Urteilskopf

114 Ia 200

31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. September 1988 i.S. Rajaratnam gegen Rajaratnam und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 200

BGE 114 Ia 200 S. 200

Am 21. Januar 1988 verbrachte Margrith Rajaratnam ihre beiden Kinder Alexander Misha und Natasha Ursula aus England in die Schweiz. Durch Vermittlung der Zentralbehörde zur Behandlung internationaler Kindesentführungen beim Bundesamt für Justiz ersuchte Henry Vijaya Rajaratnam, der Vater der beiden Kinder, beim Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Horgen gestützt auf das Haager Übereinkommen über
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die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 um Rückführung der Kinder nach England. Der Einzelrichter wies das Gesuch mit Verfügung vom 11. Mai 1988 ab. Dagegen rekurrierte der Gesuchsteller an das Obergericht des Kantons Zürich. Mit Beschluss vom 18. Juli 1988 hob dieses die angefochtene Verfügung auf und verpflichtete die Gesuchsgegnerin unter Androhung von Zwangsvollstreckung und Ordnungsbusse, die beiden Kinder unverzüglich wieder an den vormaligen Ort des gewöhnlichen Aufenthalts in Dorset/GB zurückzuführen bzw. dem Gesuchsteller zur Rückführung an diesen Ort zu übergeben.
Gegen diesen Entscheid hat Margrith Rajaratnam staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Mit der Beschwerde wird eine Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV gerügt. Es wird namentlich geltend gemacht, das Obergericht habe das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (SR 0.211.230.02) willkürlich angewandt. Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
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BV sind jedoch erst zulässig, nachdem von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist (Art. 86 Abs. 2
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OG). An dieser Voraussetzung fehlt es hier, da der obergerichtliche Entscheid beim Kassationsgericht des Kantons Zürich mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden konnte, und zwar mit den gleichen Rügen, die in der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben worden sind.
2. Es stellt sich indessen die Frage, ob es sich bei dem vom Beschwerdeführer eingereichten Rechtsmittel nicht um eine Staatsvertragsbeschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. c OG handle, für welche die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nach Art. 86
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OG nicht vorgeschrieben ist. a) Nach Art. 84 Abs. 1 lit c OG ist die staatsrechtliche Beschwerde unter anderem zulässig wegen Verletzung von Staatsverträgen mit dem Ausland, "ausgenommen bei Verletzung zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Bestimmungen von Staatsverträgen durch kantonale Verfügungen (Entscheide)". Dieser Vorbehalt will nicht nur gewährleisten, dass die Verletzung zivil- oder strafrechtlicher Bestimmungen eines Staatsvertrags durch die einschlägigen
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zivil- bzw. strafrechtlichen Rechtsmittel zu rügen ist. Denn der Grundsatz der Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde ergibt sich bereits aus Art. 84 Abs. 2
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OG. Vielmehr soll wegen Verletzung zivil- oder strafrechtlicher Bestimmungen von Staatsverträgen überhaupt nie staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. c OG geführt werden können, also auch dann nicht, wenn die Voraussetzungen für Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde nicht gegeben sind. Das Gesetz geht davon aus, dass die zivil- oder strafrechtlichen Bestimmungen von Staatsverträgen im Verhältnis zwischen Privaten dem internen schweizerischen Recht gleichgestellt sind und dass daher wegen deren Verletzung das Bundesgericht nur in gleicher Weise und unter denselben Voraussetzungen angerufen werden kann wie sonst wegen Verletzung zivil- oder strafrechtlicher Vorschriften (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 325; Botschaft zum OG 1943, BBl 1943 S. 137/138). Die Staatsvertragsbeschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. c OG ist demzufolge ausgeschlossen, wenn zwar die Verletzung einer zivilrechtlichen Bestimmung eines Vertrags gerügt werden will, die Berufung aber nicht zulässig ist, weil der erforderliche Streitwert nicht erreicht ist oder weil es an einem Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1
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OG fehlt. In einem solchen Fall steht - sofern auch die Nichtigkeitsbeschwerde nicht in Frage kommt nur die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a
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OG, namentlich die Willkürbeschwerde, zur Verfügung. In diesem Sinne wurde trotz des missverständlichen Wortlauts von Art. 182 Abs. 2a
