Urteilskopf

114 Ia 343

58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Dezember 1988 i.S. S. gegen B., T., Stadt Zürich und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 344

BGE 114 Ia 343 S. 344

S. ist Eigentümerin zweier Mehrfamilienhäuser. Die beiden Flachdachbauten wurden Mitte der sechziger Jahre erstellt. Am 6. Februar 1987 bewilligte die Bausektion II des Stadtrates von Zürich, die Fassaden dieser Häuser zusätzlich zu isolieren. Gleichzeitig verweigerte sie die Errichtung von Satteldächern anstelle der bestehenden Flachdächer, da das Projekt die Gestaltungsvorschrift von § 238 PBG verletze. Gegen die Verweigerung dieser Bewilligung gelangte S. an die Baurekurskommission I des Kantons Zürich, die ihren Rekurs guthiess. Die Bausektion II wurde angewiesen, die entsprechende Bewilligung zu erteilen. Die Nachbarn B. und T. zogen diesen Entscheid an das Verwaltungsgericht weiter, das die Beschwerde guthiess und die Bauverweigerung
BGE 114 Ia 343 S. 345

wiederherstellte. Das Bundesgericht weist die von S. erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. b) Das angefochtene Urteil stützt sich auf § 238 Abs. 1 PBG. Diese Bestimmung lautet wie folgt: "Bauten, Anlagen und Umschwung sind für sich und in ihrem Zusammenhang mit der baulichen und landschaftlichen Umgebung im ganzen und in ihren Teilen so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird; diese Anforderung gilt auch für Materialien und Farben." Diese Vorschrift ist eine positive ästhetische Generalklausel. Im Unterschied zu den entsprechenden negativen Klauseln, welche eine Verunstaltung eines Stadt- oder Quartierbildes verbieten, verlangt § 238 PBG positiv eine kubische und architektonische Gestaltung, welche sicherstellt, dass sowohl für die Baute selbst als auch für die bauliche und landschaftliche Umgebung eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird. Die Anforderungen einer solchen Vorschrift gehen weiter als das blosse Verunstaltungsverbot, bei dessen Anwendung in einem Quartier mit fehlender Einheitlichkeit und den verschiedensten Bauformen kein allzu strenger Massstab angelegt werden darf. Eine von den gesetzlichen Massvorschriften abweichende Gestaltung darf wegen Verunstaltung nur abgelehnt werden, wenn sie nach Massstäben, die "in Anschauungen von einer gewissen Verbreitung und Allgemeingültigkeit gefunden werden", als erheblich störend zu bezeichnen ist (BGE 82 I 108). Verlangt hingegen das Gesetz ausdrücklich eine positiv gute Gestaltung zur Sicherstellung einer befriedigenden Gesamtwirkung, so dürfen strengere Massstäbe angelegt werden. Diese sind freilich sorgfältig zu begründen. Es ist nicht einfach auf ein beliebiges subjektives architektonisches Empfinden oder Gefühl abzustellen. Vielmehr ist im einzelnen darzutun, warum mit einer bestimmten baulichen Gestaltung weder für den Bau selbst noch die Umgebung eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird. Der entsprechenden Beurteilung unterliegt jede Baute. Auch wenn sie den Bau- und Zonenvorschriften massstäblich entspricht, ist sie so zu gestalten, dass eine befriedigende Gesamtwirkung erreicht wird. Für das Zürcher Recht ergibt sich dies unmissverständlich aus der Einordnung von § 238 PBG in den Abschnitt "B. Grundanforderungen an Bauten und Anlagen". Die Einwendung
BGE 114 Ia 343 S. 346

der Beschwerdeführerin, das geplante Satteldach entspreche voll und ganz den Massvorschriften der städtischen Bauordnung, schliesst daher die Anwendung der positiven ästhetischen Generalklausel des § 238 PBG nicht aus. Wohl dürfte diese Anwendung nicht dazu führen, dass generell - etwa für ein ganzes Quartier oder ein Baugeviert - die Zonenordnung ausser Kraft gesetzt würde. Hat der Gesetzgeber z.B. eine bestimmte Geschosszahl zugelassen, ginge es nicht an, generell nur ein Geschoss weniger zu bewilligen mit der Begründung, nur dadurch würde eine gute Gesamtwirkung erreicht. So verhält es sich jedoch im vorliegenden Falle klarerweise nicht. Es geht einzig um die Beurteilung einer baulichen Änderung an Wohnbauten, welche die Geschosszahl ausschöpfen. Auch wenn das nachträglich geplante Satteldach das zulässige Firsthöhenmass nicht überschreitet, so darf es gestützt auf § 238 PBG abgelehnt werden, wenn es zufolge der baulich vorgegebenen Verhältnisse bei objektiver Beurteilung zu keiner befriedigenden Gesamtwirkung zu führen vermag. Die Einwendung der Beschwerdeführerin, es fehle eine gesetzliche Grundlage, ist bei dieser Sachlage unbegründet; auch eine freie Prüfung würde zu keinem andern Ergebnis führen (vgl. BGE 97 I 641 E. 6). c) Das Verwaltungsgericht führt aus, die von der Stadt Zürich vorgetragenen Bedenken, dass die geplante Überdachung mit einer Bauhöhe von zwei Dritteln der dreigeschossigen Fassadenhöhe und der allseitigen Übertragung den darunterliegenden Baukörper erdrücke, könne weit eher überzeugen als die Behauptung der Baurekurskommission I, die auf den Flachdächern errichteten Aufbauten seien gestalterisch unbegründet und eher unzulänglich, und es würde mit deren Ersetzung durch Satteldächer eine Verbesserung erzielt. Diese zurückversetzten Aufbauten nähmen vielmehr die Flucht der Untergeschosse und die Einschnürung der Fassaden auf; dadurch würden die Baukörper trotz ihres Volumens nicht klotzig, sondern fast wie schwebend wirken. Zur baulichen Umgebung hält das Verwaltungsgericht fest, mit den beiden Bauten sei mit beachtlichem Geschick ein relativ grosses Bauvolumen zwischen den beiden, wesentlich bescheideneren Häuserreihen im Norden und Süden untergebracht worden, ohne diese optisch zu dominieren oder zu erdrücken. Dies sei auf die gute Struktur der Baukörper und vor allem auf die Abhebung durch die zurückversetzten Untergeschosse zurückzuführen, die den Gebäuden eine gewisse Leichtigkeit verleihe. Dieser Eindruck ginge durch das vorgesehene Steildach verloren. Zudem nähme das im Vergleich
BGE 114 Ia 343 S. 347

zur baulichen Umgebung ohnehin schon grosse Bauvolumen erheblich zu; die grossen Satteldächer würden die Struktur des durch eher bescheidene Bauten gekennzeichneten vorstädtischen Quartiers sprengen. Diese Ausführungen sind unter dem Gesichtswinkel der Willkür nicht zu beanstanden. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Wie der Augenschein ergeben hat, sind die Gebäude geprägt durch ihre horizontale Fassadengestaltung. Diese Wirkung wird durch die zurückversetzten Untergeschosse noch verstärkt. Die neuen Satteldächer sollen die bestehenden Dachaufbauten aufnehmen, weshalb sie einen Neigungswinkel von 45o und eine Höhe von ca. 6,50 m aufweisen müssten. Den Plänen ist zu entnehmen, dass demgegenüber die Gebäudehöhen 9,60 m (ohne Aufbauten) betragen. Unter diesen Umständen ist die Feststellung des Verwaltungsgerichtes, die grossen Dächer würden die darunterliegenden Baukörper erdrücken, nicht unhaltbar. Dem Einwand der Beschwerdeführerin, der Anblick eines behäbigen Satteldaches wirke wohltuend, kann angesichts der vorhandenen Fassadengestaltung und der bestehenden Proportionen nicht gefolgt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die horizontale Symmetrie der Gebäude durch die voluminösen Steildächer beeinträchtigt würde. Zur Auswirkung der vorgesehenen Satteldächer auf die bauliche Umgebung bringt die Beschwerdeführerin vor, die beziehungslose Überbauung des fraglichen Vorstadtquartiers rechtfertige es nicht, besonders strenge Anforderungen an das Einordnungsgebot zu stellen. Das Satteldach füge sich überdies besser in die bestehende Dachlandschaft ein; in der näheren Umgebung seien verschiedentlich Häuser mit vergleichbaren Dächern bewilligt worden. Am Augenschein konnte festgestellt werden, dass die Bauten der Beschwerdeführerin in einem typischen Vorstadtquartier liegen. Sie sind umgeben von eher kleineren Gebäuden mit maximal drei Geschossen und weisen im Vergleich zu den Nachbarhäusern ein relativ grosses Volumen auf. Dieses würde durch die geplanten Dächer noch zusätzlich vergrössert. In der Umgebung sind zwar Häuser mit ähnlich geneigten Dächern vorhanden, doch liegen bei ihnen die Schnittlinien zwischen Fassade und Dachfläche wesentlich tiefer als bei den hier zur Diskussion stehenden Gebäuden. Die vorgesehenen Dächer würden daher die umliegenden Häuser erheblich überragen und könnten sich negativ auf diese auswirken.
BGE 114 Ia 343 S. 348

Zudem befinden sich im Quartier mehrere Flachdachbauten; die Gebäude der Beschwerdeführerin bilden somit keine Ausnahme. Angesichts dieser tatsächlichen Feststellungen und des Umstandes, dass bei der Anwendung von § 238 Abs. 1 PBG von den bestehenden örtlichen Verhältnissen auszugehen ist, erscheint die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichtes, das Bauvorhaben sprenge die Struktur des vorstädtischen Quartiers und könne daher gestützt auf die erwähnte Bestimmung nicht bewilligt werden, nicht als willkürlich.