und nachher eine solche von monatlich Fr. 400.-- zu bezahlen. Beide Beträge wurden indexiert.
B.- Am 11. April 1986 reichte Louis Theobaldus M. beim Bezirksgericht Zürich Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils ein. Er verlangte insbesondere, von der Pflicht befreit zu werden, an seine geschiedene Frau einen Unterhaltsbeitrag bezahlen zu müssen, weil diese im Konkubinat lebe. Das Bezirksgericht hiess die Klage gut.
BGE 116 II 394 S. 395

Auf Berufung von Johanna Ruth M.-N. hin bestätigte das Obergericht am 11. Mai 1989 diesen Entscheid und hob die Scheidungsrente rückwirkend auf den 6. November 1985 auf.
C.- Eine von Johanna Ruth M.-N. gegen dieses Urteil gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wurde am 9. Juli 1990 vom Kassationsgericht des Kantons Zürich abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte. Die gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde hat das Bundesgericht unter heutigem Datum abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
D.- Mit Eingabe vom 26. Juni 1989 hat Johanna Ruth M.-N. beim Bundesgericht Berufung gegen das Urteil des Obergerichts vom 11. Mai 1989 erhoben. Sie beantragt, dieses aufzuheben und die Abänderungsklage abzuweisen; eventuell sei die Sache zur Aktenergänzung und neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. Louis Theobaldus M. beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. a) Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Beklagte seit Frühling 1980 mit Johann X. zusammenlebt. Dieser ist ihr auch nach ihrer Auswanderung nach Kanada dorthin gefolgt. Das Obergericht ging davon aus, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Klageeinreichung schon über fünf Jahre im Konkubinat gelebt habe und deshalb eine Tatsachenvermutung dafür bestehe, dass es sich um eine qualifizierte eheähnliche Gemeinschaft handle; das Beharren auf der Scheidungsrente sei somit rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte habe nicht nachzuweisen vermocht, dass es aufgrund der gesamten Situation an einer mit der Ehe vergleichbaren gegenseitigen Unterstützung der Partner fehle. Wenn auch ihr Gefährte selber ebenfalls in bescheidenen Verhältnissen lebe, sei er doch nicht mittellos, und ein Beistand seinerseits erscheine deshalb nicht als unmöglich. b) Die Beklagte wendet sich nicht gegen die Annahme, die Lebensgemeinschaft sei insofern eine qualifizierte, als sich die Partner wie in einer Ehe allgemeinen Beistand und auch Unterstützung in wirtschaftlicher Hinsicht gewähren wollten. Diese
BGE 116 II 394 S. 396

gegenseitige Hilfe sei aber aufgrund der finanziellen Lage der Partner mit oder ohne Heirat nicht möglich. Deshalb könne von einem Rechtsmissbrauch nicht die Rede sein, wenn die Beklagte aus wirtschaftlichen Gründen nicht heirate und an der Scheidungsrente festhalte. Sie habe trotz lange dauerndem und engem Konkubinat besondere und ernsthafte Gründe, nicht zu heiraten. c) Nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Scheidungsrente aufzuheben, wenn der Rentenberechtigte in einem gefestigten Konkubinat lebt, aus dem er ähnliche Vorteile zieht, wie sie eine Ehe böte, und das Festhalten an der Rente deshalb als offenbar rechtsmissbräuchlich erscheint (BGE 114 II 297 f. mit Hinweisen). Auf die Leistungsfähigkeit und die wirtschaftliche Lage des Konkubinatspartners sollte es dabei nicht entscheidend ankommen (BGE 109 II 190), sondern vielmehr auf den Grad der inneren Verbundenheit und das Bestehen einer Schicksalsgemeinschaft (BGE 114 II 297). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ging ursprünglich von einer ausschliesslich auf Rechtsmissbrauch beruhenden Begründung aus, und näherte sich in der Folge einer analogen Anwendung von Art. 153 Abs. 1 ZGB auf mit einer Ehe vergleichbare Verhältnisse. Obwohl von einer solchen analogen Anwendung ausdrücklich gesprochen wird (so BGE 114 II 298 E. 1b), wurde es bis anhin abgelehnt, ganz von der Betrachtungsweise des Rechtsmissbrauchs abzurücken. Im letzten zu dieser Frage publizierten Entscheid führte das Bundesgericht noch aus, dass ein gefestigtes Konkubinat die Vermutung nahelege, von einer neuen Ehe werde nur deshalb abgesehen, um den scheidungsrechtlichen Unterhaltsanspruch nicht untergehen zu lassen (BGE 114 II 298 E. 1c). Als Gegenstand des dem Rentenberechtigten zustehenden Gegenbeweises wird dann allerdings in erster Linie bezeichnet, "dass besondere und ernsthafte Gründe vorliegen, die der begründeten Erwartung einer eheähnlichen Versorgung entgegenstehen" (BGE 114 II 298 f.). Wie das Bundesgericht im gleichen Entscheid sodann festhält, bilden das Beweisthema nicht so sehr die Gründe, weshalb das Konkubinat der Ehe vorgezogen wird (so noch BGE 106 II 5 oben); vielmehr komme es darauf an, ob aufgrund der gesamten Umstände nicht erwartet werden könne, "dass eine mit der Ehe vergleichbare gegenseitige Unterstützung des bedürftigen Partners sichergestellt" sei (BGE 114 II 299). Es geht somit um die Qualität der Lebensgemeinschaft und nicht um die Gründe, warum auf eine Heirat verzichtet wird.
BGE 116 II 394 S. 397

