Urteilskopf

114 Ia 216

35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. Oktober 1988 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 216

BGE 114 Ia 216 S. 216

§ 2 Ziff. 3 des Reglements für die Studierenden und Auditoren der Universität Zürich vom 17. Januar 1967 (nachfolgend abgekürzt
BGE 114 Ia 216 S. 217

RSA) verlangt für die Immatrikulation an der Universität Zürich eine ausreichende Vorbildung. § 3 bestimmt diesbezüglich: § 3. 1 Die Vorbildung gilt als ausreichend zum Studium an allen Fakultäten, sofern ein Ausweis folgender Art beigebracht wird (vgl. § 19):
1. Maturitätszeugnis eines Zürcher kantonalen Literar- oder Realgymnasiums; 2. Maturitätszeugnis einer Zürcher kantonalen Oberrealschule; 3.-7. (...)
8. entsprechendes gleichwertiges Abgangszeugnis einer gleichwertigen ausländischen Mittelschule allgemeinbildenden Charakters gemäss Ziffern 1 und 2, sofern es von Ausländern oder Auslandschweizern im Ausland erworben wurde. 9. (...)
2 Das Rektorat ist ermächtigt, unter folgenden Voraussetzungen ausnahmsweise ein von einem Schweizer mit ständigem Wohnsitz in der Schweiz an einer ausländischen Mittelschule erworbenes Maturitätszeugnis für die Immatrikulation an der Universität Zürich anzuerkennen: 1. der Bewerber um die Immatrikulation muss während seiner Mittelschule seinen Wohnsitz in unmittelbarer Nähe der ausländischen Mittelschule gehabt haben, jedenfalls muss diese für ihn viel leichter erreichbar gewesen sein als die nächstgelegene schweizerische Mittelschule; 2. der Bewerber darf nicht vorher an einer schweizerischen Mittelschule relegiert oder nicht promoviert worden sein. 3 (...)
X., geboren 1968, österreichische Staatsangehörige, besuchte von 1974 bis 1979 das Französische Lyzeum in Wien und von 1979 bis 1986 das Gymnasium an der Ecole française in Gockhausen (Zürich). Die Mittelschulreifeprüfung legte sie im Juli 1986 an der Akademie von Strassburg mit dem Prädikat "gut" in der Serie C, Mathematik und Physik, ab. Am 17. Oktober 1986 stellte sie das Gesuch um Immatrikulation an der Universität Zürich zum Studium an der philosophischen Fakultät II (Hauptfach: organische Chemie) mit gewünschtem Beginn des Studiums im Sommer 1987. Mit Verfügung vom 27. Oktober 1986 lehnte die Universität Zürich (Studentenabteilung) die Immatrikulation ab, weil die Gesuchstellerin über keine schweizerische Maturität verfüge und auch kein zwingender Grund bestanden habe, die Maturitätsprüfungen im Ausland abzulegen. X. focht diesen Entscheid bei den zuständigen kantonalen Instanzen (Hochschulkommission, Erziehungsrat, Regierungsrat) an, doch wurden sämtliche Rechtsmittel abgewiesen, letztinstanzlich mit Beschluss des Regierungsrates vom 25. November 1987.
BGE 114 Ia 216 S. 218

Der Regierungsrat erwog, die Formulierung von § 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA - "im Ausland erworben" - sei so zu verstehen, dass nur die aufgrund eines tatsächlich im Ausland erfolgten Schulbesuchs dort erlangten Maturitätszeugnisse anerkannt werden könnten. Von Bewerbern mit hiesigem Wohnsitz werde erwartet, dass sie eine schweizerische Maturität ablegen. Auch wenn das Mittelschulreifezeugnis der Akademie von Strassburg einer schweizerischen Maturität inhaltlich bzw. sachlich gleichwertig sei, erfülle die Bewerberin damit noch nicht die in § 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA enthaltene persönliche bzw. örtliche Zusatzbedingung.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt X., den Regierungsratsbeschluss aufzuheben und die zuständigen Behörden des Kantons Zürich zu verpflichten, sie zum Studium an der Universität Zürich zuzulassen. Sie rügt eine Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV (Willkür) sowie der persönlichen Freiheit. Die Direktion der Volkswirtschaft beantragt namens des Regierungsrates des Kantons Zürich Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Rechtsanwendung. Sie hält dafür, § 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA verlange nur, dass der Bewerber das Maturitätszeugnis im Ausland erworben haben müsse, nicht auch, dass die Ausbildung dort absolviert worden sei; die gegenteilige Auslegung dieser Bestimmung durch den Regierungsrat sei willkürlich. a) Nach der Rechtsprechung liegt Willkür nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar vorzuziehen wäre; das Bundesgericht weicht vom Entscheid der kantonalen Instanz nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 113 Ia 19 f.). b) Nach Auffassung des Regierungsrates ist der in § 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA verwendete Begriff "im Ausland erworben" auslegungsbedürftig. Er sei in dem Sinne zu verdeutlichen, dass nur die aufgrund eines im Ausland erfolgten Schulbesuchs dort erlangten Maturitätszeugnisse anerkannt werden können. Bewerber mit hiesigem Wohnsitz hätten grundsätzlich die Mittelschule in der
BGE 114 Ia 216 S. 219

