Urteilskopf
115 Ib 269
38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. September 1989 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen D. AG und Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 49 Abs. 1 lit. a und b, 58 Abs. 1 und 2 BdBSt; steuerliche Qualifikation von Forderungsverzichten durch Aktionäre im Zusammenhang mit Sanierungen von Aktiengesellschaften.
- Entgegen der in der Lehre vorherrschenden Auffassung sind Sanierungsleistungen von Aktionären, insbesondere auch Forderungsverzichte, bundessteuerrechtlich in der Regel nicht Eigenkapital- oder Fremdkapitaleinlagen, sondern Ertrag (E. 4b). Ausnahmen von diesem Prinzip sind nur zurückhaltend zuzulassen (E. 4c). Im vorliegenden Fall ist nicht dargetan, dass das Darlehen einem Dritten nicht zugestanden worden wäre und wirtschaftlich betrachtet eine Kapitaleinlage gewesen sei (E. 4d).
Regeste (fr):
- Art. 49 al. 1 let. a et b, 58 al. 1 et 2 AIFD; qualification fiscale des remises de dette des actionnaires en relation avec l'assainissement de la société anonyme.
- Contrairement à la conception de la doctrine dominante, les prestations des actionnaires à des fins d'assainissement, en particulier les remises de dette, ne constituent pas en règle générale du point de vue de l'impôt fédéral direct un apport en capital propre ou emprunté, mais un rendement (consid. 4b). Des exceptions à ce principe ne doivent être admises que restrictivement (consid. 4c). Dans le cas d'espèce, il n'est pas établi que le prêt n'aurait pas été accordé à un tiers et qu'apprécié sous un angle économique, il ait constitué un apport en capital (consid. 4d).
Regesto (it):
- Art. 49 cpv. 1 lett. a e b, art. 58 cpv. 1 e 2 DIFD; qualifica fiscale delle remissioni di debito da parte di azionisti in relazione con il risanamento della società anonima.
- Contrariamente a quanto ritenuto dalla dottrina predominante, le prestazioni effettuate dagli azionisti per risanare la società anonima, in particolare le remissioni di debito, non costituiscono, di regola, sotto il profilo dell'imposta federale diretta, un conferimento di capitale proprio o di terzi, bensì un reddito (consid. 4b). Eccezioni a tale principio vanno ammesse solo in modo restrittivo (consid. 4c). Nella fattispecie, non è provato che il mutuo non sarebbe stato accordato a un terzo e che, sotto l'aspetto economico, abbia costituito un conferimento di capitale (consid. 4d).
Sachverhalt ab Seite 270
BGE 115 Ib 269 S. 270
Im Rahmen der im Jahre 1978 erfolgten Sanierung der H. AG verzichtete die S. AG, Alleinaktionärin der H. AG, auf eine Forderung im Betrage von Fr. 945'461.65 gegenüber ihrer Tochtergesellschaft. Der ausgewiesene Buchgewinn wurde mit aufgelaufenen Verlusten verrechnet und der verbleibende Reingewinn von Fr. 4'698.14 auf neue Rechnung vorgetragen. Bei den Veranlagungen der 20. bis 22. Periode der Wehrsteuer ergaben sich zufolge der Verrechnung der in den Jahren 1971-1977 (ausgenommen 1973) erlittenen Verluste keine steuerbaren Erträge. Die H. AG fusionierte am 30. September 1985 mit der D. AG.
Für die direkte Bundessteuer 1985/86 wurde die H. AG mit einem steuerbaren Ertrag von Fr. 93'000.-- und mit einem steuerbaren Kapital von Fr. 1'016'000.-- veranlagt. Die Einschätzung wurde auch der D. AG eröffnet. Diese erhob Einsprache mit der Begründung, der durchschnittliche Reinertrag der Bemessungsperiode 1983/84, massgebend für die direkte Bundessteuer 1985/86, sei um den noch nicht zur Verrechnung gebrachten und noch
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verrechenbaren Verlust von Fr. 249'287.-- aus den Bemessungsjahren 1977/78 zu kürzen. Die kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer wies die Einsprache ab, während die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen die dagegen eingereichte Beschwerde guthiess. Gegen das Urteil der Verwaltungsrekurskommission reicht die Eidgenössische Steuerverwaltung beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Sie vertritt die Auffassung, dass der im Rahmen der Sanierung der H. AG erfolgte Forderungsverzicht der Alleinaktionärin S. AG in der Höhe von Fr. 945'461.65 steuerlich als echter, erfolgswirksamer Sanierungsgewinn zu qualifizieren sei und nicht als erfolgsneutraler Vermögenszugang, wie dies die Vorinstanz getan habe. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Nachdem die Aktiven und Passiven der H. AG per 30. September 1985 auf die D. AG übergegangen sind und die H. AG damit als Steuersubjekt untergegangen ist, sind die von ihr für die laufende Veranlagungsperiode geschuldeten Steuern von der D. AG zu entrichten (Art. 12 Abs. 2 BdBSt). Dementsprechend war die Veranlagung der H. AG betreffend die Steuerperiode 1985/86 - wie dies auch geschehen ist - der D. AG zuzustellen, die auch zur Erhebung von Rechtsmitteln legitimiert war.