Nachdem vorliegend unbestritten ist, dass das Konkubinat insofern ein gefestigtes ist, als es mehr als fünf Jahre gedauert hat und die Partner willens sind, sich gegenseitig wie Ehegatten zu unterstützen und beizustehen, bleibt nur noch zu prüfen, ob die Scheidungsrente weiter geschuldet ist, weil - wie in der Berufung geltend gemacht wird - eine gegenseitige Unterstützung wirtschaftlich nicht möglich sei und eine Heirat sich ungeachtet der Scheidungsrente für beide Konkubinatspartner finanziell verheerend auswirken würde.
3. Schon 1983 hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Scheidungsrente nicht nur entfalle, wenn der Konkubinatspartner in der Lage (und willens) sei, dem Rentenberechtigten den entfallenden scheidungsrechtlichen Unterhaltsbeitrag durch eigene finanzielle Leistungen vollwertig zu ersetzen. Im Falle einer Wiederverheiratung erlösche die Unterhaltspflicht des früheren Ehegatten auch ohne weiteres, selbst wenn der Unterhalt in der neuen Ehe nicht im gleichen Umfang sichergestellt sei wie mit der Scheidungsrente (BGE 109 II 190, E. 1). Der Grund für den Untergang der Rente nach Art. 153 Abs. 1 ZGB ist somit nicht darin zu suchen, dass der Rentenberechtigte mit der Wiederverheiratung einen neuen Versorger gefunden hat. Vielmehr liegt er darin, dass es dem Geschiedenen nicht zuzumuten ist, weiterhin für seinen früheren Partner aufzukommen, wenn dieser in einer neuen, dauerhaften und ausschliesslichen Zweierbeziehung lebt, die so eng ist, dass sich die Partner Treue halten und Beistand leisten, wie wenn sie im Sinne von Art. 159
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 159 - 1 Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden.
1    Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden.
2    Sie verpflichten sich gegenseitig, das Wohl der Gemeinschaft in einträchtigem Zusammenwirken zu wahren und für die Kinder gemeinsam zu sorgen.
3    Sie schulden einander Treue und Beistand.
ZGB dazu verpflichtet wären. Damit kann es aber bei der eheähnlichen - wie bei der ehelichen - Gemeinschaft nicht darauf ankommen, ob diese dem Rentenberechtigten wirtschaftliche Sicherheit bietet. Ein den Rentenuntergang bewirkendes qualifiziertes Konkubinat liegt auch dann vor, wenn die Partner aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sind, sich gegenseitig finanziell zu unterstützen. Entscheidend kann nur sein, ob die Bindung so eng ist, dass die Partner sich gegenseitig beistehen, so gut es geht, und sich im Guten wie im Schlechten helfen. Damit erbringen sie gegenseitig jene Leistungen, zu denen sie verpflichtet wären, wenn eine Ehe bestünde. Es kann nicht angehen, eine zur Aufhebung der Scheidungsrente berechtigende eheähnliche Gemeinschaft nur dann anzunehmen, wenn der Rentenberechtigte besser abgesichert ist, als er dies in einer Ehe mit seinem Lebensgefährten wäre.
BGE 116 II 394 S. 398

Ein Abstellen auf die wirtschaftliche Leistungskraft der Konkubinatspartner hätte zur Folge, dass in wirtschaftlich günstigen Verhältnissen eine eheähnliche Lebensgemeinschaft die Rente untergehen liesse, während dies in wirtschaftlich ungünstigen Verhältnissen nicht zuträfe. Art. 153 Abs. 1 ZGB unterscheidet sich aber von Art. 153 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 159 - 1 Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden.
1    Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden.
2    Sie verpflichten sich gegenseitig, das Wohl der Gemeinschaft in einträchtigem Zusammenwirken zu wahren und für die Kinder gemeinsam zu sorgen.
3    Sie schulden einander Treue und Beistand.
ZGB gerade dadurch, dass nicht auf wirtschaftliche Veränderungen abgestellt, sondern ein bestimmtes Ereignis (die Wiederverheiratung) als absoluter Untergangsgrund angesehen wird.
Mit dem Argument, der Partner der Beklagten sei nicht in der Lage, für sie in der Not aufzukommen, lässt sich somit nicht widerlegen, dass es sich um eine gefestigte eheähnliche Gemeinschaft handelt, welche der Beklagten mit der Ehe vergleichbare Vorteile bringt. Da letztere ihr keine wirtschaftlichen Vorteile brächte, kann dies auch vom Konkubinat nicht verlangt werden.
4. a) Im weiteren macht die Beklagte geltend, das Obergericht habe verkannt, dass sie nicht wegen der Scheidungsrente auf eine Ehe mit ihrem Partner verzichte, sondern weil eine Zivilstandsänderung sich auf die AHV-Rentenansprüche beider Partner in einer existenzbedrohenden Weise auswirkte. Das Obergericht ist davon ausgegangen, das Ausmass der mit einer Heirat eintretenden AHV-Renteneinbusse sei von der Beklagten nicht hinlänglich bewiesen worden. Es nimmt aber gleichzeitig an, es stehe zweifelsfrei fest, dass die Ehepaarsrente, die der Beklagten und ihrem Partner zustünde, wenn sie heirateten, kleiner wäre als die Renten, die beide zusammen gegenwärtig erhalten. Das könne für den Ausgang des Verfahrens aber nicht entscheidend sein, denn ein rechtsmissbräuchliches Festhalten an der Scheidungsrente liege auch dann vor, wenn die Heirat unter anderem aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen unterbleibe.
b) Wie bereits dargelegt, kommt es nicht massgebend darauf an, warum der Rentenberechtigte keine neue Ehe eingeht; entscheidend ist vielmehr die Qualität der Bindung an seinen Lebenspartner. Art. 153 Abs. 1 ZGB bezweckt, den Geschiedenen davor zu schützen, für den Unterhalt seines früheren Ehegatten auch dann noch weiter aufkommen zu müssen, wenn dieser in einer neuen, festen und monogamen Lebensgemeinschaft lebt, in der sich die Partner umfassend Treue halten und Beistand leisten. Dieser Sachverhalt ist in jedem Fall dann gegeben, wenn der Rentenberechtigte wieder heiratet; das hält Art. 153 Abs. 1 ZGB ausdrücklich fest. Aber auch wenn die Heirat unterbleibt, die
BGE 116 II 394 S. 399

Lebensgemeinschaft dem Rentenberechtigten jedoch praktisch die gleichen Vorteile bringt, ist es dem Rentenschuldner nicht zuzumuten, weiterhin für den Unterhalt seines ehemaligen Partners aufzukommen. Hält der Rentenberechtigte dennoch an seiner Scheidungsrente fest, verhält er sich rechtsmissbräuchlich. c) Ob die Beklagte und ihr Freund triftige Gründe haben, nicht zu heiraten, kann somit für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites nicht massgeblich sein, solange diese Gründe nichts über die Qualität ihrer Lebensgemeinschaft aussagen. Die Beklagte macht aber selber nicht geltend, die Heirat unterbleibe, weil es sich nicht um ein gefestigtes Konkubinat handle. Sie behauptet nur, von einer Heirat sei abgesehen worden, weil diese für die Parteien verheerende sozialversicherungsrechtliche Folgen hätte. Der Grund, warum die Parteien das Konkubinat der Ehe vorziehen, liegt somit nicht in der Art ihrer gegenseitigen Bindung, sondern ausschliesslich in der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Ehe. Er ist deshalb nicht geeignet nachzuweisen, dass es sich nicht um ein im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung qualifiziertes Konkubinat handle.