Schweiz zu besuchen und eine schweizerische Maturitätsprüfung abzulegen. Diese Auslegung von § 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA ist nicht schlechthin unvertretbar. Wenn nach § 3 Abs. 2 RSA von Schweizern mit Wohnsitz in der Schweiz erwartet wird, dass sie die Maturität in der Schweiz erwerben, und das Maturitätszeugnis einer grenznahen Mittelschule nur ausnahmsweise - bei Wohnsitz in unmittelbarer Nähe der ausländischen Mittelschule, wenn diese leichter erreichbar war als die nächstgelegene schweizerische Mittelschule - anerkannt werden kann, so ist unter dem Gesichtswinkel der Willkür auch die Auffassung haltbar, Ausländer mit Niederlassung oder Aufenthalt in der Schweiz hätten eine schweizerische Maturität abzulegen bzw. § 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA beziehe sich nur auf ausländische Maturitätszeugnisse, die aufgrund eines im Ausland erfolgten Schulbesuches dort erworben wurden. Insoweit bezwecken § 3 Abs. 1 Ziff. 8 und Abs. 2 RSA dasselbe, nämlich, dass hier ansässige Bewerber - Schweizerbürger oder Ausländer - die Mittelschulbildung und das Reifezeugnis in der Schweiz erwerben. Von Willkür im erwähnten Sinn kann damit klarerweise nicht die Rede sein.
3. Für den Fall, dass das Bundesgericht nicht auf willkürliche Rechtsanwendung schliesst, rügt die Beschwerdeführerin die in § 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA enthaltene örtliche Beschränkung der Zulassung zur Universität als willkürlich. Sie macht geltend, der Wohnsitz (bzw. der Aufenthalt) während der Schulzeit stelle für die Eignung einer Person zum Universitätsstudium kein sachliches Kriterium dar. Diese Rüge ist unberechtigt. Für die Regelung, wonach Schweizer mit Wohnsitz in der Schweiz und Ausländer mit Niederlassung oder Aufenthalt in der Schweiz für die Immatrikulation an der Universität grundsätzlich über ein schweizerisches Maturitätszeugnis verfügen müssen und Abgangszeugnisse ausländischer Mittelschulen nur ausnahmsweise anerkannt werden können, lassen sich sachliche Gründe anführen. Unter dem Gesichtswinkel von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn an ausländischen Lehranstalten erworbene Abschlusszeugnisse nicht anerkannt werden, sofern ihre Bewerber die Mittelschule in der Schweiz besucht haben. Diese Regelung mag in einzelnen Fällen zu Härten führen, wenn - wie hier - das Abgangszeugnis der ausländischen Mittelschule grundsätzlich als einem schweizerischen Maturitätsausweis gleichwertig anerkannt werden könnte
BGE 114 Ia 216 S. 220

(§ 3 Abs. 1 Ziff. 8 RSA) und nur deshalb nicht zur Immatrikulation an der Universität berechtigt, weil sein Inhaber die Mittelschulausbildung in der Schweiz genossen hat. Das lässt indessen die angefochtene Regelung noch nicht als willkürlich erscheinen.
5. Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, der angefochtene Entscheid verletze die persönliche Freiheit, weil die Nichtzulassung zum Studium an der Universität Zürich sie ohne öffentliche Interessen in unzulässiger Weise in einem wesentlichen Bereich der Persönlichkeitsentfaltung einschränke. a) Die persönliche Freiheit als zentrales Freiheitsrecht schützt nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen. Indessen rechtfertigt nicht jeder beliebige Eingriff in das Recht der Persönlichkeit die Berufung auf ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht, da sich sonst dieses von andern teils durch die Verfassung, teils durch Gesetz geschützten Ansprüchen nicht mehr abgrenzen lässt. Die persönliche Freiheit hat namentlich nicht die Funktion einer allgemeinen Handlungsfreiheit, auf die sich der Einzelne gegenüber jedem staatlichen Akt, der sich auf seine persönliche Lebensgestaltung auswirkt, berufen könnte (BGE 112 Ia 100 E. 5b, mit Hinweisen; vgl. BGE 113 Ia 262 E. 4b). Die persönliche Freiheit bildet kein allgemeines Auffanggrundrecht. Hier bieten vielmehr das Legalitätsprinzip und der daraus abgeleitete Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung zusammen mit dem Willkürverbot und dem Gebot rechtsgleicher Behandlung angemessenen Schutz (vgl. BGE 100 Ia 186 E. 4a, 194/5; J. P. MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, Bern 1985, S. 12; F. GYGI, Grundrechtskonkurrenz?, in: Mélanges Henri Zwahlen, Lausanne 1977, S. 71 f.).
b) Die persönliche Freiheit begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen des Staates. Insbesondere gewährt sie kein Recht auf Bildung. In der Volksabstimmung vom 4. März 1973 wurde ein solches Recht trotz knappem Volksmehr von den Ständen abgelehnt (BBl 1972 I 421 ff.; 1973 I 1730 f.). Ein Recht auf Bildung, und damit verbunden auf freien Zugang zu den Universitäten, darf nicht auf dem Umweg der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Grundrecht der persönlichen Freiheit geschaffen werden. Eine Verletzung der persönlichen Freiheit liegt somit nicht vor. Anders wäre allenfalls unter dem Gesichtswinkel der aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV
BGE 114 Ia 216 S. 221

fliessenden Garantien zu entscheiden, wenn der Beschwerdeführerin das Recht auf Zugang zur Universität willkürlich verweigert worden wäre. Davon kann nach dem vorn Gesagten (E. 2 und 3) indessen nicht die Rede sein.