3. a) Gemäss Art. 49 Abs. 1 lit. a und b BdBSt fallen für die Berechnung des steuerbaren Ertrages in Betracht: "der Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung unter Berücksichtigung des Saldovortrages aus dem Vorjahre" (lit. a) und "alle vor Berechnung des Saldos der Gewinn- und Verlustrechnung ausgeschiedenen Teile des Geschäftsergebnisses, die nicht zur Deckung geschäftsmässig begründeter Kosten verwendet werden (z.B. Aufwendungen für Anschaffung und Verbesserung von Vermögensobjekten, Einzahlungen auf das Gesellschaftskapital, freiwillige Zuwendungen an Dritte, vorbehältlich Abs. 2) (lit. b)." b) Nach Art. 58 Abs. 1 BdBSt bilden die der Veranlagungsperiode vorangegangenen zwei Jahre die Berechnungsperiode. Als steuerbarer Reinertrag gilt der Durchschnitt der Ergebnisse der in die Berechnungsperiode fallenden Jahre. Weist eines dieser Jahre einen Verlust auf, so kann dieser vom Reinertrag des anderen Jahres abgezogen werden. Vom durchschnittlichen Reinertrag der Berechnungsperiode kann die Summe der durchschnittlichen Verluste
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aus drei vorangegangenen Berechnungsperioden abgezogen werden, sofern diese Verluste noch nie mit Reinerträgen verrechnet werden konnten (Art. 58 Abs. 2 BdBSt). c) Einzige Streitfrage bildet im vorliegenden Fall die steuerliche Qualifikation des im Rahmen der Sanierung der H. AG erfolgten Forderungsverzichts der Alleinaktionärin S. AG in der Höhe von Fr. 945'461.65. Liegt darin ein echter, erfolgswirksamer Sanierungsgewinn, so wurden alle in den Vorjahren erlittenen Verluste der H. AG, soweit sie im Hinblick auf die Art. 58 Abs. 2 BdBSt getroffene zeitliche Beschränkung verrechenbar waren, zur Verrechnung gebracht; stellt der Forderungsverzicht hingegen einen erfolgsneutralen Vermögenszugang dar, so kann - wie dies die Vorinstanz festgestellt hat - noch ein Verlust von durchschnittlich Fr. 249'287.-- bei der Veranlagung der direkten Bundessteuer 1985/86 berücksichtigt werden.
4. a) Die H. AG hat in den Jahren 1971 bis 1977 Verluste erlitten; einzig im Jahre 1973 wurde gemäss Gewinn- und Verlustrechnung ein Gewinn von Fr. 95'694.-- ausgewiesen und nach Abzug einer Zuwendung für Personalfürsorge ein Reinertrag von Fr. 80'694.-- deklariert. Im Jahre 1978 erfolgte die Sanierung. Die ausgewiesenen Zahlen belegen, dass die H. AG sanierungsbedürftig war, was auch von keiner Seite in Frage gestellt wurde. Die Vorinstanz ging in zutreffender Weise davon aus, dass die im Jahre 1978 erfolgten Massnahmen (Herabsetzung des Aktienkapitals von Fr. 1'000'000.-- auf Fr. 750'000.-- und Forderungsverzicht seitens der Muttergesellschaft im Betrage von Fr. 945'461.65) im Rahmen der Sanierung der H. AG getroffen wurden. b) Forderungsverzichte seitens der Gläubiger erhöhen den Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung (Art. 49 Abs. 1 lit. a BdBSt). Sie werden auch nach Steuerlehre und Praxis als erfolgswirksam betrachtet, wenn es sich um Leistungen unbeteiligter Dritter handelt. Sie sind dem steuerbaren Ertrag zuzurechnen (KÄNZIG, Wehrsteuer, 1. A., N. 94 zu Art. 49 Abs. 1 lit. b; MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. A., 1985, N. 11 zu Art. 49 Abs. Ia; H. SOMMER, Die steuerliche Behandlung von Sanierungen, ASA 36 460 f.; CAGIANUT/HÖHN, Unternehmungssteuerrecht, N. 26 zu § 12, S. 381; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, N. 373 zu § 19 lit. b StG sowie N. 161 zu § 45 StG). Sanierungsleistungen von Aktionären hingegen, insbesondere auch Forderungsverzichte, sollen nach der in der Lehre
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vorherrschenden Auffassung nicht Ertrag, sondern Eigenkapital- oder Fremdkapitaleinlagen sein, die nicht in die Erfolgsrechnung gehörten; für den Entscheid über deren Ertragswirksamkeit bzw. -unwirksamkeit könne es nicht auf die äussere Form der Leistung ankommen (MASSHARDT, a.a.O., N. 11 zu Art. 49 Abs. 1a; HÖHN, Steuerrecht, 6. A., N. 16 zu § 24, S. 365; REIMANN/ZUPPINGER/ SCHÄRRER, a.a.O., N. 160 zu § 45 StG; ZUPPINGER/SCHÄRRER/ FESSLER/REICH, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Ergänzungsband, 2. A., N. 160 zu § 45 StG; KAUFMANN, Die Behandlung des Schulderlasses, Bern 1986, S. 211; M. DUSS, Forderungsverzicht durch Aktionäre von Aktiengesellschaften, ASA 50 273). Dem steht die Auffassung der Eidgenössischen Steuerverwaltung gegenüber, die auch der langjährigen Praxis zur Wehrsteuer entspricht, wonach Forderungsverzichte, gleichgültig ob der Verzicht von einem Aktionär oder einem nichtbeteiligten Gläubiger ausgesprochen wurde, in der Regel erfolgswirksam sind. An dieser Auffassung hat die Eidgenössische Steuerverwaltung auch im Kreisschreiben Nr. 14 vom 1. Juli 1981 (ASA 50 63) dem Grundsatze nach festgehalten. Im Sinne einer Ausnahme werden Forderungsverzichte von Beteiligten nur dann dem Ertrag nicht zugerechnet, wenn und soweit es sich entweder um eine Darlehensforderung handelt, die vor der Sanierung steuerlich als verdecktes Eigenkapital behandelt wurde, oder um Aktionärsdarlehen, die erstmalig oder zusätzlich im Hinblick auf den schlechten Geschäftsgang gewährt wurden und die unter den gleichen Umständen von unabhängigen Dritten nicht zugestanden worden wären (Kreisschreiben, Ziff. 3 lit. b). c) Davon ausgehend, dass auf Sanierungsleistungen zurückgehende Buchgewinne zum steuerbaren Ertrag gehören, sind Ausnahmen von diesem Prinzip nur zurückhaltend zuzulassen. Die in der Steuerlehre vorherrschend vertretene Auffassung, es sei jede Sanierungsleistung eines Beteiligten ohne Rücksicht auf die Form (Kapitaleinzahlung oder Forderungsverzicht) als erfolgsneutraler Wertzugang zu behandeln, ausschlaggebend sei einzig, dass die Sanierungsleistung vom Anteilsinhaber in seiner Eigenschaft als Beteiligter erbracht worden sei (für viele: CAGIANUT/HÖHN, a.a.O., § 12 N. 28, S. 382), kann nicht geteilt werden. Sie schiesst übers Ziel hinaus, sowohl hinsichtlich der Regelung des Verlustabzugs in Art. 58 Abs. 2 BdBSt, wie auch im Blick auf eine Ertragsbesteuerung nach den wirklichen wirtschaftlichen Verhältnissen bei der Sanierung der Gesellschaft durch Beteiligte. Sie grenzt zu
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wenig genau die erfolgsneutralen Kapitaleinlagen von den erfolgswirksamen Sanierungsleistungen ab, die auch ein Beteiligter - wie ein Dritter - erbringen kann. Mit der Tatsache allein, dass ein Aktionär auf eine ihm gegenüber der Aktiengesellschaft zustehende Forderung verzichtet hat, auch wenn die Forderung aus Darlehensgewährung stammt, ist nicht dargetan, dass der Aktionär eine Leistung erbracht hat, die steuerlich als Kapitaleinlage zu behandeln wäre; dies besonders dann nicht, wenn die Forderung - wie im vorliegenden Fall (nebst der Bezahlung von Gründungskosten) - auf Warenlieferung zurückzuführen ist.
d) Die Forderung, auf welche die S. AG in der im Jahre 1978 erfolgten Sanierung verzichtet hat, ist nur zum Teil auf die Gewährung eines Darlehens zurückzuführen. Abgesehen davon hat die H. AG bzw. die D. AG in keiner Weise dargetan, dass das Darlehen einem Dritten nicht zugestanden worden wäre und wirtschaftlich betrachtet eine Kapitaleinlage gewesen sei. Aufgrund dieser Tatsachen steht fest, dass der strittige Forderungsverzicht der S. AG eine erfolgswirksame Sanierungsleistung darstellt, und der entstandene (echte) Sanierungsgewinn dementsprechend steuerlich erfolgswirksam zu behandeln ist. Mit dieser Qualifikation ist auch die Frage der Verrechnung in dem Sinne entschieden, dass bei der Veranlagung der Bundessteuer 1985/86 die geltend gemachten früheren Verluste von Fr. 249'287.-- nicht zur Verrechnung gebracht werden können. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist damit gutzuheissen.