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OG bereits unter der Herrschaft des alten Rechts entschieden (BGE 27 I 194/195). b) Mit der Staatsvertragsbeschwerde kann somit nur die Verletzung öffentlichrechtlicher Vorschriften eines Vertrags gerügt werden. Öffentlichrechtlichen Charakter haben nach der Rechtsprechung namentlich staatsvertragliche Bestimmungen betreffend die Rechtshilfe (BGE 105 Ib 213, 99 I 82). Welcher Art das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ist, liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Einerseits wird im Titel des Übereinkommens ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es um die zivilrechtlichen Aspekte der internationalen Kindesentführung geht. Das lässt darauf schliessen, dass das Übereinkommen privatrechtliche Bestimmungen enthält. Anderseits wird in der bundesrätlichen Botschaft erklärt, das Übereinkommen habe "eher den Charakter eines internationalen
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Rechtshilfeabkommens" (BBl 1983 I 116) bzw. es umfasse "lediglich Verfahrens- und Vollstreckungsrecht für einen sehr kleinen Bereich des Familienrechts, der selbst materiell nicht vereinheitlicht wird" (a.a.O. S. 125). Vollstreckungsrechtlichen Charakter hat das Übereinkommen indessen klarerweise nicht; seine Bedeutung liegt gerade darin, dass die Rückgabe eines in einen andern Staat verbrachten Kindes verlangt werden kann, ohne dass eine zu vollstreckende Entscheidung im ursprünglichen Staat ergangen ist (vgl. Art. 3 Abs. 2). Es muss in diesem Staat auch kein Verfahren betreffend die Regelung des Sorgerechts im Gange sein. Aus diesem Grund handelt es sich auch nicht um ein eigentliches Rechtshilfeverfahren (wo stets ein zu unterstützendes ausländisches Hauptverfahren bestehen muss), auch wenn man die im Übereinkommen vorgesehene Tätigkeit der zentralen Behörde in einem weiteren Sinn als Rechtshilfe bezeichnen kann. Richtig ist sodann, dass das Übereinkommen auch verfahrensrechtliche Bestimmungen enthält, die dem öffentlichen Recht angehören, so z.B. Art. 22, der die Befreiung von Sicherheitsleistungen vorsieht. Die im vorliegenden Verfahren streitigen Bestimmungen haben jedoch eindeutig privatrechtlichen Charakter. So regelt Art. 3, unter welchen Voraussetzungen das Verbringen eines Kindes in einen andern Staat als widerrechtlich gilt, und Art. 13 bestimmt, unter welchen Umständen die Rückgabe eines widerrechtlich weggebrachten Kindes verweigert werden darf. Diese Bestimmungen schaffen vereinheitlichtes Recht, auf das sich auch Private berufen können, was auch die Botschaft einräumt (a.a.O. S. 125). Das Verfahren, in dem über die Rückgabe befunden wird, ist ein Erkenntnis-, nicht ein Vollstreckungsverfahren, das in der Regel durch Private in Gang gesetzt wird, auch wenn es auch von einer Behörde ausgehen kann (Art. 8 Abs. 1). Dabei stehen sich Private als gleichberechtigte Prozessparteien gegenüber; dass die zentrale Behörde die eine Partei unterstützt, verschafft dieser keine Vorzugsstellung. Dass im Rückgabeverfahren nicht endgültig über das Sorgerecht befunden, sondern nur eine Art vorläufiger Rechtsschutz gewährt wird, ändert an der privatrechtlichen Natur dieser Bestimmungen nichts. Das Übereinkommen lässt sich in dieser Beziehung mit dem Besitzesrecht vergleichen, mit dem Unterschied, dass nicht die tatsächliche Gewalt an einer Sache, sondern die tatsächliche Ausübung des Sorgerechts über ein Kind geschützt wird. Es kann denn auch kein Zweifel bestehen, dass eine entsprechende Regelung ohne weiteres in das
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Zivilgesetzbuch aufgenommen werden könnte, falls der Gesetzgeber dies als notwendig erachten sollte. c) Haben die hier streitigen Bestimmungen des Übereinkommens aber privatrechtlichen Charakter, so ist die staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. c OG ausgeschlossen. Die Berufung fällt deswegen ausser Betracht, weil nicht endgültig über das Sorgerecht entschieden und der Aufenthaltsort des Kindes nicht definitiv festgelegt wird, so dass kein Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1
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OG vorliegt. Die Nichtigkeitsbeschwerde wäre zwar zulässig, doch wird kein Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 68 Abs. 1
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OG geltend gemacht, jedenfalls nicht mit hinreichender Deutlichkeit. (Wollte man in der Behauptung, das zürcherische Verfahren, namentlich die Zulassung des Rekurses, entspreche dem im Übereinkommen enthaltenen Gebot der Beschleunigung nicht, eine Rüge im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. a
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OG erblicken, so wäre diese offensichtlich unbegründet, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ordentliche Rechtsmittel gegen den Rückgabeentscheid durch das Übereinkommen generell hätten ausgeschlossen werden wollen.) Die Eingabe der Beschwerdeführerin kann daher nur als staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a
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OG entgegengenommen werden, als welche sie auch erhoben worden ist. Solche Beschwerden setzen aber, wie bereits gesagt, die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs voraus, woran es hier fehlt. Auf die Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden.