Urteilskopf

114 Ib 163

25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Dezember 1988 i.S. X. gegen Eidgenössische Bankenkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 164

BGE 114 Ib 163 S. 164

X. steht seit Juni 1986 im Dienste des Sekretariats der Eidgenössischen Bankenkommission. Zunächst blieb er mit seiner Familie am bisherigen Wohnort in Basel und fuhr täglich mit dem Zug zur Arbeit nach Bern. Am 20. Juli 1987 verlegte er den Wohnsitz in die Nähe von Bern. Da sich der Zustand des dort gemieteten Hauses nicht als befriedigend erwies, die Kinder sich in der Schule nicht wohl fühlten und nachbarschaftliche Beziehungen fehlten, wollte X. mit seiner Familie wieder in die Altstadt von Basel zurückkehren, wo er enge familiäre und freundschaftliche Beziehungen hat. Er ersuchte daher am 20. März 1988 die Eidgenössische Bankenkommission um die Ermächtigung, den Wohnsitz nach Basel zu verlegen. Mit Verfügung vom 25. April 1988 wies die Bankenkommission das Gesuch ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Bewilligung zur Wohnsitznahme ausserhalb des Wohnkreises des Dienstortes (25 Agglomerationsgemeinden in einem Umkreis von ca. 15 km um Bern) sei nur mit Zurückhaltung zu erteilen. Mit Wohnsitz Basel wäre der Gesuchsteller nach der von ihm vorgesehenen Bahnbenützung täglich 12 1/2 Std. von zu Hause abwesend. Das würde sich auf seine Arbeit negativ auswirken. Zudem vermöchten Leistung und Verhalten des Gesuchstellers nicht zu befriedigen; die Qualität der Arbeit sei zwar gut, doch lasse die Speditivität und damit die Quantität zu wünschen übrig. Gemäss Rechtsmittelbelehrung führte X. am 27. Juni 1988 Beschwerde beim Bundesrat mit den Begehren, die Verfügung vom 25. April sei aufzuheben und es sei ihm das Wohnen in Basel, ohne gleichzeitige Zimmermiete im Wohnkreis Bern, zu bewilligen. Gleichzeitig vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wäre das richtige Rechtsmittel. Dieser Auffassung schloss sich nachträglich auch die Bankenkommission an, worauf das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die Beschwerde an das Bundesgericht überwies.
BGE 114 Ib 163 S. 165

Die Bankenkommission schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Mit Verfügung vom 18. August 1988 wies der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung das Gesuch des Beschwerdeführers um vorsorgliche Massnahmen ab. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. a) Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV garantiert jedem Schweizer die Niederlassungsfreiheit. Dieses Freiheitsrecht steht grundsätzlich auch den Beamten zu. Es kann jedoch durch Gesetz eingeschränkt werden, soweit dies im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist. Gegenüber der Bundesgesetzgebung kann das Bundesgericht die letztgenannten Voraussetzungen im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung in Betracht ziehen. b) Die beamtenrechtlichen Regelungen der Kantone kennen hinsichtlich der Residenzpflicht verschiedene, mehr oder weniger grosszügige Lösungen. Viele der Gründe, die im kantonalen (oder kommunalen) Recht für die Residenzpflicht angeführt werden (z.B. zivile und politische Inkorporation in das Gemeinwesen, welchem der Beamte angehört; unter Umständen auch fiskalische Interessen), hätten für das Beamtenrecht des Bundes zur Folge, dass der Bundesbeamte überall in der Schweiz wohnen könnte. Wenn Art. 8 Abs. 1 BtG bestimmt, der Beamte habe an dem ihm von der Wahlbehörde angewiesenen Dienstort zu wohnen, sofern ihn die zuständige Amtsstelle nicht zur Verlegung des Wohnsitzes an einen andern Ort ermächtigt, kann damit nur gemeint sein, dass die besonderen Dienstverhältnisse das Wohnen am Ort erfordern. Gemäss Art. 7 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BO 1 (SR 172.221.101) ist denn auch die Ermächtigung zu erteilen, wenn das auswärtige Wohnen sich nicht nachteilig auf den Dienst und die Dienstbesorgung auswirkt. Das ergibt sich schliesslich aus der Botschaft des Bundesrates vom 18. Juli 1924 (BBl 1924 III S. 24). Sowohl das Beamtengesetz wie auch die Beamtenordnung 1 wurden kürzlich revidiert. Die soeben erwähnten Bestimmungen blieben jedoch unverändert. Entgegen der Auffassung, welche offenbar von der Bankenkommission vertreten wird, lässt sich deshalb aus der Gesetzesrevision von 1986 für die Wohnsitzpflicht des Beamten nichts ableiten.
BGE 114 Ib 163 S. 166

c) Viele - und vor allem höhere - Bundesbeamte wohnen nicht an ihrem Dienstort oder in dem zugehörigen Rayon. Aus dem in der Beschwerdebeilage eingereichten Brief des Eidgenössischen Personalamtes vom 26. Mai 1988 ergibt sich, dass auf die spezifischen Bedürfnisse des Amtes abgestellt wird, wobei solche unter Umständen auch dadurch erfüllt werden können, dass der Beamte unabhängig von Familienwohnsitz am Dienstort ein Zimmer unterhält, um für Einsätze während der Woche, soweit es seine Aufgaben erfordern, zur Verfügung zu stehen.
4. Die Wahl des Familienwohnsitzes hängt nicht allein vom Willen des Ehemannes ab. In erster Linie entscheiden die Interessen der Familie darüber, ob eine Trennung zwischen Familienwohnsitz und Wochenaufenthalt des Ehemannes notwendig ist, wenn dessen Anwesenheit an seinem Dienstort erforderlich ist. Der Beschwerdeführer scheint sich - um der angefochtenen Verfügung für die Dauer des Beschwerdeverfahrens zu genügen - vorübergehend für eine solche Lösung entschieden zu haben, indem er in Bern eine Mansarde mietete.
Die Bankenkommission stützte ihren Entscheid indessen nicht darauf, dass die Anwesenheit des Beschwerdeführers am Dienstort wegen der Besonderheit seiner Funktion notwendig sei. Sie ging vielmehr davon aus, die lange Reisezeit von Basel nach Bern und die entsprechende Dauer der täglichen Trennung von der Familie ermüde und belaste den Beschwerdeführer derart, dass seine Arbeitsleistungen darunter leiden. Eine ähnliche - oder noch schwerere - Belastung könnte auch durch die wochenlange Trennung von der Familie eintreten. Der Beamte hat jedoch selbst zu entscheiden, welche Unannehmlichkeiten er im Zusammenhang mit dem Arbeitsweg in Kauf nehmen will. Zeigt sich tatsächlich, dass er wegen des auswärtigen Wohnsitzes keine genügenden Leistungen erbringt, kann der Arbeitgeber ihn als ultima ratio vor die Alternative stellen, seine persönlichen Verhältnisse entsprechend anzupassen oder sich einen andern Arbeitsplatz zu suchen (wobei er notfalls entlassen oder nicht wiedergewählt würde). Das hat aber nichts mit der Residenzpflicht am Dienstort zu tun, sondern betrifft die subjektiven Bedingungen, welche für die Weiterführung eines Beamtenverhältnisses von Bedeutung sind.

5. a) Die Beurteilung hängt auch davon ab, welches Verkehrsmittel der Beamte benützt und ob er die Reisezeit sinnvoll ausnützen kann. Der Beschwerdeführer kann einen Intercity-Zug Basel ab 7.00 Uhr mit Ankunft in Bern um 8.09 Uhr und einen
BGE 114 Ib 163 S. 167

solchen Bern ab 17.51 Uhr mit Ankunft in Basel um 19.00 Uhr benützen, was ihm die Einhaltung der Blockzeit ermöglicht. Die Fahrzeit kann er sinnvoll mit der Lektüre von Fachliteratur ausfüllen. Wenn ihm dies auch keinen Anspruch auf Kürzung der Arbeitszeit verschafft, so verwendet er die tägliche Reisezeit doch im Interesse seines Amtes. Da überdies keine Notwendigkeit der Anwesenheit am Dienstort ausserhalb der Arbeitszeit besteht und die Reiseverhältnisse durchaus im Rahmen heutiger Pendlergewohnheiten liegen, kann aus diesem Grunde die Ermächtigung zum auswärtigen Wohnen nicht verweigert werden.
b) Wohnsitzanforderungen wären allenfalls auch dann gerechtfertigt, wenn dadurch eine Entwicklung verhindert werden kann, die zu disziplinarischen Auseinandersetzungen und zur Auflösung des Dienstverhältnisses führen könnte. Im Bericht des Direktors des Sekretariats an die Bankenkommission vom 18. Mai 1988 über die mündliche Eröffnung des ablehnenden Beschlusses betreffend Wohnsitzverlegung wurde ausgeführt, weniger die Frage der Wohnsitzverlegung als vielmehr Leistung und Verhalten des Beschwerdeführers hätten zu einer Diskussion geführt. Allgemein sei die Kommission mit ihm wenig zufrieden; es sei sogar der Gedanke an eine Nichtwiederwahl geäussert worden. Die Qualität der Arbeit sei zwar gut, dagegen liessen die Speditivität und damit die Arbeitsquantität deutlich zu wünschen übrig. Dafür wurden mehrere Beispiele angeführt, die aber alle aus der Zeit stammen, da der Beschwerdeführer den Wohnsitz in Bern hatte. Demgegenüber hatte der Beschwerdeführer die Probezeit, als er noch in Basel wohnte, zur vollen Zufriedenheit absolviert, was zum Antrag auf definitive Anstellung vom 10. Dezember 1986 führte mit der Bemerkung: "Das Sekretariat ist mit den Leistungen von Herrn X. sehr zufrieden." Für die restliche Zeit der "Pendlerperiode" sind aktenmässig keine Beanstandungen ausgewiesen, mit Ausnahme von Tabellen über "Bearbeitungsstand Revisionsberichte per Ende Monat April 1987 - August 1988". Diese sind aber hinsichtlich der tatsächlichen Leistungen schwer interpretierbar und geben insbesondere keinen Aufschluss darüber, ob die Leistungen während - und damit wegen - des Pendelns schlechter gewesen wären als nachher. Wenn schon auf subjektive Momente abgestellt werden soll, wäre auch zu untersuchen, ob die Leistungsfähigkeit nicht gerade durch Belastungen während der Wohnungssuche für Bern und nachher durch die unglücklichen Verhältnisse am ungeliebten neuen
BGE 114 Ib 163 S. 168

Wohnort beeinträchtigt wurde. Wenn Beanstandungen wirklich am Platz waren, ist nicht auszuschliessen, dass sich die Situation bessern könnte, sobald der Beschwerdeführer seine Wohnsituation wieder zu seiner Zufriedenheit geregelt hat. Jedenfalls dürfen solche allgemein gehaltenen Beanstandungen, auch wenn sie zum Gedanken an eine Nichtwiederwahl geführt haben möchten, nicht zum Anlass von Massnahmen betreffend Wohnsitzpflicht genommen werden, solange ein Kausalzusammenhang zwischen Mängeln der Arbeit und auswärtigem Wohnsitz nicht nachgewiesen ist. Die Verweigerung der Ermächtigung zu auswärtigem Wohnen darf nicht den Charakter einer Disziplinarmassnahme haben.